Bedrohte Völker

Uiguren: Wirtschaftliche Interessen stehen vor Menschenrechten

Die Unterdrückung der Uiguren schreitet voran. Die internationale Gemeinschaft schweigt. Im IslamiQ-Interview sprechen wir mit Ulrich Delius über die Hintergründe.

31
10
2020
Ulrich Delius über die Lage der Uiguren
Ulrich Delius über die Lage der Uiguren © gfbV, bearbeitet by IslamiQ.

IslamiQ: Ihre Organisation setzt sich für bedrohte Völker ein. Aktuell werden eine Million muslimische Uiguren in sogenannten Umerziehungslagern in Xinjiang festgehalten. Wie sieht Ihr Einsatz für diese Menschen aus?

Ulrich Delius: Wir engagieren uns in Deutschland und Europa dafür, dass die Verbrechen an Uiguren auf allen Ebenen und jedem offiziellen Treffen mit chinesischen Regierungsvertretern kritisch angesprochen werden. So organisierten wir gemeinsam mit Betroffenen Demonstrationen in Berlin, als der chinesische Außenminister im September 2020 Berlin besuchte. Auch während des Europäisch-Chinesischen Dialogs per Video-Konferenz demonstrierten wir mit Opfern der Menschenrechtsverletzungen vor dem Bundeskanzleramt. Wir wollen erreichen, dass die EU in Sachen Uiguren endlich mit einer Stimme spricht und diese Verbrechen klar verurteilt.

IslamiQ: Wie ist die aktuelle Menschenrechtssituation in den Umerziehungslagern und außerhalb der Lager?

Delius: Mit jedem Monat wird die Kontrolle durch Chinas Behörden in Xinjiang/Ostturkestan verschärft. Noch immer befinden sich hunderttausende Menschen in den Lagern. Wer freikommt, hat eine Gehirnwäsche durchlaufen, die der Person ihre Identität nimmt. Eine dramatische Lage, die viele uigurische oder kasachische Familien vor eine Zerreißprobe stellt. Manche im Ausland lebenden Uiguren beklagen die gezielte Verhaftung ihrer in Xinjiang verbliebenen Angehörigen, um ihr Wohlverhalten gegenüber der Regierung Chinas zu erpressen. Niemand darf denken, dass mit der langsamen Auflösung einiger Umerziehungslager sich die Menschenrechtslage bessert. Es ist eher ein Zeichen dafür, dass die Gehirnwäsche erfolgreich vorangetrieben wird.

IslamiQ: Kann die Situation entschärft werden?

Delius: Nur ein gemeinsamer internationaler Druck kann bewirken, dass internationale Beobachter einreisen dürfen und dass dieser kulturelle Völkermord von China nicht mehr so ungehindert betrieben werden kann. Die Weltmacht China im eigenen Land zu stoppen ist schwierig. Aber die internationale Staatengemeinschaft kann gezielt ihre Stimme erheben und Chinas Machthabern klarmachen, dass sie für diesen Genozid einen hohen Preis zahlen werden.

 IslamiQ: Zahlreiche Berichte der Vereinten Nationen dokumentieren gravierende Menschenrechtsverletzungen in der Region. Folgen dem auch konkrete Schritte?

 Delius: Unabhängige Berichte der Vereinten Nationen sind wichtig, da sie von Staaten und ihren Regierungen ernster genommen werden als Reporte von Nichtregierungsorganisationen. Es gibt nun einen Appell von mehr als 300 internationalen Menschenrechtsorganisationen in den Vereinten Nationen, ein spezielles Untersuchungsteam einzusetzen, um Chinas Verbrechen zu dokumentieren und die Verantwortlichen zu benennen. Sie müssen strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, denn Völkermord darf nicht ungesühnt bleiben.

IslamiQ: Vor kurzem haben 39 Länder darunter auch Deutschland die chinesische Regierung in einem offenen Brief kritisiert. Reicht das?

 Delius: Natürlich reicht es nicht, wenn nur 39 von mehr als 190 Staaten die Verbrechen an Uiguren in China verurteilen. Es macht erschreckend deutlich, wie groß der Einfluss der Volksrepublik inzwischen schon in den Vereinten Nationen ist. Besonders beschämend ist, dass viele muslimische Staaten wie Pakistan oder Afghanistan zu diesem Staatsterror schweigen, wenn sie ihn nicht sogar direkt decken.

IslamiQ: Das Leid der Uiguren ist seit Jahren bekannt. Zuletzt sorgten die China Cables für eine größere Aufmerksamkeit. Was halten Sie von der Reaktion der internationalen Gemeinschaft auf diese humanitäre Krise?

