Nachgefragt

„Die Reformation hat Europa nicht erneuert“

Autoren schreiben hunderte Seiten. Doch was passiert, wenn sie ihr Buch auf seine Essenz herunterbrechen müssen? Unsere Serie „Nachgefragt“ liefert Antworten. Heute Dr. Muhammad S. Murtaza und sein Buch „Die gescheiterte Reformation“.

28
10
2016
Das Buch von Dr. Muhammad Sameer Murtaza: Die gescheiterte Reformation - Salafistisches Denken und die Erneuerung des Islam.

IslamiQ: Wem würden Sie ihr Buch „Die gescheiterte Reformation“ gerne schenken und warum?

Dr. Muhammad S. Murtaza: Ich würde es gerne jungen Muslimen schenken, die irritiert und verwirrt sind über die große Anzahl muslimischer Bewegungen und Gruppierungen da draußen, die allesamt mit dem Anspruch auftreten, den Islam und die Muslime erneuern zu wollen, seien es nun radikale und militante Organisationen oder sogenannte „liberale“ Muslime. Das Buch kann helfen, alle diese Bewegungen zu sortieren und zu bewerten. Anschließend können orientierungssuchende Muslime sich selber die Frage stellen und hoffentlich beantworten, ob sie wirklich Teil irgendeiner dieser Bewegungen sein müssen, um Muslim zu sein.

Dr. Muhammad Sameer Murtaza
Die gescheiterte Reformation – Salafistisches Denken und die Erneuerung des Islam
ISBN-10: 3451348918
Herder Verlag
Oktober 2016

Aber ich würde es auch sehr gerne allen Nichtmuslimen schenken, die sich die Frage stellen, was denn eigentlich derzeit los ist in der muslimischen Gemeinschaft. Sofern sie bereit sind, in langen Zeiträumen zu denken und sich mit der Komplexität der Antwort auf ihre Frage auseinanderzusetzen, kann das Buch einen Beitrag leisten, den heutigen Zustand der Muslime verständlich zu machen.

IslamiQ: Warum ist die Thematik Ihres Buches im Lichte aktueller Debatten wichtig?

Murtaza: Ob das Buch wichtig ist, möge der Leser entscheiden. Inhaltlich setzt das Buch sich mit der an Muslime gerichtete Forderung auseinander, der Islam brauche eine Reformation, damit er endlich in der Moderne ankommt, womit natürlich immer die westliche Moderne gemeint ist.

Statt aber dieser Forderung zuzustimmen, wird in dem Buch aufgezeigt, dass die muslimische Welt sich bereits seit ca. 200 Jahren in einem Prozess befindet, der sehr viele Analogien zur Reformation aufweist. Die Salafiyya, ob nun die literalistische Salafiyya in Gestalt der Wahhabiten, die reformistische Salafiyya von Jamal Al-Din Al-Afghani und Muhammad Abduh, die ideologische Salafiyya wie beispielsweise die Muslimbrüder oder die literalistisch-ideologische Salafiyya wie sie von Sayyid Qutb und Muhammad Abd Al-Salam Faradsch vertreten wird, alle diese Bewegungen haben mit dem Protestantismus die Forderung *sola scriptura* (Allein durch die Schrift!) gemeinsam. Und das ist nicht die einzige Parallele zur christlichen Reformation.

In einem weiteren Schritt wird in dem Buch dann die Reformation kritisch betrachtet. Die Behauptung, dass die Reformation Europa erneuert habe, wird in dem Buch dekonstruiert. Die Reformation hat vielleicht den Menschen im Mittelalter etwas mehr Freiheit gebracht, aber sie hat das Christentum nicht erneuert, sondern gespalten und schreckliche Kriege bewirkt. Erst als beide Konfessionen erschöpft waren, war der Westfälischen Frieden 1648 möglich. Dies war damals zugleich eine Bankrotterklärung an die Friedenskraft des Christentums.

Daher muss auch an all jene, die von den Muslimen eine Reformation einfordern, zurückgefragt werden, ob sie dabei auch den Blutzoll der Reformation berücksichtigt haben. Sie sehen, das Buch will vor allem ein unbequemes Buch sein. Aber das Problem ist ja nicht, dass die Muslime eine Reformation benötigen, sie durchleben gerade eine, inklusiver all der Gewalt, die mit einem solchen Prozess verbunden ist.

