Marwa El-Sherbini

Antimuslimischer Rassismus: Résumé einer andauernden Gefahr

Der Mord an Dr. Marwa El-Sherbini, der sich heute zum sechsten Mal jährt, ist ein Lehrstück für die verheerenden Folgen, die antimuslimischer Rassismus haben kann. Ein Lehrstück für den mangelhaften Umgang mit islamfeindlichen Taten und eine Mahnung, antimuslimischen Rassismus bzw. Menschenfeindlichkeit nicht ungehindert wuchern zu lassen.

01
07
2015

„Bevor sie ihre Aussage beendete, wandte sich Marwa El-Sherbini zum Angeklagten und sagte mit einem freundlichen Lächeln, der Islam sei eine friedliche Religion […].“ Wenige Minuten später waren sie und ihr ungeborenes Kind tot. Niedergestochen durch den Angeklagten mit 18 Messerstichen. Dieser störte sich an dem Kopftuch von Marwa El-Sherbini, hatte sie fast ein Jahr zuvor als „Islamistin“ und „Terroristin“ beschimpft. Deswegen stand er am 01.07.2009 wegen des Vorwurfs der Beleidigung vor dem Landgericht Dresden im Rahmen einer Berufungsverhandlung. Aus diesem Grund sagte El-Sherbini als Zeugin an diesem Tag vor Gericht aus. Die Tat ereignete sich, als sie den Gerichtssaal verlassen wollte. Ihr Ehemann wollte ihr zu Hilfe eilen und wurde dabei durch mehrere Messerstiche lebensgefährlich verletzt. Außerdem gab ein hinzukommender Polizist gezielt einen Schuss auf den Ehemann ab und traf ihn in ein Bein, da er ihn als Täter einstufte. Beobachtet hatte die Tat der dreijährige Sohn des Paares, den die Eltern mit in den Gerichtssaal genommen hatten. Er blieb – jedenfalls körperlich – unverletzt.

Die Beweggründe für den Täter lassen sich laut eigener Aussage in einem Satz resümieren: Marwa El-Sherbini habe nach dem 11. September 2001 keine Lebensberechtigung in Deutschland.

Dessen ungeachtet taten sich die Medien und Politik lange Zeit schwer mit der Einordnung der Tat. Die Möglichkeit, dass es sich dabei um eine antimuslimische Straftat handeln könnte, wurde zunächst völlig ausgeblendet. Zudem wurden die Gründe für das Verhalten des Sicherheitsbeamten gegenüber dem Ehemann des Opfers kaum thematisiert.

Sechs Jahre sind seit der Ermordung El-Sherbinis vergangen. Der „Tatort“ Dresden ist nun Hochburg der Pegida-Proteste. An diesem Ort, an dem sich einer der schlimmsten islamfeindlichen Straftaten ereignete, warnen nun „besorgte“ Bürger vor der Islamisierung des Abendlandes und skandieren ihre islamfeindlichen Parolen. Bisweilen erfahren diese Proteste sogar Verständnis von Politikern.

Auch im Übrigen muss konstatiert werden, dass aus diesen islamfeindlichen Taten und den Ermittlungsfehlern keine Lehren gezogen wurden. Die Anschläge auf Moscheen und andere religiöse Einrichtungen sowie Übergriffe auf Musliminnen und Muslime und ausländisch aussehende Personen nehmen zu. Dennoch werden die Taten selten von Ermittlungsbehörden oder der Politik als islamfeindliche oder rassistische Taten eingestuft. Vielmehr wird von dieser Seite angemahnt, nicht gleich von einer islamfeindlich motivierten Tat auszugehen. Es werde in alle Richtungen ermittelt, heißt es oft.

