Verfassungsschutz Hamburg

IGMG soll nicht mehr erwähnt werden

Am Montag wird in Hamburg der neue Verfassungsschutzbericht für die Hansestadt vorgestellt. Wieder enthalten ist die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG). Wenn man den Worten eines ranghohen Hamburger Verfassungsschützers glauben darf, dann jedoch zum letzten Mal.

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04
2014
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In Hamburg zeigt das Bundesamt für Verfassungsschutz in Kooperation mit dem Landesamt für Verfassungsschutz in der Finanzbehörde ihre erneuerte und aktualisierte Wanderausstellung „Die missbrauchte Religion. Islamisten in Deutschland“. In der Ausstellung wird an mehreren Stationen über den Islam, „Islamismus“ und die Aufgaben des Verfassungsschutzes informiert. Thematisch widmet sich die Ausstellung dem Missbrauch der Religion des Islam durch Extremisten.

Die Ausstellung stößt jedoch nicht immer auf Gegenliebe. Viele Muslime in Deutschland fühlen sich durch die Ausstellung stigmatisiert und zu Unrecht beschuldigt. Organisationen wie die Islamische Gemeinschaft Deutschland (IGD), die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) oder die Muslimische Jugend Deutschland (MJD) werden nämlich in einer Station der Ausstellung als „legalistisch-extremistische“ Organisationen vorgestellt. Umso mehr verwunderte die Zusammensetzung eines Podiums bei einer Veranstaltung des Hamburger Verfassungsschutzes am Donnerstag (10.04.2014) zur Wanderausstellung.

Denn kein geringerer als der Vorsitzende der Hamburger Schura – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg und IGMG-Mitglied, Mustafa Yoldaş, saß neben anderen Podiumsgästen wie André Taubert (Beratungsnetzwerk KITAB Bremen), Claudia Dantschke (Zentrum Demokratische Kultur), Florian Endres (Beratungsstelle Radikalisierung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) und Dr. Irmgard Schrand (Islamwissenschaftlerin beim Landeskriminalamt Hamburg). Thema der Podiumsdiskussion „Salafismus: Prävention und Deradikalisierung“.

Beratungsstellen überlastet

In der gut besuchten Veranstaltung sprach das Podium über die Attraktivität von Salafisten für Jugendliche und über Maßnahmen und Möglichkeiten, wie man mit diesen umgehen soll. Dabei wurde jedoch auch deutlich, dass die Präventionsstellen, die vom Bund finanziert werden, derzeit überlastet sind und die Angebote unbedingt ausgebaut werden müssen. André Taubert von der Beratungsstelle KITAB in Bremen ist beispielsweise nicht nur für die Hansestadt zuständig, sondern für den gesamten norddeutschen Raum. Auch Fälle aus Hamburg in denen Eltern Rat suchen oder Hilfe benötigen landen letztendlich bei KITAB. Hamburg hat kein eigenständiges Beratungsnetzwerk, es soll aber nach Informationen unserer Redaktion bereits an einem solchen Projekt – in Zusammenarbeit mit den muslimischen Gemeinschaften – gearbeitet werden.

Warum Salafisten auch für viele muslimische Jugendliche attraktiv wirken, darüber gab es einen teilweisen Konsens in der Runde. Mustafa Yoldaş beschrieb einen jugendlichen Übereifer. Gleichzeitig machte er darauf aufmerksam, dass die Attraktivität des Salafismus vor allem darin liege, dass er einfache Antworten auf komplexe Fragen liefere. Auch Ausgrenzungserfahrungen von Jugendlichen trügen hier dazu bei, dass diese Gruppierungen, die den Kindern und Jugendlichen ein Gefühl von Identität und Opferverständnis geben, starken Zulauf erhielten. Die Moscheegemeinden und Jugendorganisationen auf muslimischer Seite versuchten hier gegenzusteuern und mit ihren Angeboten die Jugendlichen in ihrer Identität zu festigen.

