Islamfeindlichkeit

Burhan Kesici: „Muslime fühlen sich alleine gelassen“

Die Bundesregierung hat einen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit einberufen. Im Interview sprechen wir mit dem aktuellen KRM-Sprecher Burhan Kesici über die steigende Islamfeindlichkeit und die Erwartungen an den Expertenkreis.

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09
2020
Burhan Kesici - Islamrat-Vorsitzender. © Islamrat
Burhan Kesici - Islamrat-Vorsitzender. © Islamrat

IslamiQ: Herr Kesici, das Bundesinnenministerium hat einen Expertenrat Muslimfeindlichkeit berufen. Welche Erwartungen haben Sie an das Gremium?

Burhan Kesici: Die Gründung der Expertenkommission Muslimfeindlichkeit ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Damit verdeutlicht die Bundesregierung, dass sie sich über die steigende Islamfeindlichkeit und die alltägliche Diskriminierung der Muslime im Alltag im Klaren ist. Ich erwarte eine differenzierte Darstellung der aktuellen Situation. Die Hauptaufgabe des Gremiums sollte es sein, den Alltagsrassismus sowie die institutionelle Diskriminierung von Muslimen sichtbar zu machen.

IslamiQ: Sind Sie mit der Besetzung des Expertenrates zufrieden?

Kesici: Im Großen und Ganzen ja. Natürlich sind auch Experten dabei, wo wir eine andere Auswahl bevorzugt hätten. Außerdem hätten wir uns gewünscht, dass Vertreter der Religionsgemeinschaften mit im Rat sitzen, weil wir in erster Linie die Betroffenen sind und den Alltagsrassismus durch unsere Mitglieder mitbekommen. Letztendlich können wir aber in Kooperation mit dem Expertenrat unseren Beitrag leisten.

IslamiQ: Der Expertenrat wurde nach dem rassistischen Terroranschlag in Hanau gegründet. Hätte die Bundesregierung früher reagieren müssen?

Kesici: Wir haben in Deutschland leider die Erfahrung gemacht, dass sehr vieles hinausgezögert wird, und man nicht rechtzeitig reagiert. Selbstverständlich hätte die Bundesregierung nach den NSU-Morden oder nach der Ermordung von Marwa el-Sherbini das Problem beim Namen nennen und es bekämpfen müssen.

Islamfeindliche Straftaten werden erst seit 2017 gesondert erfasst. Dies war ein Ergebnis unserer langen Gespräche mit dem Innenministerium – im Rahmen der Deutschen Islamkonferenz. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Bundesregierung schneller reagiert und bürokratische Hürden abnehmen.

IslamiQ: Für viele sind die offiziell erfassten Straftaten nur die Spitze des Eisbergs. Wie groß ist das Problem der Islamfeindlichkeit in Deutschland wirklich?

Kesici: Die Erkenntnisse seit 2017 zeigen, dass die islamfeindlichen Angriffe auf Muslime und ihre Institutionen weitaus häufiger vorkommen als gedacht. Das ist tatsächlich nur die Spitze des Eisbergs. Noch schlimmer ist, dass wir nichts über die Täter nur wenig über rechte Strukturen wissen und gleichzeitig fast täglich Hiobsbotschaften über Bundeswehrangehörige und Polizeiangehörige in rechten Milieus erhalten, die rassistische und antisemitische Äußerungen tätigen. Das zeigt uns, dass wir in Deutschland ein generelles Problem mit Islamfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Antisemitismus haben. Aus diesem Grund müssen wir gesamtgesellschaftlich dagegen vorgehen.

IslamiQ: Statistisch gesehen wurde im Jahr 2019 fast jede Woche eine Moschee angegriffen. Für viele Länder kein Grund, die Schutzmaßnahmen von Moscheen zu erhöhen. Wie beurteilen Sie dieses Verhalten?

Kesici: Wir erleben leider, dass Angriffe auf Moscheegemeinden, muslimische Institutionen oder auf Muslime sehr selten Reformen bzw. Schutzmaßnahmen mit sich bringen. In den Gesprächen mit dem Bundesinnenministerium und den jeweiligen Behörden wurden wir darauf hingewiesen, dass wir uns als Muslime selber um den Schutz unserer Einrichtungen kümmern müssen. Es war eine ganz große Herausforderung nach der Serie von Moscheeangriffen, die Polizei dazu zu bewegen, den Schutz vor Moscheen zumindest im Ramadan und bei den Freitagsgebeten zu erhöhen. Lange Zeit wurde dieser Zustand auf die leichte Schulter genommen.

Erst nach dem Angriff auf die Synagoge in Halle hat man die Sicherheitsmaßnahmen vor Moscheen erhöht. Und das zeigt uns immer wieder, dass wir hier Nachholbedarf haben. Im Gespräch mit dem Bundespräsidialamt habe ich gefordert, dass man sich auch öffentlich für die Sicherheit der Muslime einsetzen soll. Auf die Frage, was man konkret machen kann, antwortete ich, Muslimen das Gefühl zu vermitteln, dass man auf ihrer Seite ist und sie versteht. Denn dieses Gefühl fehlt manchmal. Muslime fühlen sich des Öfteren alleine gelassen. 

