Interview

„Rassismus macht die Gesellschaft kaputt“

Rassismus ist auch ein Dauerthema in Deutschland. Warum Politik und Gesellschaft immer noch keine Lösung für dieses Problem gefunden haben, erklärt SPD-Bundestagsabgeordneter Helge Lindh im IslamiQ-Interview.

14
06
2020
Helge Lindh - Rassismus
Bundestagsabgeordneter Helge Lindh spricht über Rassismus (SPD) © Christoph Busse, bearbeitet by iQ

IslamiQ: Herr Lindh, Sie sind aktuell für Ihren Einsatz gegen antimuslimischen Rassismus häufiger im öffentlichen Diskurs. Weshalb ist Ihnen dieses Thema so wichtig?

Helge Lindh: Respekt gegenüber Menschen ist sehr wichtig. Deshalb können Rassismus und der antimuslimische Rassismus niemandem egal sein. Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, kann man den Rassismus überall sehen. Daher bewegt mich dieses Thema schon seit vielen Jahren. Meiner Meinung nach muss Rassismus aufmerksam beobachtet und offen debattiert werden. Es ist aber auch kein Thema, das nur mit Migration und Integration zu tun hat, denn es gibt z.B. auch viele Deutsche muslimischen Glaubens. Genau diese Verbindung mit der Integrationsdebatte ist schon stigmatisierend.

IslamiQ: Werden Sie aufgrund Ihrer Unterstützung angefeindet?

Lindh: Ja, in den letzten Jahren ist das leider zur Gewohnheit geworden, da ich die Themen ja offensiv anspreche, auch im Bundestag. Dabei versuche ich, die Perspektive derjenigen, die Rassismus erfahren, deutlich zu machen. Aus diesem Grund bin ich heftigsten Beschimpfungen ausgesetzt und erhalte Beleidigungen, Einschüchterungsversuche, Morddrohungen.

IslamiQ: Was macht das mit Ihnen?

Lindh: Ich bin da relativ abgehärtet und werte das als Motivation und Bestätigung, an meiner Haltung nichts zu ändern. Es wäre jedoch gelogen, wenn ich sagen würde, es lässt mich, meine Eltern oder Mitarbeiter*innen unberührt. Ich glaube aber, wenn die vielen Vernünftigen in diesem Land nicht schweigen, sondern auch laut werden, können wir die Stimmen der Hasser überstimmen. Das ist mein Anliegen, ich werde da in keiner Weise nachgeben.

IslamiQ: Nach den Anschlägen in Solingen und Mölln hieß es: „Nie wieder!“. Doch danach folgten die NSU-Morde. Wie bewerten Sie die Aufarbeitung dieser Anschläge aus politischer Sicht?

Lindh: Leider ist es uns als Politikern nicht gelungen, auf der Ebene der sicherheitspolitischen Aufarbeitung hinreichend zu reagieren. Die Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden und des Verfassungsschutzes wurden nicht annähernd genug ausgeschöpft. Auch die gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung ist nicht erfolgt. Das Vorgehen der Polizei und Jurisprudenz wird nichts nützen, wenn wir den Rassismus und die Diskriminierung im Alltag nicht bekämpfen. Es braucht ein Gesamtkunstwerk des Einsatzes gegen Rassismus. Das hat also auch mit jedem selbst zu tun.

IslamiQ: Warum wurde bis heute so wenig gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit in der Politik getan? Waren die Anschläge nicht Grund genug?

Lindh: ‚Die Politik‘ gibt es nicht. Wir alle sind Teil der Politik. Daher ist es wichtig, dass so viele wie möglich sich auch artikulieren. Umgekehrt müssen wir Abgeordneten begreifen, dass wir nicht einfach so vor uns hinarbeiten, sondern dass wir allen anderen Rechenschaft schuldig sind. Politik ist weit mehr als nur Parlamente.

Ich glaube, dass Rassismus und antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus zur Realität dieses Landes gehören. Wir würden uns doch selbst betrügen, wenn wir sagen würden, dass unsere Gesellschaft rassismusfrei ist. Es gibt viele Menschen, die manifest rassistisch denken. Und es gibt immer wieder Menschen, die latent rassistisch sind. Diese Denkmuster sind weit verbreitet. Es ist nicht nur eine kleine Zahl von Neonazis. Rassismus reicht weit hinein in die Mitte der Gesellschaft. Daher ist es auch kein Wunder, dass Rassismus politisch nicht hinreichend bearbeitet wird und noch kein Masterplan gegen Rechtsextremismus in der Praxis realisiert wurde.

