Weihnachten

Dürfen Muslime ihren Nachbarn zum Weihnachtsfest gratulieren?

Weihnachten steht vor der Tür. Jedes Jahr stellen sich Muslime die Frage, ob sie ihren christlichen Nachbarn zu Weihnachten gratulieren dürfen oder nicht. IslamiQ hat die Antwort.

17
12
2022
Symbolbild: Weihnachten © Shutterstock, bearbeitet by iQ.
Symbolbild: Weihnachtsfest © Shutterstock, bearbeitet by iQ.

In einigen Tagen feiern Millionen von Christen Weihnachten. Inwiefern ist es für Muslime islamrechtlich erlaubt, Christen zu ihren Festen (Weihnachten und Ostern) zu gratulieren? In Deutschland hat sich die Praxis etabliert, dass Muslime ihren christlichen und jüdischen Nachbarn und Freunden zu ihren Festen gratulieren und umgekehrt ebenso. Über diese Frage wird noch immer diskutiert. Im Internet kursieren zahlreiche Fatwas, die das Beglückwünschen von nichtmuslimischen Festen verbieten. 

Doch worum geht es in diesen Diskussionen? Und wie entstehen diese Meinungsunterschiede? Die Kenntnis unterschiedlicher Positionen erleichtert die Entscheidungsfindung und führt zu einem gelasseneren und bewussten Umgang mit solchen Themen.

Es gibt Themen, die in den Offenbarungsschriften erwähnt werden und über die es unter Gelehrten Einigkeit gibt. Dazu zählt das tägliche, fünfmalige Gebet, das Fasten im Monat Ramadan oder das gerechte Handeln. Lügen, außerehelicher Geschlechtsverkehr oder Diebstahl sind hingegen verboten. An der grundsätzlichen Gültigkeit dieser Normen kann es keine Diskussionen geben. Es gibt aber auch Themen, die nicht in den Offenbarungstexten behandelt wurden und deshalb Gegenstand von Meinungsunterschieden sind. Die Frage nach der Beglückwünschung der Christen zu ihren Festen ist eines dieser Themen. 

Hierbei können zwei Gründe aufgezählt werden: 1. Hermeneutische Gründe, also Gründe, die aus einer unterschiedlichen Interpretation der Texte entspringen oder 2. kontextbedingte Gründe, also Gründe, die mit der Interpretation des gelebten Kontextes (Konventionen, Voraussetzungen und Konsequenzen einer Handlung) zusammenhängen. Häufig sind es die kontextbedingten Gründe, die die Entscheidung und damit auch die Wahl der Hermeneutik beeinflussen.

Umfeld entscheidet über die Wahl der Hermeneutik

Bei vielen Fiqh-Themen geht es gar nicht so sehr um die richtige Auslegung der Offenbarungstexte, sondern um die Situationsdiagnose. Die Handlungsoptionen, die man hat, werden davon beeinflusst, wie man eine bestimmte Situation oder das Umfeld, in dem man sich befindet, wahrnimmt. Eine negative Einschätzung der Außenwelt führt zu einer konservativeren oder gar fundamentalistischen Auslegung der Religion, als wenn die Außenwelt als gut oder tolerabel eingestuft wird. Im ersteren Fall tendiert man dann eher dazu, die Interaktion mit anderen, fremden Einflüssen hinsichtlich religiöser Bereiche auf ein Minimum zu reduzieren, um somit die eigene religiöse Identität zu schützen und zu bewahren. 

Die Ansicht, dass die Beglückwünschung der Christen zu ihren Festen oder der Besuch von Kirchen (mit der Absicht, sich die Feierlichkeiten oder Gottesdienste anzuschauen) verboten sind, hat meistens den Hintergrund, dass man die religiöse Identität vor allem junger Menschen bewahren will. Wenn das Umfeld aber grundsätzlich nicht als bedrohlich, sondern als gut und tolerabel empfunden wird und man von einer selbstbewussten religiösen Identität ausgeht, ist man eher bereit, sich den Herausforderungen gegenüber zu öffnen. In dieser Hinsicht sind viele der Meinung, dass ein selbstbewusster, offener Umgang mit diesen Themen sogar die eigene Religiosität stärkt, weshalb man eher dazu tendiert, diese Handlungen im Sinne einer guten Nachbarschaft für erlaubt und förderlich zu betrachten. 

