Zwei Jahre nach dem Genozid im Gazastreifen einigen sich die Parteien auf einen Waffenstillstand. Doch das ist nur der erste Schritt. Es gibt noch zahlreiche Herausforderungen.

Die Einigung zwischen Israel und der Hamas über wichtige Punkte bei den Verhandlungen zur Beendigung des Genozids in Gaza löst in der Region große Erleichterung aus. Die Vereinbarung sieht die Freilassung der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln sowie den Rückzug der israelischen Truppen auf eine vereinbarte Linie vor. Israels Regierung um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu muss nach Berichten aber die Übereinkunft noch offiziell absegnen.
Im Gazastreifen rief die Nachricht über einen Durchbruch große Emotionen hervor. „Meine erste Reaktion war, hemmungslos zu weinen“, sagte ein Palästinenser. Er fühle nun Freude, aber auch Trauer – vor allem wegen der Angehörigen, die er in dem zwei Jahre dauernden Krieg verloren habe.
Nach der Einigung Israels und der Hamas auf die Umsetzung der ersten Phase des US-Friedensplans begrüßte auch der Koordinationsrat der Muslime (KRM) die Entwicklung, mahnte jedoch zugleich zu Realismus. „Nach rund zwei Jahren des Krieges lässt ein erneuter Waffenstillstand in Gaza die Menschen aufatmen und gibt Hoffnung“, erklärte der KRM. Endlich könnten viele Menschen wieder in ihre Heimat und zu ihren verbliebenen Familienmitgliedern zurückkehren. Doch Hunderttausende Palästinenser hätten kein Zuhause mehr. „Ihre Liebsten, ihre Häuser, ihre Erinnerungen und die gesamte Infrastruktur seien zerstört worden. Das erlebte Leid und die tiefen Traumata würden noch Generationen lang nachwirken“, so der KRM.
Außerdem weist der KRM auf die humanitäre Katastrophe in Gaza hin. „In den vergangenen rund zwei Jahren mussten wir mitansehen, wie Tausende Menschen auf grausame Weise ihr Leben verloren haben, wie ein Genozid verübt und das Völkerrecht seiner Wirksamkeit beraubt wurde“, so der KRM weiter. Die erschütternden Kriegsverbrechen, die Bilder aus dem Gazastreifen und die fortgesetzten Vertreibungen hätten die Hoffnung auf Frieden immer wieder auf die Probe gestellt.
Zugleich äußerte der KRM vorsichtigen Optimismus: Mit der nun erzielten Einigung scheine „ein Schritt in Richtung Frieden möglich“ zu sein. Doch ein Waffenstillstand allein sei noch kein dauerhafter Frieden. Solange die illegale Besatzung durch Israel andauere, der Bau neuer Siedlungen ungebremst fortgesetzt werde und den Palästinensern ihr Recht auf Selbstbestimmung verwehrt bleibe, könne kein echter Frieden entstehen.
Bekannt ist, dass nun zunächst die in den Gazastreifen verschleppten Geiseln freigelassen werden sollen. Dafür soll Israel seine Truppen auf eine vereinbarte Linie zurückziehen. Im Gazastreifen befinden sich noch 48 Geiseln, von denen nach israelischen Informationen noch 20 am Leben sind. Israel soll im Gegenzug rund 250 zu lebenslanger Haft verurteilte palästinensische Häftlinge sowie etwa 1.700 nach dem 7. Oktober 2023 Inhaftierte freilassen.
Die USA hatten betont, dass die Geiseln absolute Priorität hätten. In einer zweiten Phase der Verhandlungen sollen Bedingungen geschaffen werden, die einen Frieden langfristig sichern. So ist ein vollständiger Rückzug Israels aus Gaza laut Trumps Plan erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen, wenn eine internationale Stabilisierungstruppe (ISF) für Sicherheit vor Ort sorgt. Auch um eine Entwaffnung der Hamas wird es zu einem späteren Zeitpunkt gehen.
Es ist bisher nicht vollends klar, wann genau die Geiseln in den kommenden Tagen freigelassen werden – und ob es wirklich alle auf einmal sein und auch die sterblichen Überreste der Geiseln, die tot entführt wurden oder nicht überlebt haben, an Israel übergeben werden. Offen ist auch, welche palästinensischen Häftlinge Israel für die Geiseln freilässt. Auch dies war ein Streitpunkt in den Verhandlungen. Es wird jedoch vermutet, dass die Geiseln am Samstag, Sonntag oder Montag freigelassen werden könnten. Der Friedensplan sieht eine Frist von 72 Stunden nach Inkrafttreten der Vereinbarung vor – es hängt also auch davon ab, wann sie unterzeichnet wird. Zur Unterzeichnung gibt es noch keine offiziellen Informationen.
Die Hamas erklärte sich bereits vergangene Woche damit einverstanden, dass der Gazastreifen nach Kriegsende zunächst von einer Übergangsregierung palästinensischer Technokraten unter Aufsicht eines internationalen Gremiums regiert werde. Es ist aber unklar, ob sie damit auch der Forderung von Trumps Friedensplan zustimmte, dass sie selbst dabei keine Rolle spielen darf. Diese Frage dürfte auch in den kommenden Verhandlungen eine Rolle spielen.
Auch außerhalb Israels sorgte die Nachricht über die Einigung für Optimismus. Bundeskanzler Friedrich Merz zeigte sich etwa zuversichtlich – zugleich warnte er aber auch vor einer voreiligen Bewertung. „Also die Hoffnungen, auch was Israel betrifft und den Gazastreifen betrifft, haben hier in der letzten Nacht noch einmal zugenommen, aber noch ist das nicht wirklich abgeschlossen“, sagte der CDU-Chef vor Journalisten in Berlin. „Die Entwicklung in Israel macht uns Mut.“
Spitzenvertreter der EU kündigten nach dem Durchbruch bei den Verhandlungen Hilfe an. Die EU werde weiterhin die schnelle und sichere Lieferung humanitärer Hilfe in den Gazastreifen unterstützen, teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit. Und wenn die Zeit reif dafür sei, werde die EU auch bereitstehen, um den Wiederaufbau zu unterstützen. Die Konfliktparteien forderte von der Leyen auf, die getroffene Vereinbarung vollständig einzuhalten. „Die heutige Chance muss genutzt werden“, schrieb sie in sozialen Netzwerken. Sie sei eine Gelegenheit, einen glaubwürdigen politischen Weg hin zu dauerhaftem Frieden und Sicherheit mit einer Zweistaatenlösung einzuschlagen. (dpa, iQ)