Diskriminierung

Lehrerin mit Kopftuch will Schadensersatz

Eine Lehrerin aus Osnabrück verklagt die Landesschulbehörde auf Schadensersatz, weil sie 2013 eine Absage aufgrund ihres Kopftuches erhielt.

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2017
Gesetze und Richterhammer © by Tim Reckmann auf Flickr (CC BY 2.0), bearbeitet islamiQ

Eine Lehrerin hat die Landesschulbehörde in Niedersachsen auf Schadenersatz verklagt, weil sie wegen ihres Kopftuches nicht vom Land eingestellt worden ist. Wie das Verwaltungsgericht Osnabrück am Montag mitteilte, will die Frau Entschädigung beziehungsweise Schmerzensgeld haben, weil 2013 die ursprünglich erteilte Einstellungszusage zurückgezogen wurde. Damals war bekanntgeworden, dass die muslimische Pädagogin auch in der Schule ein Kopftuch tragen wollte.

„Im Kern wird es darum gehen, ob die Mitte 2013 zurückgezogene Einstellungszusage diskriminierend war“, sagte Gerichtssprecherin Julia Schrader. Die in Nordrhein-Westfalen lebende Lehrerin sei inzwischen von einer nicht-staatlichen Schule eingestellt worden. Der Fall wird am Mittwoch öffentlich am Verwaltungsgericht Osnabrück verhandelt.

2015 hatte das Bundesverfassungsgericht die Rechtsprechung geändert und pauschale Kopftuchverbote für Lehrerinnen in Landesgesetzen kassiert. Ein Kopftuchverbot ist demzufolge nur gerechtfertigt, wenn davon eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität ausgeht.

Davor hatte 2003 das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Tragen von Kopftüchern an Schulen nicht ohne hinreichende gesetzliche Grundlage untersagt werden kann. Niedersachsen hatte daraufhin 2004 das Schulgesetz entsprechend geändert. Nach dem Bundesverfassungsgerichts-Urteil 2015 hatte das Kultusministerium einen Erlass herausgebracht, wonach ohne konkrete Gefahrenlage das Tragen eines Kopftuchs kein Hinderungsgrund für eine Einstellung ist. (dpa/iQ)