In dem dritten Teil des Buches soll daher ein alternativer Weg aufgezeigt werden, der sich eben nicht an der europäischen Geschichte orientiert, da man geschichtlichen Ereignissen keine universale Bedeutung zuschreiben
kann. Vielmehr wird aus der islamischen Theologie, der islamischen Rechtswissenschaft, dem Sufismus und der islamischen Philosophie ein Lösungsweg aufgezeigt, wie wir Muslime einen Weg aus der aktuellen Gewaltspirale herausfinden. Ob dieser Lösungsweg vernünftig ist, darüber erhoffe ich mir Rückmeldung von den muslimischen Lesern.

IslamiQ: „Beim Lesen guter Bücher wächst die Seele empor.“ Warum trifft dieses Zitat von Voltaire auf Ihr Buch zu?

Murtaza: Ich denke muslimische Leser dürfte es erfreuen, dass das Buch keinen Forderungskatalog aufstellt, wie es so viele andere Bücher tun, die sich derzeit mit dem Islam beschäftigen. Vielmehr wird die Skizze einer Debattenkultur – inhaltlich und strukturell – aufgezeichnet, die es Muslimen unterschiedlichster Richtung wieder ermöglichen soll, vernünftig miteinander zu sprechen, damit die Umma als Akteur wieder Handlungsfähig wird.

Wo andere Autoren muslimische Gelehrte und Moscheegemeinden als Problem diffamieren, werden in dem Buch gerade die Moscheegemeinden und kompetenten Gelehrte als eine wichtige Komponente betrachtet, um erneut zu einem muslimischen Wir zu gelangen.

IslamiQ: Ihr Buch „Die gescheiterte Reformation“ in drei Wörtern zusammengefasst?

Murtaza: Integer, differenziert, konstruktiv.

IslamiQ: Eine spezielle Frage für Sie: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass der Islam keine Reformation im Sinne Luthers braucht, aber sich erneuern muss. Wie ist das zu verstehen?

Murtaza: Weder braucht der Islam eine Reformation noch eine Erneuerung, denn der Islam ist kein Subjekt. Wohl aber, muss die Umma sich erneuern. Was der Islam ist und morgen sein wird, hängt entscheidend davon ab, wie wir Muslime den Qur’an und das Lebensmodell des Propheten Muhammad interpretieren und verstehen. Es gibt Missstände in unserer Gemeinschaft, die kann man weder ignorieren, noch kann man sie hinweg reden. Also müssen wir in einem immerwährenden Prozess selbstkritisch uns gegenüber sein, Fehlentwicklungen wahrnehmen, thematisieren und uns von ihnen reinigen. Dieser Prozess stellt zugleich die Erneuerung der Muslime dar, da wir nur so den Idealen im Qur’an und in der Sunna gerecht werden. Und dann verändert sich natürlich auch die Außenperspektive des Islam. Von daher erklärt sich der Untertitel des Buches, auf den sie ansprechen.

