Extremismus

Muslimische Kritik am Salafismus

Der Islamwissenschaftler Hazim Fouad belegt, dass es im innerislamischen Diskurs einen breiten Widerstand gegenüber „Salafismus“ gibt.

04
07
2020
Dr. Hazim Fouad Salafismus
Dr. Hazim Fouad

Hazim Fouad arbeitet seit 2011 als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Senator für Inneres der Freien Hansestadt Bremen in der Abteilung für Verfassungsschutz. Er hat Anglistik/Amerikanistik sowie Orientalistik/Islamwissenschaften studiert und wurde 2019 zum Thema „Zeitgenössische muslimische Kritik am Salafismus“ promoviert.

IslamiQ: Was ist Anlass und Quintessenz Ihrer Arbeit?

Dr. Hazim Fouad: In den vielen Vorträgen, die ich bisher über die Themen Islam, Islamfeindschaft und Islamismus gehalten habe, kam seitens des Publikums immer wieder die Frage auf, was Muslime denn gegen Extremisten in ihren eigenen Reihen unternehmen würden. Im öffentlichen Diskurs werden muslimische Extremisten oft mit Salafisten gleichgesetzt. Das ist zwar verkürzt, dennoch hat mich die innermuslimische Sichtweise auf den Salafismus interessiert. Mir war zwar bewusst, dass es diverse Widerlegungsversuche gibt, sodass ich als Antwort darauf verweisen konnte. Was jedoch die genauen Inhalte dieser Repliken sind, wollte ich herausfinden. Die Kernfragestellung war dementsprechend: Was sind die konkreten Argumente gegen salafistische Islamverständnisseseitens verschiedener sunnitischer Strömungen und wie wird religiöse Autorität erzeugt? Darüber hinaus: Was sagt uns dieser innerislamische Diskurs mit Blick auf Kulturkampftheorien und religionswissenschaftliche Annahmen über Religion in der (Post-)Moderne?

IslamiQ: Zu welchen Ergebnissen sind Sie gelangt?

Fouad: Es gibt ein breites Korpus an salafismuskritischer Literatur aus sunnitischer Perspektive. Dabei sind sich die verschiedenen Strömungen jedoch auch untereinander völlig uneins darüber, welches Islambild dem Salafismus entgegengesetzt werden soll. Teilweise agieren sie dabei selbst exklusivistisch, das heißt nicht nur der Salafismus wird als falsch abgelehnt, sondern auch alle anderen Interpretationen, die von der eigenen abweichen. Dies gilt sowohl für traditionalistische, wie auch für modernistische Stimmen. Dies belegt, dass wir es vielmehr mit einem Kampf innerhalb von Kulturen als zwischen ihnen zu tun haben. Diese Pluralität wider Willen ist wiederum Ausdruck der Fragmentierung von religiöser Autorität in der Moderne. Natürlich gab es immer schon Meinungsvielfalt im Islam. Aber die Heterogenität des muslimischen Spektrums im 20. und 21. Jahrhunderts ist nicht mit der Vormoderne vergleichbar.

IslamiQ: Was unterscheidet „den Salafismus“ von „Extremismus“?

Fouad: Es kommt hier ganz darauf an, aus welcher Perspektive diese Frage beantwortet wird. Aus religionswissenschaftlicher Sicht ist Salafismus zunächst eine fundamentalistische Interpretation des Islams. Der Extremismusbegriff spielt hier keine hervorgehobene Rolle, da man als Religionswissenschaftler nicht normativ an seinen Untersuchungsgegenstand herantritt. Vor allem in der Forschung über salafistische Strömungen außerhalb Deutschlands muss ja beachtet werden, dass jeder Staat seine eigenen Kriterien dafür aufstellt, ab wann ein bestimmtes Religionsverständnis als extremistisch deklariert wird. Aufgrund ihrer politischen Forderungen verfolgt diese Strömung gemessen am deutschen Rechtsrahmen verfassungswidrige Ziele und ist daher aus sicherheitsbehördlicher Perspektive als extremistisch zu kategorisieren. Dies impliziert nicht zwangsläufig die Befürwortung oder gar die Anwendung von Gewalt. Auch in anderen Phänomenbereichen wie dem Links- oder Rechtsextremismus gibt es Gruppen, die nicht gewaltorientiert, aber trotzdem extremistisch sind. Aus bekenntnisorientierter Perspektive wiederum werden Salafisten von anderen Muslimen häufig als „extrem“ im Sinne von „übertrieben streng“ wahrgenommen.