Exemplarisch ist insofern der Brandanschlag auf die Berliner Mevlana-Moschee zu nennen. Dabei wurde zunächst überhaupt das Vorliegen einer Straftat ausgeschlossen. Erst später – insbesondere auch durch die Hinweise der betroffenen Gemeinde selbst – wurde ein technischer Defekt für den Brand ausgeschlossen und festgestellt, dass es sich um eine vorsätzliche Brandstiftung handelt. Eine politisch motivierte, also islamfeindliche Tat, wollten die Ermittler trotz dessen nicht annehmen, da die Ermittlungen noch liefen. Hier muss folgende Frage erlaubt sein: Wenn vor dem Abschluss der Ermittlungen nicht von einer antimuslimischen Tat ausgegangen werden soll, wie kann umgekehrt diese Möglichkeit vorschnell ausgeschlossen werden?

Am 9. Februar wurde eine muslimische Studentin auf dem Heimweg von der Universität in Kaiserslautern angegriffen. Obwohl gewichtige Anhaltspunkte für eine antimuslimische Straftat sprechen – das Kopftuch der Studentin wurde heruntergerissen, sie wurde mit Alkohol überschüttet – blenden die Ermittlungsbehörden einen solchen Hintergrund aus. Stattdessen suchten sie die Schuld bei der Studentin selbst, die nun ausgelöst durch einen Migazin-bericht als „Leyla“ bekannt geworden ist.

Es können noch weitere Beispiele genannt werden: So beschimpften und attackierten drei vermutliche Neonazis eine türkische Familie in Bielefeld im April dieses Jahres. Eine rassistische Straftat erkannten die Ermittler zunächst nicht. Am 15. Juni 2015 wurden drei indischen Studenten in Jena-Lobeda von einer Gruppe betrunkener Jugendlicher angegriffen, die ihnen zuvor den Hitlergruß gezeigt hatten. Auch hier schlossen die Ermittlungsbehörden politische Motive für die Tat zunächst aus.

Die Beispiele illustrieren, dass aus dem Mordfall Marwa El-Sherbini keine Lehren gezogen wurden. Weiterhin werden Muslime als Terroristen und Islamisten stigmatisiert; ein Zustand der nicht hinnehmbar ist.

Gleichwohl bleibt die Tat eine Mahnung an die gesamte Gesellschaft: Antimuslimischer Rassismus darf nicht schweigend hingenommen werden. Ihn zu unterbinden ist eine notwendige gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Leserkommentare