Leserkommentare

Manuel sagt:
Ja und was ist mit der Scharia, dem Kopftuch, dem Niqab, dem problematischen islamischen Frauenbild, der sexuellen Unterdrückung, den umsichgreifenden islamischen Dogmatismus, die Aliberalität, den Antisäkularismus, dem starken innerislamischen Antisemitismus und Rassismus, Hr. Murtaza, darfauf gibt er keine Antwort!
29.10.16
13:30
Charley sagt:
Zu diesem Interview wäre viel zu sagen. Der Gebrauch des Wortes Umma klingt ein bisschen an an die Bedeutung des Wortes "katholikos" im Sinne von "allumfassend". Die Reformation war vor allem ein Vorgang der Individualisierung des Glaubens im Sinne eines individualisierten Prozesses (Gewissensfrage). Damit wird die Priorität des Gewissens gesetzt und auch letztlich als Urteil über das Textverständnis, in dem sich sonst (!) sofort alle möglichen unbewussten Urteile spiegeln. Insofern wäre für die obige Formulierung "einem immerwährenden Prozess selbstkritisch uns gegenüber sein, Fehlentwicklungen wahrnehmen, thematisieren und uns von ihnen reinigen" methodisch erheblich etwas Konkretes nachzuliefern, damit es nicht eine nette Floskel bleibt, unter der sich wieder jeder (!) in seiner ideologischen Auffassung gerechtfertigt sehen kann. Die Urteile über die Reformation im obigen Interview sind allerdings recht dürftig und genügen höchstens dem Niveau des Christen-Bashings. So dürfte kaum bekannt sein, dass zwischen "der Reformation" (1517) und dem Westfälischen Landfrieden (1648) eine erhebliche Zeit dazwischen lag und mit dem Augsburger Friedensschluss von 1555 (Cuius regio, eius religio) lange vor dem 30jährigen Krieg zunächst einmal eine Zwischenzäsur in der religiösen Auseinandersetzung gefunden wurde. Zugleich wurde allerdings der Individualisierungsprozess der religiösen Selbstbestimmung gestoppt. Und der 30-jährige Krieg zerstörte einen spirituellen Prozess, den weder die katholische noch die evangelische Seite verkörperte. Wenn man Geschichte verstehen will, muss man nicht nur schauen auf das, was passierte, sondern auf das, was stattdessen nicht passierte. D.h. in der Summe: Die obigen Urteile über die Reformation sind so fürchterlich oberflächlich, dass sie den Autor eher disqualifizieren als ihn autorisieren. Bleibt nur zu hoffen, dass er tatsächlich für "alle" Muslime spricht, und sei es nur der Methode oder dem Ansatz nach und zugleich bleibt zu hoffen, dass er das nicht tut, denn Individualität im Religiösen entsteht nicht in der äußeren Religionsfolklore, dass ist immer noch Massen"mensch"haltung (und zwar in jeder Religion!), sondern in einem inneren Prozess. Erstaunlicher Weise wird Friede in und durch Religionen erst dann entstehen, wenn diese gänzlich individualisiert sind. Ansonsten prallen die Ideologien von Gruppen aufeinander und es sind die "ideologisch besetzen" Köpfe, die "Krieg führen". Ein erleuchteter Zen-Meister, ein erleuchterer Hindu, ein erleuchterer Christ und ein erleuchterer Sufi-Meister hätten vermutlich weniger Konflikt miteinander als Vertreter einzelner muslimischer Gruppen, wenn diese sich zusammen setzen würden, denn erstere hätten die Buchstabenfrömmelei schon überwunden!
29.10.16
14:53
A.F.B. sagt:
Die Forderung nach Säkularisation im Islam geht genauso wie diejenige nach einer Reformation daneben. Weder im Islam noch in anderen außerchristlichen Religionen gibt es eine den christlichen Kirchen vergleichbare Institution. Somit sind die Ursachen, die zur Säkularisation im christlichen Abendland geführt haben, diesem eigen und nicht oder nur schwer auf andere Kulturen und Religionen übertragbar. In der Türkischen Republik bspw. hat die Säkularisation auf einen schmerzhaften Irrweg geführt. Die angebliche Trennung von Staat und Religion besteht dort nicht wirklich, sondern vielmehr handelt es sich um eine Bevormundung, ja Unterdrückung der Religion durch den Staat, die erst in neuerer Zeit unter Präsident Erdoğan