









Am Sonntag wird gewählt – eine Entscheidung, die auch für Muslime in Deutschland von großer Bedeutung ist. IslamiQ hat mit muslimischen Vertretern über ihre Erwartungen, Sorgen und die Bedeutung der Wahlbeteiligung gesprochen.
Die Bundestagswahl am kommenden Sonntag findet in einer politisch aufgeheizten Atmosphäre statt. Migration, wirtschaftliche Herausforderungen und internationale Konflikte bestimmen den Wahlkampf. Wie erleben muslimische Vertreter diese Tage? Was erwarten sie von den Parteien? Und warum ist es für Muslime trotz wachsender Entfremdung von der deutschen Politik wichtig, ihre Stimme abzugeben?
Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrats in Deutschland, beschreibt den aktuellen Wahlkampf als stark zerrüttet. Die gescheiterte Regierungskoalition habe zu einer Verschärfung der politischen Debatte geführt. Besonders problematisch sei das Erstarken der AfD und der Rechtsruck der CDU. Er warnt: „Die Parteien agieren reaktiv und ohne klare, eigenständige Positionen. Die CDU orientiert sich teilweise an den Narrativen der AfD, was dieser wiederum in die Hände spielt.“
Ali Mete, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) kritisiert die Art, wie Geflüchtete instrumentalisiert werden und warnt vor ausländischer Einflussnahmen auf die politische Willensbildung. „Ich bin der Meinung, dass solche Entwicklungen dem demokratischen Wahlprozess schaden“, betont Mete.
In den Wahlprogrammen der Parteien sehen die muslimischen Vertreter erhebliche Defizite. Wichtige Themen wie das Religionsverfassungsrecht, soziale Wohlfahrt und gesellschaftliche Teilhabe würden nicht ausreichend behandelt. Zudem fehle eine klare Positionierung gegen antimuslimischen Rassismus. „Muslime stellen nach den Christen die zweitgrößte religiöse Gemeinschaft in Deutschland dar, werden aber politisch kaum berücksichtigt“, bemängelt Mete.
Auch Eyüp Kalyon, Generalsekretär der DITIB, kritisiert AfD und Co.: „Die AfD sticht mit ihrem offen islamfeindlichen Programm besonders hervor. Sie stellt den Islam als Gefahr für die Gesellschaft dar und will bestehende Verträge mit muslimischen Religionsgemeinschaften auflösen. Doch auch andere Parteien betrachten den Islam häufig nur aus einem sicherheitspolitischen Blickwinkel.“
Die Migrationsdebatte hat in diesem Wahlkampf besonders viel Raum eingenommen. Kesici beobachtet, dass sich viele Muslime in Deutschland zunehmend fragen, ob sie wirklich als Teil der Gesellschaft anerkannt sind. „Selbst Menschen in der vierten Generation stellen sich die Frage, was zur Zunahme von Muslimfeindlichkeit und offener Diskriminierung führt.“
Kalyon kritisiert zudem, dass Muslime oft in einem negativen Kontext Erwähnung finden: „In der aktuellen Diskussion wird oft suggeriert, dass insbesondere Muslime überproportional Straftaten begehen. Diese Perspektive bedient islamfeindliche Stereotype und verkennt die vielen positiven Beiträge von Muslimen zur Gesellschaft.“
Die Frage, ob es für Muslime in Deutschland nicht wählbare Parteien gibt, wird unterschiedlich beantwortet. Kesici gibt eine klare Linie vor: „Parteien, die menschenverachtende Ideologien vertreten, gegen Migranten und Flüchtlinge hetzen oder sich nicht eindeutig von rechten Strömungen distanzieren, sind für Muslime nicht wählbar.“
Mete und Kalyon rufen die muslimischen Wähler dazu auf, die Wahlprogramme genau zu prüfen. Sie betonen, dass jede Partei kritisch auf ihre Haltung zur Rechtsstaatlichkeit, zur Gleichberechtigung und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt hin überprüft werden sollte.
Eine aktuelle Studie zeigt, dass Muslime zunehmend das Vertrauen in die deutsche Politik verlieren. Dies ist auch für Mete ein besorgniserregender Trend: „Einerseits sehen wir, dass viele Muslime sich von der deutschen Politik entfremdet fühlen; so wie große Teile der Mehrheitsgesellschaft. Eine interne Befragung in unseren Gemeinden hat jedoch ergeben, dass weit mehr als 80 Prozent, wählen gehen werden, weil sie daran glauben, dadurch etwas ändern zu können. Ich sehe es als eine religiöse Pflicht, Verantwortung für die Zukunft unserer Gesellschaft zu übernehmen.“
Kesici sieht in der Wahlbeteiligung einen klaren Auftrag zur Mitgestaltung: „Jeder wahlberechtigte Bürger sollte sein Stimmrecht nutzen und eine demokratische Partei wählen, die sich für den gesellschaftlichen Frieden und den Erhalt demokratischer Werte einsetzt.“ Für Kalyon ist die Wahl nur ein erster Schritt: „Demokratische Partizipation und gesellschaftlicher Zusammenhalt entstehen nicht allein durch das Wählen. Wir müssen uns auf kommunaler, Landes- und Bundesebene aktiv einbringen, um ein selbstverständlicher Teil der demokratischen Mechanismen zu werden.“
Nichtsdestotrotz sei die Bundestagswahl für Muslime in Deutschland ein wichtiger Moment, um ihre Stimme für eine offene und gerechte Gesellschaft einzusetzen. Trotz politischer Entfremdung und fehlender Berücksichtigung muslimischer Anliegen rufen die muslimischen Vertreter dazu auf, das Wahlrecht zu nutzen und sich aktiv in die Demokratie einzubringen. Denn nur durch politische Partizipation können langfristige Veränderungen angestoßen und ein starkes Signal für Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt gesetzt werden.