In unserer neuen Imam-Kolumne bitten wir monatlich einen Imam zu Papier. Imam Ferid Heider schreibt, was es heißt, Imam einer Gemeinde zu sein. Eines ist aber klar: Imam zu sein ist kein einfacher Job.
In den Medien wird immer wieder über die Rolle der Imame gesprochen. Sie sollen mehr oder nur Deutsch sprechen und predigen. Sie sollen nicht mehr aus dem Ausland „importiert“ werden und am besten nur noch in Deutschland ausgebildet werden. Das Thema ist also sehr präsent. Aber der Großteil der deutschen Bevölkerung hat vermutlich noch nie einen Imam persönlich getroffen. Die meisten werden wahrscheinlich auch nicht wissen, was die Aufgaben eines Imams sind.
Das Wort „Imam“ ist arabischen Ursprungs. ES geht auf das Grundverb „amma“ zurück. Die Grundbedeutung dieses Verbes ist „vorausgehen“, „anführen“ und „aufsuchen“. So lassen sich Worte wie „umm“ (Mutter) und „amam“ (vorn, vor) von diesem Verb herleiten. In den Medien wird „Imam“ – mit einem „m“ am Ende – oft verwechselt mit „Imân“ – mit einem „n“ am Ende. „Imân“ kommt von einer ganz anderen Wortwurzel im Arabischen und bedeutet übersetzt „Glaube“.
Imam Mohammed Naved Johari: Der „soziale Imam“
Wie die Wortbedeutung nahelegt, ist der Imam Vorsteher und Vorbild, nach dem sich andere Menschen richten. In diesem Sinne wird auch das Wort Imam an verschiedenen Stellen im Koran verwendet. So hat Gott den Propheten Abraham zu einem Imam erklärt (Sure Bakara, 2: 124). Der Koran fordert aber auch den einfachen Gläubigen dazu auf danach zu streben, ein Imam für die anderen Gläubigen zu werden. Ein Bittgebet im Koran lautet: „… und mache uns für die Rechtschaffenen zu einem Vorbild (Imam).“ (Sure Furkân, 25:74)
Die ursprüngliche Funktion eines Imams liegt demnach in der Führung einer Gemeinde. Er stellt eine moralische Instanz dar und soll die Gemeinde zum Guten leiten. Eine schwere Aufgabe, vor welcher ich großen Respekt habe. Ich stelle mir immer wieder die Frage, ob ich ihr wirklich gerecht werden kann.
Aufgrund der führenden Stellung eines Imams erhält er von den Mitgliedern seiner Gemeinden auch einen Ehrentitel, der regional unterschiedlich ist. So werden im Türkischen Imame als „Hodscha“ bezeichnet. Unter arabischsprechenden Muslimen wird ein Imam in der Regel „Scheich“ genannt. In Teilen Asiens wird häufig der Titel „Mulla“ für einen Imam verwendet.
Die erwähnte Stellung eines Imams als Vorbild und religiöser Vorsteher der Gemeinde ist noch sehr abstrakt. Was sind die genauen Aufgaben eines Imams in einer Moscheegemeinde hier und heute?
Die wohl wichtigste Aufgabe eines Imams innerhalb seiner Moscheegemeinde ist es die Gemeinde bei den Gottesdiensten zu leiten. Das bedeutet ganz konkret die fünf täglichen Gebete zu leiten und am Freitag zur Mittagszeit das Freitagsgebet samt der Freitagspredigt (Hutba) durchzuführen. Hierbei ergeben sich gerade in Deutschland für viele Imame sprachliche Herausforderung. So muss er neben dem Arabischen für das Gebet die Herkunftssprache der Gemeindemitglieder (Türkisch, Bosnisch, Urdu, Arabisch ect.) auf hohem sprachlichem Niveau beherrschen und darüber hinaus auch noch Deutsch, damit er auch wirklich alle Gläubigen erreichen kann. Immer mehr Gemeindemitglieder, die entweder in Deutschland aufgewachsen sind und die Herkunftssprache ihrer Eltern nicht mehr beherrschen oder auch Gemeindemitglieder, die nur Deutsch sprechen, erwarten das von ihren Imamen. In vielen Moscheen wird mittlerweile deshalb der zweite Teil der Hutba auf Deutsch gehalten. So tue ich das in meinen Predigten ebenfalls und habe bisher sehr gute Erfahrungen damit gemacht.
