Islamische Seelsorge

Telefonseelsorge: „Ein Gespräch kann Welten öffnen!“

Wie können Krisen bewältigt werden? Eine Frage, die sich auch Muslime in einer schwierigen Lebenssituation stellen. An wen können oder sollen sie sich wenden? Ein Überblick telefonseelsorgerischer Angebote in Deutschland.

09
02
2019
Symbolbild: Telefonseelsorge
Symbolbild: Telefonseelsorge © shutterstock

Jeder Mensch braucht mal Hilfe und Unterstützung. Doch wo oder von wem bekommt man sie? Nach muslimischem Verständnis ist der seelsorgerische Beistand des Nächsten, sowohl materiell als auch aus spirituell, eine individuelle und gemeinschaftliche Pflicht, die in den Strukturen der Familie fest verankert ist. Doch hat die stetige Entwicklung der Gesellschaft und die Änderungen der familiären Strukturen es nahezu unmöglich gemacht, dieses Selbstverständnis ohne professionelle Hilfe aufrechtzuerhalten.

Insbesondere im schnellen Alltag steigt das Interesse, jemandem seine Probleme und Sorgen auszuschütten oder das Bedürfnis, jemanden zu haben, der einem einfach nur zuhört. Islamische Organisationen und Vereine leisten soziale Dienstleistungen, darunter auch eine Sozial- und Beratungshotline, auch als Telefonseelsorge bekannt. Diese sind sowohl für Muslime als auch für Nichtmuslime offen.

„Wir wollen dir beistehen“

Eine dieser Beratungshotlines betreibt die Hilfsorganisation HASENE Deutschland e. V. mit Sitz in Köln. Grundlage ihrer Dienstleistung ist die Überlieferung des Propheten Muhammad (s): „Der beste Mensch ist derjenige, der anderen Menschen nützlich ist.“ Das Angebot der HASENE Sozial- und Beratungshotline stehe jedem, unabhängig von seiner Religion und Herkunft, offen. 

Die Abteilungsleiterin Meryem Özmen-Yaylak teilt IslamiQ auf Anfrage mit, dass momentan 12 ehrenamtliche und fachlich ausgebildete Mitarbeiter arbeiten, die jeden Donnerstag, Freitag und Samstag von 16:00-20:00 Hilfesuchende durch schwierige Situationen begleiten und gemeinsam nach Lösungen suchen. Die telefonische Beratung erfolgt streng vertraulich und anonym.

Özmen-Yaylak zufolge rufen die meisten Menschen bei Themen wie Einsamkeit und Eheprobleme an, sowie bei familiären Problemen, häuslicher Gewalt, depressiver Stimmung, Identitätsstörungen, Sucht, Trauer, Suizid und Missbrauch. 

„Jeder Mensch hat mal Probleme“

Eine weitere Sozial –und Beratungshotline bietet die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB) mit Sitz in Köln. Die DITIB-Beratungshotline arbeitet nach dem Grundsatz ,,Hilfe zur Selbsthilfe“ und versucht, den Anrufenden im Gespräch zu stärken, zu entlasten und gemeinsam Handlungsmöglichkeiten zu erörtern. Die Telefonhotline ist täglich von 09:00-16:00 von einer hauptamtlichen Mitarbeiterin besetzt. Auch werden Menschen mit religiösen und seelsorgerischen Fragen und Probleme beraten. Diese werden dann an die jeweiligen Ansprechpersonen im Haus weitergeleitet. Darüber hinaus ist die DITIB-Beratungshotline eine Anlaufstelle für Themen wie Suchtproblematik, psychosoziale Beratung, häusliche Gewalt, Fragen zu Behörden und Ämtern und Diskriminierung.

Jeder Mensch habe mal Probleme. Einige von ihnen kann man eigenständig bewältigen, andere hingegen nicht. Manchmal hat man auch niemanden, mit dem man einfach nur darüber reden kann. „Ziel der DITIB-Beratungshotline ist es vorrangig, Familien und einzelne Betroffene zu stärken und ihnen bei Problemen und Konflikten beizustehen“, erklärt die DITIB.

24 Stunden-Beratung am Telefon

Die 2009 als Inlandsprojekt von Islamic Relief Deutschland entstandene Muslimische Telefonseelsorge bietet seit Mai 2009 Menschen in Notsituationen telefonische Unterstützung an. Aktuell arbeiten 80 ehrenamtliche Mitarbeiter, die seit März 2013 nun jeden Tag eine 24 Stunden-Beratung für Hilfesuchende anbieten. Jedes Jahr werden durchschnittlich 16 neue ehrenamtliche Telefonseelsorger ausgebildet.

Ziel des Angebots sei, speziell auf die Belange der in Deutschland lebenden Muslime einzugehen, unabhängig von Religion, Herkunft, Alter oder Geschlecht. Die Muslimische TelefonSeelsorge sei keine Fatwa-Hotline“, erklärt Imran Sagir, Geschäftsführer von MuTeS, gegenüber IslamiQ. Vielmehr gehe es um ein seelsorgerisches Gespräch, das im islamischen Rahmen geführt werde. 

„Grundsätzlich sei die Telefonseelsorge ein Dienst, der von Menschen in Anspruch genommen werden, die einsam sind“, so Sagir weiter. Doch müsse die Einsamkeit in zwei Ebenen betrachtet werden. Auf der einen Seite die Einsamkeit tatsächlich und auf der anderen Seite die Einsamkeit in der Thematik. Hier biete die Telefonseelsorge eine anonyme Möglichkeit, mit jemanden über gewisse Themen zu sprechen, auch wenn beiden Seiten klar sei, dass sich die Situation nicht bessern werde. Die Telefonseelsorge habe nicht den Anspruch, Probleme zu lösen, sondern gemeinsam den Schritt auf dem Weg zur Lösung der Situation finden. Dies soll dadurch erreicht werden, dass der Anrufer im Verlaufe des Gespräches selbst leichter erkennen könne, was er wolle und was ihm in seiner Situation gut täte.

Leserkommentare

Frederic Voss sagt:
Hilfe und Seelsorge zur Bewältigung von Krisen kann vielfältig erfolgen. Ein konstruierter Glaubenshintergrund - gleich welcher Art - spielt hierbei nur eine Nebenrolle. Studien konnten belegen, daß es entscheidend auf drei Eigenschaften des Beraters, Seelsorgers, Therapeuten, Begleiters oder Coachs ankommt, nämlich auf Authentizität, Empathie und bedingungslose Akzeptanz. Je mehr der (religiöse) Seelsorger diese 3 Eigenschaften verinnerlicht hat, desto wirksamer verlaufen seine krisenlösenden Gespräche. Methodik oder Glaubenskonstruktionen sind hierbei nur nebensächliche Komponenten.
25.02.19
23:35