IslamiQ: Sicherheitsbehörden unterscheiden zwischen verschiedenen „Salafismus“-Strömungen. Wie sinnvoll ist ihre Kategorisierung?

Fouad: Die verschiedenen Kategorien wurden zunächst in der Wissenschaft entwickelt und sind dann an den sicherheitsbehördlichen Kontext angepasst worden. Hier steht die Frage der Militanz im Vordergrund. Diese Unterscheidung ist aufgrund des deutschen Trennungsgebotes notwendig. Nicht-gewaltbereite extremistische Gruppen sind zwar nicht verboten, werden aber beobachtet, da sie wie oben beschrieben demokratiefeindliche Ziele verfolgen. Sobald die Schwelle zur Strafbarkeit, nicht zuletzt bei Gewalttaten, überschritten wird, ist die Polizei gefragt. Die analytischen Kategorien des politischen und jihadistischen Salafismus sind dabei nicht als starre Gebilde zu verstehen. In der Realität sind beide Strömungen auch in sich heterogen, außerdem gibt es zwischen beiden fließende Übergänge bzw. eine Grauzone.

IslamiQ: Der Verfassungsschutz hat eine Pressemitteilung herausgegeben, in der er sich auf Ihre Promotion bezieht. Welches Interesse hat der Verfassungsschutz am innerislamischen Diskurs?

Fouad: Zunächst einmal möchte ich betonen, dass die Promotion ein rein privates Unterfangen war, dass in keinem direkten Bezug zu meiner dienstlichen Tätigkeit stand. Gleichwohl waren die Erkenntnisse der Arbeit insoweit auch für den Verfassungsschutz relevant, als dass die Bearbeitung des Salafismus einer von mehreren Schwerpunkten darstellt. Mit der Presseerklärung sollte einerseits islamfeindlichen Parolen, in denen alle Muslime zu Extremisten abgestempelt werden, faktenbasiert widersprochen werden. Zum anderen wurde deutlich, dass der Verfassungsschutz differenziert vorgeht, innermuslimische Kritik an dem, was unter sicherheitsbehördlicher Perspektive als religiös begründeter politischer Extremismus gilt, wahrnimmt und mitnichten alle Muslime unter Generalverdacht stellt.

IslamiQ: Wie gehen islamische Religionsgemeinschaften in und außerhalb Deutschlands mit dem Phänomen „Salafismus“ um?

Fouad: Das ist äußerst unterschiedlich. Einige wollen mit dem Thema nichts zu tun haben. Sie sagen, solange niemand Ärger macht, ist jeder in der Moschee willkommen. Man könne den Leuten schließlich nur vor den Kopf gucken. Andere erteilen Hausverbote, da sie befürchten, dass insbesondere die Jugend von den salafistischen Ansprachen verführt werden könnte. Und dann gibt es welche, die sich aktiv einbringen, z. B. über Präventionsprojekte gegen religiös begründeten Extremismus.

IslamiQ: Moscheegemeinden werden von der Politik als wichtige Partner im Kampf gegen Extremismus gesehen. In Ihrer Arbeit stellen Sie fest, dass es einen breiten innnermuslimischen Widerstand gegen „den Salafismus“ gibt. Sind Moscheen tatsächlich die richtigen Orte, um nach Extremisten zu suchen?

Fouad: Eine absolute Minderheit der Moscheen in Deutschland wird durch die Sicherheitsbehörden beobachtet. Bei denjenigen, die unter Beobachtung stehen, gibt es belastbare Belege für extremistische Bestrebungen. Alles andere wäre rechtswidrig. Es werden also nicht pauschal Moscheen überwacht, um Extremisten zu finden. Vielmehr verhält es sich umgekehrt: Die Sicherheitsbehörden beobachten Extremisten und die Orte, an denen diese aktiv sind. Das können Vereins- oder Privaträumlichkeiten, Geschäfte, öffentliche Einrichtungen und im Zweifelsfall eben auch Moscheen sein.

IslamiQ: Wieso ist es Ihnen wichtig zu belegen, dass es einen breiten muslimischen Widerstand gegenüber „dem Salafismus“ gibt?

