Es steht fest: Staatsdiener dürfen in Berlin keine religiösen Symbole tragen. Vor kurzem klagte eine kopftuchtragende Muslima gegen den Beschluss. Auch die SPD in Berlin sprach sich für ein striktes Neutralitätsgesetz aus. Raed Saleh, der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, möchte jedoch mehr Vielfalt an Berliner Schulen. Ein Interview.
Das Bundesverfassungsgericht entschied dagegen März 2015, dass ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen nicht mit der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit vereinbar ist. Berlin hält aber an seiner strikten staatlichen Neutralität bei hoheitlichen Aufgaben fest. Also dürfen Lehrerinnen, Polizistinnen und Richterinnen bis auf wenige Ausnahmen kein Kopftuch tragen. Der rot-schwarze Senat beschloss im Oktober 2015, das Berliner Neutralitätsgesetz nicht zu ändern. Bundesweit kritisierten Muslime die Entscheidung.
IslamiQ: Die SPD Mitglieder haben sich in einer Befragung für das Kopftuch-Verbot ausgesprochen. Der Arbeitskreis muslimischer Sozialdemokraten übte Kritik an dieser Haltung. Sie selbst haben erklärt, dass Sie nichts gegen Lehrerinnen mit Kopftuch hätten. Wie gehen Sie mit solchen Differenzen innerhalb Ihrer Partei um?
Raed Saleh: In allen großen Volksparteien gibt es Punkte, über die diskutiert wird. Das sehe ich entspannt, weil es zur Demokratie dazu gehört. Man darf nicht sein Fähnchen in den Wind hängen, sondern muss auch in der Minderheit seine Meinung vertreten – und vielleicht wird ja eines Tages eine Mehrheit daraus.
IslamiQ: Kürzlich hat eine kopftuchtragende Frau Klage wegen dem Berliner Neutralitätsgesetz eingereicht. Hätten Sie es lieber, wenn die Frau den Prozess gewinnt?
Saleh: Das war nicht überraschend. Nun wird ein Gericht entscheiden, und die Legislative sollte generell keinen Einfluss auf die unabhängigen Gerichte nehmen. Wir hatten ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ein abstraktes Verbot religiöser persönlicher Symbole in Frage stellt. Innensenator Henkel war für die Rechtsprüfung zuständig, ob sich aus dem Urteil Folgen für Berlin ergeben. Er hat dies verneint. Ich hätte mir gewünscht, dass man – unabhängig von der juristischen Frage – zu einer anderen Schlussfolgerung für den Bereich der Schule gekommen wäre. Denn die Gesellschaft in Berlin ist schon viel weiter als noch vor fünf oder zehn Jahren. Ich persönlich kann mir mehr Vielfalt in der Schule vorstellen.
IslamiQ: Was empfehlen Sie Lehrerinnen, die aufgrund ihres Kopftuchs vom Schuldienst ausgeschlossen sind?
Saleh: Dazu kann man als Politik keine Empfehlung abgeben. Ich bleibe bei meiner Haltung, dass man in einer so vielfältigen und bunten Stadtgesellschaft wie Berlin klare Spielregeln braucht. Dazu gehört auch, dass man den Mut hat, an den richtigen Stellen Vielfalt zuzulassen.
IslamiQ: Denken Sie, dass das strikte Neutralitätsgebot für Staatsdiener der multikulturellen Realität auf den Straßen Berlins gerecht wird?
Saleh: Das Neutralitätsgesetz ist kein schlechtes Gesetz, weil es alle Religionen gleich behandelt. In der Frage der Schule, die immer ein Spiegel der Gesellschaft ist, bleibe ich bei meiner Haltung, dass man mehr religiöse Vielfalt zulassen kann. Das würde zum Beispiel auch Kippas oder Kreuze erlauben.
IslamiQ: In Anbetracht der offenbar überforderten Berliner Behörden bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen: Wie möchte der Senat die aktuellen und sicher noch bevorstehenden Herausforderungen meistern?
Saleh: Berlin ist es in den letzten Monaten gelungen, über 60.000 Flüchtlinge unterzubringen. Das war und ist eine Kraftanstrengung. Es ist bereits mehr Personal zur Verfügung gestellt worden, die Verwaltungen arbeiten eng zusammen. Die Zustände vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales sind aber Berlin nicht würdig – da muss der zuständige Senator Czaja mehr Ordnung schaffen.
IslamiQ: Viele Flüchtlinge kommen aus islamischen Ländern. Da läge eine Kooperation des Senats mit den Muslimen nahe. Gibt es Überlegungen in diese Richtung oder sogar konkrete Pläne?
Saleh: Unter den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern sind viele Migrantinnen und Migranten aller Religionen. Die jüdische Gemeinde hat seit den 90er Jahren viel für die Integration jüdischer Russlanddeutscher und Migranten aus den ehemaligen Ostblockstaaten geleistet. Das kann auch den weltoffenen muslimischen Gemeinden gelingen. Wir haben als SPD-Fraktion schon vor der Flüchtlingskrise entschieden, dass Berlin wie mit den anderen Religionsgemeinschaften einen Staatsvertrag mit den muslimischen Gemeinden in unserer Stadt verhandeln und abschließen soll. Das wäre auch eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit bei der Integration.