gelockert worden ist. Aufgrund des Fehlens eben jener kirchenähnlichen Institution und Organisation der Muslime übernahm der Staat die Kontrolle über die Religionsangelegeheiten. In der BRD hält sich der Staat nicht an die ihm gebotene Neutralität, sondern mischt sich auf verschiedene Weise in die inneren Angelegenheiten der Muslime ein. So fungiert bspw. die „Bundeszentrale für politische Bildung“ als Propagandaministerium und versucht in „Informationsschriften“ den Muslimen vorzugeben, wie sie ihre eigene Religion zu verstehen haben. Außerdem hat sie die Verbreitung der Hetzschrift „Hurra, wir kapitulieren! Von der Lust am Einknicken“ des radikalzionistischen Publizisten Henryk M. Broder unterstützt. Eine weitere Einmischung geschieht durch die Anstellung von Dozenten zur Ausbildung von islamischen Religionslehrern, die sehr extreme und vom Islam der großen Mehrheit der Muslime abweichende Meinungen und Thesen vertreten und lehren. Offensichtlich wird damit bezweckt, den Muslimen einen liberalen pseudoreformatorischen Kitsch mit islamischem Anstrich anstelle des echten Islam anzudrehen und diesen von innen her auszuhöhlen. Reformatoren aus der Mitte des traditionellen Islams der Hauptströmung, die umsichtig und maßvoll vorgehen, wird dagegen kaum Beachtung geschenkt, sondern sie werden wegen ihrer „konservativen“ Haltung häufig zusammen mit den Extremisten der Salafi-Richtung in einen Topf geworfen, obwohl die Salafis – wie Herr Murtaza richtig feststellt – gar nicht konservativ sind. Welch verheerende Folgen eine solche Politik haben kann, zeigt das Beispiel Tunesien, wo der frühere Präsident Bourguiba – nach dem Vorbild Atatürks – in falsch verstandener Säkularisierung den Islam nicht nur marginalisieren, sondern großenteils auslöschen wollte. So ließ er die islamische Zaytuna-Hochschule schließen, die zur Ausbildung von islamischen Religionsgelehrten diente. Als dann nach dem Sturz seines Nachfolgers Ben Ali wieder Freiheit – auch Religionsfreiheit – herrschte, wurde die so entstandene Lücke an traditionellen gemäßigten Gelehrten durch meist in Saudi Arabien ausgebildete salafitische Prediger gefüllt, und so stammt ein verhältnismäßig großer Teil der Anhänger des vorgeblich „Islamischen Staates“ (IS, Dâ´isch) aus Tunesien.
31.10.16
1:26
Charley sagt:
@A.F.B.: "Die Forderung nach Säkularisation im Islam geht genauso wie diejenige nach einer Reformation daneben. Weder im Islam noch in anderen außerchristlichen Religionen gibt es eine den christlichen Kirchen vergleichbare Institution. Somit sind die Ursachen, die zur Säkularisation im christlichen Abendland geführt haben, diesem eigen und nicht oder nur schwer auf andere Kulturen und Religionen übertragbar." - Wer sagt denn, dass die Reformation etwas mit "den Kirchen" zu tun hatte. Es war ein theologischer Kampf zwischen Massenreligion und authentischer, individueller Religion. Luther hatte keine Kirche, als er sich gegen die kath. Kirche stellte! Lies doch erst mal mein Statement. - Auch der Rest deines Statements funktioniert nach dem Muster: Erst einmal eine Karrikatur zeichnen, dann erheblich deren Unrichtigkeit "beweisen". - Eine Religion, die stets auftritt, politische, gesellschaftliche Verhältnisse zu bestimmen, muss (sich selbst) "unterdrückt" erscheinen, wenn sie diese Übergriffigkeit über eine moderne Gesellschaft nicht ausleben kann. Und wenn diese Religion mit dem modernen Freiheitverständnis der Individualität nichts anfangen kann, dann muss sie anachronistische Verhältnisse herbeiführen wollen. - In der Summe: Dein ganzes Statement sagt mir vor allem: Wie bewahre ich mich vor solchen selbstgerechten Moslems, wie schütze ich auch meine Gesellschaft vor solchen selbstherrlich Urteilenden.
31.10.16
13:44
Walter Bornholdt sagt:
