Soziale Verantwortung

Integrationsarbeit in Moscheegemeinden

Moscheen helfen bei der Integration. Das wussten Sie nicht? Engin Karahan gibt am Beispiel der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) Einblicke in die tägliche Arbeit. Dabei wird deutlich: Moscheen bemühten sich um Integration, lange bevor die Politik das Wort kannte.

30
09
2014
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„Integration“ ist mittlerweile ein inflationär genutzter Begriff. Als ein im höchsten Maße unbestimmter Begriff wird er von Vertretern aller Couloir genutzt, ob sie nun eine multi-kulturelle oder leit-kulturelle Gesellschaftsvision haben. Inflationär ist auch die Zahl der organisatorischen Akteure in diesem Feld. In vielen Aufgabenbeschreibungen kommt der Begriff Integration vor, ohne jedoch wirklich mit Leben ausgefüllt zu werden. Es gibt jedoch auch gesellschaftliche Akteure, die seit Jahrzehnten Integrationsarbeit leisten, ohne dass sie von der breiten Öffentlichkeit beachtet werden. Es sind die Moscheegemeinden und anderen muslimischen Institutionen die zur Partizipation ihrer Mitglieder und Besucher schon zu Zeiten einen großen Beitrag geleistet haben, zu denen Deutschland noch weit von einem Integrationsdiskurs entfernt war.

Bei ihrer Integrationsarbeit lassen sich die islamischen Gemeinden von dem Grundgedanken leiten, dass die Stärkung von islamischer Identität und der Aufbau eines islamischen Selbstbewusstseins sich positiv auf die Partizipation in die Gesellschaft auswirken. Dabei muss zuallererst der Umstand angeführt werden, dass es gerade diese Religionsgemeinschaften und ihre Institutionen sind, die die Einbindung von Muslimen in zivilgesellschaftliche Gruppierungen gewährleisten und so lange Zeit überhaupt die Erreichbarkeit dieser Menschen ermöglicht haben.

Das Vorhandensein der religiösen Infrastruktur hat eine große integrative Wirkung. Die Möglichkeit, seinen religiösen Bedürfnissen auch hier in Deutschland nachgehen zu können, trug besonders in der Vergangenheit dazu bei, Fremdheitsgefühlen entgegenzuwirken. Deutschland und Europa wurden damit immer mehr zu Orten, an denen nicht nur gearbeitet, sondern auch gelebt wurde. Es bedurfte immer weniger des Rückgriffs auf die alte „Heimat“, um die Bedürfnisse hier, insbesondere die religiösen Bedürfnisse, zu befriedigen. Nur so konnte Deutschland mit der Zeit von den muslimischen Migranten auch als Heimat begriffen werden. Deshalb sollte zunächst festgestellt werden, dass islamische Religionsgemeinschaften einen immer wieder stark unterschätzten Einfluss darauf haben, dass Muslime Deutschland als Heimat begreifen. Sie bieten gerade traditionell orientierten Menschen die Vertrautheit und Geborgenheit, die zur Bildung eines Heimatgefühls notwendig sind.

Integration durch Bildung

Darüber hinaus bieten gerade die Mitgliedsgemeinden der IGMG seit Jahrzehnten vor Ort zahlreiche Integrationsangebote an. Seit über 10 Jahren werden in ihnen Hausaufgaben- und Nachhilfekurse durchgeführt. Diese Angebote richten sich speziell an Kinder mit Migrationshintergrund, da diese oftmals wegen der fehlenden oder nicht ausreichenden Schulbildung der Eltern schon mit einigem Rückstand in ihr Schulleben eintreten. Für die Kinder werden Sprachförderungen angeboten und ihnen wird bei ihren schulischen Aufgaben geholfen. Zweck dieser Kurse ist es, den Kindern eine Möglichkeit für einen guten Abschluss, den Besuch einer weiterführenden Schule und schließlich den Abschluss einer Ausbildung oder eines Studiums zu ermöglichen. Denn erst ein erfolgreicher Bildungsweg und gute Schul-, Ausbildungs- und Studienabschlüsse werden diesen Kindern eine Partizipation am gesellschaftlichen Leben in vollem Umfang ermöglichen. Leider kann man gerade in den letzten Jahren beobachten, dass sich trotz zahlreicher staatlicher Integrationsinitiativen die Situation an den Schulen in dieser Hinsicht kaum gebessert hat und außerschulische Nachhilfeeinrichtungen unter Migrantenkindern immer stärker an Bedeutung gewinnen.

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch ehrenamtliches Engagement

Als besonders herausragend sind die integrativen Wirkungen der Jugendarbeit in den Gemeinden anzuführen. Seit ihrer Gründung unterhält jede IGMG-Gemeinde eine Jugendabteilung, die sich um die besonderen Belange und Bedürfnisse der Jugendlichen kümmert. Diese Angebote werden von zahlreichen Jugendlichen unterschiedlicher Altersgruppen wahrgenommen.

In erster Linie geht es bei dieser Arbeit natürlich um die Vermittlung von religiösen Werten, wie Achtung der Schöpfung, Aufrichtigkeit, Nächstenliebe, Fürsorge für den Anderen, Respekt im Umgang mit den Mitmenschen, nachbarschaftliche Harmonie, Aufrichtigkeit und allgemein um die Umsetzung dieser Werte im eigenen Leben. Auf dieser Basis wird den Jugendlichen die Notwendigkeit eines gottgefälligen Lebens und damit einhergehend der Einsatz für die Gesellschaft und die Partizipation daran nahegelegt.

