Rezension

„Terror gegen Juden“ – Terror gegen Muslime?

Der Journalist Ronen Steinke beklagt in seinem neuen Buch „Terror gegen Juden“ Antisemitismus und Staatsversagen. Ali Mete wirft einen Blick aus muslimischer Perspektive darauf.

07
07
2020
Ronen Steinke - Terror gegen Juden
Ronen Steinke - Terror gegen Juden

Zugegeben, ich war skeptisch, als ich den Titel „Terror gegen Juden“ las. Auch der Untertitel „Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt“ machte es nicht besser. Der reißerische Titel schmälert aber nicht den Beitrag des Buches von Ronen Steinke, Jurist und Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung, das vor allem einen Einblick in die Gefühls- und Lebenswelt von Juden in Deutschland gibt, vor dem Hintergrund von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.

Steinke schildert die alltägliche Angst von Juden in Deutschland. Eine reale Angst, die am Ende des Buches durch eine rund 90-seitige Liste mit hunderten Fällen von Grabschändungen, Angriffen auf Synagogen und Juden seit 1945 veranschaulicht wird. Ronen Steinke beschreibt teils offensichtlichen Antisemitismus, angesichts dessen sich jüdische Gemeinden, Geschäftsinhaber, Eltern und andere im Stich gelassen fühlen. Er analysiert Antisemitismus von rechter, linker und ‚muslimischer‘ Seite. Diese würden von Politik und vor allem von den Sicherheitsbehörden nicht ernst genommen, also nicht abgewehrt, sondern „seit Jahrzehnten verwaltet“ (S. 18). Das habe unter Juden zu Resignation geführt. Deshalb stellt Ronen Steinke vier Forderungen: härtere Strafen für Hasskriminalität, mehr juristische Sensibilität gegen antisemitische Argumente, ein besseres Vorgehen gegen rechte Polizisten und mehr Schutz für jüdische Einrichtungen.

Früher Juden – heute Muslime!?

All das kann genauso für Muslime gefordert werden. Der Autor erwähnt an mehreren Stellen, dass vieles, was er schreibt, auch auf andere „rassistisch Marginalisierte“ (S. 18) zutrifft. Judenfeindlichkeit sei wie Muslimfeindlichkeit. Aber auch ohne diesen expliziten Hinweis des Autors wird der muslimische Leser das Gefühl nicht los, dass einem die im Buch geschilderten Fälle bekannt vorkommen – an mindestens 25 Stellen.

So beispielsweise, als 1980 ein jüdischer Ex-Gemeindevorsitzender und seine Frau in ihrer Wohnung in Erlangen erschossen wurden. Die bayrische Polizei spekulierte erst über einen Agentenmord und Zeitungen berichteten nicht vom Mord an dem Ex-Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, sondern von der Hinrichtung des Ex-Adjutanten Mosche Dajans. „Als wäre es eine Kriegshandlung. Nahöstliche Rache. Fremde unter sich.“ (S. 9). Das erinnert unweigerlich an den NSU, den auch der Autor mehrere Mal nennt. Genauso erinnert es an die Serie von Moscheeangriffen durch PKK-Sympathisanten Ende 2018, die man nicht als solche wahrgenommen hat, sondern eher als nach Deutschland überschwappende politische Konflikte.

Ein anderes Beispiel ist das schwindende Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. Dem Autor zufolge werden die allermeisten antisemitischen Straftaten nicht zur Anzeige gebracht. Wegen mangelndem Vertrauen in Polizei und Justiz. Ähnliches gilt für Opfer von islamfeindlichen Übergriffen. Dass in den vergangenen Jahren immer wieder rassistische Vorfälle innerhalb der Polizei bekannt wurden und jüngst sogar das Spezialkommando der Bundeswehr „KSK“ wegen solchen Vorfällen teilaufgelöst wurde, stiftet nicht gerade Vertrauen.

Schwindendes Vertrauen

Maßnahmen, die Juden zum Selbstschutz ergreifen, würden, wenn sie von Muslimen ergriffen worden wären, höchst misstrauisch beäugt werden. Etwa, dass wegen der Bedrohungslage jüdische Gemeindemitglieder in einer speziellen Nahkampftechnik ausgebildet werden (S. 41). Oder dass Israel wegen einer Serie von Angriffen auf deutsche jüdische Einrichtungen „Sicherheitsleute“ nach Deutschland entsendet (S. 44). Diese Beispiele würden im Falle von Muslimen oder bei einer Intervention beispielsweise der Türkei einem Skandal gleichkommen und dazu führen, dass die Loyalitätsfrage gestellt wird. In beiden Kontexten, dem muslimischen und dem jüdischen, gilt: „Es ist die Aufgabe des deutschen Staates, dies unnötig zu machen.“ (S. 44).

