Halal-Tourismus

„Muslime können reisen, ohne ihre Werte aufzugeben“

Halal-Tourismus boomt – und verändert, wie Muslime weltweit reisen. Im Interview sprechen wir mit Ufuk Seçgin über die wachsende Bedeutung einer Reiseform, die Erholung, Entdeckung und den Glauben miteinander verbindet.

09
08
2025
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Symbolbild: Halal-Tourismus © Shutterstock, bearbeitet by iQ.
Symbolbild: Halal-Tourismus © Shutterstock, bearbeitet by iQ.

IslamiQ: Kann man aus islamischer Sicht von einem Urlaubskonzept sprechen, das nachhaltig und verantwortungsvoll ist?

Ufuk Seçgin: Der Koran ermutigt uns, die Erde zu bereisen, Gottes Schöpfung zu betrachten und über sie nachzudenken. Verantwortung gegenüber der Natur ist im Kern des Islams verankert. Auch im Tourismussektor rückt das Thema Nachhaltigkeit immer stärker in den Fokus, Hotels legen zunehmend Wert auf umweltfreundliche Maßnahmen. Dennoch liegt es in der Verantwortung jedes Einzelnen, auch persönlich achtsam zu reisen.

Der Begriff „muslimischer Urlaub“ ist für mich keine starre Definition, sondern eine sehr individuelle Frage. Ich halte es nicht für sinnvoll, eine einheitliche Definition vorzugeben, da Muslime keine homogene Gruppe sind – unsere Werte und Prioritäten unterscheiden sich.

Urlaub dient nicht nur der körperlichen Erholung, sondern kann auch die Seele bereichern. Wer Orte wählt, an denen er ungestört beten, den Koran lesen und zur inneren Einkehr kommen kann, macht den Urlaub auch zu einem spirituellen Raum. Für viele muslimische Familien ist außerdem der Aspekt der Privatsphäre zentral: Hotels, die familienfreundliche Angebote, Frauenbereiche oder abgeschirmte Pools bereitstellen, sind in diesem Zusammenhang besonders wertvoll.

Als Halalbooking legen wir großen Wert darauf, detaillierte Informationen zu bieten – etwa ob in einem Hotel halal-zertifizierte Speisen angeboten werden, es alkoholfreie Zonen gibt oder Frauen mit Burkini ungestört ins Meer gehen können. Unsere Kundinnen und Kunden können anhand von Filtern gezielt nach Unterkünften suchen, die zu ihren individuellen Kriterien passen.

IslamiQ: Halalbooking arbeitet mit sogenannten „Halal-Kriterien-Bewertungen“. Wie läuft die Kommunikation mit den Hotels und auf welcher Grundlage stellen Sie Ihre Angebote zusammen?

Seçgin: Aktuell bieten wir über unsere Plattform mehr als 500.000 Hotels in über 100 Ländern an – und das nicht nur in großer Zahl, sondern auch mit einem hohen Maß an Qualität und Transparenz. Unsere Filterfunktionen basieren auf detaillierten Halal-Daten, die wir direkt von den Hotels erhalten.

Diese Daten werden uns über ein eigenes Extranet-System übermittelt, das die Hotels selbst pflegen. Unsere Partner geben dort an, ob sie halal-zertifizierte Speisen anbieten, wie ihre Alkoholpolitik aussieht, ob es Frauenbereiche oder separate Zeiten in Spa- und Poolbereichen gibt, ob Burkinis erlaubt sind und vieles mehr. Diese Informationen erscheinen nicht nur in der Hotelbeschreibung, sondern werden auch als strukturierte Daten in unsere Filter integriert. So können Reisende gezielt nach Unterkünften suchen, die zu ihren religiösen und persönlichen Anforderungen passen.

Damit das reibungslos funktioniert, stehen wir in ständigem Austausch mit den Hotels. Ein eigenes Team in unserem Haus kümmert sich um die Beziehungen zu den Partnern, stellt sicher, dass die Angaben vollständig, korrekt und aktuell sind, gibt Hilfestellung und übernimmt Qualitätskontrollen. Viele Hotels stellen fest, dass sich ihre Buchungszahlen deutlich erhöhen, wenn sie diese Informationen transparent kommunizieren. Transparenz und Vertrauen kommen damit nicht nur den Gästen, sondern auch den Hotels zugute.