IslamiQ: Gilt das auch für den NSU-Fall?

Lindh: Der NSU wurde nur bedingt aufgearbeitet – zum Teil skandalöser Weise gar nicht. Die Anträge im Bundestag gegen Rassismus und Alltagsrassismus waren nicht entschieden genug und sind allzu häufig nur Anträge geblieben. Wenn wir nun einmal Rassismus haben, der die Gesamtgesellschaft betrifft, auch die Politik selbst, dann ist man nicht konsequent genug gegen diesen Umstand angegangen. Die schrecklichen Ereignisse der letzten Jahre haben eine größere Sensibilität geschaffen, aber leider erst sehr spät. Wir hätten Vieles längst begreifen müssen, nach Mölln, Solingen und dem NSU. Das ist nicht geschehen. Sogar schlimmste Taten haben nicht gereicht, um die Gesellschaft aufzuwecken.

IslamiQ: Hanau ist ein Beispiel dafür. Wie haben sie den Anschlag dort erlebt?  

Lindh: Mich hat es sofort an Christchurch erinnert. Nach dem Anschlag in Neuseeland hatten viele den Eindruck, dass es hier bei uns nicht passieren könne. Aber leider hat Hanau gezeigt, dass es passieren kann. Die rassistischen Ereignisse in den letzten Jahren haben Spuren hinterlassen. Und Hanau war das Ergebnis. Leider, muss ich sagen, und das ist ganz bitter, hat mich der Anschlag in Hanau nicht wirklich überrascht. Man hat leider schon damit gerechnet. Ich war geschockt, aber andererseits habe ich es auch erwartet, befürchtet.

IslamiQ: Hat nach dem Anschlag in Hanau ein Umdenken stattgefunden?

Lindh: Ja und nein. Ich habe nach dem Anschlag gesagt, dass wir mit aller Staatsgewalt gegen so eine Tat und deren Umfeld vorgehen müssen. Wir müssen Täter und Netzwerke ermitteln. Aber sowas braucht eine gesamtgesellschaftliche Maßnahme. Wir können nicht so wie bisher weitermachen. Ich glaube schon, dass Hanau ein Weckruf war, denn immerhin gibt es nun einen Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Das ist ein Novum. Viele haben das Problem erkannt, aber es hat leider sehr lange gedauert.

Umso wichtiger ist es, dass wir offensiv gegen Rassismus vorgehen. Wir müssen Foren für Menschen schaffen, die diesem Hass ausgesetzt sind. Aber diese Leistung müssen Menschen erbringen, die nicht Opfer von Rassismus sind. Wer Opfer von Rassismus ist, hat nicht primär die Aufgabe, sich auch noch um die Bekämpfung von Rassismus zu kümmern.

Wir haben Rassismus zu oft und zu abstrakt diskutiert. Man hat nicht begriffen, wie ernst die Lage ist und wie groß das Problem ist. Man hat nicht begriffen, dass Rassismus eine Gesellschaft kaputt macht. Die Stimmen der betroffenen Menschen müssen sehr eindringlich Raum finden. Das ist bis jetzt nicht geschehen.

IslamiQ: Die Themen Rassismus und Islamfeindlichkeit werden uns wohl noch lange beschäftigen. Wie kann dieses strukturelle Problem gelöst werden? Ist eine Lösung überhaupt möglich?

Lindh: Rassismus muss klar beim Namen genannt und ungeschminkt beschrieben werden. Auch die Opfer müssen benannt werden. Dafür müssen sich an erster Stelle u.a. die Gesetzgebung und die Strafverfolgung ändern. Gefährdete Einrichtungen müssen geschützt werden und die rechte Szene besser beobachtet werden, um bestmöglich gegen sie handeln zu können.

Zudem müssen wir es schaffen, dass die Menschen ins Gespräch kommen. Es reicht nicht, wenn wir zweimal im Jahr einen interreligiösen Dialog führen. Vor allem müssen Opfer und Betroffene zu Wort kommen. Es ist ganz schwierig, auch nur latent vorurteilsbehaftete Menschen mit Opfern in Gespräch kommen zu lassen, aber gerade das ist notwendig.

