Die AfD sitzt mit 92 Abgeordneten im Deutschen Bundestag, in Amerika regiert Präsident Donald Trump via Twitter und in Polen schränkt die Regierungspartei den Rechtsstaat für ihre eigenen Zwecke ein. Demokratische Ideale werden zum Teil mit Füßen getreten, Provokationen und Normverstöße gesellschaftsfähig – steckt folglich die Demokratie in einer Krise?
Fehlende Partizipationsmöglichkeiten
Krisendiagnosen der Demokratie sind keineswegs neu. Sie begleiten das politische Denken seit der Antike. Kritikpunkte gab und gibt es viele: fehlende Partizipationsmöglichkeiten, ein normativ überhöhter Anspruch, die Qualität von Entscheidungen oder etwa eine Entfremdung zwischen Bürgern, Politikern und dem Staat.
Weitere Trends geben Anlass zu Kritik: Tendenziell sinkt die Wahlbeteiligung, dafür steigt der Anteil der unzufriedenen Demokraten. In Folge der Globalisierung geht der Handlungsspielraum der Nationalstaaten zurück. Medien oder transnationale Konzerne nehmen Einfluss auf die Politik. Die politische Lage ist unübersichtlicher als vor 50 Jahren – was komplexere Entscheidungen erfordert. Die wiederum sind Wählern nicht immer einfach zu vermitteln.
„Holt die Konflikte in die Politik zurück“
Trotz aller Kritik funktioniere die Demokratie besser als gedacht, sagte der Münchner Soziologe Armin Nassehi am Mittwoch bei einer Veranstaltung von Deutscher Forschungsgemeinschaft und Bundeskunsthalle in Bonn. Sie kranke daran, dass es weltweit ernst zu nehmende Entscheidungsträger gebe, die eine Alternative zum demokratischen Rechtsstaat propagierten.
Vor diesem Hintergrund forderte Nassehi: „Holt die Konflikte in die Politik zurück.“ Die Demokratie halte als einzige Staatsform unterschiedliche Auffassungen über Themen aus und biete mit der Opposition legitime alternative Lösungsvorschläge an. Gleichzeitig brauche sie den Konflikt und die politische Auseinandersetzung über kollektiv verbindliche Regeln – Interesse und Beteiligung der Bürger seien entscheidende Grundlagen.
Enttäuschte Demokraten fordern oft mehr Partizipation: Mehr direkte Demokratie, mehr Mitsprache und Beteiligung der Bürger belebe die demokratische Kultur, so das Argument. Ein narratives Ideal, dessen Umsetzung höchst problematisch sei, betonte die Frankfurter Soziologin Sigrid Roßteutscher. „Ein gravierendes Problem aktuell ist die sozial ungleiche Demokratie.“ Mehr Partizipation verstärke diese soziale Ungleichheit weiter. Der Zusammenhang: Die Bereitschaft, wählen zu gehen, und politisches Engagement hänge vom Alter und dem Bildungsniveau ab. Vor allem eine Gruppe beteilige sich wenig bis gar nicht und falle daher aus dem System heraus: junge Menschen mit wenig Bildung.
„Je mehr Beteiligung gefordert wird, desto weniger werden alle Bevölkerungsgruppen repräsentiert“, erklärte der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), Thomas Krüger. Eine entscheidende Frage für die Zukunft der Demokratie sei daher, ob es der politischen Bildung und den Parteien gelänge, diese Menschen zu erreichen.
Neue Form von Beteiligung und Aktivierung
„Texte und Podiumsdiskussionen helfen da nicht“, betonte Krüger. Es brauche neue Formen von Beteiligung und Aktivierung. Die bpb etwa habe gute Erfahrungen mit Social-Media-Formaten gemacht. Projekte, bei denen junge Youtube-Stars gegen Nazis eintreten oder den Islam erklären, seien bei der Zielgruppe auf große Resonanz gestoßen. Zudem müsse das Wahlalter gesenkt werden. Denn die Schule biete die besten Chancen, junge Menschen für Politik und Beteiligung zu gewinnen. Mit 18 Jahren, dem aktuellen Wahlalter für Bundestags- und einige Landtagswahlen, hätten Jugendliche ohne Abitur die Schule aber längst verlassen und seien viel schwieriger zu erreichen.
Ein weiterer Knackpunkt in der Diskussion um die Krise der Demokratie sind die Parteien, insbesondere die Volksparteien. Sie können sowohl Teil der Lösung als auch Teil des Problems sein – jedenfalls sind sie selbst von tiefgreifenden sozialen Veränderungsprozessen betroffen. In der aktuellen Debatte sei wichtig, dass es den Parteien gelinge, wieder an die Lebenswelten der Menschen anzuknüpfen und vor allem die Jugend anzusprechen, betonte Nassehi. „Die Themen dazu liegen auf der Straße.“ (dpa, Anne Fries, iQ)