Pro vs. Kontra

So wird der offene Austausch mit Angehörigen anderer Religionen sogar von vielen als ein positives Mittel gesehen, um den Islam in der Gesellschaft sichtbarer zu machen. Denn wenn man die Feste anderer beglückwünscht, werden auch die anderen sich für die Feste der eigenen Religion interessieren. In den letzten Jahren hat sich mehr und mehr die Einstellung etabliert, dass es sich zum respektvollen Umgang zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen gehört, sich gegenseitig zu den religiösen Festen zu beglückwünschen. Dieser Umstand hat sich zu einer deutsch-islamischen Gewohnheit entwickelt und wird von den meisten auch dementsprechend praktiziert. Eine Beglückwünschung wie „frohe Weihnachten, schöne Feiertage, frohes Fest, frohe Ostern“ etc. bedeuten für Muslime keineswegs, dass sie die Inhalte der Feiertage befürworten. Die Beglückwünschung ist also kein Thema der Glaubenslehre, sondern nur eine Form der Höflichkeit.

Ganz anders sehen es aber diejenigen, die es ablehnen. Sie sagen, dadurch, dass man sie beglückwünscht, akzeptiere man auch die falschen Glaubensinhalte, die dadurch vermittelt werden. Diese Annahme geht zurück auf manch klassische Fiqh-Texte der vier Rechtsschulen, allen voran auf Aussagen von Ibn al-Qayyim aus seinem Werk „Normen über die Nichtmuslime“; das umfangreichste Werk über den Umgang mit Nichtmuslimen in einer muslimischen Gesellschaft. In diesen Texten wird dieser Zusammenhang zwischen Beglückwünschung und Bestätigung der Inhalte hergestellt und gesagt: „die Beglückwünschung ist verboten, weil das mit der Bestätigung der Inhalte einhergeht“. Anscheinend gab es zu Zeit von Ibn al-Qayyim die Konvention, dass eine solche Beglückwünschung tatsächlich als Bestätigung verstanden wurde, sowohl von den Sprechern als auch von den Adressaten. 

Gruß zu Weihnachten – eine individuelle Entscheidung

Die Annahme, dass die Beglückwünschung mit der Bestätigung der Inhalte einhergeht, ist aber nicht immer gegeben. In unserer heutigen Zeit besteht eine solche Beziehung z.B. nicht. Woher wissen wir es? Die Konvention unserer Zeit! Weder der Sprecher noch der Empfänger würden die Aussage „Frohes Fest“ oder „Frohe Weihnachten“ dahin gehend verstehen, dass damit die Bestätigung der Inhalte des Weihnachtsfestes gemeint sei. Umgekehrt wäre es auch absurd daran zu glauben, dass wenn ein Christ einem Muslim zum Ramadanfest gratuliert, er die Verpflichtung des Fastens akzeptiert und zum Muslim wird. 

Deshalb kann man heutzutage in unserem Kontext keineswegs die bloße Beglückwünschung als „haram“ einstufen. Dafür fehlt jegliche Grundlage. Auch die Teilnahme an einer Weihnachtsfeier bei einer christlichen Familie oder im Betrieb, sowie die Teilnahme an einem Weihnachtsgottesdienst als Beobachter können ähnlich bewertet werden. 

Wichtig ist demnach, nicht nur die Interpretation von Offenbarungstexten, sondern auch die Kontextanalyse, in der die gesellschaftlichen Konventionen, Voraussetzungen und Konsequenzen einer Handlung berücksichtigt werden. Das sind die Kriterien des Fiqh und schließlich ist es aber jedem selbst überlassen, wie man mit solchen Situationen konkret umgeht.

Erstveröffentlichung im Blog „Rasāʿil – Blog für islamisches Recht und Geschichte“, 31. Dezember 2021. Für IslamiQ wurde der Beitrag seitens der Redaktion zusammengefasst.

