Istanbuler Konferenz

Neuanfang in den Beziehungen zwischen Sunniten und Schiiten?

Die Istanbuler Islam-Konferenz ist vorbei. Vielfalt und Einigkeit zwischen Sunniten und Schiiten wurde beschworen. Doch so einfach ist der Frieden zwischen den islamischen Konfessionen nicht. Es geht auch um Machtinteressen verschiedener Staaten in der Region. Ein Bericht von Bettina Dittenberger.

20
07
2014
0

Der Rahmen war ehrwürdig-historisch, die Appelle klangen eindringlich bis verzweifelt: Bei einer dreitägigen Konferenz im ehemaligen Sultanspalast Dolmabahçe in Istanbul haben Politiker und muslimische Geistliche nach einem Weg gesucht, einen innerislamischen Bruderkrieg zwischen Sunniten und Schiiten zu verhindern. Nur wenige Flugstunden vom Verhandlungsort entfernt gingen unterdessen im Irak und in Syrien die Gefechte zwischen sunnitischen und schiitischen Gruppen weiter. Die Radikalen, an die sich die Appelle von Istanbul richteten, waren bei der Konferenz nicht vertreten.

Das staatliche türkische Religionsamt (Diyanet) hatte das Treffen von mehr als 100 Gelehrten aus 32 Ländern organisiert. Die Behörde, die in der säkulären Republik für eine staatstreue Auslegung des Islam zuständig ist, hatte kürzlich angesichts der Eskalation in den südlichen Nachbarländern der Türkei vor einer Spaltung der islamischen Welt gewarnt.

Selbstkritik gefordert

Im Irak und in Syrien ist die radikal-sunnitische Gruppe „Islamischer Staat“ (IS) seit Wochen auf dem Vormarsch. Am Eröffnungstag der Istanbuler Konferenz erklärten Vertreter der extremistischen Sunniten, im Irak werde weitergekämpft, bis die Regierung des pro-schiitischen und von der Großmacht Iran unterstützten Ministerpräsidenten Nuri al Maliki stürze. Im Syrien kämpfen IS-Einheiten und andere Gruppen aus dem Umfeld der sunnitischen Al Kaida gegen das von Alawiten dominierte Regime von Staatspräsident Baschar al-Assad. Auch Assad erhält Hilfe aus dem Iran.

Angesichts dieser Lage ist es kein Wunder, dass sich der türkische Religionsamtsleiter Mehmet Görmez und andere sorgen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan forderte vor den Konferenzteilnehmern muslimische Selbstkritik. Jeder Muslim müsse sich fragen, was denn der Prophet Mohammed sagen würde, wenn er heute auf der Welt wäre.

Vielfalt der Konfessionen

Der Kernsatz von Erdogan und Görmez fand sich auch im Schlussdokument des Istanbuler Treffens wieder: Kein Muslim hat das Recht, sich über andere Muslime zu erheben und sie wegen ihres Glaubens unter Druck zu setzen oder gar zu töten. Die Vielfalt der Konfessionen müsse anerkannt und als Reichtum verstanden werden.

Solche Aussagen wurden im Dolmabahçe-Palast beklatscht – doch ob dieser Konsens im Alltag der Konflikte in Syrien und im Irak viel helfen wird, muss bezweifelt werden. IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi hat sich zum „Kalifen“ ausgerufen, zum obersten geistlichen Führer aller Muslime. Und für Baghdadi sind Schiiten nun einmal keine wahren Muslime und dürfen, ja müssen, deshalb bekämpft werden. Baghdadis Gruppe hat in ihrem Machtbereich im Irak nicht nur mit der Vertreibung von Christen, sondern auch mit der Zerstörung schiitischer Heiligtümer begonnen.

Gegensätzliche Machtinteressen

Nicht nur extreme und gewaltbereite Weltanschauungen wie die Baghdadis machen es für die Verfechter einer pan-islamischen Toleranz schwer, ihre Vorstellungen in die Realität zu übersetzen. In den Konflikten im Irak und in Syrien spielt die Religion zwar eine Rolle, doch noch wichtiger sind die gegensätzlichen Machtinteressen der beteiligten Länder. Im Hintergrund beider Kriege stehen die Interessengegensätze zwischen den sunnitischen Golfstaaten auf der einen und dem schiitischen Iran auf der anderen Seite. Beide Seiten nutzen religiöse Überhöhungen für die jeweils eigene Sache.

Daran konnte die Konferenz von Istanbul nichts ändern. Auch die Gastgeberin Türkei musste sich in den vergangenen Jahren vorwerfen lassen, in der Region eine einseitig pro-sunnitische Politik betrieben zu haben, etwa mit der Unterstützung für die Muslimbrüder in Ägypten. Wenn Erdoğan nun an die angeblich glorreiche und friedliche Zeit der Osmanen-Herrschaft im Nahen Osten erinnert, ist das nicht für alle Zuhörer überzeugend. Erdoğans irakischer Amtskollege Maliki zum Beispiel wirft Erdoğan vor, sich mit der Unterstützung sunnitischer Gruppen in die inneren Angelegenheiten seines Landes einzumischen.

Toleranz und gegenseitigen Respekt forderten die Teilnehmer des Istanbuler Treffens in ihrer Abschlusserklärung. Doch ob dieser Appell den „Neuanfang“ ermöglichen kann, von dem Erdoğan in Istanbul sprach, ist mehr als unsicher. (KNA)