Wenn ich mir das hier durchlese und dazu des Taqiyya-Meisters A. Mazyeks Predigt aus Anlass des Reformationstages in einer evangelischen Kirche höre, dann mag ich nur noch mit Sir Winston Churchill antworten: "Lache niemals über die Dummheit anderer - sie könnte Dir nützlich sein!"
31.10.16
20:18
Johannes Disch sagt:
@A.F.B. Richtig ist: Historische Konstellationen und Entwicklungen sind nicht 1:1 übertragbar. So lagen die Bedingungen, die in der westlichen Welt zu Renaissance und Aufklärung führten, in der islamischen Welt nicht vor, weshalb es auch ein (beleibter) Kurzschluss ist, dem Islam pauschal zu unterstellen, es fehle ihm eine "Aufklärung." Hier übertragen wir westliche Entwicklungen auf die islamische Welt und fordern, der Rest der Welt hätte sich gefälligst nach westlichen Maßstäben zu entwickeln. Dass die Säkularisierung in der Türkei ein Irrweg war, ist meines Erachtens ebenfalls zu pauschal. Zu hinterfragen ist die Art und Weise, wie Atatürk dieses Säkularisierung gestaltete, nämlich mit der Holzhammermethode. Beim einfachen türkischen Volk wurde diese Säkularisierung nie internalisiert, weshalb wir jetzt auch eine Rückkehr des Islam in der Türkei erleben. Dass Sameer Murtaza einen Sayid Qutb als reformatischen Denker des Islam ansieht, das ist mehr als bedenklich. Sayid Qutb ist der ideologische Godfather des modernen Islamismus. Von ihm stammen die ganzen Formeln einer "Haykimath Allah" ("Gottesherrschaft"), die den Islam politisch interpretieren.
01.11.16
12:15
Manuel sagt:
@A.F.B.: Ja wirklich toll, wie sich die Türkei dank Erdogan und seiner AKP-Islamisten nun in Richtung islamistischen Gottesstaat entwickelt, Atatürk hat die Türkei nach vorne gebracht und nicht irgendwelche Islamisten, die jetzt wieder zurück ins Mittelalter wollen. Nur von Koransuren auswenig lernen und ständigen Beten kann es keine Entwicklung geben, man sehe ich sich die heutige islamische Welt an, Rückständigkeit pur. Aber ich verstehe schon, dass das einem Anhänger des politischen Islam nicht passt. Außerdem haben wir hier in Europa eine liberal-säkulare Gesellschaftsordnung und keine mittelalterlich-islamische, also wenn Ihnen das nicht passt, steht es Ihnen ja frei in ein islamisches Land Ihrer Wahl zu gehen.
01.11.16
12:21
Charley sagt:
@manche hier: So langsam tuts weh! 1:1 wiederholt sich die Geschichte nicht, ja! Es ist immer etwas anders! Ja! Aber es sind doch oft ähnliche Triebkräfte wirksam, darum ähnlich, darum vergleichbar! Worum gehts? Menschsein ist etwas Unverselles, nicht regional, kulturell, epochen-zeitlich Bedingtes. Menschsein ist etwas sich Entwickelndes. Darum gibt es geschichtliche Entwicklung. Gerade weil dieses Entwickeln des Menschseins etwas der christlichen Intention Immanentes ist, hat sich auch diese selbstkritische, selbstfindende Wissenschaft speziell als Geschichtswissenschaft entwickelt, und zwar ab der Renaissance im Abendland. Wo kennt der Islam einen Entwicklungsbegriff des Menschseins? Da gibt es nur einen (!) Jetztzustand, der - man "toleriert" die Entwicklung - ewig fortgeschrieben wird (und zwar der Zustand des menschlichen Selbstverständnisses wie Mohammed es hatte). So stehen in "islamischen" Ländern ein anachronistisches Menscheinbild neben einer Bevölkerung, die in die Moderne, in das zeitgemäße menschliche Selbsterleben hinein drängt (Iran, Saudi-Arabien, "arabischer Frühling" usw...). Das Freiheits- und Selbstbestimmungsbedürfnis, dass u.a. der Reformation zugrunde liegt, was sich "europäisch" u.a. in der Reformation ausdrückte ist aber etwas Menschheitliches. Darum gab es diese freiheitsstrebenden Menschen in Peking auf dem "Platz des Himmlischen Friedens"! Und auch anderswo in der Welt lebt das, einfach weil es MENSCHEN sind! Menschliche Entwicklung ist aber vor allem Bewusstseinsentwicklung. Da heraus entfalten sich die verschiedenen äußeren Lebensverhältnisse. Darum empfindet der Mensch diese zu sich passend oder nicht, ist zufrieden oder rebelliert. Es war in Mesepotamien eben "normal", dass die