Leserkommentare

Johannes Disch sagt:
Die EU-Grundrechtecharta steht nicht über dem nationalen Recht. Wir haben keine europäische Verfassung. In Fragen der Grundrechte-- und dazu gehört Religionsfreiheit-- hat das deutsche Bundesverfassungsgericht das letzte Wort. So auch bei der Entscheidung 2015 als es ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an Schulen für verfassungswidrig erklärte. Im aktuellen Fall dürfte die Lehrerin deshalb keine Chance auf Entschädigung haben, weil 2013 noch eine andere Rechtsauffassung gegolten hat.
18.01.17
13:12
Ute Fabel sagt:
Das Oberlandesgericht (OLG) Wien hat im April 2016 Artikel 21 Europäische Grundrechtecharta (EGC) unmittelbar angewendet, mit dem Argument, dass durch diese Rechtsquelle Indivudualrechte für EU-Bürger gegenüber den einzelnen EU-Mitgliedstaaten geschaffen werden. Artikel 21 EGC verbietet eine Diskriminierung von Arbeitnehmern aufgrund der Religion, Weltanschauung, politischen oder sonstigen Anschauung. In Österreich wurde bisher auf Grundlage einer Gesetzesbestimmung, die auf die 1950er-Jahre zurückgeht, am Karfreitag nur Evangelischen ein Anspruch auf zusätzliche bezahlte Sonderfreizeit zuerkannt. Katholiken, Konfessionsfreie, Moslems, Orthodoxe uvam. mussten hingegen am Karfreitag bisher immer arbeiten gehen und hatten damit um einen Tag pro Jahr weniger frei als die Evangelischen. Geklagt hat ein Arbeitnehmer, der nicht evangelisch ist und daher am Karfreitag nach dem Gesetzeswortlaut nicht freibekommen hat. Das wurde vom OLG Wien - wie ich der festen Überzeugung bin - völlig zurecht als diskriminierender Verstoß gegen Art 21 GRC gewertet. Der Karfreitag wurde zum gesetzlichen Feiertag für alle erklärt. Es darf keine Sonderrechte für einzelne Religionsangehörige geben. Alle Menschen unabhängig von Religion, Weltanschauung, politischer oder sonstiger Anschauung sind gleich zu behandeln. Das hat auch für das Sichtbarmachen der eigenen Gesinnung während der Arbeitszeit zu gelten. Firmen können wählen: "Gleich viel" oder "gleich wenig" an sichtbarer Religion, Weltanschauung, politscher oder sonstiger Anschauung. Das sind die diskriminierungsfreien Alternativen. Wobei ich Unternehmen die Variante "Gleich wenig" empfehle. Denn wer das islamische Kopftuch akzeptiert, muss auch Shirts mit dem mormonischen Propheten Joseph Smith, Wachturm-Aufnäher der Zeugen Jehovas, Mustafa-Kemal-Atatürk-Hüte, kommunstische Blauhemden, Vier-Pfoten-Buttons oder angesteckte AfD-Parteiabzeichen im Sinne der Gleichbehandlung zulassen.
19.01.17
7:54
Johannes Disch sagt:
@Klage abgewiesen. Meine Einschätzung hat sich bestätigt. Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat die Klage abgelehnt. Die Klägerin berief sich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2015, das ein pauschales Kopftuchverbot für verfassungswidrig erklärt hat. Entscheidend für den verhandelten Fall war aber die Rechtslage von 2013. Und da war dieses Verbot zulässig. Die Ablehnung der Bewerberin erfolgte auch nicht aufgrund ihrer Religion, sondern fußte auf § 51 des niedersächsischen Schulgesetzes.
19.01.17
11:02
Ute Fabel sagt:
In Österreich hatten wir schon einen konkreten Fall von einem Sikh, der unter Berufung auf seine Religionsfreiheit und das Diskriminierungsverbot gegenüber Kopftuchträgerinnen verlangt hat im Dienst einen - erwiesenermaßen abgestumpften - Kirpan (das ist ein Kurzschwert) zu tragen. Dieses religiöse Objekt sei für seine ständige Religionsausübung von immenser Bedeutung, wurde argumentiert, zum Fernhalten von Dämonen. Mein dringender Tipp an meine deutschen Juristenkollegen: Habt Mut schon beim Kopftuch konsequent Nein zu religiösen Befindlichkeiten Einzelner zu sagen. Es gibt kein Grundrecht auf Religionsausübung am Arbeitsplatz, schon gar nicht ein Recht auf religiöse Sonderbehandlungen. Es entspricht den Auflagen des Gleichbehandlungsrechts, die Schule, das Gericht oder auch das private Unternehmen zum religions- und weltanschauungsfreien Raum zu erklären. Das benachteiligt niemanden und verlangt von jedem/jeder exakt dasselbe ab. Fair und rechtskonform!
19.01.17
12:06
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel -- "Es gibt kein Grundrecht auf Religionsausübung am Arbeitsplatz." (Ute Fabel) Es will auch niemand seine Religion am Arbeitsplatz ausüben. Ein Kopftuch am Arbeitsplatz zu tragen hat nichts mit Religionsausübung zu tun. Was es aber gibt, das ist das Grundrecht auf Religionsfreiheit, und das schließt auch das Tragen des Kopftuchs mit ein. Da ist die deutsche Rechtslage eindeutig. Ein Verbot ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Und dieses Verbot muss sehr gut begründet sein. Gemessen an der Anzahl der muslimischen Arbeitnehmerinnen sind die Probleme sehr marginal. Die meisten Arbeitgeber in Deutschland machen aus dem Kopftuch kein Drama und finden betriebsintern eine für alle praktikable Lösung. Für die Mehrheit der Arbeitgeber zählt, was eine Muslimin im Kopf hat, und nicht, was sie auf dem Kopf trägt. In den meisten deutschen Betrieben kann eine Muslimin ihr Kopftuch problemlos tragen. Die tatsächliche Problematik in der Praxis ist also umgekehrt proportional zu dem medialen Hype, der aus Einzelfällen gemacht wird.
19.01.17
14:17