Leserkommentare

Timotheus sagt:
Der wichtigste Satz ist hier am Schluß zu lesen: "und schließlich ist es aber jedem selbst überlassen, wie man mit solchen Situationen konkret umgeht." Unabhängig von irgendwelchen Textauslegungen und Interpretationen, islamrechtlichen Erlaubnissen & Fatwas, Meinungen von Rechtsschulen und konstruierten Endlos-Debatten mit Autoritäten aller Art. Weihnachten (Christmas) ist für alle da. Und es bedeutet viel mehr als nur ein Lichterfest.
17.12.22
18:45
Abdussamed sagt:
Zunächst einmal vielen Dank für diesen Artikel und den Versuch, die differenzierten Positionen darzulegen. Ich möchte gerne inhaltlich folgenden Aussagen widersprechen: "Die Annahme, dass die Beglückwünschung mit der Bestätigung der Inhalte einhergeht, ist aber nicht immer gegeben. In unserer heutigen Zeit besteht eine solche Beziehung z.B. nicht. Woher wissen wir es? Die Konvention unserer Zeit! Weder der Sprecher noch der Empfänger würden die Aussage „Frohes Fest“ oder „Frohe Weihnachten“ dahin gehend verstehen, dass damit die Bestätigung der Inhalte des Weihnachtsfestes gemeint sei. Umgekehrt wäre es auch absurd daran zu glauben, dass wenn ein Christ einem Muslim zum Ramadanfest gratuliert, er die Verpflichtung des Fastens akzeptiert und zum Muslim wird. " Der Urf der in diesem Punkt indirekt ansprochen wird und in den Fiqh-Regeln angewendet wird, ist in diesem Fall nicht der Bewertungsgegenstand. Auch geht es nicht darum, dass man die Inhalte akzeptiert. Es geht um die Synthese zwischen dem was ich als Muslim fühle und der Tat, die Ausdruck findet in meinen Worten und Handlungen. Für einen Muslim ist es wichtig, dass er in religösen Themen eine klare Linie zieht. Das Weihnachtsfest ist nicht im Luftleerenraum entstanden, sondern hat einen klaren religiösen Hintergrund, nämmlich die angebliche Geburt Jesu. Auch wenn dies heutzutage evtl. in den Hintergrund gerückt ist, ist der Ausgangspunkt nunmal dieser. Das Fest (heutzutage mehr ein kapitalistisches) als ein religiöses ist dennoch eindeutig geframed. Meine Absicht kann gut sein, jedoch sollte die Handlung auch Scharia-konform sein. Anderfalls könnte man auch keinen Einwand erheben, dass man einen Weihnachtsbaum zu Hause aufstellt oder wichtelt, um seine Anteilnahme zu zeigen. Als Gedankenexperiment bitte ich euch folgende Situation vorzustellen: Würde ich als muslimischer Arbeitgeber erwarten, dass mein hinduistischen Mitarbeiter mir zum Opferfest gratuliert? Ich respektiere den Menschen und seine Lebensweiße, jedoch sehe ich sie aus der Sicht meiner Lebensweiße als falsch an und lehne es ab. Klare Linien helfen und zeigen auch, inwieweit die Toleranz des Gegenübers tatsächlich nicht nur ein Lippenbekenntnis darstellt, sondern aufrichtig aus dem Herzen entstammt. Unabhängig der religiösen Dimension ist diese Fragestellung auch eine soziologische, für die Minderheitssituation der Muslime in diesem Land.
17.12.22
20:36
Timotheus sagt:
Abdussamed (ägyptischer Koranrezitator?) erwähnt hier die "angebliche Geburt Jesu". Der angebliche Besuch des Erzengels Gabriel bei Mohammed auf einem Berg bei Mekka soll aber Tatsache sein? Hier äußert sich ein Muslim, der eine christliche Lebensweise als falsch ansieht und diese ablehnt. Und das natürlich Scharia-konform. Das Weihnachtsfest wird heutzutage natürlich unterschiedlich gefeiert und auch im kapitalistischen Sinne benutzt. Ähnliches lässt sich mit Sicherheit aber genauso bei den islamischen Feierlichkeiten oder Festivitäten finden. Aus all dem darf schon gefolgert werden, daß christlich orientierte Menschen ebenfalls für sich in Anspruch nehmen dürfen, zumindest manche islamische Gepflogenheiten und Handlungen als falsch und ablehnungswürdig anzusehen.
22.12.22
16:31
Timotheus sagt:
