Deutschland, deine Umma!

„Menschen sehnen sich nach seriöser Medienarbeit“

In Deutschland leben mehr als fünf Millionen Muslime. Wie viele kennen Sie? Wir stellen querbeet Menschen vor, die eine Gemeinsamkeit teilen: Sie sind Teil der Umma. Heute Tarek Baé.

23
01
2021
Medienarbeit Tarek Bae

Tarek Baé (27) ist in Berlin geboren. Er ist Journalist und Medienberater und studierte Kommunikation und Medien. Lange Zeit war er Redakteur der Islamischen Zeitung. Anschließend hat er sich in der Beratung selbstständig gemacht und Zeit und Geld in die Medienarbeit investiert.

IslamiQ: Als Journalist und Medienwissenschaftler benutzen Sie vermehrt die sozialen Medien. Wie ist die Resonanz auf Ihre Arbeit?

Tarek Baé: Medien wie wir sie kennen, sind immer ein Mittel der Einflussnahme und überhaupt der Teilnahme. In einer Medienwelt, in der große Akteure meistens den Ton angeben, ist es für freie Medienschaffende natürlich nicht einfach, Fuß zu fassen. Soziale Medien haben einige dieser Monopole maßgeblich herausgefordert.

Es ist Leuten wie mir möglich, Hunderttausende, sogar Millionen von Menschen zu erreichen, ohne dafür viel Geld oder exklusive Zugänge zu brauchen. Das birgt aber auch Gefahren, wie z. B. Populismus. Umso wichtiger ist es mir, auf sozialen Medien präsent zu sein und dort eine gewisse Mäßigung einzubringen. Und das kommt, soweit ich das sagen kann, gut an. Ich glaube, die meisten Menschen sehnen sich nach seriöser, professioneller und zugleich besonnener Medienarbeit.

IslamiQ: Mit welcher Motivation haben Sie Itidal TV gegründet? Und was erwartet uns in Zukunft?

Baé: Itidal war zunächst einmal für mich der Versuch, den Inhalten eine größere Plattform zu geben, als nur mich, Tarek. Itidal soll mit der Zeit zu einem Medium werden, auf dem sich junge Medienschaffende, die es woanders vielleicht schwieriger haben, finden und austoben können. Auf dem Weg dorthin wird man mich vielleicht etwas mehr sehen, als mir selbst lieb ist, aber das ist die Mühe wert, denke ich. Meine Hoffnung ist, dass die Art und Weise der Arbeit auch ohne mich fortgeführt und verbessert werden kann. Wenn ich mich umschaue unter den Menschen, die ich bei meinen vielen Seminaren kennenlernen durfte, dann habe ich keine Zweifel, dass es etliche Persönlichkeiten gibt, die es besser können als ich und einfach mal die Plattform erhalten sollten.

IslamiQ: In Ihren Posts kritisieren Sie des Öfteren einseitige und unseriöse Berichterstattung der Mainstream-Medien. Was vermissen Sie?

Baé: Das Problem der so genannten Mainstream-Medien ist, dass sie das Narrativ speisen, sie seien objektiv und Kritik an ihnen sei subjektiv. Was ich wirklich vermisse, ist echte soziologische Reflexion in der Medienarbeit. Der sogenannte Mainstream ist nicht objektiv, das kann er gar nicht sein. Die großen deutschen Medien haben allesamt hauptsächlich ein sehr beschränktes Nischenpublikum; vor allem ältere deutsche Männer ohne Migrationshintergrund. Man bildet nicht die Realität der Gesellschaft ab und das beginnt natürlich auch bei den Angestellten.

Dass es in vielen Bereichen erheblich an Kompetenz fehlt, sehen wir insbesondere bei Themen, die Minderheiten betreffen. Theoretisch müsste es Menschen in der Redaktion geben, die auf potenziellen Rassismus in der Medienarbeit aufmerksam machen. Und dann wiederum müsste es diejenigen geben, die diese Kritik akzeptieren und darauf basierend Verbesserungen einleiten. Wir sehen aber, dass das fehlt. Und so kommen dann tendenziöse Beiträge zustande, die unserer Gesellschaft einfach nicht gut tun.

IslamiQ: Welche Hobbies haben Sie, wie gestalten Sie ihre Freizeit am liebsten?

