Al-Azhar-Präsident Al-Tayyeb

„Kein Botschafter der Barmherzigkeit“

Der Großimam der Al-Azhar Universität stattete Deutschland – im Zeichen des Friedens – einen Besuch ab. Die Studentin und Menschenrechtsaktivistin Fagr Eladly warnt vor voreiligen Freudensprüngen und erklärt, warum sein Besuch ein falsches Signal darstellt.

21
03
2016
Al-Azhar Universität © by Jorge Láscar auf Flickr (CC BY 2.0), bearbeitet islamiQ

Der Rektor und Großimam der Al-Azhar Universität in Ägypten, Al-Tayyeb ist derzeit auf einer Europareise. Vergangene Woche besuchte er den Bundestag in Deutschland und das Islamzentrum in Münster, um dann anschließend nach Rom zur Audienz bei Papst Franziskus weiterreisen. Der 70-jährige wurde 2010 zum Großimam der Al-Azhar ernannt und lehrt dort Philosophie und Theologie. In Anbetracht seiner Geschichte, Haltung und derzeitigen Funktion ist es schlichtweg falsch und ignorant ihn als Botschafter des Friedens und der Barmherzigkeit zu bezeichnen und als mündigen und adäquaten Dialogpartner zu verstehen.

Die Prominenz der Al-Azhar Universität in Ägypten, gar in der islamischen Welt, lässt sich nur schwer leugnen. In Ägypten wird die Al-Azhar-Institution heute weitestgehend als verlängerter Arm, als Instrument des Staates betrachtet, was die Glaubwürdigkeit und die tatsächliche Relevanz des Al-Azhar deutlich dahinschwinden ließ. Für viele Ägypter, aber auch für zahlreiche Muslime in anderen Ländern ist die Abhängigkeit der Al-Azhar von dem ägyptischen Staat, die unabdingbare Unterstützung des Staates bereits Realität. Letztere spricht keineswegs dafür, dass die Al-Azhar die Sorgen, Konflikte und die Ungerechtigkeit thematisiert und sich für das „Leid“ der Menschen in Ägypten oder gar in der arabischen Welt einsetzt. Wie die meisten Institutionen in Ägypten ist auch die Al-Azhar in seinen Machtstrukturen und seiner Führung von Intransparenz und Korruption geprägt.

„Der Fisch stinkt vom Kopf!“, einen Spruch, den einer meiner Lehrer zu sagen pflegte und der auch in diesem Kontext sehr tauglich ist.

In seiner Rede behauptete „Großscheich“ Al-Tayyeb, er sei unpolitisch und neutral, was aufgrund seiner eigenen Geschichte schlichtweg falsch ist: Al-Tayyeb war Mitglied des Zentralkomitees der Nationaldemokratischen Partei Ägyptens, die mit der Revolution 2011 aufgelöst wurde, nach dem sie getragen vom autoritären Regime seit 1978 die Macht an sich riss, Wahlen fälschte, den Sicherheitsapparat instrumentalisierte und letztendlich nur als Werkzeug Mubaraks und der wirtschaftlichen Elite fungierte. Erst nach seiner Mitgliedschaft und der entsprechenden Bemühung innerhalb der Partei wurde Al-Tayyeb zu dem „Großscheich“ und somit dem Direktor der Al-Azhar eingesetzt, durch Mubarak.

Ahmad Al-Tayyeb verkörpert somit bereits seit der Ära Mubaraks ein diktatorisches Regime und ist überzeugter Unterstützer der Diktatur, von der er selbst profitierte. Er vertrat die Interessen Mubaraks, dessen Elite und unterstützt heute das Militärregime, vertreten durch Sisi, in dem Fortbestehen der ehemaligen Machtverhältnisse. Al-Tayyeb entwickelte einen manipulativen religiösen Diskurs und legitimierte die skrupellosen Verbrechen und Verletzungen des ägyptischen Sicherheitsapparates. Ferner fördert er die Korrumpierung und den Machtmissbrauch innerhalb der Al-Azhar-Institution, was ihm in Vergangenheit seinen Aufstieg und seine führende Position erst ermöglichte.

Unter Al-Tayyeb und weiteren Führungspersönlichkeiten entwickelte sich ein klerikal-militärisches Bündnis, welches den Demokratisierungsprozess und den Anspruch des Volkes auf Souveränität, Würde und Gerechtigkeit seit dem 25. Januar 2011 untergräbt. Al- Tayyeb instrumentalisiert die Religion, um die Unterdrückung des Volkes, die Verbrechen und die wirtschaftliche Ungerechtigkeit zu legitimieren. Inmitten der Revolution im Januar 2011 titulierte Ahmed Al-Tayyeb das Protestieren gegen Mubarak als „haram“, ein Begriff, der im Islam Taten bezeichnet, die verboten und als Sünde gewertet werden. Herr Al-Tayyeb rief öffentlich zu Gehorsam gegenüber der korrupten und skrupellosen Führung Ägyptens auf und tituliert diesen Gehorsam als religiöse Pflicht, deren Missachtung als religiöser Fehler gelten soll.

