Deutschland, deine Umma!

„Ich schreibe, damit mein Wissen nach meinem Tod existiert“

In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? Wir stellen querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma. Heute Dr. Ali Özgür Özdil.

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2022
Dr. Ali Özgür Özdil © Privat, bearbeitet by iQ.
Dr. Ali Özgür Özdil © Privat, bearbeitet by iQ.

Dr. Ali Özgür Özdil ist Islamwissenschaftler, Imam, Fortbildender und Dichter. 20 Jahre lang leitete er das Islamische Wissenschafts- und Bildungsinstituts e.V. in Hamburg. Aktuell bietet er kultursensible Fortbildungen für Ärzte und Pflegepersonal an. Seine Forschungsschwerpunkte und Publikationen überwiegen im Bereich interreligiöser Dialog, Religionsunterricht und islamische Theologie.

Nach mehr als 20 Jahren haben Sie die Leitung im IWB e. V. abgegeben. Nun sind Sie selbstständig. Wie sieht ihr Alltag aus?

Dr. Ali Özgür Özdil: Ich stehe früh morgens auf und beantworte meine E-Mails. Eventuell telefoniere ich auch etwas. Dann beginne ich mit der Recherche zu meinen Themen und arbeite an Konzepten und Präsentationen. Wenn ich dann noch Zeit habe, arbeite ich an meinen Buchprojekten weiter.

IslamiQ: Ihr eigentlicher Schwerpunkt lag im wissenschaftlichen Bereich. Sie waren Institutsleiter, Projektmanager, Prediger, Berater, Fortbildender, Lehrer, Dichter und Entertainer. Wie kam es dazu?

Dr. Özdil: Ich bin ein sehr neugieriger Mensch und habe mich daher nicht auf nur eine Sache beschränkt. Außerdem habe ich auf die große Nachfrage in der unserer Gesellschaft reagiert. Ich hatte sehr viele Anfragen erhalten und habe dann versucht, diesen gerecht zu werden.

IslamiQ: Nun bieten Sie Fortbildungen zur Kultur- und Religionssensibilität für Ärzte und Pflegepersonal an. Können Sie uns einen Einblick in diese Arbeit geben?

Dr. Özdil: Im Jahr 2003 hatte ich bereits angefangen, nebenberuflich in Krankenhäusern, Hospizen und Pflegeeinrichtungen das Personal im Bereich der kultursensiblen Pflege zu qualifizieren. Nun mache ich es hauptberuflich. Ich schreibe die Institutionen an und frage, inwieweit das Personal in Kultur- und Religionssensibilität qualifiziert ist. Es gibt einige Einrichtungen, die es anbieten und einige, die das noch gar nicht auf dem Schirm haben. Die Begriffe Religion und Kultur sind jedem bekannt. Dennoch ist dieses Wissen sehr oberflächlich, sodass viele im beruflichen Alltag überfordert sind, wenn sie mit Menschen verschiedener Religionen und Kulturen konfrontiert werden. Es ist möglich, dass Angehörige von Patienten im Flur kreischend in Ohnmacht fallen, dass sich in den Zimmern zu viele Besucher aufhalten oder das religiöse und kultursensible Fragen beantwortet werden müssen. Viele Pflegekräfte sind mit dieser Situation nicht vertraut oder wissen nicht, dass es sich dabei um ein kulturspezifisches Verhalten handelt. 

IslamiQ: Aktuell motivieren Sie auch junge Menschen, viel zu schreiben. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Dr. Özdil: Junge Menschen sind die wichtigste Ressource, die eine Gesellschaft haben kann. Vor allem die alternde deutsche Gesellschaft benötigt junge Menschen. Ich habe einen Online-Buchclub gegründet und helfe interessierten Menschen beim Schreiben und Veröffentlichen ihrer Bücher. Ich selbst habe jetzt aktuell 32 Bücher geschrieben und arbeite derzeit an zehn weiteren Veröffentlichungen parallel. Einmal im Monat gebe ich im Buchclub ein Seminar über Themen wie Lektorat, Buchcover, Buchtitel, Illustration usw. Weiterhin betreue ich einige auch individuell in ihren Buchprojekten.