Fouad: Wie gesagt, ging es zum einen darum, dem unterschwelligem Vorwurf, es gebe kein muslimisches Engagement in diesem Bereich etwas empirisch Fundiertes entgegenzusetzen. Zum anderen haben mich die genauen islamrechtlichen, theologischen, historischen, soziologischen aber auch teilweise persönlich/polemischen Argumente gegen den Salafismus aus bekenntnisorientierter Perspektive interessiert, da ich mich zuvor äußerst intensiv mit dem salafistischen Islamverständnis auseinandergesetzt und hierzu bereits publiziert hatte.

IslamiQ: Michael Kiefer von der Universität Osnabrück vergleicht Präventionsarbeit in Bezug auf „Salafismus“ als „Herumstochern im Dunklen“. Sie basiere auf „provisorischen Anordnungen“, die nicht Teil einer abgestimmten Strategie seien. Wie beurteilen Sie diese These?

Fouad: Ich denke, Herr Dr. Kiefer spielte darauf an, dass wir in der Islamismusprävention im Vergleich zum Rechtsextremismus noch nicht auf langjährige Erfahrungswerte zurückblicken konnten. Wir wussten also noch nicht, welche Ansätze sich bewährt haben und welche nicht. Das Interview mit ihm ist ja schon älter. Mittlerweile haben sich landesweit Präventionsstrukturen etabliert und die Bundesregierung hat eine Strategie zur Extremismusprävention und Demokratieförderung herausgegeben.

Ende 2019 endete zudem die fünf-jährige erste Phase des Programms „Demokratie Leben“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dessen Projekte wurden teilweise begleitend evaluiert und nicht alle werden in der neuen Förderperiode fortgeführt. Es besteht sicherlich noch Optimierungsbedarf aber im Vergleich zum Stand im Jahr 2014 ist Deutschland in der Salafismusprävention deutlich besser aufgestellt.

Das Interview führte Recep Yılkın.