Baé: Kommt drauf an, welche Hobbys? Die Fake-Hobbys, die man in den Lebenslauf schreibt? Dann rudern, joggen und tanzen. Die Wahrheit ist, ich mache nichts lieber als mit meinen Freunden zusammen zu sitzen und zu philosophieren oder einfach zu chillen. Ich glaube, man unterschätzt den hohen Wert solcher Beschäftigungen. Alles andere, das man gern macht, hat seinen Sinn oder könnte als Hobby durchgehen, aber auch das ist meistens schöner, wenn man es mit Freunden macht. Ich würde sagen, meine Jungs sind meine liebste Freizeitgestaltung.

IslamiQ: Lieblingsbuch? Lieblingsfilm?

Baé: Sich auf einen Lieblingsfilm festzulegen, ist unglaublich schwierig. Es gibt Filme, die einen immer berühren. Von so Kindheitserinnerungen wie „Kevin allein in New York“ über Meisterwerke der Fiktion und Szenerie wie „Chihiros Reise ins Zauberland“ oder einfach ergreifende Filme wie „The Green Mile“. Aber ohne mich zu schämen würde ich auch sagen „Superbad“ oder die ganzen alten Comedy Filme wie „Prinz aus Zamunda“, „Rush Hour“, „Big Mamas Haus“ und worüber man sich sonst noch als Kind totgelacht hat. Und ich mag „Star Wars“.

Was Bücher angeht: Ich lese zu viel Fachliteratur oder Sachbücher. Das sind Bücher, aber keine Lieblinge. Einfach, weil es brutal komplex und zerschmetternd ist, hebe ich Edward Saids „Orientalismus“ hervor und weil es spirituell fordernd ist, Imam Gazâlîs „Elixier der Glückseligkeit“. Ansonsten gern Poesie. Mahmoud Darwish, Nizar Qabbani oder Nizami, Rumi, Goethe oder Rilke.

IslamiQ: Was bedeutet Familie für Sie?

Baé: Familie ist der Kern von allem, worüber wir zurzeit sprechen. In meiner Wahrnehmung ist der Wegfall von familiären Bezügen der ausschlaggebende Punkt für viele unserer sozialen Herausforderungen. Ich meine das keinesfalls in einer moralisierenden konservativen Manier, sondern phänomenologisch. Ich komme selbst aus einem großen, komplizierten Familiengebilde mit vielen starken Frauen, die beweisen, dass es das Familienbild aus der viktorianischen Zeit nicht zwingend braucht.

Ich meine eher, Familie ist die geradezu aufgezwungene Übung, Zwischenmenschlichkeit und Gemeinschaftlichkeit zu erlernen, zu verstehen und zu schätzen.

Ich glaube, wir müssen in unserer Zeit neue Wege finden, Familie greifbar zu machen füreinander. Ich bin jeden Tag dankbar für dieses Glück und die schönen Menschen um mich. Aber irgendwo ermahnt mich mein Gewissen, zu bedenken, dass nicht jeder Mensch das hat, aber eigentlich zumindest das Recht darauf haben sollte. Deshalb hebe ich die Wichtigkeit von Gemeinschaft so hervor.

IslamiQ: Der schönste Moment in Ihrem Berufsleben?

Baé: Es wäre nicht gerecht, es auf einen Moment zu reduzieren. Die größte Ehre, die mir je zuteil wurde, ist es, für Menschen sprechen zu dürfen. Und diese Dankbarkeit, die man dann erfährt, das ist unbezahlbar. Ich bin jetzt 27 Jahre alt. Als ich zur Schule ging und nach Vorbildern suchte, hatten wir niemanden, der uns abholte. Wenn ich heute sehe, dass Jugendliche sich durch meine Arbeit gestärkt fühlen und selbstbewusster mit sich und ihrer Umgebung umgehen, dann bin ich dankbar und demütig. Manchmal frage ich mich, ob ich der Verantwortung überhaupt gewachsen bin, aber es wäre töricht, die Schönheit dieser Arbeit so nicht zu erkennen.

IslamiQ: Wie würden Ihre Freunde Sie beschreiben?

Baé: Sie würden mich nicht beschreiben, weil ich sie mit stundenlangen Monologen über die stattfindende Fortsetzung des Kolonialismus, die Ähnlichkeit der Sprache des Antisemitismus mit der der Islamfeindlichkeit, das Existenzrecht Palästinas und die radikale Deutungshoheit über die Zusammensetzung von Döner übertönen würde. Meine Freunde würden also sagen, ich rede gern. Nein, eigentlich höre ich gern zu. Keine Ahnung, wie meine Freunde mich beschreiben würden. Solange ich für sie ein Freund bin, bin ich zufrieden.

IslamiQ: Ihr Lebensmotto?