Eine strittige Frage ist die Rolle des Nahostkonfliktes bei der Strafbemessung, wenn es um antisemitische Aussagen und Handlungen durch Personen mit muslimischem Hintergrund geht. Der Autor vertritt die Position, dass Gerichte sensibler sein müssten, wenn Antisemitismus angeblich als Israelkritik geäußert wird. „Was Richter nie als Ausrede akzeptieren, als es einst von Linksradikalen kam, das nehmen manche heute mit erstaunlicher Nachsicht hin, wenn es von muslimischen Tätern kommt.“ (S. 84). Dass bei der Strafzumessung der persönliche Kontext zu berücksichtigen ist, lässt der Verfasser außen vor. Demnach wäre alles, was ein Muslim (mit Nahostbezug) über Israel sagt, antisemitisch, nur weil er Muslim ist.

Unstrittig ist, dass Muslime und Juden in Deutschland eine Heimat haben, die sie weder aufgeben noch Rechten oder anderen Extremisten überlassen dürfen. Das gibt Motivation und Hoffnung, um gemeinsam weiterhin gegen Hass und Rassismus vorzugehen. Jedoch muss der Staat die Voraussetzungen dafür schaffen und sich stärker engagieren. Sonst muss in wenigen Jahren eine weitere Anklageschrift geschrieben werden, diesmal mit dem Titel „Terror gegen Muslime“.

