Krieg in Syrien

„Wir müssen das Leben nach Aleppo zurückbringen“

Aleppo ist die zweitgrößte Stadt Syriens. Es ist eine der ältesten Städte der Welt und war eines der größten Handelszentren des Nahen Ostens. Jetzt ist die Stadt fast komplett zerstört. Der syrische Archäologe Prof. Mamoun Fansa legt im Interview das Ausmaß der Zerstörung dar und glaubt an einen Wiederaufbau.

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2017
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Aleppo City © C.C 2.0/flickr/ Ed Brambley

IslamiQ: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie die Nachrichten über den Evakuierungsprozess in Aleppo lesen?

Prof. Mamoun Fansa: Ich habe fast 50 Jahre für Kulturarbeit, Kulturerhalt und Kulturvermittlung gearbeitet. Was in Syrien und besonders in Aleppo passiert, macht mich fassungslos und deprimiert mich. Gegen die Zerstörung von Kulturgut durch Naturkatastrophen können wir leider nichts tun, aber wenn die Menschen ihre eigene Kultur zerstören, dann stimmte etwas mit der Weltgemeinschaft, die dies zulässt, nicht. Die Evakuierung der Aleppiner aus Ost-Aleppo ist nicht ein Akt der Menschlichkeit, sondern folgt einem Plan zur Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung in Aleppo.

IslamiQ: Bilder von der Vor- und Nachkriegszeit Syriens weisen auf eine enorme Zerstörung der Stadt hin. Wie ist das Ausmaß der Vernichtung?

Fansa: Die neuen Informationen der letzten Monate aus Aleppo zeigen, dass die Zerstörung der Altstadt und der Gebiete, die sich unter Kontrolle der Rebellen befinden, enorm und unvorstellbar verwüstet sind. Die gesamte Innenstadt ist fast zu 80% zerstört. 2,5 Millionen Menschen lebten vor dem Krieg in Aleppo. 60% davon sind durch den Krieg direkt schwer betroffen. Die Schäden an ihren Häusern sind enorm: 1,2 Millionen Einwohner sind gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen und leben im anderen Teil Aleppos oder sind auf der Flucht in Syrien selbst, in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien.

Die Schäden an den Bauten in der Altstadt sind verheerend. 80% der Bewohner der Altstadt leben nicht mehr dort. Die gesamte Infrastruktur ist zusammengebrochen. Auch das gesamte Sozialleben der Menschen in der Stadt und in der Altstadt ist durch die Spaltung der Gesellschaft zerstört. Ein erneutes Zusammenleben der verschiedenen Schichten und Gruppen ist beinahe nicht mehr möglich. Es gibt Berichte über die Zerstörung des Katasteramtes durch Brand und Bombardierung. Angeblich sind Grundstücke in der Altstadt an Investoren veräußert worden.

IslamiQ: Kann man die Städte nach dem ursprünglichen Stadtgrundriss wieder aufbauen oder wird man dies gar nicht berücksichtigen können?

Fansa: Wie der Wiederaufbau in der Altstadt von Aleppo geplant und durchgeführt wird, hängt vom Ausmaß der Zerstörung ab. Hauptziel unseres Vereins „Freund der Altstadt von Aleppo“ ist der Erhalt der Grundstrukturen des historischen Stadtplans aus der vorchristlichen Zeit. Die Altstadt von Aleppo soll wieder ein lebendiges Gemeinwesen werden. Die Vielfalt und die traditionelle Nutzungsmischung soll genauso ihren Platz finden, wie das sukzessiv wieder hergestellte historische und kulturelle Erbe.

Ziel ist es daher, die Entwicklung einer Wiederaufbaustrategie mit einer Bedarfsanalyse für die Nachkriegssituation. Hierbei wird uns das wertvolle, bereits existierende Aleppo-Archiv mit den wichtigen, während des GIZ- Projektes zwischen 1994 – 2011 zusammengetragenen Daten, das der Rehabilitierung der Altstadt von Aleppo gewidmet war, als Grundlage für die Kartierung von Eigentumsverhältnissen und des Ausmaßes von Kriegsschäden dienen. Wir dürfen nicht nur den Aufbau der Altstadt vor Augen haben, sondern müssen die Gelegenheit nutzen, die Archäologie mit moderner Prospektion und Ausgrabungsmethoden einzusetzen, um die Siedlungsentwicklung der letzten 5000 Jahren zu dokumentieren.

