Migration

„Ein Leben zwischen Brezel und Baklava“

Woher kommst du? Eine Frage, deren Antwort nicht unterschiedlicher sein kann. Wir haben mit jungen Menschen über ihre Erfahrungen und Gefühle bezüglich Zugehörigkeit und Ausgrenzung gesprochen. Ein Erfahrungsbericht.

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2019
60 Jahre Anwerbeabkommen - "Gastarbeiter" berichten © Shutterstock, bearbeitet by iQ.
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Die erste Generation kam mit einem Koffer voller Hoffnungen am Gleis 11 des Münchener Hauptbahnhofs an. Sie kamen ohne jegliche Vorkenntnisse in einem fremden Land an. Dieses Fremde Land wurde zur Heimat ihrer Kinder und Enkel. Eine Generation, die hier geboren, aufgewachsen und verwurzelt ist und Deutschland als Heimat definiert.

Es leben mittlerweile Menschen mit Migrationshintergrund in der 4. oder 5. Generation in Deutschland und obwohl sie etwas „Neues“ darstellen sind sie ein fester Bestandteil der Gesellschaft. Diese Menschen kennen das System, definieren die Landessprache als ihre Muttersprache, träumen und leben auf deutsch. Obwohl sie dieselbe Qualifikation, dieselbe Sprache und denselben Raum teilen, werden sie vor Entscheidungen gedrängt. Das ist eine Generation die sowohl Brezel als auch Baklava isst. Es stellt sich immer die Frage nach dem „entweder – oder“. Diesen Menschen werden immer noch zu ihrer „tatsächlichen“ Herkunft befragt und wegen ihren „sehr guten“ Deutschkenntnissen angesprochen.

In allen Bereichen des Alltags repräsentativ

Es ist eine junge Generation mit Migrationshintergrund, im Wissen, dass sie mehr leisten müssen. Vor allem bei der Wohnungssuche oder im Bewerbungsgespräch, wo mehr über Herkunft, Kopftuch und Identität gesprochen wird als über die eigene Qualifikation. Dass sie mit der deutschen Kultur und den deutschen Werten aufgewachsen sind, wird nicht beachtet. Denn Haarfarbe, Augenfarbe und Namen sind genug Indizien für ihr „Anderssein“.

Diese Generation stellt eine „Erneuerung“ in der Gesellschaft dar. Zeynep Çiçek ist eine junge Frau mit türkischen Wurzeln, die der Meinung ist, dass gerade ihre Generation Erneuerungen bringen müssen, „denn andernfalls wären wir die Generation die nicht Fortschritt, sondern Stagnation bringen würde“. Ihre Generation sei überall im Alltag vertreten. „Wir sind im Kino, in Museen, in Sportvereinen, in der Politik und noch vielen weiteren Bereichen präsent und dass ist genau das was unsere Generation kennzeichnet. Wir wollen die Gesellschaft mitgestalten und wir pflegen keine Gedanken für eine Rückkehr. Schließlich ist Deutschland auch unsere Heimat“, so Zeynep.

Eine weitere junge Muslimin aus dieser jungen Generation ist Kübra Sağ. „Unsere Großeltern kamen mit der Absicht Geld zu verdienen, um mit dem Ersparten zurück in die Heimat zu fliegen. Mit uns hat man damals gar nicht gerechnet. Wir definieren uns nun als ein Teil Deutschlands und unterscheiden uns nicht von denjenigen, deren Großeltern hier geboren und hier verwurzelt sind“, erklärt Kübra.

„Wir werden immer noch als Migranten und Migrantenkinder gesehen.  Was uns ausmacht ist viel mehr als unser Migrationshintergrund. Wir kämpfen mit Doppelidentitäten die man versucht uns aufzuzwingen. Man macht uns deutlich, dass wir deutsch sind aber nicht „genug“ deutsch, so Kübra abschließend.

Zwischen Brezel und Baklava

In Deutschland geboren und aufgewachsen und sich trotzdem zwischen zwei Stühlen zu fühlen ist keine Seltenheit. Es ist ein Kampf zwischen Zugehörigkeit und Ausgrenzung. Menschen mit Migrationshintergrund müssen sich ständig beweisen, um dazu zu gehören. Sie wollen als Teil Deutschlands anerkannt und toleriert werden. Denn viele von ihnen definieren sich bereits als deutsche. So wie Regina Schwab. Regina hat russische Wurzeln, ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sie definiert sich als deutsche. Sie fühlt sich mehr Deutsch als Russisch. Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund in der 3., 4. und 5. Generation fühlen sich wie Regina.

Regina habe sich daran gewöhnt, sich „in Deutschland nicht als Deutsche und in Russland nicht als Russin definieren zu können“. Es seien kleine Faktoren wie der Akzent oder das Verhalten, die eine Definition verhindern.

„Eine Sprache ein Mensch, zwei sprachen zwei Menschen“

Regina hatte im Kindergarten sprachliche Probleme. Dies führte dazu, dass ihre Familie mit ihr durchgehend deutsch sprachen. Vor allem wenn es um das Thema Sprache geht, sind die Eltern hin und hergerissen zwischen der Herkunftssprache und der Landessprache. Sobald ErzieherInnen auf die fehlenden Deutschkenntnisse hinweisen, fokussieren sich die meisten Eltern auf die deutsche Sprache, sodass die Herkunftssprache mit der Zeit verlernt wird. Dies führt dazu, dass sie den Bezug zur jeweiligen Sprache verlieren. Das führt irgendwann zu sprachlichen Fehlern, sodass sie sich für ihren deutschen Akzent schämen und die Sprache eher vermeiden.