Leserkommentare

Dilaver Çelik sagt:
Die Salafisten wissen nur zu gut, wie sie muslimische Jugendliche, die auf Sinn- und Identitätssuche sind, ansprechen und ihr angeknackstes Selbstwertgefühl aufpolieren können. Oft werden salafistische Veranstaltungen von Jugendlichen nur deshalb besucht, weil sie deutschsprachig sind. Die etablierten Islamverbände haben bis vor wenigen Jahren sträflich verschlafen, attraktive Angebote für Jugendliche und Kinder zu etablieren. Es ist nicht damit getan, innerhalb von Moscheegemeinden Sportvereine zu etablieren, Gruppenreisen zu organisieren, Gesprächskreise in türkischer Sprache zu organisieren, in welchem nur die Basics vermittelt werden. Auch nicht, salafistischen Predigern Hausverbot zu erteilen und mit dem Salafismus nichts mehr zu tun zu haben wollen. Vielmehr müssen die etablierten Islamverbände genau da ansetzen, wo Salafisten die Jugendlichen ansprechen, damit sie Salafisten und sonstigen Rattenfängern den Boden entziehen können. Neben attraktiven Freizeitaktivitäten muss der spirituelle Hunger sowie die emotionalen Bedürfnisse von Jugendlichen befriedigt werden und die Jugendlichen mit Themen und Fragen aufgefangen werden, die sie gegenwärtig beschäftigen. Und mit identitärer Jugendarbeit wird das nicht erreicht werden können. Denn Konzepte und Strukturen aus den 1980er Jahren sprechen viele Jugendliche und junge Erwachsene unter Muslimen nicht mehr an. Die Islamverbände haben die Zeichen der Zeit viel zu lange nicht erkannt. Die Salafisten haben lediglich die Lücke gefüllt, welche die Islamverbände sträflich vernachlässigt haben. Ganz zu schweigen von dem, wohin das führt. Zwar finden viele Jugendliche später auf den Boden der Tatsachen zurück, jedoch gehen andere zu Grunde. Die Islamverbände müssen alternative deutschsprachige Angebote anbieten, welche für Jugendliche attraktiv sind. Auch braucht es an deutschsprachigen Imamen, welche die Bedürfnisse von Jugendlichen kennen. Es ist nicht damit getan, Moscheen lediglich zu verwalten. Es ist nicht damit getan, dass Imame vom Predigtstuhl immer wieder nur von einer "verlorenen Generation" warnen, wenn den Islamverbänden nicht bewusst wird, Konzepte zu entwickeln, wie sie jene Generation ansprechen können, und dass sie eine Verantwortung für die muslimische Jugend, für künftige Generationen und für dieses Land tragen.
04.07.20
14:40
grege sagt:
Derm Salafismus mag nur eine Minderheit von Muslimen angehören, das Problem ist jedoch der Extremismus in der Mitte der muslimischen Communities, der auch in Verbänden um sich greift.
04.07.20
18:56
A.F:B. sagt:
Das größte Problem in diesem Diskurs scheint mir die Definitionshoheit des Staates zu sein, die sich dieser anmaßt. Dem Muslim – wobei ich hier vorrangig von meinem eigenen Standpunkt ausgehe – geht es dabei um andere grundlegende Dinge als Gewaltbereitschaft und Verfassungsuntreue. So gibt es bspw. eine bestimmte Gemeinschaft, die allgemein dem als „friedlich“ eingestuften Sufismus zugerechnet wird, die jedoch bisweilen Gewalt gegen andere Muslime anwendet. Und in Sufiorden stellt der Scheich meist eine Autorität dar, der man widerspruchslos zu gehorchen und andernfalls mit Verstoßung aus seiner Gnade und Ächtung innerhalb der Gemeinschaft zu rechnen hat, was nicht unbedingt den Prinzipien einer demokratischen Ordnung entspricht. Was den Salafismus vom traditionellen Islam unterscheidet, ist, daß er die im Laufe der Generationen und Jahrhunderte natürlich gewachsenen Rechtswissenschaften (fiqh) und deren Grundlagenwissenschaften (uṣūl al-fiqh) sowie die unterschiedlichen Rechtsschulen nicht anerkennt und den Fiqh durch die selbständige Entscheidung (iǧtihād) in der Findung von normativen Regeln direkt aus den Primärquellen Qurʾān und Ḥadīṯ unter Weglassung der Uṣūl al-Fiqh ersetzt hat, was bisweilen zu extremen Ergebnissen führt. Weiterhin gehen sie davon aus, daß ihre jeweilige Meinung die einzig „richtige“ ist, während alle anderen „falsch“ sind, was der Kultur der Ambiguität und Meinungspluralität des traditionellen Islams widerspricht. Aufgrund ihrer extremen Definition von verwerflicher Neuerung (bidʿa) sehen sie vieles als solche an, was nach der Definition des traditionellen Islams jedoch keine Bidʿa ist, und da sie der Regel folgen, sich nicht mit Vertretern verwerfliche Neuerungen zusammenzusetzen, kommt es meist zu keinem Meinungsaustausch, keiner Diskussion und keinem Dialog mit den Vertretern des traditionellen Islams. Da sie von der einzigen Richtigkeit ihrer jeweiligen Meinung überzeugt sind, setzen sie diese ohne jegliche Rücksicht auf die Folgen durch, wobei sie häufig andere Muslime vor den Kopf stoßen, da diese ihnen ja ohnehin zu folgen haben, da sie andernfalls zu den Vertretern von Bidʿa gehören oder die „falsche“ Glaubenslehre haben. Das alles gilt ganz unabhängig davon, ob sie die Anwendung von Gewalt befürworten oder nicht, aber das ist es, womit sich der nicht-salafitische Muslim in der Regel bei ihnen konfrontiert sieht, weswegen es für ihn relevanter ist als die den Staat interessierende Gewaltbereitschaft oder Verfassungsuntreue.
