Muslimisches Forum Deutschland

Zweiter Anlauf eines fragwürdigen Projekts

Das umstrittene Muslimische Forum Deutschland hat seine 17 Berliner Thesen vorgestellt. Darin geht es um Themen wie das Islamverständnis des Forums, das Verhältnis von Religion und Politik, aber auch aktuelle Diskussionen wie Salafismus und Flüchtlinge. Ali Mete hat sich die Thesen näher angeschaut.

08
10
2015
Muslimisches Forum Deutschland © Jung und Naiv / Facebook

Im April 2015 gründete sich das Muslimische Forum Deutschland (MFD) – quasi aus dem Nichts. Danach ging es in eine lange Sommerpause, aus der es sich nun mit den sogenannten ‚Berliner Thesen zur Islamdebatte’ zurückgemeldet hat. Auf der Bühne der Bundespressekonferenz stellten Theologe Mouhanad Khorchide, Psychologe Ahmad Mansour und Journalistin Çiğdem Toprak die 17 Thesen des Muslimischen Forums Deutschland vor. Im Folgenden sollen einige Thesen näher betrachtet werden.

Beständiges und Veränderbares

Die erste These lautet: „Der Islam ist keineswegs abgeschlossen, er unterliegt einem ständigen Entwicklungsprozess. Von diesem sind weder islamische Grundsätze noch religiöse Rituale betroffen, da diese nicht dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen.“

Selbstverständlich passen sich Religionen an die Gegebenheiten der Zeit an, und formen diese mit. So wie der vielbeschworene historische Kontext beachtet werden muss – und von muslimischer Seite schon immer beachtet wurde –, um einen religiösen Text zu verstehen, so ist auch der aktuelle Lebenskontext jener Raum, in dem wir alle interagieren (müssen). Eine Entwicklung findet in jedem Fall statt, ob gewollt oder nicht. Diese einzufordern ist also nicht notwendig. Ob diese Entwicklung nun gutgeheißen wird oder nicht, ist eine andere Frage.

Was aber ist gemeint, wenn von dieser Entwicklung „weder islamische Grundsätze noch religiöse Rituale“ betroffen sein sollen? Was bleibt übrig? Heißt es, dass man sich jedem politischen Pseudo-Konsens ergeben muss, weil dieser nicht offen gegen Koran und Sunna verstößt? Heißt es, dass man sich bei seiner Meinungsfindung nicht mehr auf seine Religiosität stützen darf, wenn es um gesellschaftliche Diskussionen geht? Haben denn religiöse Grundsätze und Rituale gar keinen Einfluss auf das Handeln des Menschen oder gar eine gesellschaftliche Relevanz? Wenn man die erste These des Forums zu Ende denkt, führt sie über kurz oder lang zu einer Aushöhlung des religiösen Denkens und zur Privatisierung des Religiösen an sich.

Das aber ist aus islamischer Sicht nicht erstrebenswert. Eigentlich dürfte man an dieser Stelle nicht ‚aus islamischer Sicht’ schreiben, denn das würde bedeuten, der Islam hätte einen aus sich heraus begründeten Willen, das gesellschaftliche Leben religiös zu deuten. Man müsste es als gesellschaftlichen Konsens hinnehmen, dass Religion Privatsache sein soll – theoretisch jedenfalls. Was also die erste These anbelangt, besteht weiterhin Klärungsbedarf.

Exklusivismus gleich Gewalt?

These zwei ist nicht weniger problemlos. Sie lautet: „Im Exklusivismus liegt eine Grundlage für Gewalt. Dass Gott die Wahrheit ist, soll gerade die Wahrheit vor Vereinnahmung durch den Menschen schützen und den Menschen zu Bescheidenheit aufrufen, ein Suchender zu bleiben, der die Wahrheit mit dem Wissen anstrebt, sich ihr annähern, sie aber nie besitzen zu können. Wahrheiten von oben aufzuzwingen, widerspricht dem Geist eines humanistischen Islams, der den Menschen zum freien Menschen macht, der sich von sich aus öffnet.“

Nicht Exklusivismus, sondern das, was man daraus macht, kann zu Gewalt führen. Jede andere Formulierung verdächtigt Muslime wie auch Nichtmuslime, die ihren Glauben als den richtigen Weg sehen. Demnach müssten sie alle gewalttätig sein. Es ist äußerst bedenklich, dass das Muslimische Forum Deutschland hier jenen Thesen folgt, die in der Religion, genauer im Monotheismus, den Kern aller Gewalt sehen.

