Terror in Brüssel

„Der Terror schadet Muslimen am meisten“

Nur Sultan Alkiş lebt und studiert in Brüssel und war Zeuge wie ihr Land einen Terroranschlag verkraften musste. Sie schreibt, warum der Terror den meisten Schaden dem Islam und den Muslimen zufügt.

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2016
Symbolbild: Muslimische Frau demonstriert gegen Gewalt in ihrem Namen © Shutterstock

Eine seit langer Zeit schwellende Drohung traf die Mitte Europas, Brüssel. Die zuerst am Flughafen von Brüssel nacheinander detonierten Bomben und das letzte der insgesamt drei Selbstmordattentate, das eine Stunde später in der U-Bahnstation Maalbeek erfolgte, kosteten zusammen 32 Menschen das Leben. Die Regierung ordnete drei Tage Staatstrauer an.

Die Anschläge, die das belgische Volk trafen, gossen Öl in das Feuer der islamfeindlichen Politik. Es folgte eine Befeuerung der bestehenden Ressentiments. Wenn wir uns die letzten Jahre vor Augen führen, erkennen wir, dass wir selbst Zeugen wurden, wie eine ernste islamfeindliche Politik geführt wurde und wie die derart geführte Politik die Terroranschläge dazu nutzte, um für sich Unterstützung zu gewinnen. Die politische Spannung, in welche die belgische Regierung gezogen wurde mal beiseite gelassen, ist doch die Untersuchung der gesellschaftlichen Spannung von enormer Bedeutung. Denn die politische Spannung bleibt hinter den verschlossenen Türen des Parlaments verborgen, während die gesellschaftliche Spannung jedes Individuum zu jeder Zeit, ob Tag oder Nacht, durchweg erkennbar ist.

Wenn wir den Terror als Fluch, der er ist, untersuchen, ist eines der größten Probleme, die uns begegnen, dass der Terror einer Religion zugeschrieben wird. Dass Medien und Politiker häufig Bezeichnungen, wie „islamistische Terrorgruppe oder muslimische Terroristen“ verwenden, leistet keinen Beitrag zur Lösung des Terrors und zudem führt solch eine allgemein verbreitete Verwendung zur ernsten Stigmatisierung der Muslime. Auch wenn wir jeden Tag an die Tür unseres Nachbarn klopfen und ihm sagen, dass der Terror nicht islamisch ist, wird es – zugegebenermaßen – nicht sehr einfach sein, ihn davon zu überzeugen, wenn zeitgleich die Medien den ganzen Tag lang das genaue Gegenteil propagieren.

So wie der Terror keine Religion hat, hat er auch keine bestimmte Zielgruppe, denn der Terror existierte seit jeher ausschließlich dazu, Gewalttaten zu verüben und Frieden und Einklang zu bedrohen. Zusätzlich dazu, dass er keine Zielgruppe hat, schadet er, ungeachtet wie sehr der Terror sich selbst als islamisch bezeichnet, im Grunde am meisten den Muslimen. Wenn wir Studien untersuchen, ist zu erkennen, dass die vier Länder, die am meisten unter dem Terror leiden, Somalia, Pakistan, der Irak und Afghanistan sind, also vier muslimische Länder. Setzen wir unsere Betrachtung fort ist festzuhalten, dass vor und nach dem Schreckensmorgen des 22. März eine Vielzahl von Terrorakten wieder einmal Muslime zum Ziel hatten: Während in Ankara und Istanbul dutzende Menschen ihr Leben verloren haben, traf es nach den Anschlägen von Brüssel den Irak, Pakistan und die Elfenbeinküste. Wie wir sehen ist der Terror so grausam, dass er neben der Tatsache, dass er keine Unterschiede nach Religion, Sprache oder ethnischer Zugehörigkeit macht, nicht einmal davor zurückschreckt, die unschuldigen Engel dieser Welt zum Ziel zu haben: Im Irak wurden auf einem Fußballturnier für Kinder und in Pakistan auf einem Kinderspielplatz Anschläge verübt. Nicht nur in der Ferne, auch in unserer Nähe tragen Muslime den Schaden davon. Auch unter den Opfern von Brüssel sind Muslime, wie die Lehrerin Frau Loubna. Auch Frau Loubna, Mutter dreier Kinder und Sportlehrerin an der islamischen Mittelschule La Vertu (die Tugend) ist lediglich eines unserer Opfer, das wir aufgrund dieses Angriffes zu beklagen haben.

