Christchurch-Attentat

„Alles ist vorbei, ich werde hier sterben“

Der Anschlag in Christchurch hat Neuseeland erschüttert und sorgt auch zwei Jahre danach weltweit für Entsetzen. Zwei Überlebende berichten.

15
03
2021
0
Al-Noor Moschee in Christchurch
Al-Noor Moschee in Christchurch © AA, bearbeitet by iQ.

Am 15.03.2019, kurz vor dem Freitagsgebet, stürmt ein Terrorist die Al-Noor-Moschee in Christchurch. Er erschießt 51 Menschen. Ort, Zeit und Waffen, aber auch das „Manifest“ des Terroristen lassen keinen Zweifel an seinem Motiv: Hass auf Islam und Muslime. Muslime und Nichtmuslime weltweit reagieren mit Abscheu und solidarisieren sich mit den Opfern und den Hinterbliebenen.

Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern vermeidet, den Täter beim Namen zu nennen. Stattdessen gedenkt sie den Opfern. Der Imam von Christchurch, Gamal Fouda, bezeichnet den Terroranschlag als Wendepunkt nach den Attacken vom 11. September.

Im September 2020 wird der Attentäter zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung verurteilt.

Auch wenn der Attentäter seine gerechte Strafe bekommen hat, müssen die Opfer-Angehörigen und die Überlebenden auch zwei Jahre nach der Tat mit den Folgen und traumatischen Erinnerung leben. Zwei Überlebende berichten.

Temel Ataçocuğu: „Ich dachte, jetzt ist alles vorbei“

„Es ist ein Wunder, dass ich heute noch am Leben bin“, erklärt Temel Ataçocuğu gegenüber IslamiQ. Er erinnert sich noch gut an den Anschlag. „Der Imam verlas gerade die Freitagspredigt, als der Rechtsextremist in die Moschee drang und um sich schoss“. Ataçocuğu habe neun Schusswunden erlitten. „Den ersten Schuss habe ich mitten in meinen Mund bekommen. Zum Glück traf die Kugel mein Zahnimplantat, so dass sie die Richtung wechselte und in meinem Kinn steckenblieb, statt in meinem Kopf.“

Vor Schock blieb er wie angewurzelt im Gebetsraum stehen, so dass er vier weitere Schüsse an seine Beine abbekommen hat. Als er wieder zu sich kam, rannte er wie alle anderen in Richtung des Notausgangs. „Vor dem Notausgang war die Hölle los. Jeder wollte raus, aber keiner schaffte es. Alle lagen aufeinander. Ich konnte nur meinen Kopf verstecken“, so Ataçocuğu weiter. 

Als der Rechtsextremist zum zweiten Mal in die Moschee reinkam, schoss er in Richtung des Notausgangs. „Ich dachte mir nur, dass jetzt alles vorbei ist und ich hier sterben werde. Ich habe viele Bittgebete gesprochen und die ganze Zeit an meine Familie und Freunde gedacht.“ Am Notausgang habe er vier weitere Schüsse an seinen Arm und an die Wade abbekommen. 

Auch zwei Jahre nach dem Anschlag kämpft Ataçocuğu mit den traumatischen Erlebnissen. Er werde weiterhin psychologisch betreut und bekomme Antidepressiva.

Mustafa Boztaş: „Ich habe mich totgestellt, um zu überleben“

Der Student Mustafa Boztaş war während dem Anschlag ebenfalls in der Moschee. Boztaş studiert Ingenieurwesen. Sein Studium hat er sechs Wochen vor dem Anschlag in Christchurch begonnen. Am Morgen war er an der Universität und wollte eigentlich sofort zu seinen Eltern, die fünf Stunden von Christchurch entfernt wohnen. „Ich hatte an dem Tag ein mulmiges Gefühl und habe mich entschieden, erst das Freitagsgebet zu verrichten und dann meine Reise anzutreten, da ich die letzten zwei Wochen bereits das Freitagsgebet verpasst hatte“, erklärt Boztaş.

„In der Moschee angekommen, dauerte es nicht mal fünf Minuten, als wir die ersten Schüsse hörten. Alle sind weggerannt. Ich bin gestolpert und lag plötzlich zwischen zwei Leichen. Dann habe ich mich totgestellt, mit der Hoffnung, dass mir nichts passiert. Nach einigen Sekunden wurde ich am Bein getroffen.” 

Als der Rechtsextremist kurz raus ging, versuchte Boztaş durch das Fenster hinauszugelangen. „Ich hatte sehr viel Glück. Hätte ich noch eine Weile überlegt, ob ich durch das Fenster fliehen soll oder nicht, wäre ich jetzt vielleicht tot.”