Michael Wolffsohn

Historiker: Christlich-jüdisches Abendland ist Unsinn

Der Historiker Michael Wolffsohn hält den Ausdruck „Christlich-Jüdisches Abendland“ für Unsinn. Die monotheistischen Religionen hätten ihren Ursprung alle im Morgenland.

29
06
2018
Das "christlich-jüdische Abendland" - ein Mythos? © shutterstock

Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn hält die Rede vom christlich-jüdischen Abendland für „völlig falsch“. Dem Deutschlandfunk sagte Wolffsohn am Donnerstag: „Christentum und Judentum kommen nicht aus dem Abendland – Punkt.“ Den Ausdruck nannte er eine „Wiedergutmachungsformel“, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ideologischen Gründen eingeführt worden sei, mit den tatsächlichen historischen Gegebenheiten aber nichts zu tun habe.

Die Geschichte des Abendlandes habe lange vor dem Christentum eingesetzt, betonte der Historiker. Für Europa seien bis in die Gegenwart das alte Griechenland und das alte Rom prägend gewesen – die ihrerseits ganz andere religiöse Überzeugungen pflegten. Die monotheistischen Vorstellungen des Juden- und Christentums hätten sich dagegen wie der Islam im Orient entwickelt, so Wolffsohn. Daher sei „das, was am Abendland christlich-jüdisch ist, zunächst einmal morgenländisch“.

Zum Kreuzerlass in Bayern erklärte der Historiker: „Ich habe gar nichts dagegen.“ Das Kreuz als „Krücke“ oder „Brücke“ könne zu einer Debatte über die menschliche Existenz und die Erfahrung von Leid führen – unabhängig von Glaube oder Nicht-Glaube. Wer sich als Muslim oder Jude vom Kreuz provoziert fühle, der müsse erklären, warum das so sei und welche Rolle die religiösen Überzeugungen im eigenen Leben spielten.

Dann entstünde eine offene Diskussion, „wobei sich jede Seite selbst infrage stellt“, sagte Wolfssohn. Toleranz sei eine „zweiseitige Angelegenheit“. Angehörige egal welcher Minderheit sollten Toleranz von der Mehrheitsgesellschaft erwarten können, diese aber auch im Umgang mit der Mehrheitsgesellschaft üben. (KNA/iQ)

