Europa

„Den Islam in der Mitte akzeptieren“

Der Islam in Europa hat einen zweitklassigen Status. Dieser Meinung sind die amerikanischen Soziologen Richard Alba und Nancy Foner. Die Gründe hierfür und warum der Islam in Amerika weitaus angesehener ist, erklären sie in dem folgenden Beitrag.

16
08
2015

Der Islam schafft für Migranten und ihre Kinder in Westeuropa größere Herausforderungen – und Barrieren – als in den Vereinigten Staaten. Warum ist das so? Unser kürzlich erschienenes Buch, „Strangers No More: Immigration and the Integration of Immigrants in North America and Western Europe“ setzt sich mit dieser bedeutsamen Frage auseinander.

Natürlich gibt es auch in den Vereinigten Staaten erhebliche antimuslimische Ressentiments. Seit den Angriffen vom 11. September gab es gegenüber Muslimen zahlreiche Fälle von Diskriminierung, Hassverbrechen und staatliche Überwachung. Auch wenn ein wesentlicher Teil der Bevölkerung Europas angibt, eine positive Einstellung gegenüber in Europa lebenden Muslime zu haben – 58 Prozent in Deutschland, 64 Prozent in Großbritannien und 72 Prozent in Frankreich. So laut einer Studie des Pew Research Center aus dem Jahr 2014.

Europa und Amerika im Vergleich

Tatsache ist aber, dass muslimische Migranten in den Vereinigten Staaten noch nicht dieselbe bittere Reaktion hervorgerufen haben, wie im Großteil Europas. Der Islam führt anders als in Europa in den Vereinigten Staaten nicht zu einer großen Spaltung zwischen lang ansässigen Einwohnern und einem Großteil der Migrantenbevölkerung. Er wurde auch nicht zu einem häufigen Thema öffentlicher Debatten über Migrantenintegration oder -assimilation.

In den Vereinigten Staaten bezieht sich die Feindseligkeit gegenüber dem Islam eher auf Sicherheitsanliegen und dem Islam als externe Bedrohung für das Land von Auswärts. Obgleich in Europa auch die Furcht vor terroristischen Netzwerken sicherlich vorliegt, spielen „zivilisatorische Bedrohungen“ eine noch größere Rolle, sprich Bedrohungen gegenüber dem, was als zentrale europäische Werte angesehen wird, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Gleichheit der Geschlechter und das gleiche Rechte für Homosexuelle. In den Vereinigten Staaten hört man nur sporadisch Sätze wie die eines Geert Wilders: „Der Islam ist in Europa ein Trojanisches Pferd. Wenn wir die Islamisierung jetzt nicht aufhalten, werden Eurabien und Niederabien nur eine Frage der Zeit sein.“ (Es sei eingeräumt, dass man auch ähnliche Sätze gelegentlich in den Vereinigten Staaten hört.)

Die Gründe für die Unterschiede

Was ist der Grund für diesen transatlantischen Unterschied? Ein Grund bezieht sich sicherlich auf die demografischen Zahlen der Migration. Ein sehr großer Anteil der Migranten in Westeuropa (fast 40 Prozent) sind Muslime, wohingegen in den Vereinigten Staaten, der Großteil der Migranten Christen sind und Muslime nur einen sehr kleinen Anteil von ungefähr 4 Prozent der im Ausland geborenen Migranten ausmachen.

In der Tat machen alle Muslime ungeachtet ihres Migrantenstatus einen viel kleineren Prozentsatz der amerikanischen Gesamtbevölkerung aus (weniger als 1 Prozent). Zum Vergleich sind 8 Prozent der Bevölkerung Frankreichs, 6 Prozent in Deutschland und den Niederlanden und 5 Prozent in Großbritannien Muslime. Darüberhinaus wird der Islam, auch wenn es viele Konvertiten gibt, vor allem mit kürzlich erfolgter Migration in Verbindung gebracht. Zudem haben muslimische Migranten in Westeuropa in Bezug auf Armut, Erwerbslosigkeit und Ausbildung, ein viel niedrigeres sozioökonomisches Profil als die Migranten in den Vereinigten Staaten, wo ein wesentlicher Anteil gut ausgebildet ist und der Mittelschicht angehört.

