Trotz interner Bedenken drängt Netanjahu auf die vollständige Besetzung Gazas – ein Schritt, der weniger sicherheitspolitisch als ideologisch motiviert scheint.

Trotz massiver Bedenken aus den eigenen Reihen und der internationalen Gemeinschaft drängt der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu laut Medienberichten weiter auf eine vollständige militärische Einnahme des Gazastreifens. Was als sicherheitspolitisches Kalkül dargestellt wird, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als das, was es ist: Die Fortsetzung eines lang geplanten Projekts – der vollständigen Kontrolle über Gaza, die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung und die gewaltsame Umgestaltung des Gebiets nach zionistisch-nationalistischen Vorstellungen.
Wie die israelische Nachrichtenseite „ynet“ berichtet, seien laut hochrangigen Quellen aus Netanjahus Umfeld „die Würfel gefallen“. Das Ziel: Gaza soll vollständig besetzt werden. Offiziell wird dies mit dem Vorwand begründet, die Hamas eliminieren und die verbliebenen Geiseln befreien zu wollen. Doch selbst innerhalb der israelischen Armee stößt dieser Plan auf erhebliche Zweifel – nicht nur wegen der strategischen Risiken, sondern auch wegen der Gefahr für die Geiseln selbst.
Kritiker werfen Netanjahu vor, nicht für die Sicherheit des Landes zu handeln, sondern für den Erhalt seiner politischen Macht – und dabei bewusst über Leichen zu gehen. Israels ehemaliger Armeesprecher Peter Lerner bezeichnete den Plan als „politisches Überleben, maskiert als nationale Sicherheit“. Netanjahu ziehe „blindlings“ in einen nicht zu gewinnenden Genozid und opfere israelische Soldaten ebenso wie palästinensisches Leben, um den Rückhalt seiner rechtsextremen Koalition zu sichern.
Diese Koalitionspartner fordern nicht nur die militärische Kontrolle über ganz Gaza, sondern auch die ethnische Vertreibung der dort lebenden palästinensischen Zivilbevölkerung – ein eklatanter Bruch internationalen Rechts.
Während die Regierung in Tel Aviv ihre Expansion plant, befinden sich rund zwei Millionen Palästinenser in Gaza in einer existenziellen Notlage. Die UN warnt eindringlich vor einer drohenden Hungersnot – doch Hilfslieferungen kommen kaum an. Von rund 2.600 Lkw mit Hilfsgütern seit Mai wurden laut UN-Angaben etwa 2.300 geplündert – viele von verzweifelten, hungernden Menschen, manche von bewaffneten Gruppen. Es herrscht das blanke Überleben – doch Israel treibt den Genozid weiter voran.
Eine vollständige Besetzung würde die katastrophale Lage der Zivilbevölkerung weiter verschärfen: keine sichere Infrastruktur, kein funktionierendes Gesundheitssystem, kaum Zugang zu Wasser, Strom oder Nahrung. Doch diese Realität scheint für Netanjahu und seine Verbündeten ebenso wenig relevant wie die Einwände des eigenen Generalstabschefs Ejal Zamir. Medienberichten zufolge forderten Mitglieder aus Netanjahus Umfeld gar dessen Rücktritt, sollte er sich dem Besatzungsplan widersetzen.
Auch wenn manche Medien noch von „Verhandlungstaktik“ sprechen – etwa um Hamas unter Druck zu setzen – darf nicht vergessen werden: Die vollständige Kontrolle über Gaza ist kein kurzfristiger militärischer Plan, sondern seit Jahrzehnten Bestandteil zionistischer Strategie. Die Vorstellung, dass man die palästinensische Frage militärisch „lösen“ könne, ist tief verankert im Denken jener, die Gaza nie als Ort legitimen palästinensischen Lebens gesehen haben, sondern als Hindernis für ein „Groß-Israel“.
Während US-Vertreter wie Steve Witkoff sich angeblich für eine umfassende Friedenslösung einsetzen, bleibt der Druck auf Israel minimal. Die politische Unterstützung für Netanjahus Regierung durch die USA und weite Teile Europas hält an – trotz massiver Menschenrechtsverletzungen und der systematischen Zerstörung ziviler Infrastruktur.