05.07.20
1:55
Dilaver Çelik sagt:
@A.F:B. Prima auf den Punkt gebracht.
05.07.20
15:49
Johannes Disch sagt:
@grege (04.07.2020, 18:56) Prima auf den Punkt gebracht. Die erzkonservativen Verbände sind und bleiben das Problem.
06.07.20
12:24
Ethiker sagt:
Hazim Fouad und andere Figuren haben nicht den Rückhalt in der muslimischen Community. Warum ? Im Sinne des klassischen Kosmopolitismus haben jene Figuren sich zur Aufgabe gemacht monetär und gesellschaftlich erfolgreich zu sein. Pinzipien ? Ja aber, welche die nicht auf das traditionelle Islamverständnis beruhen, sondern auf den liberalen Grundlagen. Islam wird dann nur als Mittel zum Zweck gebraucht. Hazim Fouad, weiß aber sehr genau, dass vorallem die konservativen Muslime mit dem liberalen Gedankengut ihre Schwierigkeiten haben und deshalb versucht Hazim Fouad sich auf Seiten der Konservativen in Deutschland zu begeben. Da wundert es nicht, dass ausgerechnet Hazim Fouad ein Gefallen an Rockmusik mit Elementen von Trash und Deathmetal hat (Okultismus und Satanskult wird dort neben Anleihen von urigen Heidentum und rassistischen Puritätsvorstellungen großgeschrieben). Dieses Strömungen sind nicht selten mit aktuellen rechten Gedankengut sehr stark verwebt und auch Konversative und deutsche Traditionalisten finden darin als Kulturbewahrer ihren Gefallen. Ein Islamwissenschaftler der Islam nicht lebt wird niemals den Rückhalt der ernsthaften Muslimischen Community erlangen, das weiß Hazim Fouad natürlich auch und versucht deshalb dann scheinbare Thesen wie die einer innerislamischen Gegenbewegung zum sog. Salafismus stark zu machen. Dabei ist der sog. Salafismus auch im Sinne der Technik und des Wissenszuwachs in Verbindung mit den Kolonialkriegen zu sehen. Die Rückesinnung und Bewusstwerdung an das Traditionelle war ein Mittel gegen die militärische Übermacht der Kolonialverbrecher Kräfte zu mobiliseren. Ohne Kolonialismus hätte es diese Bewegung vermutlich nicht gegeben. Auch ist anzumerken, dass im traditionellen Sinne praktizierende Muslime Salafs sind und sich an die Altvorderen orientieren. So wird dann schnell klar, dass der Begriff "Salafismus" ein politischer Kampfbegriff. Hazim Fouad orientiert sich aber lieber an andere Altvordere urige Vorbilder mit Heidischen und puristischen Anleihen.
06.07.20
23:21
Dilaver Çelik sagt:
@Ethiker Die Salafisten geben nur vor, den Altvorderen (Salaf) zu folgen, mit welchen ihre Denkweise jedoch sehr wenig zu tun hat, da sie die Kette der sunnitischen Tradition der vergangenen 14 Jahrhunderte, an deren Ende die Altvorderen stehen, missachten. Die Folge: Ein extrem verengtes Islamverständnis, welche keine Ambiguitätstoleranz kennt und mit der Weitsicht der Altvorderen, auf dem die Ambiguitätstoleranz der sunnitischen Tradition aufbaut, nichts zu tun hat. Gefährlich wird es, wenn dies zu Übergriffigkeiten gegen andere Muslime sowie gegen Nichtmuslime führt bis hin zu offener Gewalt. Auch deshalb, weil das die anderen Muslime dann ausbaden müssen. Dabei ist es nur sekundär von Bedeutung, ob dies von Hintermännern unterstützt wird oder nicht, welche zu Lasten der Muslime anderen Interessen (z.B. Machtinteressen) folgen.
07.07.20
16:55
Johannes Disch sagt:
Der Kolonialismus ist nicht der Grund für den zeitgenössischen islamistischen Terror, der seine ideologischen Wurzeln tatsächlich im Salafismus hat. Der Kolonialismus ist nur eine billige Ausrede. Zwar war die Muslimbruderschaft bei ihrer Gründung 1928 durch Hassan Al Bana tatsächlich eine antikoloniale Befreiungsbewegung, änderte jedoch bald ihre Stoßrichtug. Der Godfather des islamistischen Terrors ist Sayyid Qutb und seine Schrift "Wegzeichen." Der politische Salafismus/Islamismus/Neo-Djihadismus wendet sich gegen die liberale Gesellschaft und die Demokratie und will die weltliche Ordnung durch eine islamische Theokratie ersetzen, will poisitives Recht durch Gottesrecht (Scharia) über weltliches Recht ersetzen. Der Urknall für das Erstarken des politischen Salafismus ist