Über die technische Zusammenarbeit hinaus möchten wir Hotels helfen, das Potenzial des Halal-Tourismus zu verstehen. Wir führen regelmäßig Schulungen und Sensibilisierungsveranstaltungen für Hoteliers durch, in denen wir die Marktgröße, die Erwartungen der Gäste und Möglichkeiten zur gezielten Ansprache aufzeigen. Mit dieser Herangehensweise können unsere Nutzerinnen und Nutzer Entscheidungen auf Basis konkreter Kriterien treffen – und müssen sich nicht allein auf ein pauschales „Halal-Label“ verlassen. Das macht Reisen bewusster, individueller und zufriedenstellender.

IslamiQ: Ist „Halal-Tourismus“ aus Ihrer Sicht auf Privatsphäre beschränkt oder bietet er einen umfassenderen Lebensstilansatz für Muslime, um die Welt zu erleben, Gemeinschaften kennenzulernen und kulturell in Austausch zu treten?

Seçgin: Halal-Tourismus ist längst mehr als nur ein Konzept der Privatsphäre. Er umfasst Ernährungsgewohnheiten, den Verzicht auf Alkohol, Bekleidungsvorschriften und weitere Aspekte eines muslimischen Lebensstils. Privatsphäre bleibt ein Kernelement, aber das Konzept geht weit darüber hinaus: Es ermöglicht Muslimen, die Welt im Einklang mit ihren Glaubensüberzeugungen zu erkunden.

Reisen bedeutet immer auch, Neues zu erleben, fremde Kulturen kennenzulernen und in Austausch zu treten. Derzeit überlassen wir die konkrete kulturelle Ausgestaltung der Reise unseren Gästen. In Zukunft möchten wir stärker erlebnisorientierte Angebote entwickeln – wie halal-konforme Touren, kulturelle Ausflüge oder thematisch religiöse Reiseprogramme.

Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist es schon jetzt, durch inspirierende Inhalte zu bewussten und genussvollen Reisen anzuregen. Unser Halalbooking Loyalty Club zählt rund 1,6 Millionen Mitglieder. Wir versorgen sie mit Tipps zu kulturellen Veranstaltungen, sehenswerten Orten und Aktivitäten in verschiedenen Destinationen.

Über unseren Blog bieten wir zudem ausführliche Reiseguides, die bei der Planung helfen, neue Orte zu entdecken und die Welt im Einklang mit den eigenen Glaubensgrundsätzen zu erleben. Damit positionieren wir Halal-Tourismus nicht nur als Unterkunftsfrage, sondern als Reiseform, die einen muslimischen Lebensstil in die Urlaubskultur integriert.

Letztlich ist Halal-Tourismus kein Nischenmarkt, sondern ein rasant wachsender, globaler Lebensstilmarkt – geprägt vom steigenden Bewusstsein und den wachsenden Erwartungen muslimischer Reisender. Wir sehen es als unsere Aufgabe, diese Entwicklung aktiv mitzugestalten.

IslamiQ: Welche Bedürfnisse und Erwartungen haben Muslime Ihrer Ansicht nach, wenn sie reisen?

Seçgin: Besonders im Bereich Strand- und Resorturlaub können wir sagen, dass Halalbooking international maßgeblich dazu beigetragen hat, den Halal-Tourismus zu prägen. Zwar gibt es in der Türkei schon lange Hotels mit Halal-Konzept, doch sie richteten sich meist nur an einheimische Gäste. Wir haben internationale Reisende mit diesen Angeboten zusammengebracht, den Markt in der Türkei belebt und eine internationale Dynamik geschaffen.

Mit der Zeit sind die Erwartungen gestiegen. Heute wollen Gäste nicht nur halal-zertifiziertes Essen oder Frauenbereiche, sondern auch kinderfreundliche Angebote, Luxusunterkünfte, spirituelle Atmosphäre oder Programme, die Umrah- oder Kulturreisen mit Urlaub verbinden.

Wichtig ist auch: Die Bedürfnisse ändern sich nicht nur von Person zu Person, sondern sogar bei derselben Person je nach Reiseart. Auf einer Geschäftsreise nach New York brauche ich ein alkoholfreies Hotel in der Nähe meines Termins und eines halal-Restaurants. Für den Sommerurlaub mit der Familie wähle ich hingegen ein Strandhotel mit Kinderanimation und Frauenbereichen. Für unsere geplante Umrah im kommenden Ramadan suche ich für meine Mutter ein Hotel in Medina, das maximal fünf Gehminuten von der Frauengebetssektion entfernt liegt.

