Avicenna-Studienwerk

Startschuss für zweite Bewerbungsphase

Das Avicenna Studienwerk startet seine zweite Bewerbungsphase für Stipendien. Im Interview mit dem Geschäftsführer des Studienwerks Hakan Tosuner sprechen wir über die Ziele und Ideale der Stiftung und die Frage welche Voraussetzungen Stipendiaten erfüllen sollten.

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Das Avicenna-Studienwerk hat seine zweite Bewerbungsphase eröffnet. Muslimische Studierende, Promovierende und Abiturienten können sich bis zum 31. März 2015 für ein Stipendium ab dem Wintersemester 2015/16 bewerben. Das Studienwerk vergibt rund 80 Stipendien an talentierte, leistungsstrake und sozial engagierte junge Muslime. Im Gespräch mit dem Geschäftführer des Avicenna Studienwerks Hakan Tosuner bringt IslamiQ in Erfahrung, für welche Ideale und Werte die Stiftung steht, welche Visionen verfolgt werden und welche Voraussetzungen künftige Stipendiaten erfüllen sollten.

IslamiQ: Wann wurde Avicenna gegründet und wer kam auf die Idee ein muslimisches Studienwerk ins Leben zu rufen?

Tosuner: Im Jahr 2010 sind ein muslimischer (Beschir Hussein) und ein nichtmuslimischer Student (Matthias Meyer) mit der Idee, ein Begabtenförderungswerk für Muslime zu gründen, an Herrn Professor Bülent Ucar herangetreten. Gemeinsam mit vielen Unterstützern wurde seit dem Jahre lang unermüdlich am Aufbau des Avicenna-Studienwerkes gearbeitet. Im April 2012 wurde in Osnabrück der Verein gegründet, in dessen Gremien sich die Vielfalt des Islams in Deutschland abbildet.

Muslime und Nichtmuslime, Einzelpersonen und Verbände, türkisch- und arabischstämmige Muslime engagieren sich gemeinsam für bessere Bildungschancen junger Muslime in Deutschland. Die Vielfalt der muslimischen Community möchten wir nicht nur in unsere Arbeit integrieren, sondern wünschen uns zugleich, dass sich diese in der Zusammensetzung unserer Stipendiaten wiederspiegelt. Im Juni 2013 wurde schließlich unser Studienwerk auf einer Pressekonferenz in Berlin mit Bildungsministerin Wanka in den Pool der 12 Begabtenförderungswerke in Deutschland aufgenommen. Für die muslimische Community in Deutschland ein historischer Moment. In bildungspolitischer Hinsicht ein wichtiger und nachhaltiger Beitrag hin zu mehr Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit in Deutschland.

Anfang 2014 haben wir unsere Geschäftsstelle in Osnabrück bezogen. Von dort aus gestalten drei Mitarbeiter die Arbeit vom Avicenna-Studienwerk. Im Februar haben wir mit der ersten Ausschreibung für unser Stipendienprogramm gestartet. Mit 600 eingegangenen Bewerbungen gleich im ersten Jahr, wurden unsere Erwartungen bei weitem übertroffen; wir waren überwältigt von der positiven Resonanz. Muslimische Studierende sind glücklich und stolz, dass es endlich ein muslimisches Förderwerk gibt.

IslamiQ: Was ist das Ziel von Avicenna und auf welchen Bereichen liegt der Tätitgkeitsschwerpunkt?

Tosuner: Mit unserem Stipendienprogramm möchten wir leistungsstarke und gesellschaftlich engagierte muslimische Studierende und Promovierende aller Fachrichtungen materiell und ideell fördern. Somit kreieren wir bestmögliche Rahmenbedingungen für Studium, Persönlichkeitsentfaltung, akademische Qualifikation und berufliche Karriere. Junge Muslime stammen meist aus sozio-ökonomisch schwierigen Verhältnissen. Leider nehmen Muslime unter dem Durschnitt ein Studium auf. Auch wenn sie das Potential haben, wagen sie nicht den Schritt an die Hochschule oder brechen das begonnene Studium ab. Meist aus finanziellen Gründen oder nicht bewusst getroffene Studienwahl.

Mit einem Avicenna-Stipendium sollen sie finanziell sorgenfrei studieren können. Ihre Ressourcen sollen sie ins Studium und in gesellschaftliches Engagement investieren. Das langfristige Ziel unseres Studienwerkes ist, an der Heranbildung verantwortungsbewusster, engagierter und qualifizierter muslimischer Persönlichkeiten mitzuwirken und diese angemessen auf Führungspositionen in Wissenschaft, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Kultur vorzubereiten.

IslamiQ: Wie finanzieren sie sich? Wird Avicenna vom Staat gefördert? Werden sie auch von Privatpersonen oder Firmen unterstützt?

