Interview

„Der Islam in Deutschland wird bunter“

Zum Abschluss des Jahres befragten wir zwei Vertreter islamischer Religionsgemeinschaften, Burhan Kesici vom Islamrat und Aiman Mazyek vom ZMD. Sie sprachen mit uns über Themen, die Muslime im Jahr 2015 am meisten beschäftigten: Flüchtlinge, Terrorismus und antimuslimische Ressentiments.

01
01
2016
Isfahan Moschee
Gesellschaftliche Verantwortung - ein Muss für alle Menschen © by seier+seier auf Flickr (CC BY- 2.0), bearbeitet islamiQ

IslamiQ: Terroristische Anschläge verdichten den Generalverdacht gegenüber Muslimen. Wie kann man dem als muslimischer Bürger entgegentreten?

Aiman Mazyek: Indem man weiter klar aufzeigt, dass dieser Terror keine Grundlage in der Religion hat und dass die Mehrheit der Opfer dieses schrecklichen und menschenverachtenden Terrors weltweit Muslime sind.

Burhan Kesici: Genau. Außerdem sage ich immer, dass wir 4,5 Millionen Muslime in Deutschland haben und sehr friedlich miteinander leben. Wenn der Islam tatsächlich Gewalt von den Gläubigen gegenüber den anderen fordern würde, so wie es uns vorgeworfen wird, dann hätten wir eine ganz andere Situation in Deutschland.

IslamiQ: Moscheen werden als Orte der Radikalisierung gehandelt. In Deutschland wird über Moscheekontrollen diskutiert, während in Frankreich schon viele geschlossen wurden. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Kesici: Moscheen waren und sind Orte der religiösen und sozialen Bildung. Sie haben stets für die Integration der Muslime gearbeitet und haben im Vorfeld Probleme angenommen und gelöst, ohne dass die Mehrheitsgesellschaft davon erfahren hat. Und genau hierin liegt auch unser Problem. Wir haben es nicht geschafft, die Arbeit der Moscheen ausreichend zu erklären. Wir tun das zwar heute, aber unter der angespannten Gesprächsatmosphäre gelingt uns das nicht immer gut.

Die Diskussion um die Moscheen und deren Schließung wird die angespannte Situation eher verschärfen und die Angst vor dem Islam und den Muslimen beflügeln. Daher würde ich mir mehr Achtung und einen positiven Diskurs über die Arbeit in den Moscheen wünschen.

Mazyek: Das wünsche ich mir auch, denn der jetzige Umstand ist sehr besorgniserregend. Er zeugt von Fehleinschätzung und Hilflosigkeit, da gerade die Moscheegemeinden mit ihren Theologen bzw. Imamen wichtige soziale und präventive Arbeit leisten. Darüber hinaus sind diese Gemeinden in Deutschland einer der wichtigsten Partner z. B. im Hinblick auf die Flüchtlingsarbeit.

IslamiQ: Im dritten Quartal dieses Jahres wurden 13 Moscheeanschläge verzeichnet. Im Quartal davor waren es 5. Worauf ist dieser Anstieg zurückzuführen?

Mazyek: Leider liegt die Dunkelziffer noch weit höher! Alleine Moscheen unseres Verbandes waren 12 mal in diesem Jahr Opfer dieser schrecklichen Taten. Dieser Aspekt ist natürlich sehr vielschichtig, aber es hat unter anderem damit zu tun, dass die Angst und Wut über die bestehende Flüchtlingspolitik durch Scharfmacher angeheizt wird
und sich dann in Angriffen auf religiöse Einrichtungen und Personen entlädt.

Kesici: Scharfmacher sind z. B. die Bilder aus Syrien, Irak, Paris, sowie auch PEGIDA und Äußerungen von Politikern, denen alle jederzeit ausgesetzt sind. Deshalb bekommen die meisten es mit der Angst zu tun. Anschläge auf Moscheen wurden leider nicht konsequent verfolgt. Die Polizei hat sich zum Teil nicht gründlich mit dem Thema beschäftigt. Die Täter wurden nicht gefasst. Dadurch ist die Schwelle für Angriffe gesunken.

IslamiQ: BKA-Chef Münch ist der Meinung, dass religiös verwurzelte Jugendliche tendenziell nicht Gefahr laufen, sich zu radikalisieren. Wie kann man die Jugendlichen denn religiös festigen?

Mazyek: Hierbei ist eine frühe und strukturierte religiöse Bildung nötig, die in erster Linie durch die Moscheen und darüber hinaus in den Schulen erfolgen muss.
Es muss Schluss sein, mit falschem Verständnis, dass sich fehlerhaft eingeschlichen und mit zur Radikalisierung beigetragen hat. Der Islam ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung!

IslamiQ: Welche Verantwortung haben hierbei islamische Religionsgemeinschaften?