Diener dem gestorbenen Herren "in den Tod folgten". Die gottgleiche Verehrung, die den Pharaonen zukam, war begründet in der Einweihungserweckung, die ein Pharao durchgemacht hatte und in den aus mythischen Bewusstsein diesen anstaundenen Untergebenen. Und es ist bezeichnend, dass z.B. genau dieses Prinzip im Cäsarenwahn in die totale Dekadenz geriet, als zugleich mit dem Christentum ein enormer Individualierungseinschlag in die Geschichte hinein kam. Entwicklung ist aber individuelle Entwicklung und darum kann es zu einer Zeit in ihrem Bewusstsein fortgeschrittene Menschen geben (z.B. Attatürk) und gleichzeitig Menschen, die in ihrem Bewusstsein eigentlich Qualitäten ausleben, die Jahrhunderte zurück liegen ("Beim einfachen türkischen Volk wurde diese Säkularisierung nie internalisiert") . Zugleich mag es auch Menschen geben, die mit ihrem Bewusstsein schon weit in der Zukunft stehen ("Heilige", "Wissende"), wenngleich die heutzutage nicht öffentlich wirken ("dürfen", weil es die Freiheit verletzen würde). Auch die Papstverehrung ist ein ägyptisches Relikt ("Unfehlbarkeitsdogma"). Darum ist die Welt so bunt, weil ständig verschiedene "Bewusstseins-Zeiten" nebeneinander stehen und weil manche, die um diesen Entwicklungsprozess der Menschheit wissen, ihn versuchen zu manipulieren (das geht aber jetzt sehr weit, sollte aber mal gesagt werden. "Clash of civilisation" lässt etwas davon aublitzen. Die Entschlossenheit, mit der manche "Ewig-Gestrigen" sich gegen die Entwicklung stemmen ist allerdings wohl auch z.T. nicht ganz unbewusst.). - Insofern hat die Reformation Europa verändert, wenngleich sie - s.o. mein Posting - nicht vollendet ist. Es ist eben noch im Prozess. Insofern hat sie, insofern sie - aus den Europäischen Bedingungen heraus - dem Freiheits- und Selbstbestimmungswillen des Menschen Ausdruck verlieh, durchaus menschheitliche Bedeutung. Insofern die Islamische Welt - man zeige mir wo und wie - diese Selbstbestimmung nicht wertschätzt, sondern die "Allah-Marionette" fordert, insofern der Islam gar keinen Begriff (ich meine Begriff, nicht Prozess) der Entwicklung des Menschen zur Freiheit hat, ist er ein retardierendes Element in der Geschichte (was sich überall zeigt, wo der Islam das Ruder in die Hand bekommt). Das "Christentum" wird sich auch entwickeln müssen. Der Reinkarnationsbegriff wird Bestandteil des Christentums werden (ist im NT angedeutet, wenn Christus Johannes d. Täufer als wiedergekommenen Elias bezeichnet). Lessing bringt es auf den Punkt: Insofern die Menschheit eine sich entwickelnde ist, muss ich schon immer dabei gewesen sein und werde auch weiterhin dabei sein. - Solche Begriffe sind dem Islam komplett fremd und er hat auch nichts zu bieten, was das Freiheits- und Selbstbestimmungsbedürfnis des Menschen so befriedigt. Da gibt es gar kein Selbst, was sich nicht schlussendlich doch in "Allah" wieder auflöst und insofern auch eigentlich nie existierte.
02.11.16
9:56
Johannes Disch sagt:
Na, der Artikel enthält einige fragwürdige Thesen und Schlussfolgerungen. Die Reformation hat vielleicht Europa nicht erneuert. Aber sie hat das Christentum erneuert. Sie hat das Christentum verändert. Sie hat es-- reformiert. Luthers Anliegen war kein politisches, sondern ein theologisches.
05.11.16
12:11
Peter sagt:
Sehr geehrter Herr Disch, Sie schreiben da einen ganz schönen Blödsinn zusammen. Das Christentum erneuert? Merkwürdige Erneuerung: a) Kirchenspaltung, b) Fortsetzung der Spaltung im protestantischen Lager, c) gegenseitiges Abschlachten von Christen, d) Schrumpfung der protestantischen Kirchen zu Landeskirchen, e) enormer Bedeutungsverlust der protestantischen Kirche in der Moderne. Sind die Kirchen durch die Reformation voller geworden? Wurde der christliche Glaube gestärkt? Die Reformation war die Katastrophe für das Christentum.
08.11.16
8:15
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