Im Gegensatz zu Deutschland kann Österreich auf 20 Jahre islamische Seelsorge zurückblicken. Ramazan Demir schreibt über die Strukturen und Bedeutung der islamischen Seelsorge in österreichischen Gefängnissen.
Die islamische Gefängnisseelsorge in Österreich wurde im Jahre 1996 eingeführt. Ausschlaggebend für die erste muslimisch-seelsorgerische Betreuung in den österreichischen Haftanstalten war der Wunsch inhaftierter Musliminnen nach islamischer Seelsorge in der Justizanstalt Schwarzau (Frauengefängnis in Niederösterreich), der vonseiten einer christlichen Seelsorgerin an die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) weitergeleitet wurde. Auf deren Bedürfnis hin wurde die erste islamische Seelsorge durch zwei muslimische Seelsorgerinnen eingeführt. Über die Jahre und mit dem Anstieg muslimischer Gefängnisinsassen häuften sich die Anfragen bei der IGGÖ nach islamisch-seelsorgerischer Betreuung. Im Jahre 1998 wurde in der Justizanstalt Josefstadt (das größte Gefängnis Österreichs) mit der islamischen Gefängnisseelsorge begonnen, die von einem ehrenamtlichen Krankenhausseelsorger durchgeführt wurde.
Zur Professionalisierung der Seelsorgetätigkeit wurde im Jahre 2010 eine Vereinbarung zur islamischen Gefängnisseelsorge, zwischen der Republik Österreich, dem Bundesministerium für Justiz und der IGGÖ, auf der Basis der Verwirklichung der Religionsfreiheit der muslimischen Insassen in österreichischen Justizanstalten abgeschlossen.. Darin werden die Aufgabenbereiche, Pflichten, Rechte und Voraussetzungen der SeelsorgerInnen definiert.
In den österreichischen Haftanstalten sind zurzeit 46 ehrenamtliche muslimische SeelsorgerInnen tätig. Insgesamt sind derzeit 1800 Muslime inhaftiert.
Von den zurzeit tätigen ehrenamtlichen SeelsorgerInnen sind die Meisten hauptberuflich islamische ReligionslehrerInnen. Außerdem befinden sich auch Imame, Psychotherapeuten und Pädagogen unter ihnen. Zudem gibt es in jedem Bundesland Koordinatoren, die dafür verantwortlich sind, dass die islamische Gefängnisseelsorge in ihrem jeweiligen Bundesland planmäßig verläuft.
Die islamische Gefängnisseelsorge ist zuständig für die muslimischen Gefängnisinsassen. Zu ihren Tätigkeiten gehören neben der Einzelseelsorge auch die Gruppenseelsorge und der Gottesdienst. Die SeelsorgerInnen beabsichtigen, durch diese Betreuungsarten den Insassen Kraft, Hoffnung und Trost zu schenken, denn zu berücksichtigen ist deren seelische und räumliche Situation, in der sich befinden.
Ihr seelischer Zustand kann Angst, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit oder auch emotionale Schwäche beinhalten. Dabei ist es den SeelsorgerInnen auch ein Anliegen, die Insassen zur Einsicht und Reue zu verhelfen und ihre Bindung zu Allah zu stärken. Die Seelsorge stellt für die Insassen ebenso eine Möglichkeit dar, für einige Zeit ihre eigene Zelle zu verlassen. Zudem gehört es zu den Aufgaben der SeelsorgerInnen, die Insassen zu informieren und sie aufzuklären. Dabei steht im Vordergrund, ihnen ethische und religiöse Werte zu vermitteln, vorhandenes falsches Wissen aufzuklären, gegenwärtige Vorurteile abzubauen und Missverständnisse zu beseitigen.
In der Gefängnisseelsorge gibt es zwei Arten von Betreuung. Zum einen die Einzelbetreuung und zum anderen die Gruppenseelsorge. In den Einzelgesprächen geht es sowohl um Alltagsgespräche als auch um religiöse Angelegenheiten, die den Insassen zeigen, dass sie trotz ihrer Lage ein wertvoller Teil der Gesellschaft sind. Der/die Inhaftierte und der/die SeelsorgerIn sprechen während der Seelsorge miteinander, tauschen sich aus und versuchen einander zu verstehen. Dabei wird der/die SeelsorgerIn als Vertrauensperson gesehen, sodass der Insasse sich bei dem Gespräch öffnen kann, ohne dass eine dritte Person dabei zuhört oder der/die SeelsorgerIn wertend interveniert. Die seelische Betreuung und das Spenden von Trost stehen beim Einzelgespräch im Vordergrund und können zur inneren Ruhe verhelfen.
