Bedeckungsstreit in Frankreich

Mein Kopftuch – unsere Freiheit

Die französische Familienministerien, Laurence Rossignol, hat die Befürwortung des Kopftuchs mit der Sklaverei verglichen und löste eine Welle der Empörung aus. Warum ein Umdenken unter allen Frauen geschehen -und muslimische Frauen sichtbar werden müssen, erklärt Dunya Adıgüzel.

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2016
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Schließen Sie bitte die Augen und stellen sich eine muslimische Frau vor. Welche Bilder kommen Ihnen da vor Augen? Welche Begriffe assoziieren Sie mit ihr? Glaubt man dem in Europa vorherrschenden Diskurs über muslimische Frauen, dann werden Sie sich wahrscheinlich eine Frau mit Kopftuch und langem Gewand vorstellen. Eine Frau, die hinter ihrem Mann herläuft und nichts zu sagen hat. Ganz wichtig an dieser Stelle ist die Betonung auf dem Diskurs ÜBER muslimische Frauen. Warum sollte man sie auch einbeziehen? Würde sie sprechen können, dann könnte das Bild der unterdrückten, ungebildeten und hilflosen Frau einen Riss bekommen. Somit ist allein der Gedanke ein Widerspruch zu dem Bild über die muslimische Frau.
Auf diesem Grundgedanken ist die Aussage der französischen Familienministerin, Laurence Rossignol, zu betrachten. Ihr Vergleich der Akzeptanz des Kopftuchs mit der Sklaverei ist abscheulich, vor allem weil sie es in der Position einer staatlichen Repräsentantin und als Volksvertreterin getan hat.

Neu sind solche diffamierenden und diskriminierenden Aussagen über muslimischen Frauen nicht. Frau Schwarzer, Kelek und Co halten sich im deutschsprachigen Raum seit jeher kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, muslimische Frauen zu verunglimpfen. Inzwischen gibt es auch einige muslimische Frauen, die sich gegen diese Bevormundung im Diskurs wehren. Hier und da entstehen Gegenbewegungen von muslimischen Frauen, die ihr Recht auf Religionsfreiheit einfordern. Im französischsprachigen Raum könnte ich Frau Rossignol einige sehr aktive muslimische Damen vorstellen, die sie eines Besseren belehren könnten. So zum Beispiel Frau Hatice Şahin, die inzwischen als Vorsitzende der Frauenorganisation der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş schon lange innerhalb der muslimischen Community erfolgreich die Belange der muslimischen Frau vertritt, oder Julie Pascöet (European Network Against Rasicm) und Elsa Ray (Collectif Contre I’Islamophobie en France), die in der Antirassismusarbeit aktiv sind und sich seit vielen Jahren in den Diskurs einbringen. Diese Liste ist beliebig fortführbar und im deutschsprachigen Raum genauso erstellbar.

Vereinfacht ausgedrückt gibt es Frauen, die muslimische Frauen befreien wollen und in ihrer Religion die Wurzel ihrer Unterdrückung sehen, auf der anderen Seite gibt es Frauen, die in ihrer Religion und ihrer Entscheidung dafür einen Akt der Emanzipation sehen, den sie sich nicht nehmen lassen. Im Grunde genommen, scheint die Lösung ganz einfach. Man könnte beide Seiten einfach zusammen bringen und die Sache klären. Bei zahlreichen, muslimischen Akademikerinnen, auch in Frankreich, müsste doch eine Frau Rossignol schnell überzeugt sein.

Leider ist es nicht so einfach. Denn in diesem Diskurs geht es um mehr. Es geht darum zu verstehen, dass nicht alle Menschen die gleichen Werte vertreten und das so stehen zu lassen. Im Zuge der Debatte um das Kopftuchgesetz in Frankreich 2004 haben sich viele unterschiedliche Frauen unter dem Slogan „Wenn ich das Recht habe mich auszuziehen, muss ich auch das Recht haben, mich anzuziehen“ zusammen getan. Hier ist etwas essentiell Wichtiges passiert. Obwohl die Frauen von ihren Lebenseinstellungen und ihren Wertevorstellungen her sehr unterschiedlich waren, haben sie doch gesehen, dass ihre Freiheit nur dann wirklich gesichert ist, wenn sie allumfassend ist.