Baé: Ich habe einige Prinzipien. Loyalität, Hoffnung, überhaupt Prinzipien haben. Aber ob das Mottos sind, weiß ich nicht. Zählt: Zu wissen woher man kam und wohin man geht? Ich glaube nämlich, alles dreht sich im Leben nur darum.

IslamiQ: Was ist Ihr größtes Ziel in diesem Leben und was tun Sie um dieses Ziel zu erreichen?

Baé: Mein Ziel ist ironischerweise, dass andere meine Ziele erreichen. Und diese Ziele sind, dass andere ihre Ziele erreichen. Auch wenn ich all meine Energie darin investiere, diese Arbeit zu machen und mit ihr auch konkrete Dinge zu erreichen, ist der Zweck eigentlich, die Jüngeren zu motivieren, selbstbewusst und souverän ihren Zielen nachzugehen. Ich bin nur ich. Mit ein paar – zugegeben, nicht wenigen – Leuten an meiner Seite. Wir sind weit gekommen und wollen weiter. Am weitesten sind wir dann, wenn andere uns überholen. Das ist mein Ziel.

IslamiQ: Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Für sich selbst, für Ihre Familie, für alle Muslime in Deutschland.

Baé: Frieden, inschallah.

IslamiQ: Was muss passieren, damit Muslime hier als selbstverständlicher Teil Deutschlands angesehen werden? 

Baé: Das ist eine Frage für ein ganzes Buch. Woran ich vielleicht schon schreibe. Um es möglichst kurz zu beantworten: Ich glaube, wir ertragen derzeit die Symptome einer verheerenden Identitätskrise. Bevor Muslime wirklich anerkannt werden, so wie sie sind, muss die Mehrheitsgesellschaft für sich herausfinden, wer und wie sie ist. So etwas ist nicht leicht. Übrigens sind ja auch Muslime nicht frei von diesen Identitätskrisen, ganz im Gegenteil.

Man sieht, dass viele Menschen in unserer Zeit sich leider zunächst über eine Gegnerschaft definieren. Wir haben als Gesellschaft Deutschlands eigentlich hervorragende historische Voraussetzungen. Vielfalt schafft Bildung und Bildung durch Vielfalt schafft Hochkulturen.

Wenn wir es schaffen, zumindest die Wertschätzung unserer Vielfalt als Teil unserer gemeinsamen Identitäten in Deutschland zu etablieren, dann kommen wir entschieden voran. Und vielleicht finden wir auch dann erst im Prozess die Worte und die Ideen, unter denen wir uns alle als selbstverständlicher Teil sehen. Alles in allem warten wir aber noch auf diese Entwicklungen, die noch Zeit brauchen. Für die einen gilt also, Hoffnung aufrechterhalten und für die anderen gilt, Horizont erweitern lassen.

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Es ist traurig, dass die Medien ohne rechtliche Konsequenzen sowie ohne Bedenken vor den Folgen gegen den Islam, gegen Muslime und deren Verbände hetzen, sie diffamieren, dämonisieren und damit das gesellschaftliche Klima vergiften sowie das friedliche Zusammenleben gefährden. Armes Deutschland.
23.01.21
21:56
grege sagt:
Solche Muslime wie Tarek Bae sind genau Angehörige im Umfeld der Muslimbrüder, die wie Fared Hafez für erdowahns Thinktanks aktiv waren. Des Weiteren betrachten sie ihr Islamverständnis als Bereicherung für die Vielfalt nichtmuslimisch geprägter Gesellschaften. Gleichzeitg lehnen diese Personen die Vielfalt ihrer eigenen Religion und dämonisieren Personen mit einem anderen Islamverständnis wie Korchide oder Kaddor. Hier wird deutlich, dass solche Personen Toleranz und Vielfalt von anderen einfordern, aber selber verweigern. Summa summarum ist gegenüber solchen Leuten größte Vorsicht und Misstrauen angesagt.
24.01.21
16:37
Vera Praunheim sagt:
Der agile Umma-Mann Tarek Baé ist im Internet auf vielen Plattformen emsig unterwegs. Dabei drängt sich schon auch der Eindruck eines Islam-Populisten auf. Er betont da auch ein demokratisches Recht zu missionieren und zu islamisieren und dafür auch alles zu tun bis zum Bundesverfassungsgericht hinauf. Nur schade, dass solche Rechte um zu christianisieren und christlich zu missionieren in islamisch geführten Ländern leider nur fromme Wünsche sind. Denn solche Ambitionen unterbindet dort der Islam bzw. die islamische Herrschaftsform. Obwohl sich dort viele Nicht-Umma-Menschen nach seriöser Akzeptanz sehnen.
24.01.21
22:44