In vielen Gemeinden wird gerade dieser Aspekt auch durch Kooperation mit verschiedenen anderen NGOs, die sich auf Drogen- und Kriminalitätsprävention spezialisiert haben, aber auch über die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Polizeiabteilungen verwirklicht. Dabei treten Sozialarbeiter und Polizeibeamte aus der Kriminalitäts- und Drogenpräventionsarbeit in den Gemeinden auf und klären die Jugendlichen über diese Themen auf. Darüber hinaus sind es gerade die jungen Mitglieder, die sich bei gesamtgesellschaftlichen Initiativen wie zum Beispiel dem interreligiösen Dialog engagieren.

Die Jugendarbeit beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Aufklärung der Jugendlichen. Vielmehr schafft sie mit ihren Angeboten einen Rahmen, in dem sie ihre Freizeit neben anderen Aktivitäten wie zum Beispiel in Sportvereinen sinnvoll gestalten können. Dabei liegt das Hauptaugenmerk darauf, den Jugendlichen die Möglichkeit des ehrenamtlichen Einsatzes und der Fürsorge für Andere aufzuzeigen und ihnen dafür Betätigungsfelder zu schaffen. Viele Aktivitäten der Jugendabteilungen werden von Jugendlichen für Jugendliche organisiert, wobei sich die Jugendlichen je nach Interesse und Neigung unterschiedlich einbringen können.

Neben der Erfüllung der religiösen Bedürfnisse der Mitglieder steht auch ihre Partizipation an der Gesellschaft im Vordergrund der Gemeindearbeit. So suchen IGMG-Gemeinden seit Jahrzehnten den interreligiösen Dialog und nehmen auch an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten in ihrem Stadtteil oder ihrer Kommune teil. Insbesondere Informationsveranstaltungen in Schullaufbahnfragen werden nun seit über einem Jahrzehnt rege angefragt und von den Gemeinden abgehalten. Damit haben die Gemeinden in der Vergangenheit selbst Vertretern der ersten Generation, zu einer Zeit, in der Begriffe wie „Integration“ oder „Zuwanderung“ nur im engsten Wissenschaftlerkreis relevant waren, einen stärkeren Zugang zur Mehrheitsgesellschaft ermöglicht.

Mit der Zeit haben die Gemeinden diese Angebote in Form von Sprachkursen insbesondere für türkischstämmige Frauen und mittlerweile sogar Integrationskursen, oft in Kooperation mit anderen freien Trägern oder der Volkshochschule, erweitert. Im Zentrum dieser Arbeit stand lange Zeit und steht auch heute die Sensibilisierung von Eltern für die schulischen Bedürfnisse ihrer Kinder und die Anregung zur Mitarbeit an schulischen Gremien und der Teilnahme an Elternabenden und schulischen Veranstaltungen. Dabei ist der prophetische Ausspruch „das Erlangen von Wissen ist eine Pflicht für jeden Muslim“ eines der Hauptleitmotive.

„Der beste der Menschen ist der, der den Menschen am nützlichsten ist“

Weiterhin gibt es in IGMG-Gemeinden sehr aktive Frauengruppen. Ziel dieser Frauengruppen ist es, neben der Vermittlung von religiösen Werten auch das Engagement der Frauen in der Gemeinde zu stärken. Dabei wird besonders auf das Ermutigen junger Mädchen zur Wahrnehmung von Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten Wert gelegt, um ihnen durch das Aufzeigen von vielseitigen Möglichkeiten ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Leider machen jedoch in den letzten Jahren die Gemeinden die Erfahrung, dass diese gut ausgebildeten, teilweise studierten jungen Frauen aufgrund des Praktizierens ihres Glaubens kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben – besonders nicht im behördlichen Bereich.

Getragen wurde und wird die Arbeit der Religionsgemeinschaft dabei besonders von den prophetischen Vorgaben „tretet in einen Wettbewerb im Guten und in der Gottesfurcht“ und „der beste der Menschen ist der, der den Menschen am nützlichsten ist“. Dabei legen die Gemeinden Wert darauf, ihre Mitglieder zur Teilnahme am gesamtgesellschaftlichen Leben anzuregen und wo es Defizite und Hürden gibt, diese mit ihnen abzubauen. Wünschenswert wäre hierbei eine größere Vernetzung der Gemeinden mit anderen gesellschaftlichen Akteuren. Viele Gemeinden mussten jedoch in den vergangenen Jahren die Erfahrung machen, dass sie als muslimischer Akteur nicht unbedingt erwünscht sind in diesem Diskurs. Entweder mussten sie sich grundsätzlich alles zurechnen lassen, was weltweit negativ mit dem Islam assoziiert worden ist, oder sie wurden per se als Integrationshindernis angesehen, weswegen sie zum Beispiel gerade für staatliche Stellen nicht als Kooperationspartner infrage gekommen sind.

Auf muslimischer Seite ist jedoch die Bereitschaft zu einer größeren Vernetzung und dem Eingehen einer kooperativen Integrationsarbeit, bei der die muslimischen Gemeinden sowohl als wichtige Multiplikatoren als auch zuverlässige Akteure ihren Beitrag leisten können, groß. Diese Offenheit wird aber auch von der Mehrheitsgesellschaft erwartet. Um die Menschen in den muslimischen Gemeinden besser und viel nachhaltiger erreichen zu können, müssen die Brücken, die durch die Gemeinden gebaut werden, viel besser genutzt werden. Nur so kann es auch wirklich ernsthafte Bemühungen mit der Hoffnung auf substanzielle Ergebnisse geben.