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: Und was ist mit einer mitgebrachten Marienstatue, die eine praktizierende Katholikin im Kundenverkehr auf ihren Schreibtisch stellen will, mit dem Kirpan (abgestumpften Kurzschwert) eines Sikhs, dessen ständiges Tragen dieser als religiöse Verpflichtung ansieht? Zählen religiöse Gefühle nicht gleich viel beim Shirt mit dem aufgedruckten Propheten Joseph Smith aus dem Online-Shop für Mormonen oder dem Wachturm-Aufnäher eines Zeugen Jehovas? Wenn es um den markanten Salafistenbart mit abrasiertem Oberlippenbereich geht, sollte es da nicht auch primär zählen, was jemand im Kopf und nicht das, was er vor dem Kopf, also im Gesicht hat? Fällt das für Sie alles auch unter Religionsfreiheit, die aber mit der Religionsausübung gar nichts zu tun hat, jedoch von Unternehmen zu schlucken ist? Muss ein Verbot auch hier gut begründet sein und eine konkrete Gefährdung nachgewiesen werden? Oder soll es ein Sonderstellung für das Kopftuch geben? Wie ließe sich das wohl mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Einklang bringen? Meine Antwort: Es darf und muss keinen Wettlauf mit religiösen und weltanschaulichen Aufdringlichkeiten in den Betrieben geben. Das ist nicht der Gesetzeszweck des AGG. Das optische Neutralitätsprinzip ist die salomonische, diskriminierungsfreie Lösung!
19.01.17
15:08
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Eine Marienstatue auf dem Schreibtisch dürfte kein Problem sein. Ebenso ein Bankangestellter an der Kasse mit Kippa. Oder eine Muslimin mit Kopftuch an der Kasse. Ist bei "Aldi", "Lidl", "Rewe" und "Penny" Alltag. Es muss immer im konkreten Einzelfall entschieden werden. Grundsätzlich kann der Arbeitgeber das Kopftuch nicht verbieten. Es gehört zum Grundrecht auf Religionsfreiheit nach Art. 4 GG. Und Grundrechte sind nur schwer einschränkbar. Das gilt für den Staat und erst recht für private Arbeitgeber. Die stehen nämlich nicht über den Grundrechten und können nicht über diese verfügen. Es muss gewichtige Gründe geben für ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz. Diese wären beispielsweise eine massive Störung des Betriebsfriedens. Aber das muss der Arbeitgeber erst einmal glaubhaft nachweisen. Also: Alle konstruierten Beispiele-- Burschenschafterkappe, etc.-- sind an den Haaren herbeigezogener Nonsens. Grundsätzlich gilt: Das Kopftuch darf am Arbeitsplatz getragen werden. Und ein Verbot ist nur in ganz wenigen Fällen möglich. Und das muss immer am konkreten Einzelfall geprüft werden. Es wäre zu wünschen, dass der EuGH bei dieser Frage endlich zu Potte kommt und eine Entscheidung. Das würde dann auch deutschen Unternehmen endlich mehr Rechtssicherheit bringen.
22.01.17
20:26
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: Sie messen mit zweierlei Maß! Kopftuch an der Supermarktskasse und Marienstatue am Schreibtisch einer Kundenberaterin sind für Sie offenbar kein Problem und Ausdruck der Religionsfreiheit. Ein Shirt mit dem aufgedruckten Propheten Joseph Smith aus dem Online-Shop für Mormonen oder dem Wachturm-Aufnäher eines Zeugen Jehovas - darauf gehen Sie nicht ein. Daraus schließe ich, dass sie das bei Arbeitnehmern im Kundenverkehr für scheinbar nicht angebracht halten. Und was ist mit einem Salifistenbart? Soll da nicht auch die Religionsfreiheit gelten? Die Zeugen Jehovas haben den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen, um 2009 schließlich erfolgreich zu erreichen als Religionsgemeinschaft vollwertig in Österreich anerkannt zu werden. Die Mormonen haben das schon 1955 geschafft. Burschenschafter haben schon mehrfach gleichbehandlungsrechliche Streitigkeiten geführt. Zuletzt gab es einen prominenten Fall, wo der FPÖ-Mann Maximilian Krauss gegen den SPÖ-Bürgermeister von Wien, Michael Häupl ein Diskriminerungsverfahren unter Bezugnahme auf seine Aktivitäten in eine schlagenden Verbindung angestrengt hat. Kopftücher und Burschenschafterkappen gehören ins Privatleben. Die massive Störung des Betriebsfriedens (was immer auch darunter zu verstehen sein soll) muss nicht nachgewiesen werden, wenn sich Unternehmen auf ein gleichmäßiges, für alle geltendes optisches Neutralitätsprinzip berufen, da dann gar niemand diskriminert wird.
25.01.17
12:56
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: In Österreich gab es schon mehrere Rechtssachen, in welchen sich Burschenschafter eine Diskriminierung geltend gemacht haben. Prominentester Fall ist die gleichbehandlungsrechtliche Schadenersatzklage des FPÖ-Burschenschafters Maximilian Krauss gegen den SPÖ-Bürgermeister von Wien, Michael Häupl. Hinweise auf "konkrete Einzelfallprüfung" und "Betriebsfrieden" bedeutet in Wahrheit sich um eine klare Entscheidung zu drücken und ist ein Zeichen der Feigheit. Soll das etwa heißen, wenn Unterschriften gegen eine Kopftträgerin gesammelt werden, darf sie nicht unterrichten, wenn es keine lautstarken Proteste gibt, dann schon? Mit dem konsequenten optischen Neutralitätsprinzip liegen Unternehmen jedenfalls auf der sicheren Seite. Vielfalt in der Arbeitswelt manifestiert sich durch innere Werte. Dazu braucht es weder Parteiabzeichen noch Religionsuniformien.
26.01.17
7:37
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: In Österreich gab es schon mehrere Rechtssachen, in welchen sich Burschenschafter eine Diskriminierung geltend gemacht haben. Prominentester Fall ist die gleichbehandlungsrechtliche Schadenersatzklage des FPÖ-Burschenschafters Maximilian Krauss gegen den SPÖ-Bürgermeister von Wien, Michael Häupl. Hinweise auf "konkrete Einzelfallprüfung" und "Betriebsfrieden" bedeutet in Wahrheit sich um eine klare Entscheidung zu drücken und ist ein Zeichen der Feigheit. Soll das etwa heißen, wenn Unterschriften gegen eine Kopftträgerin gesammelt werden, darf sie nicht unterrichten, wenn es keine lautstarken Proteste gibt, dann schon? Mit dem konsequenten optischen Neutralitätsprinzip liegen Unternehmen jedenfalls auf der sicheren Seite. Vielfalt in der Arbeitswelt manifestiert sich durch innere Werte. Dazu braucht es weder Parteiabzeichen noch Religionsuniformien.
26.01.17
7:37
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