Bundestagswahl 2025

Warum Muslime wählen gehen sollten

Am Sonntag wird gewählt – eine Entscheidung, die auch für Muslime in Deutschland von großer Bedeutung ist. IslamiQ hat mit muslimischen Vertretern über ihre Erwartungen, Sorgen und die Bedeutung der Wahlbeteiligung gesprochen.

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02
2025
von l. nach r. Burhan Kesici (Islamrat), Ali Mete (IGMG) und Eyüp Kalyon (DITIB) über die Bundestagswahl
von l. nach r. Burhan Kesici (Islamrat), Ali Mete (IGMG) und Eyüp Kalyon (DITIB) über die Bundestagswahl

Die Bundestagswahl am kommenden Sonntag findet in einer politisch aufgeheizten Atmosphäre statt. Migration, wirtschaftliche Herausforderungen und internationale Konflikte bestimmen den Wahlkampf. Wie erleben muslimische Vertreter diese Tage? Was erwarten sie von den Parteien? Und warum ist es für Muslime trotz wachsender Entfremdung von der deutschen Politik wichtig, ihre Stimme abzugeben?

Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrats in Deutschland, beschreibt den aktuellen Wahlkampf als stark zerrüttet. Die gescheiterte Regierungskoalition habe zu einer Verschärfung der politischen Debatte geführt. Besonders problematisch sei das Erstarken der AfD und der Rechtsruck der CDU. Er warnt: „Die Parteien agieren reaktiv und ohne klare, eigenständige Positionen. Die CDU orientiert sich teilweise an den Narrativen der AfD, was dieser wiederum in die Hände spielt.“

Ali Mete, Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) kritisiert die Art, wie Geflüchtete instrumentalisiert werden und warnt vor ausländischer Einflussnahmen auf die politische Willensbildung. „Ich bin der Meinung, dass solche Entwicklungen dem demokratischen Wahlprozess schaden“, betont Mete.

Mangelnde Berücksichtigung muslimischer Anliegen

In den Wahlprogrammen der Parteien sehen die muslimischen Vertreter erhebliche Defizite. Wichtige Themen wie das Religionsverfassungsrecht, soziale Wohlfahrt und gesellschaftliche Teilhabe würden nicht ausreichend behandelt. Zudem fehle eine klare Positionierung gegen antimuslimischen Rassismus. „Muslime stellen nach den Christen die zweitgrößte religiöse Gemeinschaft in Deutschland dar, werden aber politisch kaum berücksichtigt“, bemängelt Mete.

Auch Eyüp Kalyon, Generalsekretär der DITIB, kritisiert AfD und Co.: „Die AfD sticht mit ihrem offen islamfeindlichen Programm besonders hervor. Sie stellt den Islam als Gefahr für die Gesellschaft dar und will bestehende Verträge mit muslimischen Religionsgemeinschaften auflösen. Doch auch andere Parteien betrachten den Islam häufig nur aus einem sicherheitspolitischen Blickwinkel.“

Migrationsdebatte und das Gefühl der Ausgrenzung

Die Migrationsdebatte hat in diesem Wahlkampf besonders viel Raum eingenommen. Kesici beobachtet, dass sich viele Muslime in Deutschland zunehmend fragen, ob sie wirklich als Teil der Gesellschaft anerkannt sind. „Selbst Menschen in der vierten Generation stellen sich die Frage, was zur Zunahme von Muslimfeindlichkeit und offener Diskriminierung führt.“

Kalyon kritisiert zudem, dass Muslime oft in einem negativen Kontext Erwähnung finden: „In der aktuellen Diskussion wird oft suggeriert, dass insbesondere Muslime überproportional Straftaten begehen. Diese Perspektive bedient islamfeindliche Stereotype und verkennt die vielen positiven Beiträge von Muslimen zur Gesellschaft.“

Welche Parteien sind wählbar?