IslamiQ: Welche Hobbys haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?

Dr. Özdil: An erster Stelle kommt in der Tat, dass Bücherschreiben. Ich bin jemand, der im Schnitt täglich zwei DIN-A4-Seiten schreibt. Ich kann an einem guten Tag auch 20 Seiten schreiben. Nach dem Schreiben kommen Bogenschießen und Fahrradfahren.

IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?

Dr. Özdil: Mein Lieblingsbuch ist in der Tat das Buch von Imam Ghazzâlî: „Das Elixier der Glückseligkeit“. Es ist eine wahre Inspirationsquelle für mich. Einer meiner Lieblingsfilme ist die Komödie „Ein Tollpatsch kommt selten allein.“ Ich habe ihn bestimmt schon 30-mal gesehen.

IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?

Dr. Özdil: Ich bin ein Familienmensch. Die Familie ist für mich eine Kraftquelle. Wenn ich mit meiner Familie zusammen bin, dann kann ich alles vergessen. Es gibt keinen Ort, an dem ich mich wohler fühle als zu Hause. Ich habe jetzt 20 Jahre ein Institut geleitet und öfter 30 Tage im Monat gearbeitet, bis spät in die Nacht. Obwohl ich viel unterwegs war, wurde ich jedes Mal, wenn ich nach Hause kam, herzlich empfangen.

IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?

Dr. Özdil: Es gab sehr viele schöne Momente in meinem Berufsleben, deshalb kann ich mich nicht auf den schönsten Moment festlegen. Nach meinen Vorträgen oder Fortbildungen habe ich Menschen erlebt, die zu mir gesagt haben, dass sie mir stundenlang zuhören könnten oder dass ich ihr Weltbild verändert habe. Das sind schöne Komplimente, denn ich weiß, wie schwierig es, Menschen vom Gegenteil ihrer Überzeugung zu überzeugen.

IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?

Dr. Özdil: Als humorvoll, hilfsbereit und viel beschäftigt.

IslamiQ: Ihr Lebensmotto?

Dr. Özdil: „Langsamer leben und mehr erleben.“ Die vergangenen 20–30 Jahre bin ich sehr viel gereist und hatte durchschnittlich mehr als 200 Termine im Jahr. Nach einer Zeit war das alles zu viel, sodass ich mit einem neuen Lebensabschnitt beginnen wollte. Ich wollte weniger tun, dies aber dafür intensiver.

IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie, um dieses Ziel zu erreichen?

Dr. Özdil: Prophet kann man ja nicht mehr werden. Der letzte Prophet war  Muhammad (s).  Es gibt eine Überlieferung, die sinngemäß heißt, dass die Gelehrten die Erben der Propheten sind. Ich möchte im Diesseits und im Jenseits zu den diesen Gelehrten gehören. Angesichts dessen versuche ich mir nützliches Wissen anzueignen und vermittle dieses Wissen weiter. Ich möchte mein Wissen nicht nur für mich allein behalten. Deswegen schreibe ich Bücher. Mein Wissen soll nach meinem Tod weiter existieren.

Leserkommentare

CHARLEY sagt:
"Prophet kann man ja nicht mehr werden. Der letzte Prophet war Muhammad (s)." Ja, weil er der letzte war, steht ein solcher zu sein, Hrn Özdil als Option nicht mehr offen. Aber am nächsten dran sind die "Gelehrten": "Es gibt eine Überlieferung, die sinngemäß heißt, dass die Gelehrten die Erben der Propheten sind. Ich möchte im Diesseits und im Jenseits zu den diesen Gelehrten gehören." Mehr geht eben nicht mehr. Darum also:..... "Angesichts dessen versuche ich MIR nützliches Wissen anzueignen und vermittle dieses Wissen weiter. Ich möchte MEIN Wissen nicht nur für mich allein behalten. Deswegen schreibe ich Bücher. MEIN Wissen soll nach MEINEM Tod weiter existieren." (Es zeugt von schwacher Religiösität, dass er sich so an diese Form eines "Dauerns" klammert.) Ist mehr Eitelkeit möglich?
21.10.22
12:47