Sehr ernüchternd ist leider das Weihnachtsverbot im muslimischen Sultanat Brunei, wo der Islam formal die Staatsreligion darstellt. "Geschmückte Strassen, Weihnachtslieder, Tannenbäume- all das gibt es nicht in Brunei." So berichtet die ARD-Tagesschau ganz aktuell. Es gelten hohe Geld- und Haftstrafen für alle, die in der Öffentlichkeit und in Hotels dagegen verstoßen. Dort will man zudem festliche Lichter für das Ende des Ramadan aufheben, für den größten Festtag im muslimischen Kalender - so sagt die Britin Sarah Boye. Schon ein kleiner Weihnachtsbaum versteckt in einer Ecke eines internationalen Hotels kann Probleme bereiten, denn Weihnachtsdeko ist dort vom Ministerium verboten. Im Hotel spricht man auch nicht von "Christmas", sondern von "Festive Season". All das geschieht dort aufgrund islamisch geprägter Machtverhältnisse. Wir sehen also, wo der Islam mächtig und dominant das Zepter schwingt und herrscht, besteht die Gefahr, daß sich die Christen unterordnen und ducken müssen. Andernfalls werden sie streng bestraft - staatlich angeordnet. Dies sollten alle Islam-Sympathisanten zur Kenntnis nehmen, auch wenn es schmerzt.
22.12.22
20:02
Abdussamed sagt:
"Timotheus" --> Ehre Gott aus dem Griechischen Abdussamed ist genauso wie alle Namen, die im Arabischen mit dem Präfix Abd- beginnen, besondere Namen, die einen bezug zum Schöpfer hinweisen. So haben wir sogar etwas gemeinsam.. Interessant oder? Zu dem Geburtstag des Propheten Jesus (Isaa a.s.) kann ich dir die unemotionale Betrachtung ans Herz legen. Dein Vergleich ist nicht ganz zutreffend, da es bei dem Besuch des Engel Gabriel ( Dschibril a.s.) nicht um ein falsches Datum geht. Mein Einwand war bezüglich der Festlegung eines Ereignisse zu einem bestimmten Zeitpunkt und dessen Zelebrierung ( Weihnachten 24. Dezember ). Und trotzdem möchte ich als Muslim unterstreichen, dass ich davon überzeugt bin, dass die suksessive Herabsendung des Quraan durch Gabriel (as.) an den Propheten Mohammad (saw.) genau so stattgefunden hat. Du musst diese Erkenntnis nicht mit mir teilen. Daher bist du ja schließlich auch kein Muslim. Zu dem Aspekt mit dem Feierlichkeiten stimme ich dir zu. Das islamische Feierlichkeiten teilweiße auch kommerzialisiert werden, ist Fakt. Das man diese ablehnen kann und sogar vielleicht aus der menschlichen Vernunft heraus sogar sollte, würde ich unterstreichen. Religiöse Feste sollten nicht für wirtschaftliche Interessen benutzt werden. Zu der Thematik mit Brunei möchte ich vorab mitteilen, dass ich Brunei nur durch eine kurze Betrachtung (Wikipedia) kenne. Was mir direkt auffällt ist folgender Punkt --> Das politische Leben Bruneis basiert auf der Verfassung von 1959, die 2004 und 2006 geändert wurde, und auf der Nachfolge- und Regentschaftsproklamation von 1959. Die Verfassung dient als rechtliches Mittel, um die Alleinherrschaft des Sultans zu festigen; die Macht des Sultans wird weder durch Menschen- noch durch Bürgerrechte begrenzt. Die Verfassung Bruneis ist die einzige Verfassung Südostasiens, die außer der freien Religionsausübung keinerlei Grundrechte definiert. Was ich sehr problematisch ansehe ist, dass man Staaten "nach islamisch, christlich, jüdisch etc. ettikitiert" ohne zu schauen, wie die Informationslage dazu in den religiösen Quellen aussieht. Vorab: Weder Saudi Arabien noch die Türkei sind islamisch betrachtet Regierungen, die ein politisches System nach den Prinzipien der Charta von Medina führen. Abschließend bitte ich im Umgang mit Muslimen oder vermeintlich islamisch gelesenen Staaten eine faire, sachliche Kritik oder Ablehnung. Es hilft nicht Brunei zu kritisieren und zu China oder der Kriminalisierung der muslimischen Frau ( Hijab als Staatsbedienstete) zu Schweigen. Unrecht ist Unrecht und dazu sollte man sich äußern, auch wenn das Opfer eine andere Weltanschauung vertritt.Ich sage nicht dass Sie das tun, sondern ist es die Erfahrung die ich leider desöfteren bereits machen konnte.
29.12.22
15:50
icke sagt:
haben eigentlich die nicht zu Weihnacht gratulierenden Muslime ihr Weihnachtsgeld zurücküberwiesen??
16.01.23
10:35