Wir können in der heutigen Zeit von Globalisierung und beständiger Migration nicht davon ausgehen, dass das gesellschaftliche Bild so bleibt wie es ist. Vielfalt ist nicht etwas, was wir uns selbst so gestalten können, wie wir gern hätten. Wir können nicht ein türkisches Hamam in unserer Nachbarschaft befürworten, aber dem türkischen Inhaber verwehren eine Moschee zu bauen. Wenn wir in unserer heutigen Welt tatsächlich friedlich miteinander leben wollen, müssen wir alle lernen, dass Werte nicht immer universell sind. Es ist an der Zeit Menschen mit anderen Werten wie zum Beispiel dem Kopftuch zu sehen und es ihnen zuzugestehen, auch wenn man es für sich ablehnt. Genauso muss aber auch auf muslimischer Seite ein Minirock als eine freie Entscheidung einer Frau gesehen und ohne Vorurteile belassen werden. Letztendlich haben wir alle Schwierigkeiten damit, fremde Werte zu verstehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir alle anfangen zu lernen und uns gegenseitig in unserer freien Entscheidung für unsere Werte zu sehen und stehen zu lassen.

Leserkommentare

Manuel sagt:
Wenn ich ein anderes Land auswandere, dann habe ich mich der dort vorherrschenden Kultur anzupassen und kann nicht erwarten, die anderen müssten sich mir anpassen. Frankreich ist ein laizistischer Staat, das haben auch die zugewanderten Moslems auch vorher schon gewußt und wenn sie in Frankreich leben, dann haben sie das auch akzeptieren und zu respektieren. Das islamsiche Kopftuch ist ein religiöses Symbol, das für ein ganz bestimmtes Frauenbild steht und dieses stößt eben im Westen auf Widerstand, man will nicht, dass sich unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit (wieder) so ein Frauenbild etabliert. Und Fr. Schwarzer hat genauso ein Recht auf ihre Meinung, wie die aus dem Ausland finanzierten (erz)konservativen Islam-Verbände.
03.04.16
0:59
Manuel sagt:
Hier vielleicht ein Zitat des österreichischen islamischen Religionspädagogen Ednan Aslan: "Wer den Gesichtsschleier verteidige, bereite der Verherrlichung theologischer Gewalt den Weg."
03.04.16
11:32
Charley sagt:
Der Toleranzgedanke ist ein anderer als ein Gleichgültigkeitsgedanke. Er beinhaltet ein aktives Verstehenwollen des anderen. Darum beinhaltet er auch ein Sich-Verständlich-Machen-Wollen dem anderen gegenüber. Der Satz "Wenn wir in unserer heutigen Welt tatsächlich friedlich miteinander leben wollen, müssen wir alle lernen, dass Werte nicht immer universell sind." schließt eine allgemeinmenschliche Basis aus, denn aus dieser heraus gäbe es doch allgemeinmenschliche Werte. Entsprechend kursiert immer mehr die Aussage, dass die "allgemeinen Menschenrechte" doch eine europäische Meinung seien. Auf welcher Basis will man sich dann begegnen? Genau hier gibt obiger Artikel den "scheinbaren Toleranz"-Gedanken vor, der in Wirklichkeit ein Gewährenlassen der anderen Sekte ist. Genau DAS widerspricht dem europäischen Geist. Zum Islam: Wo beschreibt der Islam das Gemeinsame von Mann und Frau, was über die Geschlechtsspezifität hinaus geht? Meines Wissens bleibt Mann Mann und Frau Frau bis in die letzten Sphären des Nachtodlichen hinein, d.h. es tritt nie in ein geschlechtsloses, allgemeines Geistsein ein? Letzteres wäre allein die Grundlage einer Emanzipation, ansonsten kann man höchstens die vom Koran (per Interpretation) erlaubte Spielecke im Sandkasten definieren und sich da - als Frau ! - einrichten.
04.04.16
16:41
Ute Fabel sagt:
