Fleisch

Halal-Zertifizierung in Europa

Wer darf in europäischen Ländern Lebensmittel als „halal“ zertifizieren? Wie zuverlässig sind Halal-Siegel und worauf müssen muslimische Verbraucher beim Kauf achten? Ein Gastbeitrag von Yusuf Çalkara.

28
09
2019
Symbolbild: Halal-Zertifizierung, Insekten
Symbolbild: Halal-Zertifizierung, Insekten © shutterstock, bearbeitet by iQ.

Die Geschichte der Halal-Zertifizierung in Europa beginnt mit dem Aufbau langfristiger Handelsbeziehungen zu Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Vor allem arabischen Länder forderten eine Begutachtung von Import-Fleisch aus Europa durch zuverlässige Imame. Dadurch sollte man gewährleisten, dass das zur Ausfuhr bestimmte Fleisch von Rindern und Schafen, den Halal-Kriterien entsprach. Inzwischen gibt es in Europa über vierzig Halal-Zertifizierungsstellen, die meisten davon in Deutschland (6), Frankreich, Polen und den Niederlanden (jeweils 5). In Skandinavien und Portugal gibt es dagegen jeweils nur eine Zertifizierungsstelle. Ein Großteil der europäischen Halal-Zertifizierungsunternehmen gehört arabischstämmigen Muslimen, obwohl sie u. a. in Deutschland eine Minderheit unter der muslimischen Bevölkerung bilden.

Lücken in der Halal-Industrie

Das Fehlen einer übergreifenden Institution mit einem einheitlichen Regelwerk sowie die Bandbreite an Halal-Lebensmitteln hat in den letzten Jahren zur Gründung zahlreicher Zertifizierungsstellen für Halal-Lebensmittel geführt. Deren Personal ist für diese Aufgabe theologisch jedoch oftmals nicht ausreichend qualifiziert. Auch nichtmuslimische Inverstoren versprechen sich vom Geschäft mit halal-zertifizierten Lebensmitteln maximalen Profit. Wie zuverlässig derartige Zertifizierungsstellen sind, wird letztlich der persönlichen Beurteilung eines jeden muslimischen Konsumenten überlassen.

Verbraucherschutzverbänden fehlt häufig das nötige Hintergrundwissen zu den Kriterien.  Die Frage, ob und wie Produkte mit einem Halal-Siegel versehen werden, hat für sie deshalb nur nachrangige Priorität. Aber auch muslimische Konsumenten sollten sich nicht einfach auf das Halal-Siegel verlassen. Viele dieser sogenannten „einfachen“ Halal-Siegel kommen zwar rein optisch „islamisch“ daher, d. h. sie zeigen Moschee- oder Halbmondsymbole, meistens in Grün, jedoch lässt sich für Verbraucher nicht nachvollziehen, ob und wenn ja von welcher zuverlässigen islamischen Institution sie vergeben wurden. Tatsächlich handelt es sich hier nicht um Halal-Siegel, deren Nutzung von islamischen Institutionen kontrolliert, bestätigt und freigegeben wurde.

Alle Lebensmittel müssen halal sein

Sich nach islamischen Speisevorschriften zu ernähren ist für Muslime eine religiöse Pflicht. Das betrifft nicht nur Fleisch und Fleischprodukte, sondern auch „gesunde“ Lebensmittelzusatzstoffe. Lebensmittel werden heutzutage als Massenware produziert. In vielen Produktionsbereichen werden dabei auch Stoffe verarbeitet, die aus Schweinen gewonnen werden, z. B. Gelatine. Aus diesem Grund zögern viele muslimische Konsumenten entweder vor dem Kauf bestimmter Lebensmittel oder verzichten gänzlich darauf.

Die Frage, ob bestimmte Lebensmittel halal sind oder nicht, bezieht sich längst nicht mehr ausschließlich auf den Aspekt der Schlachtung. Inzwischen wird auch unter der der wachsenden muslimischen Bevölkerung in Europa der Ruf nach einer Halal-Zertifizierung lauter. Nicht nur muslimische Gemeinschaften richteten daraufhin Halal-Zertifizierungsstellen ein, auch Privatpersonen mit teils fragwürdigen Motiven haben die bestehende Lücke genutzt und eigene Unternehmen gegründet.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Halal-Zertifizierung