Deshalb setzen wir auf flexible, personalisierte Lösungen. Unsere Filter helfen, für jede Reiseform passende und glaubenskonforme Angebote zu finden. Wir nennen das „halal-spezifische Bedürfnisse“. Diese reichen von Speisevorschriften über Bekleidungsvorschriften bis zu detaillierten Informationen wie „Burkini erlaubt“ oder „abgeschirmter Privatpool in der Villa“. Gleichzeitig gelten für muslimische Reisende dieselben Grundansprüche wie für alle: guter Service, faire Preise und ein lohnendes Erlebnis.

IslamiQ: Wie würden Sie das heutige Profil muslimischer Reisender beschreiben – in Bezug auf Reiseziele, Komfortvorstellungen und Privatsphäre?

Seçgin: Muslime lassen sich nicht in ein einziges Reisemuster einordnen – die Zielgruppe ist kulturell und demografisch vielfältig. Dennoch erkennen wir einige Trends: Besonders unter 25- bis 50-jährigen Muslimen in Europa beobachten wir eine neue Generation, die nicht nur in die Heimatorte reist, sondern bewusst neue Länder und Kulturen erkunden will.

Sie wollen das islamische Erbe Andalusiens sehen, die muslimische Geschichte Sarajevos erleben, nach Malaysia oder Indonesien reisen oder moderne, aber werteorientierte Destinationen wie Dubai besuchen. In Antalya genießen sie sichere und komfortable Familienurlaube in Halal-Strandhotels. Für diese Generation ist Urlaub ein bewusst gewähltes Kultur- und Glaubenserlebnis.

Trotz aller Offenheit bleibt die religiöse Übereinstimmung entscheidend: kein Alkohol, halal-zertifizierte Speisen, Frauenbereiche und Privatsphäre sind unverzichtbar. Auch Mehrgenerationenreisen werden häufiger, weshalb wir Hotels suchen, die nicht nur halal-konform, sondern auch für große Familien geeignet und bezahlbar sind.

Der Komfortanspruch steigt ebenfalls: Immer mehr Reisende wollen luxuriöse, ästhetische und erlebnisorientierte Angebote mit hoher Servicequalität. Destinationen wie die Türkei bleiben führend, doch es gibt auch wachsende Nachfrage nach Malediven, Ägypten, den VAE, Bosnien, Marokko, Usbekistan, Saudi-Arabien und Oman.

IslamiQ: Verändert Halal-Tourismus die muslimische Community?

Seçgin: Ja – und zwar deutlich. Halal-Tourismus vermittelt besonders jungen Muslimen, dass Reisen, Spaß und Erholung möglich sind, ohne die eigenen Werte aufzugeben. Junge Menschen erkennen, dass sie ihre religiösen Überzeugungen nicht für ein gutes Urlaubserlebnis aufgeben müssen. Das stärkt Selbstbewusstsein und Identität.

Darüber hinaus entsteht eine Gemeinschaft: Gäste teilen Bewertungen mit Gleichgesinnten, deren Erfahrungen für andere besonders wertvoll sind. Halal-Tourismus ist daher nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern auch ein Weg, die Welt im Einklang mit dem eigenen Glauben zu entdecken.

IslamiQ: Welche Auswirkungen hat die steigende Nachfrage nach halal-konformen Angeboten in westlichen Ländern auf die Tourismusbranche?

Seçgin: Sie ist deutlich spürbar. Hotels weltweit – auch große internationale Ketten – wenden sich gezielt an uns, um muslimische Reisende zu erreichen. Viele erkennen, dass Muslime keine kleine Nische sind, sondern eine treue, qualitätsbewusste Zielgruppe. Weltweit leben etwa zwei Milliarden Muslime. 2023 gaben sie rund 220 Milliarden US-Dollar für Reisen aus – bis 2028 werden es wohl über 300 Milliarden sein. Dieses Wachstum macht Halal-Tourismus zu einem strategisch wichtigen Marktanteil.

Oft verfügen Hotels schon über passende Angebote – wie alkoholfreie Restaurants, Frauen-Spa-Zeiten oder halal-zertifizierte Küche – machen diese aber nicht sichtbar. Wir helfen, diese Merkmale transparent zu kommunizieren. So steigt die Sensibilität für muslimische Gäste, und ein neuer Qualitätsstandard entsteht.

Das gilt übrigens nicht nur für westliche Hotels – auch in muslimischen Ländern orientieren sich viele Häuser primär an westlichen Touristen. Halal-Tourismus ist daher keine geografische Frage, sondern ein globales Bewusstseinsthema.
Je stärker der Sektor wird, desto mehr profitieren wir alle: Millionen Reisende, die die Welt erkunden, ohne ihre religiösen Überzeugungen aufzugeben, und Hotels, die eine wachsende, loyale Kundschaft gewinnen.