Früher führte der letzte Weg zurück ins Herkunftsland, doch inzwischen lassen sich immer mehr Muslime in Deutschland beerdigen. Berührungsängste mit der christlich geprägten Friedhofskultur gibt es kaum noch.
Seit 100 Jahren beerdigen Kölner ihre Toten auf dem Westfriedhof, wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Kölner Honoratioren liegen hier neben Fabrikanten, Angehörige traditionsreicher Handwerkerfamilien neben Bombentoten aus dem Zweiten Weltkrieg. Die breite Allee vom Toreingang zur Trauerhalle im neoklassizistischen Stil atmet den Stolz der alten Domstadt.
Biegt der Besucher links ab und wandert einige Minuten durch das parkartige Gelände mit dem alten Baumbestand, stößt er auf Gräber, die eigenartig quer zum rechtwinkligen Wegenetz verlaufen. Die Grabsteine schmücken häufig Halbmond und Stern oder arabische Schriftzeichen. Hier haben auch Muslime ihre letzte Ruhestätte gefunden.
„Nach islamischem Ritus bestatten wir die Toten auf der rechten Seite liegend mit dem Gesicht nach Mekka, also Richtung Südost. Deshalb die ’schräge‘ Ausrichtung der Gräber. So warten sie auf das Jüngste Gericht“, erklärt Abdülkadir Ulusoy. Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte ein türkisch-islamischer Bestatter wie er hierzulande kaum seine Familie ernähren können. „Früher ließen sich Türken nach ihrem Tod immer in die Türkei überführen. Inzwischen finden 60 Prozent der Beerdigungen hier statt.“
Am Geld liegt es nicht, erzählt Ulusoy. Im Gegenteil, die Grabkosten in Deutschland sind deutlich höher als in der Türkei, wo Gemeinden die Gräber meist gebührenfrei zur Verfügung stellen. Allen Berichten über Integrationsprobleme zum Trotz: Die Kinder und Enkel der einstigen Gastarbeiter, die seit Anfang der 1960er Jahre bei Ford, Bayer oder im Braunkohletagebau westlich der Rheinmetropole anheuerten, empfinden Deutschland immer selbstverständlicher als „Heimaterde“ auch im Tod. Viele Kommunen und Bundesländer kommen dem entgegen, indem sie den islamfremden Sargzwang abschaffen. An immer mehr Orten dürfen Muslime ihre Toten gemäß der Tradition in weißen Leinentüchern in die Erde betten.
Inzwischen sind mehr als 2.000 Muslime auf dem Westfriedhof bestattet, die ältesten Gräber stammen aus den 1960er Jahren, rund einhundert kommen jedes Jahr hinzu. Einäscherung verbietet der Islam. Die muslimischen Grabfelder liegen nicht abgesondert, sondern verstreut über das Gelände, umgeben von nichtmuslimischen Abschnitten. „Mutter Natur ist ja Eigentum Gottes“, sagt der hinzugekommene Imam Yavuz Nar, der schon viele Glaubensbrüder und -schwestern auf dem letzten Weg begleitet hat. „Wichtig ist nur, dass die Toten in ‚jungfräulicher Erde‘ bestattet werden.“ Und so beten die Angehörigen an den Gräbern ihrer Angehörigen in Sichtweite christlicher Kreuze und Marienfiguren.
„Ruhuna Fatiha“ ist oft zu lesen. „Es bedeutet so viel wie: ‚Bete eine Fatiha für meine Seele‘, die erste Sure des Koran“, erklärt Nar. Sie ist eine Art islamisches „Vaterunser“ und begleitet den gläubigen Muslim in tausend Lebenslagen: „Bismillahi Rahmani Rahim“, beginnt sie – „Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes….Dir dienen wir und Dich bitten wir um Hilfe. Führe uns den geraden Weg, den Weg derer, denen Du Gnade erwiesen hast, nicht den Weg derer, die Deinem Zorn verfallen sind und irregehen.“
Der Tod ist im Islam nicht das Ergebnis einer Ursünde, keine Strafe Gottes. Das Lebensende ist etwas ganz Natürliches, das der Schöpfer jedem Menschen vorherbestimmt hat. Der Gläubige geht ein in die Obhut Allahs bis zur Auferstehung beim Jüngsten Gericht. Nach islamischer Überlieferung befragen die Todesengel Munkar und Nakir den Toten schon im Grab nach seiner Religion.
Manch fortschrittlicher Theologe sieht es gelassener. Auch Gläubige der anderen monotheistischen Religionen können nach einiger Zeit in der Verdammnis ins Paradies gelangen, lautet eine Meinung. „Am Ende weiß Allah es am besten“, sagt der Imam.
Einige Meter weiter spielen diese Fragen keine Rolle: Auf einem frischen Gräberfeld sind Babys bestattet, die tot geboren wurden oder kurz nach der Geburt starben, Kinder von Muslimen und Nichtmuslimen. Hier liegt Ali neben Gabriel und Johanna neben Fatme. Kleine weiße Kreuze stehen neben islamischen Holztafeln. Ein Grab haben die Eltern liebevoll mit weißen Kieselsteinen umrandet, auf einem anderen stehen Engelsfiguren. Die Blicke von Abdülkadir Ulusoy und Yavuz Nar schweifen über die Grabhügelchen. Laut einem überlieferten Ausspruch des Propheten Mohammed kommt jeder Mensch als Muslim zur Welt, Christ, Jude oder Hindu wird er erst durch religiöse Erziehung.
Dann zupft der Bestatter den Besucher am Ärmel. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen noch etwas.“ Der Weg führt zum Gemeinschaftsgrab eines Ehepaares – er Muslim, sie Christin. „Bei der Beerdigung der Frau betete zuerst ein katholischer Priester und dann ein islamischer Hodscha. Da spürte man einen großen Frieden über der Trauergemeinde.“
Und was sagen die religiösen Vorschriften dazu? Eigentlich sei die Bestattung von Christen und Muslimen in ein und demselben Grab nicht gestattet, sagt der Imam und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Aber in Deutschland ist vieles anders. Da passt man sich an.“ (KNA, iQ)