Welchen Einfluss darf ein Staat auf Religion haben? Im IslamiQ-Gastbeitrag kritisierte Fatih Hısım die Politisierung der Islamdebatte. Staatssekretär Markus Kerber widerspricht: Religionspolitik sei immer politisch. Eine Replik.
In einem Beitrag vom 24.11.2019 auf IslamiQ mit dem Titel „Die Politisierung der Islamdebatte“ musste ich lesen, die Deutsche Islam Konferenz (DIK) sei dazu da, Muslimen vorzuschreiben, in welcher Form sie ihre Religion leben dürften. Es wird suggeriert, die DIK sei ein hegemoniales Projekt, das deutschen Musliminnen und Muslimen abspricht, selbst zu entscheiden, wer sie sind und wer sie sein wollen, sie gewissermaßen zu Objekten macht. Als zuständiger Staatssekretär für die DIK im Bundesinnenministerium kann ich dem nur vehement widersprechen.
Der Autor übersieht nämlich etwas Zentrales: Es gibt nicht den einen Islam in Deutschland. Muslime in Deutschland sind so vielfältig wie nur möglich in einer pluralistischen Gesellschaft wie der unseren. Sie mischen sich ein und sie sind sichtbar: in der Wirtschaft, in den Medien, im Sport, in der Wissenschaft und zunehmend auch in der Politik. Auf vielfältige Weise repräsentieren sie sich und ihren Glauben selbst. Das was ihren Glauben ausmacht und wie sie ihn leben, kann dabei sehr unterschiedlich sein: Bei manchen ist es der zentrale Aspekt ihres geistigen Lebens, bei anderen nur eine Facette der Persönlichkeit von vielen.
Wichtig ist, dass Musliminnen und Muslime ihren Glauben hier in Deutschland so leben können, wie sie es selbst für richtig befinden. Ohne politische Einflüsse – und schon gar nicht aus dem Ausland. Und damit kommen wir zu einem wichtigen Punkt: Während der Autor den politischen Einfluss ausländischer Staaten auf die muslimischen Strukturen in Deutschland offenbar unkritisch sieht, bemängelt er das Aufgreifen religiöser Themen durch die deutsche Politik. Doch eine Politisierung des Islams in Deutschland entsteht nicht erst durch die Deutsche Islam Konferenz. Religionspolitik – und zwar in Bezug auf alle Religionen in Deutschland – ist per Definition politisch. Und Religion, wenn wir von der persönlichen Glaubensebene einmal absehen, muss der Politik auch zugänglich sein. Viele alltagsrelevante Fragestellungen sind hochpolitisch, wie etwa der Umgang mit religiösen Geboten in der Schule und am Arbeitsplatz, mit Diskriminierungserfahrungen und Muslimfeindlichkeit, aber auch mit Radikalisierung. Diese Themenfelder müssen wir als Gesellschaft gestalten und sagen, jawohl hier greift die Religionspolitik. Was wir dabei nicht zulassen dürfen, ist, uns zurückzulehnen und die Religionspolitik in Deutschland anderen Staaten zu überlassen. Gleichwohl dürfen wir nicht zulassen, dass der Diskurs von Hetzern und Spaltern bestimmt wird. Muslime in Deutschland sind Teil unserer Gesellschaft und sie sollen hier so leben dürfen, wie sie wollen – mit den gleichen Rechten und Pflichten wie alle anderen auch.
Insbesondere wird im Artikel bemängelt, dass die islamischen Religionsgemeinschaften nicht mehr als alleinige Vertreter von deutschen Muslimen betrachtet werden. Natürlich bleiben sie aber auch und gerade wegen der manchmal für beide Seiten schwierigen Diskussionen ein wichtiger Dialogpartner des Staates – gerade in den Bereichen, in denen der deutsche Staat auf die Kooperation der Religionsgemeinschaften angewiesen ist. Diese nehmen die bedeutende Funktion ein, ihren Mitgliedern religiöse und soziale Dienstleistungen zu erbringen. Dabei muss die deutsche Gesellschaft auch anerkennen, was in und um Moscheegemeinden seit Jahrzehnten an wertvoller, oft ehrenamtlicher, Arbeit für Mitmenschen geleistet wurde.
Gleichzeitig haben sich aber auch außerhalb der klassischen Verbandsstrukturen Muslime in Deutschland organisiert. Das steht nicht im Widerspruch zur tradierten Verbandslandschaft, sondern ergänzt deren Arbeit, etwa in den Bereichen Wohlfahrt, Bildung, Jugendarbeit, Religion oder im Bereich des gesellschaftlichen Diskurses. Dies sehe ich zunächst als emanzipatorische Errungenschaft der Muslime in der deutschen Gesellschaft selbst und als ein Aspekt der Normalisierung des Islams als Religion in Deutschland. Dass dabei auch kritische Stimmen zu Wort kommen, sollte von den Religionsgemeinschaften als Chance verstanden werden, ihre Angebote so zu gestalten, dass sie auch für junge Muslime attraktiv bleiben. Nicht gelten lasse ich das Argument, dass die sich verändernde Rolle der islamischen Verbände einer angeblichen Bevormundung des deutschen Staates gegenüber seinen Muslimen gleichkommt.
Natürlich stimmt es, dass die gesellschaftliche Debatte über den Stellenwert des Islams in unserer Gesellschaft auch geprägt ist von Vorverurteilungen, Verallgemeinerungen, auch unfairen pauschalen Werturteilen gegenüber Musliminnen und Muslimen. Sicherlich ist da viel Frust entstanden. Doch genau hier setzt die Deutsche Islam Konferenz seit Jahren an: Sie regt offene Gespräche an, sie finanziert Forschung und liefert Fakten, sie bringt Akteure zusammen, die praktisch gemeinsam Lösungen für konkrete Probleme angehen. Damit fördert sie einerseits die strukturelle Integration des Islams in Deutschland, andererseits trägt sie so zur Versachlichung und zu einer Differenzierung der Debatte bei.
Ich werbe dafür, dass wir sehen, was wir seit Beginn der Deutschen Islam Konferenz in Deutschland alles erreicht haben: Wir haben uns als Staat mit den islamischen Gemeinden geeinigt auf gemeinsame Ziele im Zusammenleben in Deutschland, wir haben Grundlagen geschaffen für so unterschiedliche Themenfelder wie islamische Seelsorge und Wohlfahrt, den islamischen Religionsunterricht an Schulen, die Prävention von Muslimfeindlichkeit und Radikalisierung, die Ausbildung islamischer Theologen an Hochschulen, das muslimische Bestattungswesen, den interreligiösen Dialog, die gesellschaftliche Partizipation junger Muslime, und vieles mehr.
Ganz aktuell schauen wir uns an, wie der Staat die Ausbildung religiösen muslimischen Personals in Deutschland befördern kann und wie Moscheegemeinden sich vor Ort in der Kommune besser vernetzen können. Wenn wir als ein zentrales Anliegen verstehen, dass muslimische Menschen in Deutschland ihren Glauben frei leben können, auf Grundlage der Möglichkeiten, die ihnen unsere Verfassung bietet und wenn dabei alltagspraktische Hindernisse überwunden werden können, dann brauchen wir mehr Deutsche Islam Konferenz und nicht weniger.