Der Wiederaufbau der Altstadt soll nach Beendigung des Krieges im Dialog mit der Neustadt koordiniert und abgestimmt werden. Auch die Bedürfnisse der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen sind mitzubedenken, insbesondere die der Rückkehrer. Hier müssen jetzt strategische Maßnahmen vorbereitet werden, die unmittelbar nach Konfliktende durchgeführt werden, um nicht – wie oftmals in vergleichbaren Nachkriegssituationen – von den Ereignissen überrollt zu werden. Aus diesem Grund sollen auch erfahrene internationale Experten der Postkonfliktplanung einbezogen werden und Best Practice-Beispiele auf ihre Übertragbarkeit auf die Situation in Aleppo hin untersucht werden (z. B. Nicosia, Mostar, Beirut, Kabul).

Prof. Mamoun Fansa

IslamiQ: Können Städte wie Damaskus und Aleppo, die ja Handelszentrum waren, ihre Bedeutung nach dem Krieg wiedererlangen?

Fansa: Der Kern der Altstadt von Damaskus ist nicht zerstört, wohl aber Teile der Außenbezirke, aber diese Zerstörung ist nicht mit der durch die Bombardierung verursachte Zerstörung von Aleppos und der Altstadt vergleichbar. Aleppo ist die zweitgrößte Stadt Syriens und eine der ältesten dauerhaft besiedelten Städte der Welt und war eines der größten Handelszentren des Nahen Ostens. 1986 wurde die Altstadt von Aleppo von der UNESCO in den Status eines Weltkulturerbes erhoben. 2006 war Aleppo Kulturhauptstadt der Islamischen Welt. Vor dem Krieg lebten in dem 360 Hektar großen Altstadtgebiet von Aleppo 110.000 Menschen, es gab 30.000 Arbeitsplätze und 16.000 Wohneinheiten.

Große Teile der Wohnquartiere in der Altstadt und die Zitadelle sowie die Umayyaden-Moschee sind kurz vor dem Krieg mit großem Aufwand restauriert worden (allein Deutschland hat in Aleppo im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit über 30 Millionen Euro investiert, die Agha-Kahn Stiftung gab für die Sanierung der Zitadelle und ihr Umfeld über 6 Million Dollar aus).

Aleppo war niemals nur ein Ausstellungsgegenstand oder nur eine Touristenattraktion wie Palmyra. Das Besondere an der Altstadt von Aleppo war ihre kulturelle Identifikationskraft und ihre Lebendigkeit. Hier wurde gewohnt, gearbeitet, und gehandelt. Es kann daher nicht nur allein das Ziel sein, historische Gebäude originalgetreu wiederaufzubauen, sondern vor allem das Leben in die Stadt zurückzubringen.

IslamiQ: Seit Jahren setzen Sie sich auch für die Völkerverständigung ein. Wie interpretieren Sie den Syrienkrieg? Ist eine Versöhnung möglich?

Fansa: Seit über 40 Jahren widme ich meine Arbeit dem Dialog der Kulturen als einen Beitrag für den Frieden und der Völkerverständigung. Samuel Phillips Huntington hat in den 80-er Jahren vom „Kampf der Kulturen“ gesprochen. Mein Gegenrezept ist der „Dialog der Kulturen“. Der Mangel an Kenntnis über andere Kulturen führt zu Ablehnung und Verfeindung. Zurzeit erleben Europa und die arabisch-islamische Welt eine Kulturkrise, die durch das Flüchtlingsproblem verschärft zu werden scheint. AfD und PEGIDA sprechen von einer „Islamisierung des Abendlandes“. Auch die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht, gewinnt an Aktualität und bewegt zurzeit die Gemüter in Deutschland. Die meisten Gegner der These, dass der Islam zu Deutschland gehöre, argumentieren religionshistorisch. Das kulturelle Leben in Deutschland sei aus der christlich-jüdischen Tradition erwachsen.

Prof. Mamoun Fansa ist ein syrischer Prähistoriker und Museumsdirektor, der in Deutschland lebt und arbeitet. Aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung verließ er mit 21 Jahren Syrien. Fansa ist außerdem Herausgeber etlicher Bücher und Initiator des Stuttgarter Vereins „Freunde der Altstadt von Aleppo“, der sich als Reaktion auf die Zerstörung Aleppos gebildet hatte. Weitere Informationen über Prof. Mamoun Fansa können Sie aus seiner Homepage entnehmen.