Die Frage, ob es für Muslime in Deutschland nicht wählbare Parteien gibt, wird unterschiedlich beantwortet. Kesici gibt eine klare Linie vor: „Parteien, die menschenverachtende Ideologien vertreten, gegen Migranten und Flüchtlinge hetzen oder sich nicht eindeutig von rechten Strömungen distanzieren, sind für Muslime nicht wählbar.“

Mete und Kalyon rufen die muslimischen Wähler dazu auf, die Wahlprogramme genau zu prüfen. Sie betonen, dass jede Partei kritisch auf ihre Haltung zur Rechtsstaatlichkeit, zur Gleichberechtigung und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt hin überprüft werden sollte.

Warum Muslime wählen gehen sollten

Eine aktuelle Studie zeigt, dass Muslime zunehmend das Vertrauen in die deutsche Politik verlieren. Dies ist auch für Mete ein besorgniserregender Trend: „Einerseits sehen wir, dass viele Muslime sich von der deutschen Politik entfremdet fühlen; so wie große Teile der Mehrheitsgesellschaft. Eine interne Befragung in unseren Gemeinden hat jedoch ergeben, dass weit mehr als 80 Prozent, wählen gehen werden, weil sie daran glauben, dadurch etwas ändern zu können. Ich sehe es als eine religiöse Pflicht, Verantwortung für die Zukunft unserer Gesellschaft zu übernehmen.“

Kesici sieht in der Wahlbeteiligung einen klaren Auftrag zur Mitgestaltung: „Jeder wahlberechtigte Bürger sollte sein Stimmrecht nutzen und eine demokratische Partei wählen, die sich für den gesellschaftlichen Frieden und den Erhalt demokratischer Werte einsetzt.“ Für Kalyon ist die Wahl nur ein erster Schritt: „Demokratische Partizipation und gesellschaftlicher Zusammenhalt entstehen nicht allein durch das Wählen. Wir müssen uns auf kommunaler, Landes- und Bundesebene aktiv einbringen, um ein selbstverständlicher Teil der demokratischen Mechanismen zu werden.“

Nichtsdestotrotz sei die Bundestagswahl für Muslime in Deutschland ein wichtiger Moment, um ihre Stimme für eine offene und gerechte Gesellschaft einzusetzen. Trotz politischer Entfremdung und fehlender Berücksichtigung muslimischer Anliegen rufen die muslimischen Vertreter dazu auf, das Wahlrecht zu nutzen und sich aktiv in die Demokratie einzubringen. Denn nur durch politische Partizipation können langfristige Veränderungen angestoßen und ein starkes Signal für Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt gesetzt werden.