Kesici: Herr Münch sagt genau das, was wir seit Jahren äußern. Wer seine Religion gut kennt, wird wissen, dass jegliche Art von Extremen nicht durch die Religion gewünscht ist. Religiös gefestigte Menschen werden abweichenden Meinungen, die nicht mit dem Islam übereinstimmen besser entgegentreten können. Es ist aber auch wichtig, nach Ursachen für das Abdriften der Jugendlichen in die Radikalität zu suchen. Welche sozialen oder psychologischen Aspekte können Jugendliche für radikale Einstellungen besonders affin machen? Hierzu gibt es leider nur Theorien, aber keine bis wenige fundierten Daten.

Mazyek: Die religiöse Festigung der Jugendlichen könnte man außerdem dadurch vorantreiben, indem man nun die längst überfällige Anerkennung als Religionsgemeinschaft bekommt
und somit auch in öffentlichen Bildungsanstalten eine frühe islamische Bildung ermöglicht.

IslamiQ: Inwiefern wird sich die islamische Gemeinschaft in Deutschland durch den Flüchtlingsandrang verändern?

Mazyek: Der Islam in Deutschland wird bunter, vielschichtiger aber auch international bedeutender.

Kesici: Die Islamischen Gemeinden haben die Mammutaufgabe bei der Integration eines Teils der Flüchtlinge zu helfen. Eine gute Integration der Flüchtlinge würde sich auch positiv auf die Muslime auswirken. Für die gesellschaftliche Teilhabe der Flüchtlinge können wir mit unseren Strukturen und unseren Kompetenzen viel beitragen.

Die arabischsprachigen Gemeinden haben sich jetzt schon zum Teil durch den Zustrom verändert und werden es in Zukunft noch intensiver tun. Wir hoffen, dass die Gemeinden es schaffen, die Flüchtlinge so schnell wie möglich in das Gemeindeleben zu integrieren und ihnen dabei zu helfen, sich in unserer Gesellschaft zurecht zu finden.

IslamiQ: Sind die Muslime strukturell auf diese Veränderung vorbereitet? Was macht der KRM diesbezüglich?

Mazyek: Auch für die Gemeinden und Verbände ist diese Situation neu, daher versuchen wir natürlich durch frühzeitige Einbindung der Flüchtlinge
in die Gemeinden und unterschiedliche Programme wie Sprachkurse, Patenschaften, Freizeitangebote Anreize für die Flüchtlinge zu schaffen.

Kesici: Ich glaube auch nicht, dass die Muslime darauf vorbereitet waren. Wir sehen ja, dass sogar der Bund und die Länder enorme Probleme zu bewältigen haben, was die Aufnahme von Flüchtlingen betrifft.

Wir Muslime sind gerade dabei Konzepte zu entwickeln, wie wir in der Flüchtlingshilfe aktiv werden können. Es gibt zahlreiche Gespräche mit Ministerien und anderen Akteuren in diesem Bereich. Der KRM spielt hierbei eine wesentliche Rolle, da wir gemeinsam vorgehen.

IslamiQ: Was wünschen Sie sich im Kontext der Islamdebatte für das Jahr 2016?

Mazyek: Ich wünsche mir, dass die von den Gemeinden geleistete Arbeit gerade im Hinblick auf die Flüchtlingsthematik mehr ins öffentliche Bild gerückt wird und das man endlich
aufhört, darüber zu diskutieren, ob der Islam überhaupt zu Deutschland gehört, sondern endliche eine aufrichtige Partizipation vorantreibt.

Kesici: Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Die Islamdebatte hat sich zumindest teilweise positiv entwickelt. Wir merken, dass die staatlichen Stellen die Zusammenarbeit mit den islamischen Religionsgemeinschaften inzwischen eingehen. Wir haben auch das Gefühl, dass unsere Belange ernst genommen werden. Wir können sagen, dass die Gespräche auf gleicher Augenhöhe stattfinden, was eine sehr positive Veränderung ist.

Leserkommentare

Manuel sagt:
Die Islamdebatte hat sich so gut entwickelt, dass die Kölner Polizei sich nicht traut die Fakten auf den Tisch zu legen. Eigentlich zeigt das nur, dass die Lobby der Muslime in Deutschland übermächtig geworden ist. Von Gesprächen auf gleicher Augenhöhe kann man da wohl kaum sprechen.
08.01.16
17:09
Rabia K. sagt:
Was genau haben die Schandtaten aus der Silvesternacht mit "Islamdebatte" zu tun? Glauben Sie, die sexistischen Männer haben sich auf Religion berufen, als sie Frauen mehr als gedemütigt haben? Wir sollten ein vielschichtiges Problem nicht auf eine oberflächliche Formel herunterbrechen und dann erwarten, dass sich das Problem in Luft auflöst.
11.01.16
11:23
Enail sagt:
Stimmt, sie haben sich nicht auf die Religion berufen. Sie sind aber in islamischen Ländern sozialisiert worden. Dort wird eben keine Gleichberechtigung der Geschlechter vermittelt. Diese Übergriffe sind in islamischen Ländern wohl bekannt. Und die Sexualität wird total tabuisiert. Das ist nun eben schon ein Problem dieser Religion.
15.02.16
19:16