Mit der Leitung der Gebete ist die Aufgabe eines Imams noch lange nicht erfüllt. Er ist als Theologe auch für die religiöse Unterweisung der Gemeindemitglieder zuständig. Hierzu gehören Ansprachen nach den Gemeinschaftsgebeten, wöchentliche Islamunterrichte und das Lehren des Korans. In vielen Gemeinden übernimmt die Aufgabe des Koranunterrichts gerade für die Kinder ein hierfür extra eingestellter Hilfs-Imam bzw. ein Erzieher.
Ein ganz wesentlicher Bereich in der Arbeit eines Imams sind die sozialen Belange der Gemeindemitglieder. Hierzu gehören religiöse Trauungen, Seelsorge, Beerdigungen, Trauerfeiern und die Konfliktschlichtung. Häufig wird diese Arbeit von den Moscheevorständen stark unterschätzt, obwohl gerade diese Arbeit sehr viel Zeit und Energie in Anspruch nimmt. Nicht selten kommt es vor, dass man als Imam mitten in der Nacht angerufen wird, obwohl die Angelegenheit sicherlich bis zum nächsten Morgen hätte warten können. So hat mich einmal ein Jugendlicher mitten in der Nacht mehrfach angerufen, nur um zu erfahren, ob denn Haifischfleisch im Islam halal sei. Schmunzelnd, aber doch genervt vom Sturmklingeln fragte ich ihn nur, ob er denn Haifischsteak vor sich hätte. Er befand sich aber gerade nur in einer Diskussion mit seinen Freunden und brauchte die Antwort eines Imams.
Nicht zu vergessen ist auch der Bereich der Öffentlichkeits- und Dialogarbeit, der in vielen Gemeinden wegen fehlender Deutschsprachkenntnisse der Imame bisher von nicht theologisch ausgebildeten Gemeindemitgliedern durchgeführt wurde. Aber gerade bei theologischen Themen können Imame nicht ersetzt werden. Dialogveranstaltungen und interreligiöse Treffen sind aus meinem Arbeitsalltag als Imam nicht mehr wegzudenken.
Bei all den vielen und unterschiedlichen Aufgaben stellt sich die Frage, was man gelernt und studiert haben muss, um ein guter Imam sein zu können. Auf diese Frage gibt es keine einheitliche Antwort. Ich beispielsweise habe zunächst ein Jahr in Ägypten im Alter von 15 Jahren begonnen die arabische Sprache und den Koran auswendig zu lernen. Im Anschluss an dieses Jahr habe ich 5 Jahre mein Abitur an der Azhar-Institution absolviert, wo man schon die wichtigsten theologischen Wissensdisziplinen erlernt. Hierzu gehören neben mehreren Fächern zur arabischen Sprache (Rhetorik, Grammatik, arabische Literatur ect.), islamische Theologie (Tawhîd oder auch Kalâm genannt), Koranwissenschaften, Hadithwissenschaften (Überlieferungen des Propheten), Fiqh (islamische Jurisprudenz) nach einer Rechtsschule, in meinem Fall war es die schafiitische.
Im Anschluss an mein Abitur habe ich in einem Fernstudiengang islamische Theologie in arabischer Sprache am Institut Européen des Sciences Humaines (IESH) in Frankreich studiert und den Bachelor in Arabistik an der FU Berlin erlangt. Während meiner Tätigkeit als Imam habe ich noch zahlreiche mehrtätige Seminare und Fortbildungen von hochrangigen muslimischen Gelehrten besucht, um mich fortzubilden.
Viele Imame haben eine ähnliche Ausbildung genossen und an Universitäten oder religiösen Institutionen Theologie studiert. Es gibt jedoch auch solche, die lediglich privat bei Gelehrten studiert haben. Einige Autodidakten unter den Imamen gibt es auch, was jedoch nicht unbedingt in allen Gemeinden gutgeheißen wird. Häufig handelt es sich um aushelfende oder vorübergehende Imame in Gemeinden, die sich keinen ausgebildeten Imam leisten können.
Was mir bei meiner Ausbildung gefehlt hat, sind spezielle Kurse für die Seelsorge, Eheberatung und Mediation. Denn ob es die Imame wollen oder nicht, in der Regel wenden sich die Gläubigen mit all ihren Problemen zuerst an sie. Sie sind halt die Vorsteher und Vorbilder für ihre Gemeinde.