Die Gruppenseelsorge, zu der hingegen mehrere Häftlinge erscheinen, wird von einem/r SeelsorgerIn geleitet. Wie auch die Einzelbetreuung stellt diese eine positive Abwechslung für die Insassen dar. Die Inhaftierten leben entweder isoliert in Einzelzellen oder mit anderen in Gemeinschaftszellen. Aus diesem Grund stellt die Gruppenbetreuung eine Möglichkeit dar, andere muslimische Häftlinge in einer religiösen Atmosphäre zu sehen. Bei der Gruppenseelsorge werden vorher festgelegte Gesprächsregeln eingehalten, damit der gegenseitige Respekt nicht verloren geht, und die zur Verfügung stehende Zeit genutzt werden kann.
Nachdem sich der/die SeelsorgerIn nach dem Wohlbefinden der Insassen erkundigt hat, wird auch schon das Gesprächsthema in der interaktiven Runde eingeleitet. Innerhalb der Gruppenseelsorge wird auf Fragen und Bedürfnisse der Häftlinge eingegangen. Im Gespräch treten alle Anwesenden in einen gegenseitigen Dialog. Oftmals werden in die Gruppenseelsorge spirituelle Elemente eingebaut, um der Gruppe Dynamik zu verleihen. Dabei wird gemeinsam aus dem Koran rezitiert und die Bedeutung dieser Verse besprochen. Der Bezug zur Religion kann den Gefängnisinsassen dazu verhelfen, ihre Haftdauer geduldig und sinnvoll abzusitzen. Das Gemeinschaftsgebet, welches in der Gruppe verrichtet wird, kann das Wir-Gefühl der einzelnen Insassen stärken. Die darauf folgende Lobpreisung Allahs (Zikr) stellt, wie auch das Gebet, eine spirituelle Verbindung zum Schöpfer dar, die den Häftlingen innere Ruhe verleiht.
Abschließend zeigt das vom/von der SeelsorgerIn geleitete gemeinsame Bittgebet den Insassen, dass diese/r an sie denkt, ihnen Gutes wünscht und sie in ihre Gebete einschließt. Dies kann ihnen Motivation und Standhaftigkeit bezüglich ihrer derzeitigen schwierigen Situation verleihen.
Auch der Prophet Muhammad (s) hat in den Moscheen Gruppenbetreuungen und Gruppenberatungen angeboten, bei denen er auf die persönlichen Anliegen und Bedürfnisse der Menschen sowie auf deren Angelegenheiten bezüglich religiöser und anderer Belange einging. Die Gottesdienste stellen eine besondere Art der Seelsorge dar. Sowohl das Freitagsgebet als auch die beiden Festgebete im Jahr sind bedeutende Anlässe, Freude bei den muslimischen Insassen aufkommen zu lassen. Diese werden in hauseignen Moscheen, wenn vorhanden, abgehalten. In den österreichischen Gefängnissen befinden sich drei kleine Gebetsstätten.
Da an diesen religiös-bedeutsamen Tagen ihnen bekannte Rituale und Traditionen ausgeführt werden, erinnern sich die Insassen oftmals an die Zeit vor ihrer Inhaftierung, wodurch diese Gottesdienste emotional verlaufen. Auch die Vergabe von kleinen Geschenken an den Festtagen trägt dazu bei.
Es ist anzumerken, dass die Gruppenbetreuungen und Gottesdienste in deutscher Sprache abgehalten werden, da diese die allen gemeinsame Sprache ist. Des Weiteren gehört es zu den Zielen der islamischen Gefängnisseelsorge, dass die Insassen muslimischen Glaubens innerhalb der Haftanstalt, in der sie ihre Strafe absitzen, integriert sind. Dabei unterstützen die SeelesorgerInnen die Identitätsfindung bei den Insassen, die innerhalb der Haftanstalt zu einer Lebenszufriedenheit führen kann.
Außerdem ist es ein Anliegen, durch das Einwirken der SeelsorgerInnen, die Anzahl der Personen zu reduzieren, die sich innerhalb der Gefängnisse das Leben nehmen. Die Tatsache, dass im Jahre 2012 11 Insassen Suizid begingen, zeigt die Notwendigkeit, vor allem hier einzugreifen. In der Zeit zwischen 2001 und 2013 nahmen sich insgesamt 124 Menschen innerhalb der österreichischen Haftanstalten das Leben, wobei zuletzt ein junger muslimischer Untersuchungshäftling in der Justizanstalt Wiener Neustadt Suizid beging.
Zudem ist es auch ein Ziel der islamischen Seelsorge, dass nach der Entlassung der Insassen eine erfolgreiche Reintegration in die Gesellschaft stattfindet. Dafür bedarf es auch einer Haftentlassenenbetreuung, die zurzeit vonseiten der islamischen Gefangenenseelsorge noch nicht flächendeckend angeboten werden kann. Hierdurch würde man auch zum allgemeinen Ziel der Verringerung der Rückfallquote muslimischer Insassen beitragen. Um all den Zielen nachgehen und die seelsorgerische Tätigkeit professionell anbieten zu können, sind über die ehrenamtliche Tätigkeit hinaus hauptberufliche SeelsorgerInnen nötig.