Delius: Die China Cables haben sehr geholfen, dass die Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen und von Regierungen in aller Welt nun ernst genommen werden. Aber trotzdem ist es enttäuschend, dass aus Rücksicht auf die eigene Wirtschaft Menschenrechte ignoriert werden. Viele Staaten befürchten den Ausschluss ihrer Unternehmen vom chinesischen Markt, wenn sie öffentlich Kritik äußern. Selbst Rechtsstaaten in Europa sind erpressbar geworden. Leider haben wirtschaftliche Interessen auch in der EU immer Vorrang vor Menschenrechten.

IslamiQ: Wie können Privatpersonen sensibilisiert werden?

Delius: Wir wollen der Repression ein Gesicht geben und erzählen Geschichten von Menschen, die um ihre Angehörigen in den Lagern bangen. Es gibt Uigurinnen in Deutschland, die jede Woche mit Mahnwachen an ihre inhaftierten Familienmitglieder in Xinjiang/Ostturkestan erinnern. Wer kann sich hier vorstellen, was es bedeutet, wenn 1,6 Millionen Menschen gegen ihren Willen in Umerziehungslagern festgehalten werden. Nur konkrete Menschen können diesem Schrecken ein Gesicht geben.

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.

Leserkommentare

grege sagt:
Zu den muslimischen Komplizen des chinesischen Regimes gehört auch Erdowahn, der wirtschaftlich eng mit der Volksrepublik kooperiert und Proteste uigurischer Exilianten mittlerweile verbietet. Wirtschaftliche Vorteile sind Erdowahn offenbar wichtiger als das Wohl seiner ethnisch verwandten Glaubensbrüder. Intelektuell arm sind die Türken, die Erdowahn wie ein Paladin hinterhächeln
31.10.20
16:54
Bettina Aliya Maier sagt:
Wir erleben dort die Massenverfolgung und auch Vernichtung von Menschen mit muslimischen Glauben. Auf eine brutalste Art und Weise fernab von jeder Menschlichkeit. Die internationale Weltgemeinschaft schaut zu und es gibt einen Vergleich mit den Nazis zu Zeiten des Nationalsozialismus. In ähnlicher Weise wird Menschen alles genommen, was man zum Leben braucht. Gerade die BRD und Betroffene des 2. Weltkrieges dürften nicht mehr auf den Stühlen sitzen bleiben. Zudem sollten sich alle Glaubensbrüder und Schwestern aufgerufen fühlen, dort einzuschreiten. Und zwar sehr aggressiv. Es gibt KEINEN Grund den Verantwortlichen in jegliche Art von Beziehungen gegenüber zu stehen. Ich schäme mich an dieser Stelle für die BRD, alle Regierungen, die das dulden und zudem für alle, welche dort Geschäfte machen und uns die Produkte unwissend unterschieben. Auffällig oft sind es sogenannte linke Politker, vermeintlich freiheitliche Ansichten und zudem Menschen ohne eine Form von Gewissen, die da tatenlos zu schauen.
01.11.20
8:39
Johannes Disch sagt:
@Bettina Aliya Mayer (01.11.2020, 8:39) - "Wirtschaftliche Interessen stehen vor den Menschenrechten", so der Titel des Artikels. Das gilt leider in vielen Bereichen, nicht für China und die Uiguren. Wenn Sie sich so echauffieren, dass die BRD zu wenig für die Uiguren tut: Wie sieht es denn mit Saudi-Arabien aus? Würden wir unsere Werte zu 100% ernst nehmen, dann dürften wir auch mit den Saudis keine Geschäfte mehr machen, denn da werden als Unterhaltungsprogramm jeden Freitag nach der obligatorischen Freitagspredigt Menschen enthauptet, weil sie angeblich den Islam beleidigt haben. Wenn einer "Glück" hat-- wie der Blogger Raif Badawi-- dann gibt es "nur" jahrelangen Knast und Peitschenhiebe. Wir dürften auch keine Geschäft mehr machen mit der Türkei. Da wird zwar (noch) niemand geköpft, wenn er den Islam oder den Präsidenten beleidigt oder dem Präsidenten sonst irgendwie nicht passt, aber es werden seit dem Putschversuch 2016 wahllos Leute verhaftet und weggesperrt. Alles Dinge, die den europäischen Werten widersprechen. Und was sagt dazu die Türkei? Sie verbietet sich Einmischungen in innere Angelegenheiten-- genauso argumentiert China hinsichtlich der Uiguren. Ja, es ist so eine Sache mit der Moral und der Realpolitik....
02.11.20
20:38