Hohe Wahlbeteiligung, neue rechtliche Einschränkungen und internationale Krisen: Das Jahr 2025 machte sichtbar, wie stark Muslime politisch beteiligt sind – und wie begrenzt ihre Anerkennung weiterhin bleibt.

Das Jahr 2025 markierte für Muslime in Deutschland und Europa eine Phase politischer Neuvermessung, gesellschaftlicher Zuspitzung und anhaltender Unsicherheit. Innenpolitisch standen die Bundestagswahl, migrationspolitische Debatten und rechtliche Auseinandersetzungen um religiöse Sichtbarkeit im Zentrum.
International prägten der Gaza-Krieg, völkerrechtliche Neubewertungen und Einschränkungen von Protestrechten die Wahrnehmung vieler Muslime nachhaltig.
Zwischen demokratischer Beteiligung, wachsendem Misstrauen und punktuellen Fortschritten zeigte sich einmal mehr: Muslimisches Leben bleibt politisch relevant – wird jedoch weiterhin selten als eigenständiger Bestandteil der Gesellschaft begriffen.
Die Bundestagswahl 2025 ordnete die politischen Kräfteverhältnisse in Deutschland neu. Zwar ging die CDU/CSU mit 28,5 Prozent als stärkste Kraft hervor, erzielte jedoch ihr historisch zweitschlechtestes Ergebnis. Die AfD wurde mit 20,8 Prozent zweitstärkste Partei und konnte ihren Stimmenanteil nahezu verdoppeln. SPD (16,4 Prozent) und Grüne (11,6 Prozent) verloren deutlich, die FDP scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde, während die Linke mit 8,8 Prozent in den Bundestag zurückkehrte.
Besonders kontrovers verlief die parlamentarische Debatte um das sogenannte „Zustrombegrenzungsgesetz“ der Union. Der Gesetzentwurf, der auch mit möglichen AfD-Stimmen kalkulierte, scheiterte in zweiter Lesung. Die Abstimmung machte sichtbar, wie brüchig die vielbeschworene Brandmauer gegen Rechts geworden ist – und wie stark migrationspolitische Fragen zur politischen Mobilisierung genutzt werden.
Auffällig war das Wahlverhalten muslimischer Wählerinnen und Wähler mit deutscher Staatsbürgerschaft. Laut einer Wahltagsbefragung entschieden sich 29 Prozent für die Linke und 28 Prozent für die SPD. Union (12 Prozent), AfD (6 Prozent) und Grüne (4 Prozent) spielten eine deutlich geringere Rolle. Zugleich zeigte eine Umfrage: Mehr als 80 Prozent der Muslime wollten sich an der Wahl beteiligen – ein klares Signal demokratischer Teilhabe.
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD setzte klare Prioritäten: Migration, Wirtschaft und Sicherheit. In sicherheitspolitischer Hinsicht kündigte die neue Bundesregierung eine verstärkte Bekämpfung von Extremismus an – explizit genannt wurden Rechtsextremismus, „Islamismus“ und Linksextremismus. Ein neuer Bund-Länder-Aktionsplan sowie Transparenzpflichten für religiöse Vereine sollen folgen.
Was jedoch weitgehend fehlt, sind Aussagen zum muslimischen Alltagsleben. Weder islamischer Religionsunterricht, noch Feiertage, Seelsorge, Schutz von Moscheen oder der Begriff antimuslimischer Rassismus finden Erwähnung. Während Antisemitismusprävention, Staatsräson gegenüber Israel und ein NSU-Dokumentationszentrum ausdrücklich benannt werden, bleibt muslimisches Leben politisch unsichtbar. In muslimischen Communities wurde dies als erneutes Ausbleiben positiver Signale wahrgenommen.
Am 19. Februar 2025 jährte sich der rassistische Anschlag von Hanau zum fünften Mal. Angehörige und Überlebende beklagten weiterhin fehlende Aufklärung und mangelnde Unterstützung durch Behörden und Stadtverwaltung. Der Kampf um Wahrheit und Verantwortung dauert an. Hanau bleibt ein Mahnmal – nicht nur für rechten Terror, sondern auch für institutionelles Versagen im Umgang mit Betroffenen.
International stand der Genozid in Gaza erneut im Zentrum. Die humanitäre Lage verschärfte sich dramatisch. Menschenrechtsorganisationen, der Europarat und später auch die International Association of Genocide Scholars kamen zu dem Schluss, dass Israels Vorgehen die Kriterien der Völkermordkonvention erfülle. Ein UN-Bericht sprach von gezielten Zerstörungen ziviler Lebensgrundlagen.
Gleichzeitig geriet Deutschland wegen seines Umgangs mit Gaza-Protesten in die Kritik. Der Menschenrechtskommissar des Europarats beanstandete Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, insbesondere das Verbot arabischer Sprache und kultureller Symbole bei Demonstrationen. Die Bundesregierung hielt dennoch an ihrer Position fest und lehnte eine Anerkennung Palästinas ab – selbst nachdem mehrere westliche Staaten diesen Schritt vollzogen.
