Der Historiker Michael Wolffsohn hält den Ausdruck „Christlich-Jüdisches Abendland“ für Unsinn. Die monotheistischen Religionen hätten ihren Ursprung alle im Morgenland.
Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn hält die Rede vom christlich-jüdischen Abendland für „völlig falsch“. Dem Deutschlandfunk sagte Wolffsohn am Donnerstag: „Christentum und Judentum kommen nicht aus dem Abendland – Punkt.“ Den Ausdruck nannte er eine „Wiedergutmachungsformel“, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ideologischen Gründen eingeführt worden sei, mit den tatsächlichen historischen Gegebenheiten aber nichts zu tun habe.
Die Geschichte des Abendlandes habe lange vor dem Christentum eingesetzt, betonte der Historiker. Für Europa seien bis in die Gegenwart das alte Griechenland und das alte Rom prägend gewesen – die ihrerseits ganz andere religiöse Überzeugungen pflegten. Die monotheistischen Vorstellungen des Juden- und Christentums hätten sich dagegen wie der Islam im Orient entwickelt, so Wolffsohn. Daher sei „das, was am Abendland christlich-jüdisch ist, zunächst einmal morgenländisch“.
Zum Kreuzerlass in Bayern erklärte der Historiker: „Ich habe gar nichts dagegen.“ Das Kreuz als „Krücke“ oder „Brücke“ könne zu einer Debatte über die menschliche Existenz und die Erfahrung von Leid führen – unabhängig von Glaube oder Nicht-Glaube. Wer sich als Muslim oder Jude vom Kreuz provoziert fühle, der müsse erklären, warum das so sei und welche Rolle die religiösen Überzeugungen im eigenen Leben spielten.
Dann entstünde eine offene Diskussion, „wobei sich jede Seite selbst infrage stellt“, sagte Wolfssohn. Toleranz sei eine „zweiseitige Angelegenheit“. Angehörige egal welcher Minderheit sollten Toleranz von der Mehrheitsgesellschaft erwarten können, diese aber auch im Umgang mit der Mehrheitsgesellschaft üben. (KNA/iQ)