Walter Bornholdt sagt:
Verwechseln sie doch nicht immer kriminelle Fremdenfeindlichkeit oder gar Rassismus (egal von wem!) mit berechtigter Kritik an den Lehren und Praktiken des Islam. Ich höre die Berufsmuslime und ihre Helfershelfer nur fordern und von uns Anpassung verlangen. Anpassung an ein frühmittelalterliche Ideologie etwa ?! Dann müssen sie auch mit dem Widerstand leben!
03.07.15
9:53
Angela Walter sagt:
Der Mann hat eine junge, aktive Mutter aus ihrem Leben gerissen! Marwa war in ihrer Jugend eine Handballspielerin und hat für Länderspiele mit ihrem Team viele Reisen unternommen. Sie hat mit ihren Freundinnen ein Wohltätigkeitsbasketballtunier erfunden, das bis Heute in Ihrer Heimat jährlich durchgeführt wird um für kranke Kinder Geld zu sammeln. Sie hat Pharmazie studiert und in ihrem Beruf gearbeitet. Sie sollte ihr Praktikum in einer Apotheke in Dresden beginnen. Ihr Mann hat ein Stipendium in der Genetikforschung gehabt zu diesem Zeitpunkt! Wo ist da die "frühmittelalterliche Ideologie"? Jetzt kommt wieder der Spruch "Ja, solche Muslime meinen wir ja nicht. Wir meinen die Muslime, die...!" Die was? Keine Bildung haben? Sich assozial benehmen? Auf Staatskosten leben? Kriminiell sind? Oder wen? Oh, wie ich mir wünschte der Mörder von Marwa hätte diesen Unterschied zwischen "Muslimen" und "Muslimen" gekannt! Dann hätten wir dieses Jahr nicht wieder bei ihrer weinenden Mama gesessen, sondern mit ihr zusammen!
07.07.15
12:50
Hamburger Jung sagt:
Was die Muslime fordern fordern ist nicht die Anpassung der Mehrheitsgesellschaft an eine mittelalterliche Ideologie sondern, an die eigens entwickelte freiheitliche Demokratie, wo Menschen ungeachtet dessen, was sie glauben und praktizieren, ihr Leben mit Würde gestalten können, solange sie friedlich sind. Es ist schmerzhaft zu wissen , dass eine Frau wegen ihrer Glaubenspraxis ermordet wird. Egal ob der Mörder ein Türke, Nazi, Taliban, Deutscher, Muslim oder Christ ist. Noch trauriger ist es, dass es im Gerichtssal passiert und der Polizist gleich wie der Mörder auf das Opfer schießt. Traurig ist auch, dass die Behörden das ganze runterjubeln. Wo man denkt, dass diese Tragödie in ihrer Trübsal nicht zu übertreffen ist, hört man Menschen sagen, dass die Opfer sich hätten anpassen sollen. Das ist schlimmer als schlimm. Denn bei so einer Aussage erkennt man den bitteren Tod des Mensch-Seins. Marwa! meine liebe Schwester, Allah möge Dich mit Seinem Paradies belohnen. Ich bitte um eine Fatiha für ihre Seele. al-Fatiha!
16.07.15
2:49
Yalçın Tekinoğlu sagt:
Vielen Dank für den Artikel und die herzzerreißenden Kommentare in positiver wie negativer Hinsicht. Solange der Staat seine muslimischen Bürger nicht schützt und Gesetze zum Minderheitenschutz der Muslime entwickelt, beteiligt er sich an diesen Straftaten. Das beginnt bei der statistischen Erfassung antiislamischer Straftaten und endet nicht bei der Sensibilisierung und Kompetenz für islamfeindliche Hintergründe. Solange der Staat den Muslimen nicht den gleichen Stellenwert wie anders- oder nichtgläubigen Bürgern einräumt, werden Muslime trotz höchster Bildung oder Bildungsabschlüsse, trotz hohem Einkommen, trotz beruflicher Position, trotz ihrer (bio-deutschen) Herkunft, trotz vieler Sprachkenntnisse, trotz ihrer Friedliebigkeit, immer nur bloß "Muslime" sein.
19.07.15
10:26
Matthias sagt:
@Yalçın Tekinoğlu: Wie kommen Sie zu der Behauptung, der deutsche Staat schütze die Muslime in Deutschland nicht? Und sind es nicht Muslime, die ihr Muslimsein in den Vordergrund stellen, wenn sie Gebetsräume an Universitäten fordern oder das Tragen von Kopftüchern auch im Staatsdienst? Und verwechseln Sie bitte Deutschland nicht mit dem Osmanischen Reich. Im Osmanischen Reich, waren Spezialgesetze zum Schutz von Minderheiten erforderlich, da es ein muslimischer Staat war, der fremdes Staatsgebiet vereinnahmt hat und dann irgendwie mit den dort lebenden Christen umgehen mußte, wollte er nicht viele kleine Unruheherde riskieren. In Deutschland gilt das Grundgesetz, wonach alle vor dem Gesetz gleich sind und jeder seine Religion frei ausüben kann. Es geht nicht darum, neue Gesetze für Minderheiten zu kreiren, sondern darum, das Grundgesetz endlich auch auf Muslime anzuwenden. Wer hat eigentlich den Begriff des Bio-Deutschen erfunden?
21.07.15
13:30
Hamburger Jung sagt:
Matthias, Sie haben es tatsächlich geschafft, Deutschland mit einem Reich aus dem Mittelalter zu vergleichen. Gratuliere! Dass Deutschland wunderschöne Gesetze hat, ist unumstritten. Aber was ist mit der Umsetzung seitens Behörden? Was ist mit der Akzeptanz seitens der Bevölkerung? Tja! Im byzantinischen Reich war das nicht anders. Nicht wahr?
24.07.15
22:25