Leserkommentare

grege sagt:
Die hier genannten Islamvertreter sind ideologisch und auch organisatorisch mit dem türkischen Staat bzw. Erdowahns Regierungspartei AKP verbunden. Insbesondere Erdowahns Politik ist von nationalistischen Bestrebungen durchsetzt, was sich ebenso in Bündnissen mit der MHP widerspiegelt, die offen gegen Juden, Kurden und Armenier hetzt. Vor dem Hintergrund kann man Kritik und Sorgefalten dieser Islamverbände als Heuchelei abtun. Diese Islamvertreter beschweren sich über eine einseitig negative Berichterstattung gegenüber Muslime, ignorieren dabei beharrlich, dass Ihre Medien wie z.B. islamiq.de diese Einseitigkeit mit umgekehrten Vorzeichen gegenüber Nichtmuslimen vorleben.Auch diese Beschwerde kann man ebenso als ein Akt der Heuchelei abtun. Wenn bei den Anschlägen in Solingen, Mannheim und Mannheim Muslime Opfer rechstradikaler Terroristen geworden wären, würden diese Verbände das nichtmuslimische Umfeld mit Kritik überziehen, die sie selber als generalsisierend pauschalisierend empfinden. Dass diese Islamvertreter sich nicht durch die großen Parteien angemessen vertreten fühlen, beweist die Ablehnung dieser Islamverbände durch weite Teile der Bevölkerung, was Anlaß geben sollte zur Selbstkritik. Alternativ steht den Islamverbänden natürlich die Möglichkeit zu, eine eigene Partei zu gründen, die sich an den angeblichen, bislang vernachlässigten Interessen der Muslime orientiert.
22.02.25
13:20
Veritas sagt:
Lieber Grege, es ist mittlerweile bekannt, dass du eine besondere "Liebe" (Achtung: Sarkasmus) gegenüber den Muslimen in diesem Land hegst, jedoch eine kurze Antwort für die kritischen Leser. 1. Verallgemeinerung und Stereotypisierung: Die Aussage unterstellt, dass alle Islamvertreter, die mit der AKP oder dem türkischen Staat verbunden sind, eine einheitliche ideologische Position vertreten. Dies ignoriert die Vielfalt innerhalb der muslimischen Gemeinschaft und der islamischen Verbände in Deutschland. Es gibt zahlreiche Organisationen, die unterschiedliche Ansichten und politische Positionen vertreten, und nicht alle sind mit der AKP oder deren nationalistischen Bestrebungen verbunden. Eine differenzierte Betrachtung ist notwendig, um die Komplexität der politischen Landschaft zu erfassen. 2. Kritik an der Berichterstattung: Die Behauptung, dass die Medien wie islamiq.de eine einseitige Berichterstattung gegenüber Nichtmuslimen vorleben, ist nicht ausreichend belegt. Eine wissenschaftliche Analyse der Berichterstattung müsste sowohl qualitative als auch quantitative Methoden verwenden, um festzustellen, ob eine systematische Verzerrung vorliegt. Zudem könnte man argumentieren, dass die Berichterstattung über muslimische Themen oft von einer marginalisierten Perspektive geprägt ist, die in der breiten Medienlandschaft nicht ausreichend repräsentiert wird. 3. Opfer von Extremismus: Die Aussage, dass islamische Verbände bei Anschlägen auf Muslime nicht die gleiche Kritik an der Gesellschaft üben würden, ist eine Hypothese, die empirisch untersucht werden müsste. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen muslimische Organisationen und Vertreter sich gegen Extremismus und Diskriminierung ausgesprochen haben, unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Opfer. Eine pauschale Unterstellung von Heuchelei greift zu kurz und ignoriert die tatsächlichen Reaktionen und Positionen dieser Verbände. 4. Repräsentation in der Politik: Die Behauptung, dass die Ablehnung von Islamverbänden durch weite Teile der Bevölkerung ein Zeichen für deren Unzulänglichkeit ist, könnte als eine vereinfachte Sichtweise betrachtet werden. Politische Repräsentation ist ein komplexes Thema, das von vielen Faktoren beeinflusst wird, einschließlich gesellschaftlicher Vorurteile, historischer Kontexte und der politischen Landschaft. Die Gründung einer eigenen Partei ist eine Möglichkeit, aber nicht die einzige Lösung für die Herausforderungen, mit denen muslimische Gemeinschaften konfrontiert sind. Es könnte auch sinnvoll sein, bestehende Parteien zu ermutigen, inklusiver zu werden und die Interessen aller Bürger zu vertreten. 5. Selbstkritik und Dialog: Die Forderung nach Selbstkritik ist legitim, jedoch sollte sie in einem konstruktiven Dialog erfolgen. Anstatt die Verantwortung einseitig den Islamverbänden zuzuschreiben, könnte ein gemeinsamer Dialog zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gefördert werden, um Missverständnisse abzubauen und eine integrative Gesellschaft zu schaffen. Insgesamt erfordert die Diskussion um die Rolle von Islamvertretern in der deutschen Gesellschaft eine differenzierte und evidenzbasierte Herangehensweise, die die Vielfalt der Meinungen und Erfahrungen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft berücksichtigt.
27.02.25
11:03