Tosuner: Das Avicenna-Studienwerk ist das jüngste der 13 staatlich geförderten Begabtenförderungswerke in Deutschland. Es wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Stiftung Mercator sowie private Spenden gefördert. Bis 2018 wird unser Studienwerk mit 10 Millionen Euro vom BMBF und 1 Millionen Euro von der Stiftung Mercator finanziell unterstützt. Zukünftig werden wir uns noch stärker um private Spenden bemühen müssen, um ein qualitativ hochwertiges und vielfältiges ideelles Programm anbieten zu können.

IslamiQ: Wie sieht die Zusammensetzung ihrer Stipendiaten aus? Sind sie vorwiegend muslimisch?

Tosuner: Fast alle unserer Stipendiaten sind muslimisch, etwa zwei Drittel weiblich, zu 95 % mit Zuwanderungsgeschichte, stammen vorwiegend aus sozio-ökonomisch schwierigen Verhältnissen, sind Bildungsaufsteiger / Erstakademiker in den Familien, sind Multiplikatoren, sind sozial engagiert in Hochschulgremien, Moscheegemeinden, Kinder- und Jugendgruppen, Hausaufgabe- und Nachhilfevereinen, Parteien etc.

Sie kommen aus dem gesamten Bundesgebiet – von München bis Hamburg, von Berlin bis Aachen ist alles vertreten. Wir haebn eine große Fächervielfalt – unsere Stipendiaten sind angehende Pädagogen, Ärzte, Anwälte, Ingenieure, Architekten, Theologen etc. Auch nichtmuslimische Studierende oder Promovierende können sich um ein Stipendium bewerben, wenn sie einen islambezogenen Studienschwerpunkt vorweisen oder sich in besonderem Maß für den Dialog mit dem Islam einsetzen.

IslamiQ: Auf welche Kriterien achten Sie bei den Bewerbungen am meisten?

Tosuner: Wir waren überwältigt von der positiven Resonanz auf unserer Stipendienprogramm. Gleich im ersten Jahr haben wir etwa 600 Bewerbungen erhalten. Damit haben wir nicht gerechnet. Das zeigt uns, dass wir ein großes Potential in der muslimischen Community haben. Wir müssen es nur entdecken, sie ermutigen sich zu bewerben und schließlich fördern. Bei uns sind die Kriterien Leistung, Engagement und Identifikation mit unserem Studienwerk von zentraler Bedeutung. Wer die besten Noten, aber kein soziales Engagement vorweisen kann, hat keine Chance auf ein Stipendium bei uns. Daher hat uns besonders gefreut, dass wir so viele fachlich exzellente Bewerber hatten, die auch Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. Viele haben schon in sehr jungem eine beeindruckende Lebensleistung vorzuweisen.

IslamiQ: Avicenna wird auch von der deutschen Medienlandschaft und dem Bundespräsidenten Gauck sehr positiv aufgenommen. Woran liegt dieses Interesse?

Tosuner: Wir denken, dass dies durch das Zusammenkommen verschiedener günstiger Faktoren herrührt. Wir sind in bildungspolitischer Hinsicht ein Pionierprojekt in Deutschland. Bei uns kommen Staat (Bundesbildungsministerium) und Zivilgesellschaft (Stiftung Mercator und muslimische Gemeinden/ Religionsgemeinschaften) zusammen, um gemeinsam im Bildungssektor für junge Muslime und somit für die Gesamtgesellschaft nachhaltig etwas zu bewegen. Ein Novum in Deutschland. Es geht um Investition in kluge Köpfe unseres Landes, es geht um unsere gemeinsame Zukunft. Deutschland ist auf gut qualifizierte Akademiker angewiesen. Wir bringen erfolgreiche, aufstebende junge Muslime, über die leider viel zu wenig berichtet wird, zusammen und fördern sie.

IslamiQ: Welche Visionen hat die Stiftung für die Zukunft? Was möchten Sie 20 Jahre später als Studienwerk erreicht haben?

Tosuner: Wenn wir unser 20-jähriges Jubiläum feiern, wünsche ich mir, dass wir mehrere hundert Stipendiaten in unserem Förderprogramm haben. Unser Förderwerk sollte sich in der deutschen Bildungslandschaft als Qualitätsmarke etabliert haben. Für jeden jungen Muslim in Deutschland, der an die Hochschule möchte, sollte Avicenna ein Begriff sein, ein Studienwerk, dessen Teil er/sie sein möchte. Mehrere tausend Alumni unseres Förderwerkes sollte es geben, die wichtige Entscheidungsträger in Führungspositionen sind und unsere Gesellschaft aktiv und konstruktiv mitgestalten. Wenn Hochschullehrer oder Arbeitgeber in den Unterlagen ihrer Studenten bzw. Bewerber bzw. Mitarbeiter “Avicenna-Stipendium” lesen, sollten sie versichert sein, dass sie es mit einer außergewöhnlichen Persönlichkeit zu tun haben.