Mehrere Studien bestätigten 2025, dass Islamfeindlichkeit kein Randphänomen ist, sondern strukturelle Züge trägt. Der Monitoringbericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors zeigte, dass Diskriminierungserfahrungen für viele Muslime zum Alltag gehören – im Bildungsbereich, auf dem Arbeitsmarkt und im öffentlichen Raum.
Besonders alarmierend blieb die sicherheitsrelevante Dimension: In den ersten neun Monaten des Jahres registrierte das Bundeskriminalamt 930 politisch motivierte Straftaten mit islamfeindlichem Hintergrund. Muslimische Verbände kritisierten, dass Prävention, systematische Erfassung und politische Konsequenzen weiterhin hinter der Realität zurückblieben.
Die Kluft zwischen politischer Rhetorik und dem tatsächlichen Schutz muslimischen Lebens wurde damit erneut sichtbar. Vorfälle wie die Grabschändung auf einem muslimischen Friedhof in Essen oder der gewaltsame Tod der jungen Rahma in Niedersachsen verstärkten das Gefühl der Unsicherheit.
Mehrere juristische Entscheidungen prägten 2025 die Debatte um religiöse Sichtbarkeit. In Berlin wurde das Neutralitätsgesetz reformiert: Lehrerinnen dürfen künftig mit Kopftuch unterrichten – ein überfälliger Schritt nach Jahren verfassungswidriger Praxis. Gleichzeitig sorgten Urteile in Niedersachsen und Hessen für gegenteilige Signale. Eine Schöffin verlor ihr Amt, eine Juristin durfte nicht Richterin werden, weil sie ihr Kopftuch auch im Dienst tragen wollte.
Besondere Aufmerksamkeit erhielt 2025 der Fall einer Grundschule im niedersächsischen Melle. Ein Rundschreiben, das explizit auch das Tragen von Kopftüchern im Schulgebäude untersagte, löste bundesweite Kritik aus. Eltern, zivilgesellschaftliche Initiativen und Medien warfen der Schule einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Religionsfreiheit vor.
Bemerkenswert war weniger die ursprüngliche Regelung als vielmehr ihre Rücknahme: Nach öffentlichem Druck, juristischer Prüfung und massiver Kritik hob die Schule das Verbot vollständig auf und entschuldigte sich. Der Fall zeigte exemplarisch, wie schnell allgemeine Neutralitätsregeln faktisch zu religiöser Diskriminierung führen können – aber auch, dass öffentlicher Widerspruch Wirkung entfalten kann.
Gleichzeitig verdeutlichte Melle, wie fragil religiöse Rechte im schulischen Alltag bleiben und wie sehr ihre Durchsetzung vom Engagement Betroffener abhängt.
Eine Studie der Universität Erlangen-Nürnberg widersprach erneut dem verbreiteten Narrativ, Moscheen seien Orte der Radikalisierung. Freitagspredigten behandelten überwiegend Themen wie Familie, Umwelt, Bildung und Spiritualität. Hassbotschaften spielten kaum eine Rolle – ein Befund, der in politischen Debatten bislang wenig Resonanz findet.
Auch jenseits Deutschlands verschärfte sich die Lage. In Österreich beschloss das Parlament ein Kopftuchverbot für unter 14-Jährige. Kritikerinnen und Kritiker sehen darin einen massiven Eingriff in Grundrechte und eine Stigmatisierung muslimischer Mädchen. Betroffene Lehrerinnen, Studierende und Juristinnen sprechen von politischem Missbrauch und gesellschaftlicher Spaltung.
Das Jahr 2025 hat gezeigt, dass muslimisches Leben in Deutschland politisch präsent, gesellschaftlich engagiert und zugleich rechtlich wie diskursiv begrenzt bleibt. Zwischen Beteiligung und Begrenzung entscheidet sich zunehmend, ob Muslime als selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft anerkannt werden – oder weiterhin vor allem als sicherheitspolitische Kategorie verhandelt.
Das Jahr 2025 war für IslamiQ nicht nur Gegenstand journalistischer Beobachtung, sondern auch redaktionelle Herausforderung. Über das gesamte Jahr hinweg hat die Redaktion versucht, die für muslimische Leserinnen und Leser relevanten politischen, gesellschaftlichen und internationalen Entwicklungen einzuordnen, zu analysieren und sichtbar zu machen – jenseits von Verkürzungen und sicherheitspolitischen Zuschreibungen.
Insbesondere im Vorfeld der Bundestagswahl begleitete IslamiQ den politischen Prozess mit detaillierten Analysen der Wahlprogramme, Interviews mit Expertinnen und Experten sowie Gesprächen mit muslimischen Vertreterinnen, Aktivisten und Leserinnen. Ziel war es, politische Entscheidungen aus muslimischer Perspektive verständlich zu machen und zugleich muslimische Stimmen in einer oft über sie geführten Debatte selbst zu Wort kommen zu lassen.
Auch bei Themen wie antimuslimischem Rassismus, rechtlichen Auseinandersetzungen um religiöse Sichtbarkeit oder der Lage in Gaza verstand sich IslamiQ als journalistisches Korrektiv: berichtend, einordnend und dort, wo nötig, kritisch. In einem Jahr zunehmender Polarisierung blieb der Anspruch bestehen, muslimisches Leben nicht als Randthema, sondern als Teil der gesellschaftlichen Realität abzubilden.