Wir dürfen nach einem Anschlag nicht wegschauen und zur Routine zurückkehren, wir müssen unmittelbar danach anfangen, etwas zu ändern. Anschließend, nicht abschließend, denn die Aufgabe erledigt sich nicht, müssen Sanktionen gegen Hass und Hetze im Netz eingeführt werden, da wir derzeit dort eine Ungehemmtheit der Erniedrigung, Entwürdigung und des Hasses erleben.

Das Interview basiert auf der #IslamiQdiskutiert-Veranstaltung „Rassismus – von Hanau bis Solingen“ am 5.6.2020.  

 

Leserkommentare

Kritika sagt:
- - die förderungswürdige Alternative sein. Grusss, Kritika
18.06.20
1:26
Dilaver Çelik sagt:
Off Topic: Der deutsche Bundestag hat vor kurzem ein Gesetz verabschiedet, wonach Hetze im Internet härter bestraft wird. Die beiden Vorkommentatoren müssen in Zukunft demnach mit rechtlichen Konsequenzen rechnen, wenn sie hier weiterhin gegen den Islam und gegen Muslime hetzen. Freiheit hat schließlich seine Grenzen und Beklopptheit entschuldigt nicht die Überschreitung von Grenzen.
19.06.20
16:55
grege sagt:
Wie heißt es doch so schön: "Wer im Glashaus sollte nicht mit Steinen werfen". Die hetzerischen Parolen gegen Homosexualität offenbaren die rassistische Gesinnung von Dilaver. Vielleicht sollte dieser erstmal hinter schwedische Gardinen landen, wenn er immer noch zu feige ist vor einem Daueraufenthalt in Zentralanatolien
21.06.20
22:47
Dilaver Çelik sagt:
Grege, hören Sie mit Ihren Verleumdungen auf. Andernfalls werde ich ernsthaft dafür sorgen, dass das für Sie ein juristisches Nachspiel hat.
24.06.20
13:13
WhiteMuslim sagt:
Hiermit bitte ich die Betreiber dieser Seite ausdrücklich den Beitrag von "Kritika" zu löschen und rechtliche Schritte einzuleiten. Es ist nicht hinnehmbar, dass jemand die "weiße Rasse" als überlegen darstellt. Dies ist keine Meinungsfreiheit, sondern Hetzte gegen Muslime und gegen alle nicht-weißen Menschen.
27.06.20
0:41
grege sagt:
Wer Homosexuelle per se als krank bezeichnet, betreibt auch eine Art von Rassismus. Da sollten Sie mal lieber darauf achten juristische Nachwirkungen zu vermeiden.
27.06.20
6:13
Dilaver Çelik sagt:
"Wer Homosexuelle per se als krank bezeichnet, betreibt auch eine Art von Rassismus." Falsch. Es ist eine wissenschaftliche Erkenntnis ohne Wertung. Das gilt genauso auch für Pädophilie sowie andere sexuelle Fehlorientierungen. Nicht mehr und nicht weniger. Daraus Rassismus gegen sexuell Fehlorientierte oder gar einen Aufruf zu Hass, Gewalt und Diskriminierung abzuleiten, zeugt von Unkenntnis, wenn nicht gar von Dummheit. Wer hier aber wissentlich mit der Rassismus-Keule schwingt, verkennt nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse in der unabhängigen Sexualforschung, sondern hetzt zugleich gegen Christen, Juden und Muslime, deren Religionen das Ausleben solcher Neigungen verbieten und welche insgesamt zwei Drittel der Bevölkerung Deutschlands ausmachen. Die Rassismus-Keule oder gar Einschüchterungsversuche gegen Heterosexuelle bringen hier überhaupt nichts, außer dass man damit schlimmstenfalls einen Bürgerkrieg heraufbeschwört, den keine Seite gewinnen kann. Und das will hier niemand. Damit ist das Thema abgehakt. @grege Es ist nicht das erste Mal, dass Sie mich verleumden. In der Vergangenheit haben Sie mich mit Antisemitismus, Deutschfeindlichkeit und indirekt sogar mit Kurdenfeindlichkeit verleumdet. Deswegen sage ich es Ihnen noch einmal in aller Deutlichkeit: Entweder Ihre Verleumdungen hören jetzt auf, oder Sie machen Bekanntschaft mit der Staatsanwaltschaft. Es reicht nämlich.
27.06.20
17:30
grege sagt:
