









Islamische Religionsgemeinschaften werden oft kleingeredet – zuletzt von Islamkritiker Mansour im Gespräch mit Friedrich Merz. Doch wer genau hinsieht, erkennt: Sie vertreten mehr als Zahlen sagen.
In einem jüngst veröffentlichten Video spricht der Publizist Ahmad Mansour mit Friedrich Merz und Carsten Linnemann über Muslime in Deutschland. Dort erklärt er, islamische Religionsgemeinschaften würden „gerade einmal 20 % der hiesigen Muslime“ vertreten – und deshalb als Ansprechpartner nicht infrage kommen.
Ein Satz, der scheinbar nüchtern daherkommt, aber eine Botschaft transportiert: Die Relevanz der islamischen Religionsgemeinschaften soll kleingeredet, ihre Stimme delegitimiert werden – obwohl sie tagtäglich Hunderttausende erreichen und begleiten.
Fakt ist: Islamische Religionsgemeinschaften bieten religiöse Dienste an. Sie ermöglichen Gebete, gemeinsames Fastenbrechen, die Begehung des Ramadans, Seelsorge, Hadsch- und Umra-Reisen, Opfergaben, Bestattungshilfe, Nachhilfeunterricht, Freizeitangebote für Senioren, Sohbet-Runden für Jung und Alt, Mann und Frau, religiöse Bildung – und vieles mehr. Wer möchte, kann sich am kommenden Freitagmorgen gegen 6 Uhr selbst ein ungefähres Bild machen, in der oder sie eine beliebige mittelgroße Moschee zum Opferfestgebet besucht.
In vielen Gemeinden reichen die Gebetsflächen für die Festtagsgebete gar nicht mehr aus. Menschen müssen im Freien beten. Dabei ist zu bedenken: Die hohe Beteiligung zeigt sich allein schon unter denjenigen, die überhaupt die Möglichkeit haben, teilzunehmen. Anschließend lässt sich hochrechnen: Besucherzahl × ca. 2.300 Moscheen. Das ergibt ein Bild, woran man sich orientieren kann. Moscheedienste sind offen für alle – auch ohne Mitgliedsausweis.
Die Angebote der islamischen Religionsgemeinschaften werden tagtäglich von mehreren Hunderttausenden Muslimen genutzt – regelmäßig oder punktuell. Wer zum Freitagsgebet kommt, Spenden über die Gemeinde gibt, am Sohbet teilnimmt, seine Kinder zum Religionsunterricht schickt, über die Gemeinde an dem Hadsch oder der Umra teilnimmt, beim Wohltätigkeitsbasar mithilft oder auf eine islamische Beerdigung vertraut – der nimmt teil. Formale Mitgliedschaft hin oder her.
„Aber ihr vertretet doch nur 20 %!“. Abgesehen davon, ob im Islam eine kirchenähnliche Vertretung überhaupt vorgesehen oder sinnvoll ist – wie belastbar sind Umfragen, die gelebte Religiosität, Vertrauen, Alltagspraxis und persönliche Bindung zu Moscheen in ihrer gesamten Bandbreite kaum erfassen?
Denn dieselben Menschen, die sich laut Umfrage „nicht vertreten fühlen“, fasten nach den Kalendern der Gemeinden, orientieren sich nach den Speisevorschriften, die in den Moscheen verkündet werden, berechnen ihre Zakat nach diesen Vorgaben oder spenden ihre Zakat über sie, bringen ihre Verstorbenen mit ihrer Hilfe zur letzten Ruhe. Vertretung ist nicht immer ein Parteibuch. Sie ist Praxis. Vertrauen. Nähe.
Es ist ja auch nicht so, dass sich jeder getaufte Christ von einer Kirche vertreten fühlt. Und dennoch werden die Kirchen als gesellschaftliche Partner gesehen, erhalten umfangreiche staatliche Privilegien. Niemand fragt dort nach Repräsentationsquoten.
Ahmad Mansour kritisiert 20 % Mitgliedschaft. Gleichzeitig spricht ein Mann mit 0 % formeller Repräsentation darüber, wie „die Muslime“ denken, glauben und fühlen. Das ist nicht Dialog – das ist Projektion. Mit Mikrofon. Und ironischerweise sagt er das in einem Gespräch mit Friedrich Merz – der mit rund 28 % Zustimmung ganz Deutschland regieren möchte.
Die Realität ist: Islamische Religionsgemeinschaften tragen das religiöse Leben, bieten soziale Dienste, begleiten Lebenswege – nicht trotz, sondern wegen ihrer Verwurzelung in der muslimischen Community. Nicht aus Machtinteresse, sondern aus religiöser Verantwortung. Und sie tun das transparent, gemeinwohlorientiert – und mit deutlich weniger Talkshows als manche ihrer Kritiker.
Der Satz „Islamische Religionsgemeinschaften vertreten nur 20 %“ dient oft dazu, sich selbst als Alternative zu inszenieren – oder einen bequemen, politisch passenderen Ansprechpartner zu konstruieren. Kritik ist legitim. Aber sie braucht Maß, Fairness und Realitätsnähe – gerade, wenn es um Millionen Menschen geht, die tagtäglich Anfeindungen und strukturelle Benachteiligung erleben.
Islamische Religionsgemeinschaften erreichen mehr Muslime als jede andere Organisation in Deutschland. Sie bauen Strukturen, wo vorher keine waren. Sie verdienen Anerkennung – nicht Verdacht und keine Kleinrederei.