Wenn die französische Familienministerin die Befürwortung des Kopftuchs mit der Sklaverei verglichen hat, dann ist das als Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungskundgabe voll zu respektieren. Was ist an dieser Äußerung eigentlich negativ auszusetzen? Für andere symbolisiert halt das Tragen eines roten T-Shirts mit Hammer und Sichel Sklaverei. Na und? Warum wird von allen Politkern immer erwartet sich gerade positiv über das Kopftuch zu äußern? Religionen und die Traditionen von manchen ihrer Anhänger sind keine heiligen Kühe! In einer Demokratie mit Meinungsvielfalt ist es legitim zum Kopftuch negativ eingestellt zu sein, wie zu allen anderen religiösen und weltanschaulichen Symbolen auch.
18.04.16
11:59
Andreas sagt:
@Ute Fabel: Von Politikern wird gar nicht erwartet, dass sie sich positiv über das Kopftuch äußern. Sie sollten sich besser gar nicht dazu äußern, sondern es als das nehmen, was es ist, ein Kleidungsstück. Der Zusammenhang zur Sklaverei erschließt sich mir nicht, weil der Islam davon ausgeht, dass es verdienstvoll ist, Sklaven freizulassen. Natürlich darf jemand für sich das Kopftuch ablehnen. Das Verwerfliche ist aber, dass diejenigen, die das Kopftuch für sich ablehnen, es den anderen auch verbieten wollen. Was ist also näher an der Sklaverei? Der Wunsch, ein Kopftuch zu tragen, oder die Forderung nach einem Verbot des Kopftuches? Nimmt ein Verbot der Frau nicht die Freiheit, nämlich die Freiheit selbst darüber zu entscheiden, in welchem Grad sie sich verhüllt?
19.04.16
11:19
Manuel sagt:
@Andreas. Das mit der Freiheit ist gut, wenn schon kleine Mädchen im Islam indoktriniert werden, sie müssten später ein Kopftuch tragen, sonst wären sie keine ehrbaren Frauen, dann hat das wenig mit Freiheit zu tun. Deshalb wäre ein Kopftuchverbot in Kindergärten und Grundschulen gar keine so schlechte Idee, damit die Mädchen sehen, dass es auch ohne geht.
20.04.16
11:36
Andreas sagt:
@Manuel: Kinder bekommen insgesamt von klein auf beigebracht, dass sie sich etwas anziehen müssen. Bei Muslimen kommt eben für Frauen noch ein Kopftuch hinzu, weil davon ausgegangen wird, dass nicht nur Scham und Brüste erotisierend wirken, sondern auch die Haare. Es geht also eigentlich lediglich um den Grad der Verhüllung. Eine offene Gesellschaft sollte es verkraften können, dass nicht alle Frauen ihre Haare zeigen. Dass es auch ohne geht, sehen muslimische Mädchen täglich, wenn sie das Haus verlassen. Dazu braucht es keine Verbote. Durch solche Verbote sehen sie nur, dass für ihre Religion das Grundgesetz nicht gilt.
20.04.16
14:45
Manuel sagt:
@Andreas: Das das GG geschrieben wurde, als wir noch nicht so eine massive Einwanderung von Moslems hatten, scheinen Sie auch noch nicht ganz verstanden zu haben. Dort ging es in erster Linie um die Vermeidung von Religionskonflikten vor allem zwischen Juden und Christen, der Islam war damals überhaupt kein Thema. Weiters wird auf viele Frauen und Mädchen Druck ausgeübt, wenn sich diese entscheiden kein Kopftuch zu tragen, Beschimpfungen sind da an der Tagesordnung, habe ich selbst erlebt. Weiters hat wohl ein Kopftuch, im Kindergarten und die Grundschule noch wirklich nichts verloren, kleine Mädchen erotisieren ja nicht oder? Durch ein solches Verbot kann der Druck genommen werden, weil es dann für alle gilt. Kinder sollten außerdem zu kritisch-denkenden Menschen erzogen werden und nicht mit religiösen Dogmen vollgestopft werden, sowas stört Sie offenbar, gut Ihre Meinung. Eine Frage, wenn Haare erotisch sind, wieso müssen dann die Männer nichts tragen und können sogar nur mit einer Badehose herumlaufen?
21.04.16
15:49