Neutralität

Kretschmann gegen Kopftuchverbot für Richterinnen

Ministerpräsident Kretschmann spricht sich gegen ein Kopftuchverbot für Richterinnen aus. Er reagiert damit auf das Vorhaben des Justizministers Wolf ein Kopftuchverbot durchzusetzen.

09
11
2016
Winfried Kretschmann
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann © by BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Flickr (CC BY- 2.0), bearbeitet islamiQ

Aus Sicht von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wird das Tragen religiös besetzter Kleidungsstücke das Urteil von Richtern nicht beeinflussen. „Ich kann mir persönlich vorstellen, dass ein Jude mit Kippa Richter wird“, sagte er am Dienstag in Stuttgart. Damit reagierte er auf die Frage, was er vom Plan des Justizministers Guido Wolf (CDU) halte, Richterinnen das Tragen eines Kopftuches zu verbieten.

Kretschmann will in Kürze mit Wolf über das Thema beratschlagen. Ziel sei, in der Abwägung der Neutralität des Staates und der Religionsfreiheit eine mit dem Grundgesetz vereinbare Lösung zu finden. Aus Sicht von Wolf hat die Justiz neutral zu sein.

Keine Verletzung der Neutralitätspflicht

Ein Jude mit Kippa und eine Muslima mit Kopftuch verletzen nach Auffassung Kretschmanns die Neutralitätspflicht des deutschen Staates nicht. Sie gingen nur ihren religiösen Pflichten nach und wollten keine „Botschaft aussenden“. Andererseits müsse die Wahrnehmung der Kopfbedeckungen für die Menschen im Gericht, also der „Empfängerhorizont“, mit bedacht werden. „Die Sache ist sehr kompliziert.“

Eine Vollverschleierung lehne er in einer offenen Gesellschaft vollständig ab. Aus „Opportunitätsgründen“ sei er aber gegen ein Verbot. (KNA/iQ)