Fagr Eladly erregte Mitte 2015 bei einer gemeinsamen Pressekonferenz des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah Al-Sisi und der Bundeskanzlerin Angela Merkel Aufsehen, als sie Sisi einen „Mörder“ nannte. Danach drohte ihr die Entziehung der ägyptischen Staatsbürgerschaft.

Seit 2013 hat sich die Menschenrechtslage in Ägypten dramatisch verschlechtert. Ägypten ist heute ein Unrechtsstaat. Doch nie äußerte sich Al-Tayyeb zu der Missachtung der Rechtstaatlichkeit.

Warum hat man Herrn Al-Tayyeb bei seinem Besuch nicht gefragt, was er von der Revolution 2011 hält, und der Tatsache, dass aktuell weit mehr als die Hälfte der Ägypter in menschenunwürdigen1 Verhältnissen leben, dass 80% als „sozial bedürftig“ gelten, während sich die Führung des Militärs und die wirtschaftliche Elite weiterhin bereichern kann.

Man frage Herrn Al-Tayyeb, was er von dem Vergehen an DemonstrantInnen im Januar 2011 hält, von dem Maspero-Massaker, den Jungfräulichkeitstests durch Sisi selbst angeordnet, von dem Rabaa-Massaker, dem Niederbrennen von Menschen in dem Al-Nahda-Protest, von den Hunderten Todesurteilen und den 50.000 politisch Gefangenen.

Man frage weshalb in 12 Monaten etwa 2000 junge Ägypter „verschwinden“, warum all diese Familien Guilio Regenis „Schicksal“ befürchten müssen. Selbst die Unterdrückung, Verhaftung und Misshandlung der Al-Azhar- Studenten, der „eigenen“ Studenten, durch den ägyptischen Sicherheitsapparat hat Herr Al-Tayyeb nie missbilligt.

Im Grunde genommen ist Al-Tayyebs Darstellung als Botschafter des Friedens, der im Bundestag die Instrumentalisierung der Religion tadeln und den interreligiösen Dialog voranbringen soll, absurd und als falsches Signal zu werten.

Nicht nur, dass Al-Tayyeb als „Großscheich“ versagte, indem er selbst die Religion instrumentalisierte, missbrauchte und gleichzeitig die grundlegendsten Prinzipien des Islams verletzte; Herr Al-Tayyeb hat längst auch als Mensch versagt.

 

Leserkommentare

otto sagt:
Interessant - gab es denn muslimische Demonstrationen gegen den Großscheich zum auftritt im Bundestag oder in Islamzentrum in Münster? Habe davon nichts mitbekomme. Oder ist das niemanden bekannt ?
21.03.16
23:57
Ute Fabel sagt:
Demnächst wird der iranische Präsident Rohani nach Wien kommen, wo ich wohne. Ich würde mich freuen, wenn es anlässlich seines Besuch muslimische Demonstrationen gegen die politische Instrumentalisierung des Islam im Iran seit 1979 gäbe oder wenn ich zumindest einen Artikel von Frau Fagr Eladly in IslamiQ darüber lesen würde.
22.03.16
11:07
Manuel sagt:
Das die Moslembrüder Ägypten in einen Scharia-Staat verwandeln wollten, davon sagte die gute Fr. Fagr Eladly nichts oder gehört Sie etwa selbst dieser Gruppe an? Nur weil jemand demokratisch gewählt wurde, ist er noch lange kein Demokrat, das wissen wir vor allen aus der deutschen Geschichte.
22.03.16
11:20
Johanna sagt:
Und was haben die Muslimbrüder jetzt mit dem Artikel zu tun?
23.03.16
7:48
Manuel sagt:
@Johanna: Weil die Autorin so tut, als wäre vor Al-Sisi die Demokratie ausgebrochen, nur weil die Moslembrüder (MB) gewählt wurden, die Moslembrüder waren aber beinharte Islamisten, die Ägypten in einen Scharia-Staat verwandeln wollten, doch das kritisiert sie nicht. In der MB-Verfassung wurden den religiösen Gelehrten der al-Azhar-Universität eine wichtige Stellung in der Gesetzgebung eingeräumt und dann spricht sie auch noch von einem "klerikal-militärisches Bündnis", was war denn dann das Regime der MB? Weiters hat zuerst das Volk gegen die MB und Morsi wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage demonstriert und das waren Mio., auch das ignoriert sie.
24.03.16
15:42