Der Anspruch darauf, den ‚gottgewollten Weg’ zur Erlösung zu kennen, muss zumindest theoretisch bestehen bleiben. Muslime sind fest davon überzeugt, dass Allah, der einzige Gott, einen letzten Propheten als „Barmherzigkeit für alle Welt“, wie es im Koran heißt, entsandt hat. Dieser hat die gesamte Menschheit zum Glauben an Allah, die Botschaft der Propheten, das Jenseits und den Einsatz für alles Gute gerufen. Aber nicht nur das, er hat die Menschen auch gewarnt, vor dem, was passieren kann, wenn sich der Mensch in seinem freien Willen gegen Gott stellt. All das darf man – vor allem in einer freiheitlichen Gesellschaft – denken, sagen und anderen nahe legen dürfen, ohne als potenzieller Gewalttäter verdächtigt zu werden.

Die vom Muslimischen Forum formulierte Alternative für den Exklusivismus führt zu einem synkretistischen Gutmensch-Glauben, dem das Essenzielle verlorengeht. Für Prof. Khorchide ist es wichtig, „andere Weltanschauungen, andere Religionen, gerade das Christentum und das Judentum als genauso gleichberechtigte Zugänge zur ewigen Glückseligkeit zu sehen und Gott nicht zu vereinnahmen“ . [1] Die naive Frage lautet nun: Wozu dann Muslim sein und sich all den Vorurteilen aussetzen, wenn es auch so geht?

Vielbesungener historischer Kontext

Auch die dritte These ist theologischer Art. Sie lautet: „Der Koran muss in seinem historischen Kontext gelesen und verstanden werden. Der Koran wurde diskursiv verkündet und kann daher auch nur im Diskurs verstanden werden. Ohne den historischen Kontext der Verkündung des Korans im siebten Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel zu berücksichtigen, kann der Koran nur missverstanden werden. Heute müssen neben den klassischen auch moderne Methoden wie die historisch-kritische Methode in der Auseinandersetzung mit dem Koran und der Sunna ernst genommen werden.“

Hier werden Binsenweisheiten als Neuheiten verkauft. Das Forum bleibt eine Konkretisierung schuldig. Wenn es um die Einbeziehung der örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten geht, so ist es nur schwer, diese außer Acht zu lassen. Diese wurden in der Koranexegese und im islamischen Recht immer, mal mehr mal weniger, mit einbezogen.

Getrennt oder nicht?

Mit These sieben wird ein politisches Thema aufgegriffen: „Wir sind für die Trennung von Religion und Politik. Nur dadurch kann sich eine Diskurskultur manifestieren, die das demokratische Bewusstsein stärkt und zugleich die Religion vor Missbrauch durch die Politik schützt.“ [2]

Der Witz ist, ohne die ‚Anschubfinanzierung’ durch die Politik/die KAS wäre das Forum nicht entstanden, und ohne sie – so meine These – wird sie sich nicht aufrechthalten können. Es ist grotesk, dass auf der einen Seite die Mehrheit der Moscheegemeinden solide Gemeindearbeit leistet – völlig ehrenamtlich und mit den finanziellen Mitteln, die sie von ihren Mitgliedern bekommen –, und auf der anderen Seite eine Handvoll Akteure finanziert und hofiert werden. Während die ‚bösen Muslime’ nicht mehr als Misstrauen und Verdacht ernten, können die ‚guten Muslime’ die Trennung von Religion und Politik preisen.

Sehr glaubwürdig ist das bis jetzt nicht. Wo bleibt die besagte Trennung, wenn die MFD-Mitbegründerin Lamya Kaddor in ZEIT ONLINE mit folgenden Worten zitiert wird: „Der Satz ‚Der Islam gehört zu Deutschland’, meint Kaddor, ‚wird erst wahr, wenn es der deutsche Staat ist, der für die Moscheen sorgt. Der die Jugendlichen annimmt. Der dafür sorgt, dass da ein Islam gelehrt wird, der zu einer freien Gesellschaft passt.“ [3] Mal sehen, wie lange die sogenannte schweigende Mehrheit der Muslime das noch mit sich machen lässt.

In den anderen Thesen geht es um Frauen, das Kopftuch, Sexualität bzw. Sexualkunde, Schwimmunterricht, Demokratie, menschenverachtende Islamverständnisse, Toleranz usw. Auch wenn viele der Thesen zu begrüßen sind, so etwa der Einsatz für Flüchtlinge oder die Forderung der Medienkompetenz der Muslime, werden sie stets mit dem Hintergedanken der Prävention formuliert. Hinter fast allen Thesen steht der ‚böse, gewalttätige Islamist oder Salafist’, der uns die Jugendlichen wegschnappt, wenn wir nicht sofort etwas unternehmen.

