Diskrepanz

„Bundesregierung nimmt antimuslimischen Rassismus nicht ernst“

Eine Kleine Anfrage zu Islamfeindlichkeit und Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023 legt Unterschiede in Schutz, Förderung und politischer Priorisierung offen. Opposition und Muslime kritisieren ungleiche Strukturen.

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Bundesregierung und Muslime © shutterstock, bearbeitet by iQ
Bundesregierung © shutterstock, bearbeitet by iQ

Seit dem 7. Oktober 2023 verzeichnen zivilgesellschaftliche Organisationen in Deutschland einen deutlichen Anstieg antisemitischer wie auch islamfeindlicher Vorfälle. Eine Kleine Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung, deren Antworten exklusiv der IslamiQ-Redaktion vorliegen, macht jedoch eine deutliche Diskrepanz im politischen Umgang mit diesen beiden Phänomenen sichtbar.

Während Antisemitismus als eigenständiges Handlungsfeld mit klaren Strukturen und Ressourcen behandelt wird, bleibt antimuslimischer Rassismus politisch nachrangig.

Zwar betont die Bundesregierung in ihren Antworten mehrfach, alle Formen von Rassismus zu bekämpfen. Doch antimuslimischer Rassismus erscheint dabei vor allem als Unterkategorie eines „phänomenübergreifenden“ Ansatzes. Ein eigener Nationaler Aktionsplan gegen antimuslimischen Rassismus – wie er von Forschungseinrichtungen und Betroffenenorganisationen gefordert wird – ist laut Bundesregierung „derzeit nicht geplant“.

Anders fällt der Umgang mit Antisemitismus aus. Hier verweist die Bundesregierung auf einen eigenen Lagebericht, konkrete Handlungsempfehlungen, einen ausgebauten Schwerpunkt im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ sowie auf einen Kooperationsverbund mit sechs dauerhaft geförderten Trägern.

Auch finanziell zeigt sich die Ungleichbehandlung: Für den Schutz jüdischer Einrichtungen stellt der Bund seit dem Anschlag von Halle im Jahr 2019 Sondermittel in Höhe von 22 Millionen Euro bereit. Vergleichbare Programme für Moscheen oder muslimische Einrichtungen existieren nicht – obwohl allein bis Ende September 2025 mindestens 31 Angriffe auf Moscheen bekannt wurden.

Erfassung islamfeindlicher Angriffe ist katastrophal

Scharfe Kritik kommt aus der Opposition. Ferat Koçak, Sprecher für Antirassismus und Antifaschismus der Linksfraktion, erklärt gegenüber IslamiQ: „Die Antwort auf unsere Kleine Anfrage zeigt: Die Bundesregierung nimmt antimuslimischen Rassismus nicht ernst.“ Während jüdische Einrichtungen zu Recht geschützt würden, herrsche zu den 31 Angriffen auf Moscheen allein bis Ende September 2025 „Schweigen“.

Besonders problematisch sei zudem die Erfassung islamfeindlicher Gewalt. „Die Erfassung islamfeindlicher Gewalt ist katastrophal“, so Koçak. Für 2024 seien aus zunächst 621 gemeldeten Fällen durch Nachmeldungen 1.848 geworden. Zivilgesellschaftliche Stellen wie CLAIM dokumentierten sogar mehr als 3.000 Vorfälle. Das deute auf eine massive Dunkelziffer hin.

Koçak sieht darin keine bloße Nachlässigkeit, sondern „eine politische Entscheidung, die Rechtsextremen freie Bahn macht“. Deshalb fordert er: „Ein funktionierendes Erfassungssystem, das die reale Gewalt abbildet. Dauerhafte Förderung für Selbstorganisationen statt befristeter Projektgelder. Vergleichbare Strukturen für alle Betroffenen von antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus. Das Geld ist da. Die Lösungen sind bekannt. Was fehlt, ist der politische Wille, diese strukturelle Ungleichbehandlung zu beenden“, so Koçak abschließend.

Schutz von Muslimen bleibt unverbindlich

Auch Ali Mete, KRM-Sprecher und Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG), äußert sich zu den Antworten der Bundesregierung. Für ihn machen die Antworten deutlich, dass antimuslimischer Rassismus weiterhin nicht als eigenständiges strukturelles Problem behandelt werde. Während Antisemitismus zu Recht mit klaren Zuständigkeiten, dauerhaften Strukturen und finanzieller Absicherung bekämpft werde, bleibe der Schutz von Musliminnen und Muslimen „weitgehend projektbezogen und unverbindlich“. Angesichts zunehmender Angriffe auf Moscheen und steigender Fallzahlen erwarte die muslimische Community „mehr als Zuständigkeitsverweise oder befristete Förderprogramme“. Es brauche „gleichwertige politische Antworten auf gleichwertige Bedrohungen“, nur so könne das Vertrauen in den Rechtsstaat erhalten bleiben.

Die Bundesregierung erkennt zwar an, dass mediale Berichterstattung muslimfeindliche Einstellungen verstärken kann. Konkrete politische Konsequenzen zieht sie daraus jedoch kaum. Die Antworten auf die Kleine Anfrage legen damit weniger ein Erkenntnisdefizit offen als eine Frage politischer Prioritätensetzung – mit spürbaren Folgen für den Schutz muslimischer Gemeinschaften in Deutschland.