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Unbelehrbare Islamhasser - man begegnet ihnen fast täglich auch hier im Kommentarbereich - sind gehirnmanipulierte sowie gestörte Menschen, welche vielmehr ein Problem mit sich selbst haben als mit dem Islam, den Muslimen oder deren pervertierten Formen. Da ist professionelle Hilfe gefragt, weil die Ursachen nicht nur in den fast tagtäglichen Medienmanipulationen liegen, sondern meistens auch in der Kindheit. Alles andere, wie im Artikel beschrieben, ist lediglich Symptombekämpfung. Man muss die Bevölkerung dafür sensibilisieren und ihr das Bewusstsein vermitteln, dass Islamfeindlichkeit NICHT normal ist und es dafür KEINE Entschuldigung oder gar Berechtigung gibt. Wer dem vehement widerspricht, der ist gut beraten, sich professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
29.09.20
18:59
Vera Praunheim sagt:
Verfolgt man aufmerksam und kritisch das Weltgeschehen - auch historisch gesehen - ist man immer gut beraten, grundsätzlich wachsam und nicht blauäugig gegenüber islamischen Aktivitäten radikaler Art zu sein. Alles andere wäre naiv und weltfremd. Überall wo der Islam herrschaftlich das Sagen hat, wird es prekär oder gefährlich. Fanatiker bestreiten das natürlich. Das ist nichts neues unter der Sonne. Hoffentlich berücksichtigt das auch der hier beschriebene Expertenkreis zur Genüge. Dasselbe Prinzip galt einmal in bezug auf Kirchenmacht. Nur diese wurde mittlerweile entsprechend zurückgestutzt. Nur zu gerne würden Islamisten & Hardliner-Fundamentalisten dieses Vakuum wieder auffüllen. Und dem gilt es Einhalt zu gebieten - ohne wenn und aber. Selbstverständlich dürfen friedfertige Koranbuch-Anhänger ohne Polit-Aktivismus nicht alleine gelassen werden und brauchen geeignete religiöse Unterstützung ohne autoritäre Imam-Bevormundung und ohne Fundamentalismus-Training.
30.09.20
12:57
Kritika sagt:
An Dilaver Çelik Wenn ich Sie richtig verstehe, sehr geehrter Dilaver Çelik, Sie halten sich für normal, nichtwahr? Die, welche anderer Meinung als die Ihrige sind halten Sie für sind " gehirnmanipulierte sowie gestörte Menschen "? Grusslos, Kritika
30.09.20
21:43
Ute Fabel sagt:
Ich bin sowohl islamfeindlich als auch AfD-feindlich und stolz darauf. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sowohl Rechtspopulisten als auch der Islam einen sehr negativen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben. Eine Welt ohne Islam und Rechtspopulismus wäre eine viel bessere Welt. Der seit vielen Jahren erfolgreiche Entertainer und Jacob-Grimm-Preisträger Dieter Nuhr hat es wiederholt völlig richtig auf den Punkt gebracht: „Der Islam ist nur tolerant, wo er keine Macht hat. Wir müssen alles daran setzen, dass es dabei bleibt.
01.10.20
17:03
Kritika sagt:
An Vera, Ihren Beitrag habe ich mit Interesse gelesen; Ihre Meinung gefällt mir. Um einen Eindruck davon zu bekommen, was dann mit der Freiheit passiert, " wenn der Islam das Sagen hat ", - wie Sie es nennen - empfehle ich " Omar Farouq " und " Nigeria " einzugeben. Besten Gruss, Kritika
03.10.20
0:26
Johannes Disch sagt:
Jetzt gibt es seit 2006 die sogenannte Islamkonferenz. Es gibt eine Zusammenarbeit des deutschen Staates mit islamischen Verbänden. Nun gibt es einen Expertenkreis zum Thema Islamfeindlichkeit. Bezüglich des Islam gibt es inzwischen in Deutschland zig Gremien und Aktivitäten. Um keine andere Religion wird in Deutschland seit Jahren so viel Aufhebens gemacht wie um den Islam. Und was ist die Reaktion von Herrn Kesici?? -- "Muslime fühlen sich alleine gelassen." Mal wieder die typische Opferhaltung.
04.10.20
14:29
Johannes Disch sagt:
Der "Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit" thematisiert hoffentlich auch das Thema "innermuslimische Feindlichkeit." Es kann nicht sein, dass liberale und reformorientierte Muslime (Khorchide, Abdel-Samad, Ates, etc.) unter Polizeischutz leben müssen, weil orthodoxen Muslimen ihre Richtung nicht passt. -- "Wer schützt Muslime vor anderen Muslimen?", frägt pointiert und voller Berechtigung Mouhanad Khorchide. Es kann zudem nicht sein, dass das ganze zu einer Art Identitiätspolitik ausartet, wo die Gesellschaft in schutzbedürftige Minderheiten-- eine davon Muslime-- aufgeteilt wird.
05.10.20
14:52