Nicht nur zum Zeitpunkt des Anschlages traf der Terror die Muslime, sondern auch auf langer Sicht gesehen, schadet er Muslimen. Dass nach dem Anschlag von Brüssel ein Abgeordneter der belgischen rechtsradikalen Partei Vlaams Belang vorschlug, die Anerkennung des Islams in Belgien zu widerrufen, dass in den Niederlanden eine an der Bushaltestelle wartende junge Frau mit Kopftuch von einer vorbeigehenden Frau angegriffen wurde, dass wieder im Zentrum von Brüssel sich Hooligans versammelten und begleitet von Hitlergrüßen und Chören islamfeindlicher Rufe eine rechtswidrige Demonstration abheilten und dass ein junger Mann mit Bart und Rucksack in einem Einkaufszentrum gleich einem Terroristen behandelt wird, sind lediglich einige Beispiele für diesen Umstand. Während dutzende Menschen auf offener Straße jeder Art von Gewalt ausgesetzt sind, halten sich auch Politiker nicht zurück und anstatt in ihren Aussagen Einheit und Zusammenhalt zu propagieren, haben auch sie Muslime zum Ziel und sorgen dafür, dass sich die Gesellschaft jeder Situation, in der sie sich mit dem Islam befassen muss, negativ annähert.

Wenn wir uns nur ein wenig Gedanken darüber machen, wie können wir dann den Umstand erklären, dass diese Terrorgruppen, wenn sie denn tatsächlich islamisch wären, so wie sie sich selbst gerne bezeichnen, den größten Schaden dem Islam und den Muslimen zufügen? Die Tatsache, dass der Terror nun Brüssel traf, das neben seiner Funktion als Hauptstadt Europas, auch einer vielfältigen Gesellschaft als Bühne dient, ist ein offensichtlicher Beweis dafür, dass der Terror keinen Unterschied nach Glauben, Sprache und Ethnie macht.

Leserkommentare

Terror sagt:
Ja der Terror schadet auch allen friedlichen Muslimen. Es scheint aber so zu sein, dass eine Übertreibung des gemäßigten Islams dann zum radikalen Islam wird, aus dem sich die Terroristen rekrutieren. Man kann sagen, gäbe es den Islam nicht, dann gäbe es auch diese Art des Terrors nicht. Es scheint auch ein Problem zu sein, dass ein nennenswerter Prozentsatz der Muslime diese radikale Spielart stillschweigend billigen.
02.04.16
22:34
Manuel sagt:
Gut, wieso leisten dann die vielen Moslems nicht aktiv Widerstand gegen den islamistischen Terror, sondern schweigen sich, bis auf ein paar Ausnahmen, aus. Wieso gibt es keine innerislamische Diskussion über problematische Verse im Koran, wie eben den Schwertvers oder warum ist es quasi verboten religiöse Gesetze im Islam zu krisisieren oder zumindest zu hinterfragen. Moslems wie der Österreicher Ednan Aslan kritisieren seit Jahren den islamischen Dogmatismus und die Kritikunfähigkeit, werden dafür massiv von den aus dem Ausland finanzierten Islam-Verbänden angegriffen.
03.04.16
11:29
Grege sagt:
Ich finde es unerträglich und geradezu widerwärtig, wie sich einige Muslime nach den Terroranschlägen dazu diesem Selbstmitleid und dieser Opferrolle erdreisten. Als Biodeutscher könnte ich mich nach den Ereignissen des 2. Weltkriegs und des Holocoust ebenfalls als Opfer verklären, da wir vom Ausland als Anhänger oder Sympathisanten des Nationalsozialismus stigmatisiert werden. Wie bereits mehrfach angesprochen, würden ein wenig Selbstkritik und Zivilcourage der muslimischen Community hier in Deutschland und Westeuropa nicht schaden. Schon die bloße Theamtisierung von islamischen Terroranschlägen als diskriminierend anzusehen, ist nichts als anderes als ein billiges Totschlagargument gegen unangenehme Debatten
11.04.16
21:28
Steffen sagt:
@Manuel: Wie kommen Sie zu der Erkenntnis, dass es keine innerislamische Diskussion über "problematische Verse" gibt?
13.04.16
13:59
Manuel sagt:
@Steffen: Ein paar Islam-Experten gibt es ja, die dies tun, aber die werden sofort von den aus dem Ausland finanzierten erzkonservativen Islam-Verbände kritisiert oder versucht deren Meinung zu unterdrücken. Es gibt keine breite Diskussion, die wird sofort abgewürgt, denn man dürfe ja nicht den Koran hinterfragen oder gar kritisieren. Sieht man besonders beim Kopftuch und bei der vorsinnflutlichen Sexualmoral.
14.04.16
11:34
Steffen sagt:
@Manuel: Ihre Antwort klingt sehr fundiert. Aber beim Kopftuch gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen über den Grad der Verhüllung einer Frau. Am Ende muss jede Frau für sich entscheiden, welchen Grad der Verhüllung sie wählt. Was die Sexualmoral von Muslimen angeht, ist zu sagen, dass Sexualität weder verteufelt noch verantwortungslos ausgelebt wird. Muslime gehen einen mittleren Weg.
15.04.16
11:28
Manuel sagt:
@Steffen: Sex außerhalb der Ehe ist im Islam verboten und wird sogar nach der Scharia mit Steinigung bestraft. Ich sage mal, dass ist eine eindeutig Haltung!
15.04.16
23:32