In meinem Berufs- und Privatleben bin ich von diversen homosexuell orientierten Personen umgeben, alles normal integrierte, normal denkende und normal leistungsfähige Mitmenschen, die natürlich auch mal wie ein heterosexueller Muslim an einer Grippe, einen Schnupfen oder Husten erkranken können. Ebenso stehen diese Menschen der Pädophalie genauso distanziert gegenüber wie Heterosexuelle. Des Weiteren wüsste ich nicht, warum Homosexualität eine Belastung für die Menschheit bedeuten sollte. Vielmehr ist Homosexualität auch in der Tierwelt verbreitet und ist daher ein normaler Bestandteil irdischer Vielfalt, das unser Schöpfer kreiert hat. Die Abneigung gegenüber Homosexualität manifestiert sich somit auch in einer Abneigung gegenüber Allah oder Gott. Wer wie Dilaver oder der türkische Obergeistliche von Diayanet mit Erdowahns Segen eine bestimmte Menschengruppe wie Homosexuelle pauschal als „krank“ stigmatisiert, betätigt sich mit dieser Art von Hetzte als geistiger Brandstifter. Dass solchen Worten leider auch Taten folgen, dokumentieren überproportional hohe Raten von Diskriminierungen, Misshandlungen und Morde an Homosexuellen in muslimisch geprägten Ländern sowie in muslimisch geprägten Quartieren europäischer Großstädte. Ruud Koopmans hat auf Basis einer hervorragenden Datenanalyse dieses Phänomen exakt identifiziert. Bei Interesse leite ich diesen Literaturtipp gerne an Dilaver weiter. Auf diese pauschalisierenden und stigmatisierenden Aussagen eines Dilavers auch im Zusammenhang mit anderen Diskussionsthemen weise ich gerne hin. Dass Dilaver oder Erdowahn dieses Verhalten als verleumnderisch empfinden, ist einmal mehr Ausdruck von Intoleranz und einer extremistischen Gesinnung. Wenn Dilaver diese Schlussfolgerung einem Staatsanwalt als Verleumdung anzeigt, kommt dieser vor lauter Lachen nicht in den Schlaf oder legt bei Dialver selber die Handschellen an. Ebenso verstrickt sich Dilaver wieder in Pauschalisierungen, wenn er die Haltung des Christentums zur Homosexualität wiedergibt. Auch gilt der alte Grundsatz, dass das Christentum ebenso wie der Islam kein monolithischer Block darstellt. Im Gegensatz zur katholischen Kirche, die sich mit der Akzpetanz (nicht Toleranz) von Homosexualität schwertut, werden in den evangelischen Kirchen homosexuelle Paare getraut. Am besten ist Dilaver geholfen, dass er selber mal den Kontakt zu Schwulenvereinigungen sucht und sich diesbezüglich sexuell aufklären lässt.
29.06.20
20:18
Johannes Disch sagt:
@Dilaver Dass Homosexualität eine Krankheit wäre ist keine wissenschaftliche Erkenntnis, sondern Rassismus. Da hat "grege" absolut recht! Das zeigt: Der Islam ist nicht geeignet, Rassismus zu bekämpfen, da er selbst rassistische Positionen vertritt. Siehe das unselige Statement des Vorsitzenden der "Diyanet".
29.06.20
22:37
Dilaver Çelik sagt:
"Der Islam ist nicht geeignet, Rassismus zu bekämpfen, da er selbst rassistische Positionen vertritt." Auch falsch. Wenn dem so wäre, dann würden das Judentum sowie das Christentum auch rassistische Positionen vertreten, weil sie auch Homosexualität verbieten. Und wohin führt diese Logik? Neben Islamfeindlichkeit zu Antisemitismus und Christenfeindlichkeit! Aber so kennt man es halt von religionsfeindlichen Gestalten, die von Natur aus ständig darauf aus sind, Fitna in der Gesellschaft zu stiften. Was ausrichten können sie sowieso nichts, ohne dass es für sie Konsequenzen hätte. Denn Religionsfeindlichkeit zahlt sich niemals aus und wird hart bestraft. Im übrigen bringt es nichts, wenn Atheisten und Agnostiker ständig versuchen, für Homosexualität eine Lanze zu brechen und diesbezüglich Religionsgemeinschaften einzuschüchtern versuchen, weil sie sich selbst damit nur einen Strick drehen würden. Die Position der drei abrahamitischen Religionen bei diesem Thema ist eindeutig und steht nicht zur Diskussion. Auch wenn das gewissen Kreisen nicht passt - aber damit kann ich leben.
30.06.20
15:40
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