Vielen Vertretern dieser These ist offenbar entgangen, dass der Islam bereits etwa seit dem 8. Jahrhundert mit unterschiedlicher Intensität das Leben des christlichen Abendlandes in Europa beeinflusst hat. Auf der iberischen Halbinsel (Al-Andalus) war er zudem über Jahrhunderte präsent.

Bei der historischen Betrachtung der Geschichte der Wissenschaft, Philosophie und Medizin, und der daraus hervorgegangenen Erkenntnisse, insbesondere aus dem Zeitalter der Renaissance, muss man feststellen, dass viele Leistungen und Erkenntnisse von den Europäern aus unterschiedlichen Zweigen der arabischen-islamischen Wissenschaften übernommen wurden. Durch die herrschende Toleranz in der Blütezeit der Länder arabisch-islamischer Kultur konnten sich auch jüdische und christliche Wissenschaftler entfalten und zur Geisteswelt erheblich beitragen. Die Entwicklung der Geistes- und Naturwissenschaften, der Philosophie und Kultur in Mitteleuropa wäre ohne den Einfluss der arabisch-islamischen Wissenschaft des Mittelalters nicht in dieser Form vorstellbar. Hätte es zurzeit der Hochblüte der arabisch-islamischen Kultur einen Nobelpreis gegeben, wären viele arabisch-islamische Wissenschaftler zu dieser Ehrung gekommen.

Die Betrachtung der Entwicklung der arabisch-islamischen Kultur und ihrer Verbindung nach Europa darf nicht nur auf die religiöse Ebene beschränkt bleiben, sondern die Gesamtheit dieser Kultur und ihr Einfluss auf die Menschheitsentwicklung, insbesondere auf Europa, in der Zeit vom 8.-16. Jahrhundert, ist beachtlich und muss Gegenstand der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion werden.

Wenn das „christliche Abendland“ Interesse an einem friedlichen Zusammenleben mit der arabischen-islamischen Kultur hat, sollte man die positiven Erfahrungen und die historische Verbindung mit diesem Kulturkreis hervorheben, um eine künftige Verständigung zu unterstützen. Der Krieg in Syrien und das Auslösen der Flüchligkriese in Mitteleuropa, besonders in Deutschland, macht den Dialog zwischen Europa und und Nahost notwendiger denn je.

IslamiQ: Die internationale Gemeinschaft wird häufig kritisiert, da sie tatenlos bei der Bombardierung der Zivilisten zugeschaut hat. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Fansa: Das Besondere am syrischen Krieg – ich sage bewusst nicht Bürgerkrieg – ist, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg zwischen den Großmächten USA und Russland und den regionalen Akteuren wie Iran und Saud-Arabien handelt. Die europäischen Länder sind nicht in der Lage, eigene politische Vorstellungen und ihre Verantwortung zu formulieren und durchzusetzen. Die sogenannte Armee wird von auswärtigen Kriegern, Söldnern wie z. B. der Hisbollah aus dem Libanon, Milizen aus dem Irak und Afghanistan oder iranischen und russischen Offizieren und Soldaten unterstützt. Russland versorgt das Regime mit Waffen und hilft mit seiner Position beim Sicherheitsrat der UNO. Der Westen, die Länder am Arabischen Golf und Saudi-Arabien sind für die negative Entwicklung in Syrien durch Waffenlieferungen an Extremisten und auch durch Wegsehen mitverantwortlich. Durch das Wegsehen ist ein Vakuum entstanden, was von den Russen und dem Iran gefüllt wurde.

Die Bürger Syriens tragen die Hauptlast und die Folgen. Was mit einem Volksaufstand begonnen hat, ist leider in einer unkontrollierten Katastrophe nicht nur für Syrien, sondern für den gesamten Nahost und für Europa geendet.

Die Nachrichten aus Syrien, besonders aus Aleppo, in den letzten Wochen sind erschütternd und machen uns fassungslos. Die Weltgemeinschaft und die Politiker haben scheinbar nicht aus der Geschichte gelernt – der Völkermord in Ruanda und die Massaker von Srebrenica sind uns anscheinend nicht in Erinnerung geblieben. Die nächste Schlacht der Opposition und den Rebellen mit dem Assad-Regime, den Russen und den Iranern ist vorprogrammiert und wir dürfen zusehen und bedauern.