Leserkommentare

Grünschnabel sagt:
Na endlich. Obwohl es offensichtlich ist, dass ein Kopftuch die Neutralität nicht verletzt, weil es nur zur persönlichen Religionsfreiheit der Richterin zählt und nicht ihrer amtlichen Funktion zugeordnet werden kann, wird diese Selbstverständlichkeit aus ideologischen Gründen häufig strittig gemacht. Die Aussage Kretschmanns ist deshalb sehr zu begrüßen und lässt hoffen, dass dieser Standpunkt in der Politik vielleicht doch mehrheitsfähig sein könnte.
10.11.16
9:06
Ute Fabel sagt:
Ich finde es erschütternd, dass Herr Kretschmann so bereitwillig religiösen Lobbyinginteressen und Sonderwünschen von religiösen Hardlinern nachgeben will. Selbstverständlich verletzt eine kopftuchtragende Richterin und ein kippatragender Jude das Neutralitätsprinzip genauso wie ein AfDler, der als Richter ein Burschenschafterkappe tragen will. Ich persönlich kenne im Übrigen viele Migranten arabischer und türkischer Herkunft - selbst praktizierende Muslime -, die säkulare Ideale auch hochhalten und gerade auf religiöse und weltanschauliche Neutralität der Justiz großen Wert legen.Diese Leute scheinen Herrn Kretschmann allerdings scheinbar nicht zu interessen, er will sich offenbar bei jenen anbiedern, die ihre Religionen allen immer und überall an die Nase binden wollen.
10.11.16
9:34
Grünschnabel sagt:
@Ute Fabel Was spielt es für eine Rolle, wenn Sie Bekannte haben, die muslimisch sind und "säkulare Ideen Hochhalten"? Wenn es darauf ankäme, was die Bekannten von XY für Meinungen haben, hätten wir eine Bananenrepublik. Es kommt auf Recht und Gerechtigkeit an, und da kann keiner erzählen, dass ein Kopftuchverbot eine freiheitliche Regelung wäre. Jeder Mensch hat eine Persönlichkeit und auch das Recht dazu, diese frei entfalten zu dürfen - selbst im Amt! Denn: Das Amt des Richters ist zwar staatlich, aber die Person, die dieses Amt bekleidet, erschöpft sich nicht in ihrer amtlichen Funktion. Ergo: Nicht alles, was diese Person macht, kann dem Staat zugerechnet werden. Das heißt folglich, dass eine Richterin durchaus während ihrer Richtertätigkeit ein Kopftuch tragen darf, ohne dadurch die Neutralität des Staates zu gefährden.
10.11.16
10:59
Ute Fabel sagt:
@Grünschnabel: Sie scheinen ein falsches Verständnis von "Religionsfreiheit" zu haben. Es handelt sich dabei um kein absolutes Faustrecht, dem sich alle anderen Rechtsgrundsätze, die zu noch wahren sind, jedenfalls unterzuordnen haben. Der Diskriminierungschutz aufgrund der sexuellen Orientierung bedeutet ja auch nicht, dass man seine sexuelle Orientierung immer und überall öffentlich ausleben kann, wenn einem gerade danach ist. Ebenso ist es mit der "Religionsfreiheit". Diese bezieht sich rein auf das Privatleben, genauso wie die Ausübungsfreiheit der sexuellen Orientierung sich auf das Privatleben bezieht.
10.11.16
12:13
Ute Fabel sagt:
Wenn man gegen ein Kopftuchverbot für Richterinnen ist, dann muss man auch gegen ein Nudelsiebverbot bei Richtern sein. Der österreichische Parlamentsabgeordnete Niko Alm hat bereits durchgesetzt, dass er auf dem Foto für seinen Führerschein ein Nudelsieb aufsetzen darf, da er sich als Anhänger der Pastafari-Religion betrachtet. Er fühlte sich zu Recht gegenüber Kopftuchträgerinnen diskriminiert. Gleiches Recht für alle. Nudelsiebe sind jedenfalls lustiger anzuschauen als die langweiligen mittelalterlichen Religionsuniformen der konservativen Muslimmen. Unsere Gesellschaft braucht mehr Humor. Mehr Nudelsiebe wäre ein Betrag zu mehr Vielfalt.
10.11.16
12:19
Ali Simirliogliu sagt:
Ich bitte um Reportagen über Personen, die sich überzeugend für ein Kopftuchverbot aussprechen. Denn solche Berichte vermisse ich hier sehr schmerzlich.
10.11.16
12:22
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel Es nicht richtig, dass das Tragen eines religiösen Symbols das Neutralitätsprinzip verletzt. Das habe ich schon dargestellt bei dem Artikel zu dem Augsburger Urteil. Ärgerlich ist, dass hier immer wieder dieselben ollen Einwände erhoben werden, die längst wiiderlegt wurden und durch richterliche Urteile entschieden sind. Dort wurde entschieden: Eine Referendarin darf ihr Kopftuch tragen. Das konkrete Recht auf Religionsfreiheit hat hier zurückzustehen hinter dem abstrakten Recht, von einer Religion nicht belästigt zu werden. Man muss einer Richterin konkret nachweisen, dass ihre Religion ihr Urteil beeinflusst hat. Nur dann wäre ein Verbot möglich. Dass sie ein Kopftuch trägt, reicht dafür alleine nicht aus. Das darf die Richterin. Herr Kretschmann liegt mit seiner Haltung also absolut richtig. Dass Sie das Kopftuch pauschal als Symbol einer Lobby abtun ist ein Stereotyp. Deutlicher kann man auch formulieren: Das ist rassistisch. Das hat nichts mehr zu tun mit "konstruktiver Religionskritik", wie sie ihre Abneigung gegen jede Religion und jedes religiöse Symbol bemänteln. Es ist rassistisch. Und sachlich haben sie damit ganz einfach unrecht, wie die deutschen Gesetze und Urteile dazu zeigen. Ein Kopftuch verletzt nicht die weltanschauliche Neutralität.
10.11.16
13:57
Johannes Disch sagt:
@Ute Fabel -- "Ebenso ist es mit der "Religionsfreiheit." Diese bezieht sich rein auf das Privatleben..." (Ute Fabel) Das ist falsch! Wir sind zwar eine säkulare Gesellschaft, aber gleichzeitig eine religionsoffene Gesellschaft. Das Bekunden zu einem religiösen Glauben im öffentlichen Raum ist erlaubt. Unsere Verfassung und unsere Gesetze geben das her. Es ist am Arbeitsplatz in privaten Unternehmen erlaubt. Und es ist sogar im Staatsdienst erlaubt, wie 2015 das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich festgestellt hat, indem es ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen als verfassungswidrig erklärt hat.
11.11.16
13:58
Fabian sagt:
@Ute Fabel: Woher haben Sie ihre Erkenntnis, dass die Religionsfreiheit sich nur auf den privaten Bereich bezieht? Das Grundgesetz verbürgt Rechte des Individuums gegenüber dem Staat. Und wenn da steht, dass jeder seine Religion frei ausüben kann, dann ist das schon mal ein ziemlich starkes Recht. Davon, dass das Individuum sein Recht auf freie Religionsausübung nur zu Hause in den eigenen vier Wänden ausüben kann, steht da nichts. Und das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so. Das Individuum kann seine Religion sehr wohl auch nach außen sichtbar machen. Dass Menschen sich über Religion dadurch lustig machen müssen, dass sie sich ein Nudelsieb auf den Kopf setzen, sagt lediglich etwas über deren beschränkten Horizont aus. Mit Humor hat das wenig zu tun. Aber wer meint, eine Nudelsieb auf dem Kopf tragen zu müssen, soll das von mir aus tun.
11.11.16
17:01
Ute Fabel sagt:
@Johannes Disch: Ist für sie der Staatgründer der Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, auch ein "Rassist" gewesen.? Er hat großen Wert auf eine konsequente Trennung von Religion und Staat gelegt, wovon die Türkei wie ich meine heute immer noch profitiert. Jahrzehntelang gab es in der Türkei weder kopftuchtragende Richterinnen, noch Polizistinnen oder Lehrerinnen. War das "Rassismus" in Reinkultur? Oder ist für SIe das Gesetz in Frankreich aus dem Jahr 2004, welches auch Schülerinnen das auffällige Sichtbarmachen der Religion in Schulen unterbindet, auch "rassistisch"? Und das EGMR-Urteil, wonach dieses Gesetz menschenrechtskonform sei, ist das für Sie vielleicht "rassistische" Rechtsprechung? War etwa schon das Gesetz aus dem Jahr 1905 in Frankreich, dass Lehrern das auffällige Zeigen ihrer Religion im Unterricht untersagt hat, der Keim des "Rassismus"? Das Grundrecht auf freie politische Meinungsäußerung ist auch eine sehr ernst zu nehmendes Grundfreiheit, woraus man aber nicht ableiten kann, dass Richter berechtigt sich, sich Parteiabzeichen an den Talar zu stecken.
13.11.16
7:03
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