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Es ist nicht verwunderlich, wie die Situation deutscher Juden in der Gegenwart im Großen und Ganzen mit der Situation deutscher Muslime gleicht. Der Staat nimmt das Problem Antisemitismus und Islamfeindlichkeit offenbar nicht ernst genug. Insofern ist der schon seit Jahrzehnten übliche Polizeischutz für Synagogen, was ich für Moscheen fordere, nur ein Alibi. Einen privaten Sicherheitsdienst können sich die meisten Moscheen wegen begrenzter finanzieller Möglichkeiten nicht leisten. Sicherheitskräfte eines ausländischen Staates wären eine denkbare Alternative, würden profilierungssüchtige Politiker das nicht skandalisieren. Aber genausowenig lokale jüdische Gemeinden als "Israel-Lobbyisten" wahrgenommen werden wollen, genausowenig möchten lokale islamische Gemeinden als "Verlängerter Arm Erdoğans" wahrgenommen werden. Beide Seiten sind das medial gefütterte jeweilige Zerrbild leid. Eine Stärkung des jüdisch-muslimischen Dialogs würde nicht nur die Vorurteile auf beiden Seiten abbauen, sondern wegen Gemeinsamkeiten in der gegenwärtigen Situation die Zusammenarbeit stärken. Und christliche Gemeinden müssen mit in dieses Boot geholt werden. Damit Sichtbarkeit von Religion aus dem öffentlichen Raum nicht verschwindet sowie nicht verbannt wird. Nur gemeinsam ist man stark. Es gibt keine Alternative als zum Dialog. Von Konflikten hingegen profitieren nur die Verderbungskomitees, die damit nur versuchen, als angebliche Weltverbesserer ihr Dasein zu legitimieren.
07.07.20
15:41
grege sagt:
Nichtmuslime und Islamkritiker fühlen sich in diesem Land durch den islamischen Extremismus bedroht. Die Vielzahl von Terroranschlägen udn Anschlagversuchen hierzulande und in Europa sprechen eine deutliche Sprache. Mittlerweile müssen hierzulande exponierte Islamkritiker um ihr Leben fürchten, so dass Samad, Korchide, Ates oder Mahnsour sich bei Aufenthalten in der Öffentlichkeit von Personenschützern umgeben müssen. Dass diese Schutzmaßnahmen nicht grundlos, beweisen im besonderen der bestialische Mord an van Gogh oderd der Einbruch eines somalischen Muslims in das Haus von Westerguard, der mit der Axt getötet werden sollte. Wenn in diesem Forum Homosexuelle als krank bezeichnet werden und in Moscheen Deutsche als stinkende Ungläubige bezeichnet werden, wird den vorgenannten Gewaltaten natürlich der Nährboden bereitet.
08.07.20
20:28
Johannes Disch sagt:
Der Staat muss sich stärker gegen Hass und Rassismus engagieren, weil es sonst in wenigen Jahren vielleicht heißt: Terror gegen Muslime, so der Artikel. Es sollte dabei nicht unter den Tisch fallen, dass Antisemitismus sehr oft von muslimischer Seite ausgeht.
09.07.20
11:05
IslamFrei sagt:
An Johannes Disch Gute Idee, das mit dem staatliche Engagieren gegen Hass und Hetze, die gericht ist gegen Menschen wie Sie und ich, wir Ungläubigen. ' Der Staat ' könnte beim Koran beginnen, dann bräuchten die Hass- und Hetze- Hasser nicht selber Hand anzulegen, um Koräne zu zerreissen und Seitenweise Hass -Verse zu entsorgen. Dies hielten Hetze-Hasser vor einiger zeit in Bremen für erforderlich. Gruss, IslamFrei, Disbeliever.
21.07.20
15:22
Ute Fabel sagt:
Die amtierende österreichische Justizministerin Alma Zadic ist in 1990er-Jahren als Kind mit ihren Eltern vor dem Jugoslawienkriegs nach Österreich geflohen. Sie ist konfessionslos. Als sie vor einem halben Jahr als Regierungsmitglied angelobt wurde, wurde sie massiv angefeindet und bedroht. Es musste ihr sogar Polizeischutz gewährt werden. Rassistischen Terror gibt es auch gegenüber nicht Religiösen.
23.07.20
8:16
Ethiker sagt:
"Es sollte dabei nicht unter den Tisch fallen, dass Antisemitismus sehr oft von muslimischer Seite ausgeht." Diese dreiste Lüge höhrt man überall. Die Lüge ist ideologisch gefärbt. Dabei ist jedem bekannt, dass der Antisemitismus vorerst und ideologisch verbrieft von deutsch kulturell geprägten Antisemiten kommt. Im Sinne der Konkurrenz der Juden um die Macht in verschiedenen Berreichen der Gesellschaft. Dieser Antisemitismus ist tief kulturell verankert. Bei Muslimen ist die Ablehnung Israels die Abneigung des Staats Israels und seines Kolonialismus, das ist in fast allen Fällen der Grund für die harsche Kritik an Israel. Sie ist also politisch verankert (Antikolonialismus, Unrecht an der Bevölkerung in Bilad asch-Scham, etc). Wenn Antisemitismus von ungebildeten Muslimen stattfindet, dann greift er meist nur den kulturell verankerten und vorhanden Antisemitismus der hiesigen Bevölkerung auf. Diese Bevölkerung mit ihren Diskursen versucht so zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. 1) Vebreitung des Bildes, dass Antisemitismus vorerst von Muslimen kommt 2) Islam ist das Urproblem, um von eigenen Problem abzulenken. Diese Ablenkungsmanöver sind längst bekannt. Jeder weiß wie tief in Deutschland noch der kulturelle Hass gegenüber Juden sitzt. Das reicht von Häme bis Verachtung.
24.07.20
10:29
grege sagt:
@ Herr Disch, dass Antisemitismus in der islamischen Welt weit verbreitet ist, hat Koopmans hat anhand statistischer Daten exkakt nachgewiesen und ihre These somit bestätigt. In der Praxis ist es in Frankreich und Belgien zu grauenhaften Verbrechen gekommen, als islamische Terroristen z.B. Juden gezielt ermordert haben. Besonders in Erinnerung ist mir die Entführung eines jüdischen Jungen in Frankreich, den die Kidnapper verhungern ließen. In einem anderen Fall haben islamische Terroristen eine ältere Holocoust Überlebende vom Balkon eines mehrgeschossigen Hochhauses in den Tod gestürzt. Selbst Mazyek musste einmal widerwillich zugeben, das Juden ihren Glauben in einem muslimisch geprägten Viertel ihre relgiöse Identität besser nicht zeigen glauben. Diese Verbrechen mit angeblichem Ressentimes zu legitimieren, ist geradezu oberbillig. Hier wird obersehen, dass führende, akademisch ausgebildete Führungspersönlichketen der Muslimbrüder und der IGMG einen aggressiven Antisemitismus propagiert haben. Der negierende Umgang von Islamproagonisten mit Antisemitismus legt wieder einmal schonungslos die Missstände in den muslimsichen Communities. Natürlich soll nicht verheimlicht werden, dass Rechtspopulismus gepaart mit Antisemitismus in Deutschland sich leider zu einem Problem entwickeln, wie besonders der Vorfall von Halle beweist. Allerdings machen sich gerade Islamprotagonisten mit ihrer Kritik am hiesigen Antisemitsmus lächerlich, in dem sie im Glashaus mit Steinen schmeißen.
30.07.20
22:15