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Das, was der Historiker sagt, sagen muslimische Vertreter schon seit Jahren.
29.06.18
19:02
Johannes Disch sagt:
@Dilaver (29.06.18, 19:02) Völlig richtig. Aber erklären sie das mal "Pegida" und der AfD.
01.07.18
13:50
Ute Fabel sagt:
Ich teile die Bewertung des renommierten Würzburger Staatsrechtsprofessor Horst Dreier voll und ganz, was den bayrischen Kruzifix-Erlass betrifft. Professor Dreier äußerte sich dazu folgendermaßen: "Die christlichen Kirchen haben sich mit zentralen verfassungsrechtlichen Ideen von Demokratie und Menschenrechten nach dem Zweiten Weltkrieg angefreundet, aber nicht in den 1900 Jahren davor. Alles andere ist Geschichtsklitterung. Das Zweite ist: Wenn ich Bezug nehmen will auf die freiheitlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Gehalte des Grundgesetzes, dann könnte ich dessen zentrale Sätze überall in die Eingangsbereiche staatlicher Behörden hängen. Dagegen hätte ja keiner was. Artikel 1 und 20 würden sich förmlich aufdrängen. Das sind die Werte, auf denen unsere Verfassungsordnung beruht. Aber das Christentum mit einem Monopolanspruch auf die Genese freiheitlicher, demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse zu versehen – das ist schon ein starkes Stück."
02.07.18
13:29
Andreas B sagt:
Na ja, das mag so stimmen. Aber die Leute, die vom christlich-jüdischen Abendland träumen, meinen ja nicht den Ursprung der betreffenden Religionen, sondern dass sie prägend waren für das sogenannte Abendland. Insofern wäre ein Versuch, das denen zu erklären ein Aneinandervorbeireden, das zu nichts führt.
02.07.18
18:54
Charley sagt:
..... als ob man das Phänomen der europäischen Kultur an so einer banalen äußerlichen Herleitung erklären kann. Das, was in der griechischen Denkkultur entstanden ist, ist einzigartig. Man könnte genauso anders herum die islamische Kultur "wegerklären" in der Adaption fremder Kulturleistungen, wozu u.a. das Aufgreifen der griechischen Kultur (Aristoteles) gehört, der - rückübersetzt - Thomas v Aquin diente, um das Abendland vom Islam abzugrenzen. Es ist also keineswegs so simpel, wie in dem Artikel gesagt. Kulturen entstehen aus anderen, auch in Verarbeitungen und Abgrenzung von anderen mit der Qualität einer Individualität (ähnlich wie ein Kind sich nicht als Ergebnis der Abstammung von den Eltern "auflösen" lässt). Also auf das Wesen, die Individualität schauen. ..... aber den Begriff hat der Islam ja so nicht.
03.07.18
5:59
Johannes Disch sagt:
Michael Wolffsohn hat natürlich recht damit, dass alle 3 großen monotheistischen Weltreligionen im Morgenland entstanden sind. Dennoch gibt es spezifisches, das nur das Christentum und das Abendland bzw. der Westen für sich veranschlagen können. Das Wichtigste ist die Trennung von geistlicher und weltlicher Macht, von religiöser und politischer Sphäre. Angelegt ist es in dem Jesus-Wort: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist." Diese konsequente Trennung hat die islamische Welt bis heute leider noch nicht wirklich vollzogen.
03.07.18
10:02
Johannes Disch sagt:
Die Herkunft ist weniger entscheidend. Entscheidend ist die Bedeutung, die vor allem das Christentum für das Abendland bzw. den Westen hat. Im Christentum legt der Ansatz der Gewaltenteilung, der Trennung von weltlicher und geistlicher Macht. "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist." In diesem bekannten Jesus-Wort liegt der Ursprung der Gewaltenteilung, die es so nur im Abendland und im Westen gibt. Der Islam hat diese Trennung (noch) nicht vollzogen bzw. nicht mit der Konsequenz wie der Westen. Es gibt Ansätze dazu. Aber mehr leider bisher noch nicht. Diese Trennung ist für das Abendland bzw. den Westen elementar und muss von Muslimen, die bei uns leben ohne Wenn und Aber akzeptiert werden. Es ist allen Versuchen zu widerstehen, durch Rabulistik die Scharia oder Teile davon hier einzuführen im Namen einer falsch verstandenen Religionsfreiheit. Ich meine damit Leute wie Aiman Mazyek und die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, die beide mit dem denkwürdigen Statement glänzten, Scharia und Demokratie wären vereinbar. Nö, sind sie nicht.
04.07.18
16:47
Ute Fabel sagt:
Demokratie, Meinungsfreiheit, Gleichstellung von Mann und Frau und eine allgemeine staatliche Kranken- und Pensionsversicherung - diese Grundpfeiler europäischer Staaten wurden nicht von Christentum, Judentum und Islam erkämpft, sondern den Gegnern und Kritikern der monotheistischen Religionen, ihren Dogmen und ihrem alleinigen Wahrheitsanspruch. Die christlichen Kirchen haben sich mit zentralen verfassungsrechtlichen Ideen von Demokratie und Menschenrechten nach dem Zweiten Weltkrieg angefreundet, aber nicht in den 1900 Jahren davor. Alles andere ist Geschichtsfälschung. Wenn Bezug auf die freiheitlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Gehalte des Grundgesetzes genommen werden soll, dann könnte man dessen zentrale Sätze überall in die Eingangsbereiche staatlicher Behörden hängen. Artikel 1 ("Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt") und Artikel 20 ("Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.") würden sich förmlich aufdrängen. Das sind die Werte, auf denen unsere Verfassungsordnung beruht, nicht der ganz überwiegend autoritäre und rückständige Inhalt von Bibel, Thora oder Koran.
05.07.18
13:34
Johannes Disch sagt:
Unsere Ethik fußt auf den Religionen. Und die westliche Ethik fußt auf dem Judentum und vor allem auf dem Christentum. Alle unsere politischen Begriffe sind säkularisierte theologische Begriffe. Es geht nicht darum, dass sich die Kirchen in der Realgeschichte lange gegen die Werte der Aufklärung wehrten. Es geht darum, wo diese Ideen ihren Ursprung haben. Und das ist nun mal die Religion. Das ist ein historisches Faktum.
06.07.18
12:10
Johannes Disch sagt:
Es ist völlig egal, was man von den religiösen Schriften halten mag. Religionsfreiheit ist ein Grundrecht. Die religiösen Schriften Schriften müssen nicht mit der Verfassung vereinbar sein. Das verlangt das Grundgesetz nicht. Ausschließlich die Praxis der Gläubigen muss verfassungskonform sein.
09.07.18
9:15
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