im Jahre 1967 zu sehen. Die Niederlage der arabischen Staaten gegen das kleine Israel diskreditierte den bis dahin in der islamischen Welt vorherrschenden Panarabismus. Erst nach dieser für die arabische Welt bis heute traumatischen Niederlage wurde der politische Salafismus/Neo-Djihadismus in der islamischen Welt en vogue. Die Gründe für den Niedergang des Islam sah Qutb in der Abwendung der Muslime vom "reinen Islam." "Der Islam (in seiner politisierten totalitären Form) ist die Lösung", so das Motto Qutbs. Es folgten die Ereignisse des Jahres 1979: Radfdikale besetzen die Moschee in Mekka, was Saudi-Arabien in der Folge reaktionärer werden ließ und die Machtergreifung der Schiiten im Iran. Seitdem bestimmen die sunnitisch-schiitische Rivalität und der politische Salafismus/Djihadismus die islamische Welt und das Problem greift durch Migration und Terrorismus auf die gesamte Welt über. In diesen Ereignissen von 1967 und 1979 liegt die Wurzel des politiscfhen Salafismus und nicht im Koloniaslismus.
08.07.20
11:32
Johannes Disch sagt:
@A.F.B.(05.05.2020, 1:56) Interessantes Statement mit einigen wichtigen Begriffen, zu denen ich glaich etwas sage. Vorweg: - "Das größte Problem in diesem Diskurs scheint mir die Definitionshoheit des Staates zu sein, die dieser sich anmaßt." (A.F.B.) Für diese "Anmaßung" hat der demokratische Rechtsstaat aber eine verbindliche Richtschnur und diese heißt Grundgesetz. An diesem muss sich jede Religion-- genauer: das paraktische Verhalten der Gläubigen-- messen lassen. Dieses Grundgesetz gibt auch die Grenzen der Religionsfreiheit vor. Totalitäre Ideologien, die gegen die Demoktatie gerichtet sind-- und dazu gehört nun eineml der Salafismus-- können sich nicht auf die Religionsfreiheit berufen, sondern müssen im Rahmen der "wehrhaften Demokratie" bekämpft werden. Und die beste Waffe ist es, darüber aufzuklären, damit Jugendliche nicht in den Sog dieser fundamentalistischen Strömung geraten. Sie gebrauchen einige interessante Begriffe, wie beispielsweise "Bidá." Da dieser Begriff nicht jedem geläufig sein dürfte: "Bidá" meint religiöse Neuerungen, die ihren Ursprung auf menschlichen Überlegungen haben und keine Entsprechung im Koran und in der Sunna finden. "Bida" wird von den meisten islamischen Theologen abgelehnt, da nach gängigem islamischem Verständnis der Mensch nicht zur Erkenntnis fähig ist, sondern alleine Allahs Geboten zu folgen hat. Ein Menschenbild, das mit der Moderne nicht kompatibel ist. Wichtiger als "Bida" sind einige aqndere Begriffe, wie beispielsweise "Dawa" (Missionierung für den Islam) und "Hijdra" (Migration). Das ganze wird euphemistisch mit dem Begriff "Futuhat" ( = Öffnung für den Islam) garniert. In früheren Zeiten erfolgte diese "Öffnung" aggressiv in Form imperialer Eroberungskriege. Im Zuge der weltweiten Fluchtbewegungen vor allem aus dem islamischen Raum ("Hidjra") findet die antidemokratische Ideologie des Salafismus auch bei uns in Europa ihren Nährboden, institutionalisiert durch die Islamverbände. Und hier gilt es, konsequent gegenzusteuern. Und wenn der Staat daruauf hinweist und diese totalitären antidemokratischen Ideologien bekämpft, so ist dasm keine Anmaßung einer Definitionshoheit, sondern legitimer und notwendiger Selbstschutz. Es geht nicht um "figh" und "Bida." Das sind Diskussionen für den theologischen Elfenbeinturm. Es geht um ganz praktische Probleme. Es geht darum, antidemokratische Ideologien-- zu denen der Salafismus gehört-- konsequent zurückzuweisen!
08.07.20
14:35
Johannes Disch sagt:
Der Salafismus ist keine einheitliche Strömung. Aber in der salafistischen Ideologie liegen die Wurzelon für den neo-djihadistischen islamistischen Terror. So ist zwar nicht jeder Saloafist ein Terrorist. Aber jeder islamistiscdhe Terrorist ist ein Salafist. Dass der demokratische Rechtsstaat den Salafismus bekämpft, das ist eine Notwendigkeit. Es geht nicht um theologische Elfenbeinturmdiskussionen, sondern um praktisches: Es gibt 4 Kernbereiche, wo der Islam dringend Reformbedarf hat: a) Die fehlende Trennunjg von Staat und Religion b) Die Situation der Frauen c) Die Geringschätzung des säkularen Wissens d) Eine Reform des Menschenbildes (Der Mensch als selbständiges zur Erkenntnis fähiges Subjekt und nicht als Erfüllungsgehilfe angeblicher göttlicher Gebote). Jede Kritik am Islam, jede Diskussion über Reformen im Islam, die diese 4 Kernbereiche nicht thematisiert, geht am Thema vorbei und ist ohne ptraktische Relevanz.
09.07.20
11:13
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