Natürlich darf dieses Problem nicht ungesehen bleiben, aber dieser Weg führt wohl kaum zur Normalität im Umgang mit Muslimen. Daher heißt es für jene Muslime, die sich nicht erst seit gestern um solide Gemeindearbeit bemühen: nicht verwirren lassen, weiter machen!

 


Zum Hintergrund des Muslimischen Forums Deutschland

Gründung

Das Muslimische Forum Deutschland (MFD) wurde im April 2014 gegründet. In einer Pressemitteilung [4] der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), mit dessen „Unterstützung“ das Forum entstanden war, wurden die Ziele bekanntgegeben. ‚Reformfreudige’ bzw. ‚liberale’ Muslime, Aleviten und Jesiden hatten im Forum zusammengefunden, um „der Mehrzahl der in Deutschland lebenden und bisher nicht vertretenen Muslime Gehör [zu] verschaffen“ [5], so hieß es. Man wolle sich „für die Etablierung eines Islamverständnisses, das mit unseren Grundwerten und der deutschen Lebenswirklichkeit übereinstimmt“, stark machen. „Humanistisch orientierte“ muslimische Stimmen sollten gehört werden, Rede- und Meinungsfreiheit solle groß geschrieben werden und alles, was gegen die Menschenrechte und das Grundgesetzt verstößt, werde abgelehnt. [6]

Zu den Erstunterzeichnern des Gründungsdokuments gehören Wissenschaftler, Journalisten, darunter der bekannte, wenn auch umstrittene Prof. Mouhanad Khorchide, die Vorsitzende des Liberale-Islamischen Bundes (LIB) Lamya Kaddor, der damalige kommissarische Forumssprecher und ZDF-Journalist Abdul-Ahmad Rashid. Von den letzten beiden ist seit der Gründung nicht mehr viel zu hören. Zu den Mitgliedern des muslimischen Forums gehören aber auch Aleviten wie Ali Yildiz vom Christlich-Alevitischen Freundeskreis der CDU oder der durch seine ‚islamkritisch’ bis ‚islamfeindlichen’ Publikationen bekannte Islamwissenschaftler Ralph Ghadban.

Kritik am Forum

Das Forum sorgte für Verwirrung und erntete viel Kritik. Wie zu erwarten war, wurde es von CDU-Kreisen begrüßt. Der Vorsitzende der KAS, Hans-Gert Pöttering, lobte „die Betonung individueller Freiheitsrechte“ und „das klare Bekenntnis zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der europäischen Menschenrechtskonvention“ hervor. Ähnlich der Kirchenbeauftragte der Unionsfraktion im Bundestag, Franz Josef Jung (CDU), für den das Forum eine Lücke in Deutschland schließe. Der Aachener Theologe Thomas Lemmen bewertete die Gründung differenzierter. Laut Lemmen sei das liberale Islamverständnis des Forums nicht unproblematisch. „Das erweckt das Zeichen der Spaltung der Community, weil der Eindruck erweckt wird, man sei besser, man sei liberaler und demokratiefähiger“, so Lemmen. Allerdings sei „ziemlich unmöglich“, dass die KAS einen Prozess unterstütze, der zu einer Herausbildung einer neuen islamischen Struktur führe. Das sei unvereinbar mit dem Prinzip der Trennung von Staat und Kirche in Deutschland.

Auf muslimischer Seite gab es viel Verwunderung, aber auch gelassene Kritik. „Schon in der Vergangenheit sind immer wieder muslimische Think Tanks von Stiftungen oder Akademien initiiert oder gegründet worden“, sagte ZMD-Vorsitzender Aiman Mazyek.[7] Indes bemängelte der Journalist Eren Güvercin im IslamiQ-Interview: „Sich selber schmückt man sich mit Labels wie ‚humanistisch’, ‚liberal’ etc. und erweckt bewusst den Eindruck, als ob die etablierten muslimischen Gemeinschaften genau das Gegenteil seien. Das ist schon eine Dreistigkeit.“

Insgesamt verhielten sich die unter dem Dach des Koordinationsrates der Muslime (KRM) organisierten muslimischen Religionsgemeinschaften gelassen. Die Meldung von der Gründung wurde mit einem Schmunzeln aufgenommen. Man erinnerte sich an die Anfänge der Deutschen Islam Konferenz (DIK). Die DIK war ein staatlich initiiertes Forum, auch dort wurden Inhalte vorgegeben und auch dort stellte das Bundesinnenministerium die Besetzung nach Belieben zusammen. [8] Auch in dem Muslimischen Forum Deutschland sieht man vermutlich einen von vielen Versuchen staatlicherseits, sich einen ‚genehmen Islam’ zu basteln.