Eine transparente Halal-Zertifizierung wird aber nicht nur durch fehlende einheitliche Vorgaben und Beschränkungen erschwert, sondern auch durch kulturelle und religiöse Unterschiede zwischen den Muslimen in Europa und das geltende Recht der jeweiligen Länder, Rein islamrechtlich betrachtet, müssen alle Halal-Kriterien aus dem Koran und der Sunna entnommen werden. Das heißt: Die Grundzüge der Halal- und Haram-Kriterien müssen grundsätzlich überall identisch sein. Auf der Grundlage dieser gemeinsamen Kriterien gelten die folgenden Produkte und ihre Derivate für muslimische Konsumenten als verboten:

  • das Schwein und alle Nebenprodukte des Schweins
  • Raubtiere mit Fangzähnen und Krallen
  • verendete Tiere
  • Tiere, deren Verzehr grundsätzlich erlaubt ist, die man jedoch nicht nach islamischen Maßstäben geschlachtet hat

Blut und jede Form von Rauschmitteln, die wie Drogen und alkoholhaltige Getränke je nach Rechtsschule und geografischen Gegebenheiten gibt es noch weitere Kriterien.

Schächten und Halal-Zertifizierung

Die Problematik der Halal-Zertifizierung, die sich aus dem geltenden Recht europäischer Staaten ergibt, lässt sich am anhand der Debatte um das betäubungslose Schächten verdeutlichen. In Ländern wie Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden werden grundsätzlich Sondergenehmigungen für die islamische Schlachtung ohne vorherige Betäubung erteilt, weshalb das Fleisch von Tieren, die betäubt geschächtet wurden, von den örtlichen Halal-Zertifizierungsstellen als „nicht halal“ eingestuft wird.

In Deutschland, Österreich, der Schweiz, Dänemark sowie in den skandinavischen Ländern sieht die Situation hingegen anders aus. Hier ist die Schächtung ohne vorherige Betäubung gesetzlich nicht erlaubt, auch Sondergenehmigungen gibt es nicht. Deshalb bestehen zwischen dortigen Halal-Zertifizierungsstellen Meinungsunterschiede im Hinblick auf die Auswirkung der Betäubung auf die Einstufung von Fleischprodukten.

Wie können muslimische Verbraucher entscheiden?

Unter den gegebenen Bedingungen geht es in Europa also nicht nur darum, Fleisch und Fleischprodukte zu überprüfen. Daneben sollte man auch die Inhalte und Zusatzstoffe anderer Lebensmittel beachten. Eine bloße Auflistung islamkonformer Lebensmittel- und Lebensmittelzusatzstoffe (E-Nummern) reicht nicht aus, da diese je nach Hersteller oft nicht einheitlich verwendet werden und sowohl pflanzliche als auch tierische Zusatzstoffe bezeichnen können. Einige Zusatzstoffe müssen gemäß dem Lebensmittelkodex (Codex Alimentarius) nicht einmal in der Zutatenliste angegeben werden, solange sie einen bestimmen Grenzwert nicht überschreiten. Dies ist z. B. bei Fruchtsäften der Fall, die man mit Schweinegelatine filtert.

Verlässliche Halal-Siegel, deren Vergabe von kompetenten islamischen Institutionen geprüft und genehmigt wurden, sind der Ausgangspunkt für eine sichere Halal-Ernährung. Solange sie fehlen, ist der muslimische Endverbraucher gut beraten, beim Einkauf vorsichtig zu sein und die Halal-Siegel kritisch zu hinterfragen.

