Mitte-Studie

Gefahr durch rechtsextreme Einstellungen bleibt hoch

Die neue „Mitte-Studie“ zeigt, dass der Rechtsextremismus und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland weiterhin eine Gefahr für Demokratie und gesellschaftliches Miteinander darstellen. Islamfeindlichkeit in Deutschland bleibt auch weiterhin auf einem hohen Niveau.

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2014
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Die aktuellen Ergebnisse der sogenannten „Mitte-Studie“ des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland lassen aufhorchen. Die Studie zeigt insgesamt einen Rückgang rechtsextremer Einstellungen. Dafür gibt es allerdings eine Verlagerung hin zu rechtsextremem und menschenfeindlichem Denken. Faktisch bleibt die Einschätzung jedoch gleich: Rechtsextreme Einstellungen und Menschenfeindlichkeit ist weiterhin ein großes Problem in Deutschland.

„Eine lebendige Demokratie wird bedroht von rechtsextremen und menschenfeindlichen Einstellungen und Handlungen“, meint Prof. Dr. Andreas Zick, der zusammen mit Anna Klein und Eva Groß die Studie durchgeführt hat. Zwar zeigten die Zahlen, dass die vielfältigen politischen und gesellschaftlichen Anstrengungen gegen Rechtsextremismus offenbar erste Früchte tragen, allerdings werde insbesondere die Haltung, etablierte Vorrechte der Einheimischen durchzusetzen, dem Wandel der Gesellschaft nicht gerecht: „Das demokratische Toleranzedikt der Anerkennung von Gleichwertigkeit bleibt fragil“, so Andreas Zick.

Kein Anlass zur Entwarnung

„Der Rückgang gegenüber den Vorjahren ist natürlich erfreulich, allerdings besteht zu Entwarnung kein Anlass“, ergänzt Herausgeber Ralf Melzer, der bei der Friedrich-Ebert-Stiftung das Projekt „Gegen Rechtsextremismus“ leitet. „Beunruhigend ist vor allem die Entwicklung im Bereich Antisemitismus“, so Melzer weiter. Dass knapp 50 Prozent der Befragten der Meinung sind, es sei am besten, die Rechtsextremen zu ignorieren, deute zudem auf eine weit verbreitete Abwehrhaltung gegenüber dem Problem hin.

„Nach der Veröffentlichung zeigt sich, dass einzelne Einstellungen der Ungleichwertigkeit in die Breite gestreut haben und weite Kreise der Gesellschaft erreichen. Nicht allein Rechtsextremismus ist das Problem, sondern die starke Abwertung einzelner Gruppen durch die Mitte der Gesellschaft“, sagt Anetta Kahane, Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung, zu den Ergebnissen der Studie.

Die Studie belege auf erschreckende Weise, wie verbreitet der Rassismus gegenüber Flüchtlingen in Deutschland sei. „Über 44% der Befragten stimmen abwertenden Aussagen über asylsuchende Menschen zu. Dass solche rassistische Einstellungen auch in Gewalt umschlagen, belegt eine Zusammenstellung der Amadeu Antonio Stiftung. Die Chronik listet 33 tätliche Angriffe auf Geflüchtete seit Januar 2014 in Deutschland auf. Erst diese Woche hatte das Bundeskriminalamt mitgeteilt, dass es allein in den ersten drei Quartalen diesen Jahres 86 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gegeben hat“, sagt Kahane.

Kernergebnisse der Studie

Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland sind im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurückgegangen. Die Zustimmung zum Gesamtindex rechtsextreme Orientierung liegt 2014 bei 2,4% (Gesamt) bzw. bei 2,5% (Ost) und 2,3% (West). Allerdings sind die Befragten, die national-chauvinistischen (12%) oder ausländerfeindlichen (7,5%) Meinungen zustimmen, noch fest in der Mitte der Gesellschaft verankert. Ferner äußern immerhin 10% Zustimmung zu der Aussage, der Nationalsozialismus hätte auch seine guten Seiten gehabt.

Befragte aus den neuen Bundesländern stimmen 25 Jahre nach Mauerfall stärker rechtsextremen Ideologieelementen zu als Befragte der alten Bundesländer. Jüngere (16 – 30jährige) und ältere Befragte (über 60jährige) zeigen tendenziell stärker rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen als die mittlere Altersgruppe. Dass die Befürwortung rechtsextremer Einstellungen deutlich mit einer höheren Gewaltbilligung und –bereitschaft einhergeht, kann auch 2014 nachgewiesen werden.

Islamfeindlichkeit bei 18 Prozent

Gruppenbezogene Menschenfeindfeindlichkeit ist ebenfalls rückläufig, bleibt aber in allen Teilen der Gesellschaft weit verbreitet. Dies drückt sich auch in abweisenden Orientierungen gegenüber sozialen Gruppen aus. Sehr stark verbreitet sind die Zustimmungen zu vorurteilsgeleiteten Auffassungen gegenüber asylsuchenden Menschen (44%), Sinti und Roma (27%) sowie Muslimen (18%).

Die Befürwortung von Etabliertenvorrechten nimmt gegenläufig zum Gesamttrend zu. Antisemitismus ist tendenziell rückläufig, allerdings ist er in Form des sekundären und des israelbezogenen Antisemitismus sowie in Gestalt NS-relativierender Israelkritik stark verbreitet. Klassischer Antisemitismus stieg zwischen Juni und September 2014 signifikant an.

Sonderfall AfD

Rechtsextreme und menschenfeindliche Orientierungen gehen mit Zweifeln an Demokratie und negativen Haltungen gegenüber der EU einher. Ebenso auffällig verbreitet ist ein marktförmiger Extremismus, der Wettbewerb und Fortschritt höher bewertet als Solidarität und Gleichwertigkeit. Insbesondere Sympathisanten der AfD zeigen auffällig hohe Zustimmungen zu diesem marktförmigen Extremismus und fühlen sich gleichzeitig erheblich stärker bedroht als der Bevölkerungsdurchschnitt.

Sie ähneln in ihren Einstellungen den Nicht-Wählern, v.a. im Hinblick auf Menschenfeindlichkeit und negativen Haltungen gegenüber der Demokratie. Darüber hinaus weisen die politischen Einstellungen der AfD-Sympathisanten im Vergleich zur Gesamtstichprobe einen erhöhten Chauvinismus und eine stärkere Verharmlosung der NS-Zeit auf: Nach jenen, die die NPD präferieren, zeigen sich in der AfD-Anhängerschaft die zweithöchsten Zustimmungswerte zu Ausländerfeindlichkeit, Chauvinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. Auch die Abwertung von Homosexuellen und die generelle Kritik an Politikern ist überdurchschnittlich, ebenso die Befürwortung von Etabliertenvorrechten. Eine Anti-Europa-Haltung ist deutlicher ausgeprägt als bei anderen.

Hintergrund

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wird seit 2002 vom Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld untersucht. Die daraus resultierende zehnbändige Reihe der „Deutschen Zustände“ und die Reihe der seit 2006 von der Friedrich-Ebert-Stiftung im Zweijahresrhythmus in Auftrag gegebenen Mitte-Studien zu rechtsextremen Einstellungen werden in Form eines Buchs zusammengeführt. Es beschreibt auf Basis einer repräsentativen Erhebung für das Jahr 2014 die gesellschaftlichen Bruchstellen einer fragilen Mitte.

Andreas Zick / Anna Klein: Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014. Mit Beiträgen von Eva Groß, Andreas Hövermann und Beate Küpper. Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Ralf Melzer; Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2014. ISBN: 978-3-8012-0458-7; Ladenpreis 9,80 €