 

[1] https://www.youtube.com/watch?v=6l2dgGPldBk; ab Minute 11:17 (aufgerufen am 5.10.2015)

[2] Alle 17 Thesen finden Sie hier: http://www.muslimisches-forum-deutschland.de/_PDF/Berliner-Thesen-des-MFD.pdf (aufgerufen am 5.10.2015)

[3] http://www.zeit.de/2015/39/fluechtlinge-deutschland-muslime-islam/komplettansicht (aufgerufen am 5.10.2015)

[4] http://www.kas.de/wf/de/33.41088/ (aufgerufen am 5.10.2015)

[5] http://www.zeit.de/2015/17/islam-muslimisches-forum-deutschland-berlin (aufgerufen am 5.10.2015)

[6] Vgl. Gründungsdokument unter http://www.muslimisches-forum-deutschland.de/_PDF/Muslimisches-Forum-Deutschland-Gruendungserklaerung.pdf (aufgerufen am 5.10.2015)

[7] http://www.islamische-zeitung.de/?id=19054 (aufgerufen am 5.10.2015)

[8] Vgl. http://islamrat.de/stellungnahme-des-islamrats-zum-zwischen-resuemee-der-deutschen-islamkonferenz-fuer-das-4-plenum-am-25-juni-2009-in-berlin/ (aufgerufen am 5.10.2015)

Leserkommentare

Husayn Hauser sagt:
Salamun alaykum Danke für die etwas andere Einsicht in die Thesen des MFD. Es wird sich zeigen wie diese in Zukunft umgesetzt werden, ob wir wollen oder nicht. Wassalam
08.10.15
17:41
musafir sagt:
Der KRM (wenn er überhaupt existiert) kann über solche Aktionen zwar schmulzen, muss sich jedoch der Tatsache bewusst sein, dass er selbst nicht mehr ist, als ein Sprachrohr zur Verkündung von Festtagswünschen zu muslimischen Feiertagen. Solange sich die muslimischen Dachverbände (die weit davon entfernt sind Religionsgemeinschaften zu sein, wie sie sich selbst gerne bezeichnen) nicht enger zusammenschließen und eine starke Stimme gegenüber Staat und Öffentlichkeit bilden, wird es dem Staat leicht fallen marginale Gruppen wie das MFD medial aufzubauschen, als Stimme der schweigenden Mehrheit darzustellen und sie dann schließlich mit finanziellen Mitteln auszustatten. Das MFD kann für diese Chance insbesondere den türkischen Verbänden DITIB, VIKZ und IGMG seinen Dank aussprechen! Weiter so mit der muslimischen Zersplitterung liebe Funktionäre!
08.10.15
19:32
Lurchi sagt:
Hallo zusammen, ich weiß nicht, ob hier auch Beiträge von Nicht-Muslimen erwünscht sind. Falls ja, möchte ich folgendes schreiben: Ich zitiere den Verfasser Ali Mete: "Für Prof. Khorchide ist es wichtig, „andere Weltanschauungen, andere Religionen, gerade das Christentum und das Judentum als genauso gleichberechtigte Zugänge zur ewigen Glückseligkeit zu sehen und Gott nicht zu vereinnahmen“. Die naive Frage lautet nun: Wozu dann Muslim sein und sich all den Vorurteilen aussetzen, wenn es auch so geht?" Offenbar hat Herr Mete den Kern gar nicht verstanden. Prof. Khorchide spricht hier nur eine Selbstverständlichkeit aus. Die Entscheidung, ob man Muslim sein will oder irgend was anderes, sollte nach dem persönlichen Wahrheitsempfinden getroffen werden und nicht nach dem Weg des geringsten Widerstands. Nach dem Motto, in Saudi-Arabien, um mal ein besonders drastisches Beispiel zu nennen, bin ich Moslem, in Italien Katholik und in Israel Jude? Prof. Khorchide redet hier nicht der Beliebigkeit das Wort, sondern dem Respekt vor der Wahrheit anderer. Wer dazu nicht bereit ist, muss sich nicht wundern, wenn er Angst und Misstrauen erntet.
18.11.15
11:23
Fritz Nomen sagt:
Die Meinung, die ich mir über den Islam gebildet habe, wird hier exemplarisch auf den Punkt gebracht. Eine totalitäre Religion mit gesellschaftspolitischem Anspruch.
10.07.16
15:55