Für Regina ist die Muttersprache, die Sprache vom Herkunftsland bzw. „die Sprache der Eltern und Großeltern.“ Für Kübra hingegen ist es ein Privileg zweisprachig aufwachsen zu können. Denn im türkischen gibt es die Redewendung: „Eine Sprache ein Mensch, zwei Sprachen zwei Menschen.“

Zeynep hat einen anderen Fokus zum Thema Muttersprache. Sie definiert ihre Muttersprache als die Sprache der Liebe. Türkisch ist für sie die Sprache ihrer Emotionen. In der Schule, in der Uni und auf der Arbeit spricht sie deutsch. Dafür kann sie sich stärker auf einem akademischen Niveau auf deutsch ausdrücken. Jedoch, aus der Tatsache heraus, dass zuhause türkisch gesprochen wird, hat es dazu geführt, dass türkisch die poetischere und emotionalere Sprache für sie ist. Demzufolge hat Zeynep eine emotionalere Bindung zu ihrer Muttersprache, was aber nicht bedeutet, dass sie auf deutsch ihre Emotionen nicht ausdrücken kann.

„Du kannst aber gut deutsch sprechen“

Akzente und Dialekte sind für jede Sprache ein kultureller Reichtum. Junge Menschen mit Migrationshintergrund bekommen immer wieder zu hören wie gut doch ihre Deutschkenntnisse seien. So ganz ohne Akzent und Dialekt. Obwohl sich diese Art von Kommentaren beim ersten Anblick positiv anhören, wirkt es auf viele Menschen mit Migrationshintergrund eher negativ.

„Nein, nein. Woher kommst du denn wirklich?“

Einer der häufigsten Fragen die Menschen mit Migrationshintergrund gestellt werden, ist die Frage nach dem Ursprung. „Woher kommst du wirklich?“ Wenn die Antwort Deutschland, Köln, Berlin oder ähnliches ist, kommt oft ein „das kann es ja nicht sein“-Grinsen und danach folgt eine Wiederholung der Frage. Nachdem eine erneute Antwort mit einer deutschen Stadt die fragende Person nicht befriedigt, wird die Frage wiederholt. Das Beharren auf der Frage nach dem Ursprungsland signalisiert einem, dass man nicht gut deutsch spricht, dass man nicht genug Deutsch aussieht, oder sich nicht genug Deutsch verhält.

Diese Art von Fragen führen dazu, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund in eine Identitätskrise gedrängt werden. In Zeynep ruft diese Art von Fragen verschiedene Emotionen auf. Was diese Art von Fragen mit ihr machen erklärt sie mit folgenden Worten: “Nach einem langen und anstrengenden Tag in der Uni steigst du endlich in den Zug, hilfst jemandem, unterhältst dich mit jemandem. Plötzlich kommt die Frage nach deiner Herkunft. Ich fühle mich dann in eine Parallelwelt mit Fenstern gedrängt. Und ja, dort werde ich gesehen und toleriert. Aber eben nur in der Parallelwelt.“

Zwischen Rassismus und Identitätskrisen

In letzter Zeit sorgen vor allem der Rassismus für eine gespannte Atmosphäre innerhalb der Gesellschaft. Die dritte und vierte Generation der Einwandererfamilien werden mit denselben aussagen wie ihre Großeltern konfrontiert. Auch ihnen sagt man: „Geht dahin zurück wo ihr herkommt!“ Diese Art von Diskriminierung und Hassreden sorgen für eine gesamt -gesellschaftliche Spaltung. Diese Menschen haben im Gegensatz zu ihren Großeltern keinen Ort zu dem sie zurückkehren könnten. Denn schließlich kommen sie ja aus Deutschland.

Für den einen ist Deutschland eine zweite, eine zusätzliche Heimat und für den anderen ist Heimat dort wo die liebsten sind. Kübra definiert die Städte Dortmund und Konya als ihre Heimat. Für Zeynep ist Heimat die Türkei und für Regina ist es Deutschland. Letztendlich schreibt jeder der Sprache und der Identität durch die eigenen „Heimaterfahrungen“, verschiedene Bedeutungen zu. Jeder entscheidet selbst wer und wo Heimat ist. Und jeder entscheidet selbst wer er in dieser Heimat sein möchte. Die Geschichten von Heimaten sind unterschiedlich und unterschiedlich wichtig.

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Wir müssen niemandem etwas beweisen. Wir sind einfach so wie wir sind und die meisten interessiert es nicht besonders. Die junge, akademisch gebildete muslimische Generation in Deutschland versteht sich viel eher als einen Schmelztiegel mit Deutsch als gemeinsame Sprache. Mit dieser Einstellung sind sie viel weiter entwickelt als jene alten Eliten und einem Teil von Moscheevereinen, welche in ihrer Einstellung immer noch am überholten Konzept der nationalen Identität (Stichwörter "Deutsche Leitkultur" und "Türkentum") hängen. Von beiden fühlt sich jene junge Generation von Muslimen nicht angesprochen und nutzt ihr akademisches Knowhow zur Weiterentwicklung neuer Identitätskonzepte im Einklang mit der jahrhundertealten islamischen Tradition sowie ihrer Lebenswirklichkeit in Deutschland - und um sich damit gesellschaftlich einzubringen. Da haben unsere Moscheevereine sowie die Eliten viel Nachholbedarf.
15.12.19
22:06
Emanuel Schaub sagt:
In diesem Punkt(Schmelzpunkt der gemeinsamen Sprache) ist das amerkinanische "Modell" eine gelungen Lösung. Bei aller Kritik an der Verhunzung (in meinen Ohren!) des Originals ,das gerade brexitiert... gruß emanuel
17.12.19
14:20
Johannes Disch sagt:
@Dilaver 15.12.2019, 22:06) Prima Beitrag, dem ich nur zustimmen kann.
29.12.19
20:00