Leserkommentare

Abdussamed sagt:
Assalamu alaikum Lieber Yusuf, ich finde deinen sehr Artikel sehr zutreffend und fordere ein Umdenken in der musli. Community. Insbesondere unter türksp. Muslimen lässt sich beobachten, dass bein Fleischkonsum eher der Preis entscheidet, als die Gewissheit, dass das Fleisch tatsächlich halal ist. Die Halal-Zertifizierung und einheitliche Standards sind ein gemeinsames Interesse der musl, Gemenschaften in Deutschland. Nur wenn diese dies Begreifen und an einem Strang ziehen, ist eine Änderung möglich. Man sollte dabei auch folgende Frage thematiseren : Wie konnte es in Deutschland und anderen Ländern überhaupt zu einem Verbot der Schächtung kommen? Ich habe mit einigen Fleischverkäufern das Gespräch gesucht und meine Erfahrung war meistens sehr enttäuschend. Ich habe festgestellt , dass wirtschaftl. Interesse überwiegen und jegliche konstr. Kritik nicht angenommen wird. Stattdessen versucht man mit dubiosen Zertifikaten vertrauen zu gewinnen. Oft ist das theol. Background-Wissen leider auch nicht vorhanden. Eine Andere Problematik ist meines Erachtens auch die Frage bei der Schlachtung , ob derjenige der schlachtet überhaupt Muslim ist ( Aqida- technisch) Praktisches Beispiel : Das Geschlachtete von einem Ahmadiyya -Anhänger ? Fazit: Es sollte eine Versammlung einberufen werden in der diese Problematik in der musl. Community thematisiert wird. An der alle Muslime, die an diesem Thema interessiert sind, sich einbringen könnten. Meine Devise : Feststellen ist das Eine, etwas zur Veränderung beitragen, das Andere. Wassalam Abdussamed
28.09.19
21:17
Ute Fabel sagt:
Die Tradition des Schächtens stammt aus einer Zeit, in der es noch keine modernen Konservierungsmethoden gab. Beobachtet wurde vermutlich zu Recht, dass gut ausgeblutetes Fleisch besser haltbar ist. Einen tieferen ethischen Sinngehalt kann im Schächten nicht erkennen. Durch die Erfindung der Kühlschränke und die modernen hygienischen Standards fällt jedoch jede objektive Rechtfertigung für dieses tierquälerische Ritual weg.
29.09.19
13:49
Peter Z. Ziegler sagt:
Korrektur: In Deutschland ist das Schächten grundsätzlich verboten. Das Tierschutzgesetz (Paragraf 4a) untersagt das betäubungslose Schlachten von Tieren. Allerdings sind gemäss Bundesverfassungsgericht aus religiösen Gründen Ausnahmegenehmigungen möglich. Diese werden in den Bundesländern unterschiedlich restriktiv erteilt. Tierschützer drängen weiterhin auf ein vollständiges und striktes Verbot des Schächtens. Link zu einem Merkblatt des zuständigen Ministeriums in Baden-Württemberg: https://mlr.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mlr/intern/Schaechten_Erteilung_einer_Ausnahmegenehmigung.pdf
30.09.19
19:29
Brad Lewis sagt:
Bei Zertifizierungen - welcher Art auch immer - stellt sich immer auch die Frage: Und wer zertifiziert die Zertifizierer? Gläubigkeit bzw. vorauseilendes Vertrauen in angeblich hehre & edle Absichten selbsternannter Zertifizierungsstellen wäre nur weltfremd und naiv. Wachsamkeit und Prüfungen von Behauptungen - ohne Autoritätsgläubigkeit - sind notwendiger denn je.
04.10.19
14:11
Mustafa Kuş sagt:
Selamünaleyküm Leider ist dieses Thema sehr groß und bisher nie richtig besprochen und abgeschlossen. In Europa leben viele Muslime und wir haben viele muslimische Verbände, die desto trotz nicht in der Lage sind im europäischen Raum den Willen des Halal Schächten zu zwingen. Liegt das Problem an den Rechtschulen oder woran? Solange keine Einheit für dieses Thema gestellt wird und jeder getrennte Wege geht, wird nicht viel passieren.
08.10.19
13:15
Johannes Disch sagt:
@Mustafa Kus Das Problem liegt nicht an den Rechtsschulen. Die sind hier irrelevant. Entscheidend für Deutschland sind unsere Gesetze. Und wie das "Peter Ziegler" schon prima auf den Punkt brachte: Schächten ist in Deutschland verboten! ("Tierschutzgesetz § 4a). Damit ist das Thema durch! Da können sich die islamischen Verbände noch so oft zusammen setzen. Bezeichnend ist ihre Formulierung, den Verbänden vorzuwerfen, das Schächten bisher noch nicht erzwungen zu haben. Das Schächten fällt nicht unter die Religionsfreiheit.
10.10.19
14:25
Meryem Yildiz sagt:
Zitat: Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht. »Diese Werte unter dem Vorwand des Tierschutzes und einem winzigen Prozentsatz von betroffenen Tieren weiter auszuhöhlen, die Perversität der industriellen Massentierhaltung und -verarbeitung aber weiter zu dulden, ist scheinheilig und torpediert die kulturelle und religiöse Vielfalt Europas« Pinchas Goldschmidt Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz Katholische Nachrichten-Agentur (KNA).
11.03.20
7:38