Im Grunde widersprach Claudia Dantschke vom Zentrum für Demokratische Kultur in Berlin dieser Darstellung nicht. Sie kritisierte allerdings, dass eine Organisation wie die IGMG, deren Jugendarbeit die größte unter den Muslimen in Deutschland sei, nicht mit der Zeit gehe. Die Jugendarbeit sei „paternalistisch“ ausgelegt und orientiere sich zu wenig an den Bedürfnissen und Wünschen der Jugendlichen selbst. Gleichzeitig gebe man den Jugendlichen kaum Möglichkeiten sich selbst zu entfalten und eigenständig zu handeln. Die Jugendarbeit müsse daher ausgebaut und an die heutige Zeit angepasst werden, erklärte Dantschke, sonst könnten auch Jugendliche der IGMG in den Salafismus abdriften. Dies gelte jedoch nicht nur für die Jugendarbeit der IGMG. Die Salafisten hätten ihre eigene Jugendarbeit mittlerweile perfektioniert. Daher müssten alle islamischen Organisationen ihre Jugendarbeit auf den Prüfstand stellen.

Hamburg will Erwähnung der IGMG beenden

Nur nebenbei und eher zufällig wurde bei der Podiumsdiskussion in Hamburg schließlich durch einen Mitarbeiter vom Landesamt für Verfassungsschutz erwähnt, dass die IGMG nicht mehr in den Berichten auftauchen soll. Konkret hatte eine Dame aus dem Publikum, die als Sympathisantin des rechtsextremen Blogs „Politically Incorrect“ gilt, gefragt, warum der Verfassungsschutz die „Funktion und Mitgliedschaft bei der IGMG von Mustafa Yoldaş“ bei der Veranstaltung verschweige.

Davon konnte jedoch keine Rede sein, denn zu Anfang der Veranstaltung hatte Mustafa Yoldaş deutlich zu dieser Thematik Stellung bezogen – die Dame schien dies aber verpasst zu haben. Vorwürfe, wonach die IGMG verfassungs- und demokratiefeindlich sei, wies der Hamburger Schura-Vorsitzende zurück. Doch neben Yoldaş meldete sich auch ein Hamburger Verfassungsschützer zu Wort. Der Referatsleiter für Extremismus/Islamismus erklärte, ohne seinen Vorgesetzten zu weit vorweg greifen zu wollen, dass man den am Montag erscheinenden Verfassungsschutzbericht lesen solle und dabei auch darauf achten solle, dass die IGMG darin kaum eine Rolle mehr spiele. Gleichzeitig sagte der Verfassungsschützer, dass die IGMG bereits ab dem nächsten Jahr in den Berichten des Landesamtes nicht mehr erwähnt werden soll.

Experten fordern Ende der Beobachtung

Ein Paukenschlag, der sich aber tatsächlich seit längerem abzeichnet. Nach mehr als zwei Jahrzehnten Überwachung der IGMG, bei der man von Jahr zu Jahr immer wieder die gleichen Zeilen für die Verfassungsschutzberichte verfasste, aber auch die Öffnungstendenzen der Organisation erwähnte, erscheint der Schritt für ein Ende der Erwähnung und Beobachtung konsequent.

Allerdings kommt die Entwicklung für Experten dennoch überraschend schnell. Neben Hamburg denken nach Informationen von IslamiQ auch weitere Landesämter für Verfassungsschutz über ein Ende der Erwähnung in den Berichten nach. In einigen Bundesländern ruht zudem die konkrete Überwachung der IGMG durch die Landesämter für Verfassungsschutz. Die IGMG ist seit kurzem aber auch wieder über den Islamrat Teil der Deutschen Islam Konferenz (DIK) unter Innenminister Thomas de Maizière (CDU).

Hintergrund ist, dass die IGMG längst von vielen Experten nicht mehr als extremistisch eingestuft wird. Auch die Analysen der Verfassungsschützer deuten in diese Richtung. Zudem wird starke Kritik an der Erwähnung der IGMG in den Verfassungsschutzberichten, durch Organisationen wie den Interkulturellen Rat oder Experten wie den Ethnologen und IGMG-Experten, Prof. Werner Schiffauer, geäußert. Mit dem Ende der Erwähnung würde die IGMG jedenfalls endgültig rehabilitiert und aufgewertet. Hamburg dürfte, sollte der Schritt tatsächlich so erfolgen, laut Experten nur der erste Schritt sein. Vielerorts gilt die IGMG bereits als verlässlicher Partner und wird für sein gesellschaftliches Engagement gelobt. Ein Ende der Stigmatisierung der muslimischen Organisation wäre daher nur konsequent. (as)