Ein zweiter Grund, warum der Islam in Westeuropa problematischer ist, steht in Verbindung zur gegenwärtigen Stellung der Religion in der Gesellschaft. Im sehr säkularen Westeuropa bilden jene, die regelmäßig beten und streng gläubig sind, auch unter den Christen, nur eine kleine Minderheit und die Formen der auf religiösen Prinzipien basierenden sozialen und kulturellen Betätigung und Verhaltensansprüche werden häufig als unrechtmäßig angesehen. Es ist unwahrscheinlicher, dass die wesentlich gläubigeren Amerikaner religiöse Migranten, auch nichtchristliche, mit Unbehagen und Misstrauen betrachten werden. Im öffentlichen Raum und sogar in der Politik gestehen die Amerikaner religiös begründeten Argumenten eine viel höhere Rechtmäßigkeit zu als Europäer. Tatsächlich zeigen nationale Umfragen in den Vereinigten Staaten, dass Atheisten mehr Kritik hervorrufen als Muslime.

Drittens kommt der Religion in der Gesellschaft eine historische Rolle zu. Die amerikanischen Verfassungsprinzipien der Religionsfreiheit und der Trennung von Kirche und Staat und der zurückliegende Erfolg, das Judentum und den Katholizismus in den nationalen Mainstream zu integrieren, haben auch zu einer einfacheren Integration von nichtchristlichen Religionen geführt. Trotz dem Abbruch mehrerer Verbindungsstellen zwischen Kirche und Staat und trotz des hohen Grades der Säkularisierung, begünstigt in West-Europa der institutionelle Kontext weiterhin das Christentum und marginalisiert somit den Islam.

Marginalisierung des Islams

Muslime in Westeuropa sehen sich von besonderen Privilegien, die den Mehrheitskonfessionen zugestanden werden, ausgeschlossen und somit mit einem zweitklassigen Status konfrontiert.

In Deutschland muss der Staat nach dem Grundgesetz von 1949 in religiösen Angelegenheiten Neutralität wahren, aber es gibt trotzdem starke Verbindungen zwischen Kirche und Staat. Der alteingesessene Protestantismus, Katholizismus, ebenso wie das Judentum – aber nicht der Islam, die drittgrößte Religion – sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt und somit nicht berechtigt vom Bund eingesammelte Kirchensteuer zu beziehen und staatlich subventionierte religiöse Dienste und Krankenhäuser zu leiten. Weil der Islam nicht wie die übrigen Religionen organisiert ist, bleibt er dem staatlich unterstützten Mainstream außen vor.

Staatliche Unterstützung für Einrichtungen der etablierten Religionen hat zur Ungleichbehandlung des Islams geführt. In Frankreich besitzt und unterhält der Staat zum Beispiel die meisten christlichen Kirchen und erlaubt, dass sie für religiöse Dienste genutzt werden. Abgesehen von einigem Fortschritt muslimischer Gemeinden in der Errichtung von Moscheen sind die meisten französischen Moscheen behelfsmäßige Einrichtungen in umgebauten Räumen von Wohnungsbauprojekten, Garagen oder sogar Kellern. Muslimische Schüler in Frankreich dürfen in öffentlichen Oberschulen kein Kopftuch tragen und die Front National ist vehement dagegen, Alternativen ohne Schweinefleisch in Schulkantinen zu erlauben, obwohl einige Schulen freitags Fischgerichte servieren, um die katholische Tradition zu wahren.

Ein weiteres Beispiel wäre, dass in Großbritannien der Staat Unterstützung für religiöse Schulen anbietet, solange sie den nationalen säkularen Lehrplan unterrichten. Obgleich es den Anschein erweckt, dass alle Religionen gleich behandelt werden, bevorzugt diese Regelung die etablierten Religionen. Die britische Regierung finanziert mehr als 6.500 Religionsschulen, die der Kirche von England angehören oder katholisch sind, aber im Jahr 2010 finanzierte sie nur elf islamische Religionsschulen bei einer Bevölkerung von drei Millionen Muslimen.

In Frankreich besuchen ungefähr 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler religiöse (zumeist katholische) Schulen, die den Großteil ihres Budgets von der Regierung beziehen, aber im Jahr 2009 gab es nur zwei muslimische Schulen, die auf diese Weise finanziell unterstützt wurden. In Deutschland erhalten katholische und protestantische Schülerinnen und Schüler regelmäßig Religionsunterricht von Lehrerinnen und Lehrern an öffentlichen Schulen, aber Muslime werden nur in einigen Bundesländern im Islam unterrichtet.

Auch im Alltag kommen Muslime nicht umhin, die Dominanz des Christentums zu erkennen – und somit auch den zweitklassigen Status des Islams. In Bezug auf christliche Feiertage wird die öffentliche Anerkennung als selbstverständlich wahrgenommen, aber Muslimen sogar die wichtigsten Feiertage verwehrt. Weihnachten dominiert den öffentlichen Raum in ganz Europa, mit seinen Weihnachtsmärkten. In Frankreich schließen die jährlichen öffentlichen Feiertage die wichtigsten katholischen Feiertage mit ein, lassen aber die jüdischen und muslimischen Feiertage Außen vor.

Schließlich gibt es noch einen weiteren Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten und Westeuropa, der erwähnt werden sollte. In Deutschland und in anderen Ländern gilt die weit verbreitete Sorge, dass eine starke muslimische Identität mit dem Gefühl zu einer Nation zugehörig zu sein, konkurriert und dieses eventuell sogar ersetzen könnte. Im Gegensatz dazu wird der Fall, dass in den Vereinigten Staaten eine muslimische (oder ethnische) Identität geltend gemacht wird – zum Beispiel als muslimischer Amerikaner oder türkischer Amerikaner – als akzeptabler Weg angesehen, sich zu unterscheiden und gleichzeitig Amerikaner zu sein.

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Beginn groß angelegter muslimischer Migration nach Europa haben einheimische Europäer immer noch Schwierigkeiten damit, den Islam in ihrer Mitte zu akzeptieren. Die Rekrutierung einer erheblichen Zahl von europäischen Muslimen, die als fremde Soldaten unter dem Banner der Terrormiliz IS im Irak und in Syrien dienen, ist der Beweis dafür, wie sehr sich viele Muslime in europäischen Ländern, in denen sie aufgewachsen sind, nicht zu Hause fühlen.

Solange europäische Gesellschaften keine Wege finden, dem Islam in ihrem institutionellen und kulturellen Leben Raum zu schaffen, wird es auch weiterhin für Muslime schwierig bleiben. Dies birgt negative Konsequenzen nicht nur für Muslime, sondern auch für die jeweiligen Gesellschaften.

 

Leserkommentare

Kai Borrmann sagt:
Erstaunlicherweise haben die Verfasser der Studie, obwohl Soziologen, ein wichtiges Kriterium außer Acht gelassen: die ganz unterschiedliche Ausstattung mit kulturellem, wirtschaftlichem und sozialem Kapital. Muslime in den U.S.A. sind im Durchschnitt formal gebildeter als jene in Europa; auch die geographische Nähe zu Nordafrika und Kleinasien sorgt dafür, daß Muslime in Europa stärker in ihrer Herkunftskultur verhaftet bleiben und hier eine "Transnationale Unterschicht" bilden, aus der die meisten Mitglieder weder ausbrechen können noch wollen.
17.08.15
14:05
NoReligion sagt:
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Beginn groß angelegter muslimischer Migration nach Europa ... Warum ? Weil Niemand aus dem Volk diese Migration wollte. Der Islam verträgt sich weder mit der Demokratie noch mit der modernen westlichen Gesellschaft- wenn Gott die einzige Juristische Instanz ist, kann kein Gläubiger den Staat und das Grundgesetz anerkennen. SOLLTE es in der Tat sogenannte "Moderate " Muslime geben, dann tretet hervor ins Licht und sprecht mit uns. Nagy und Vogel sind keine Vertreter einer moderaten Richtung. Die LIES Aktion ist für mich eine unheilverkündende Todesdrohung (nehme ich eines der Bücher- was mache ich dann- das war das Angebot zum Islam, sobald ich es habe bin ich zum Abschuß freigegeben weil ich nicht konvertiere)
26.08.15
22:32