Der Bundespräsident in Österreich steht fest. Alexander van Bellen hat gewonnen und Norbert Hofer zur Freude vieler Bürger – vor allem vieler Muslime – verloren. Die österreichische Studentin Sevde Özdemir schreibt, wieso sie sich trotzdem nicht rundum freuen kann.
„Er ist wieder weg“ titelt die Berliner Zeitung und kann das Ergebnis der Bundespräsidentschaftswahl in Österreich nicht treffender zusammenfassen. So viel gezittert und mitgefiebert haben die ÖsterreicherInnen zuletzt bei den EM-Qualifikationsspielen. Noch nie war das internationale Medieninteresse so groß wie am Wahlabend, ganz Europa schaute buchstäblich nach Österreich. Nicht wenig überraschend; denn mit Norbert Hofer wäre in der EU erstmals ein rechtsextremer Kandidat zum Staatsoberhaupt gekürt worden.
Im Vergleich zum ersten Wahlgang war die Wahlbeteiligung deutlich höher und schon im Vorhinein brachte die Hofburg-Stichwahl einen neuen Briefwahl-Rekord. Beinahe 800.000 Wahlberechtigte beantragten eine Wahlkarte. Am Wahlsonntag stand nämlich noch nicht fest, wer Österreichs neuer Bundespräsident ist, so knapp waren die Ergebnisse. Während Norbert Hofer mit 144.006 Stimmen im vorläufigen Endergebnis mit 51,93 Prozent führte, gingen alle Hochrechner davon aus, dass sich das mit der Auszählung der Briefwahl drehen würde. „Jede Stimme zählt!“ – diese Binsenweisheit bewahrheitete sich ein Mal mehr.
Auch am Montag hielt die Spannung an und wurde immer größer als sich die offizielle Bekanntgabe des Wahlergebnisses durch das Innenministerium verzögerte. Während Live-Streams nicht funktionierten und Innenminister Wolfgang Sobotka auf die letzten Ergebnisse aus Innsbruck wartete, lüftete Norbert Hofer das Geheimnis und gab seine Wahlniederlage auf Facebook bekannt.
Feierstimmung ist schnell gekippt
Während viele in Europa erleichtert aufatmete und die Unterstützer des frischgebackenen Bundespräsidenten in Scharen auf den Straßen Wiens feierten, blieb für einige nach dem ersten Freudensprung die Frage, ob uns wirklich zum Feiern sein sollte. Immerhin stellte Norbert Hofer alle FPÖ-Rekorde in den Schatten und aus dem Nichts gibt es mit ihm eine Alternative zu Heinz-Christian Strache. Eloquent, charismatisch und die ungewohnte sanfte Art scheinen die FPÖ weiter stärken zu können.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, weshalb 49,65% der WählerInnen ihre Stimme einem Kandidaten anvertrauten, der nachweislich deutschnational ist, ernsthaft eine parlamentarische Anfrage gestellt hat, ob das mit den Chemtrails vielleicht doch stimmt, sich zuerst gegen das NS-Wiederbetätigungsgesetz ausspricht, es aber dann doch belassen will, weil so viele Flüchtlinge Antisemiten seien. Und dass er die blassblaue Kornblume lediglich als modisches Accessoire am Revers trägt, kaufen ihm auch nur die Wenigsten ab. Weil sehr viele österreichische PolitikerInnen von unserer „historischen Verantwortung“ gegenüber Israel reden, würde ich es nur angebracht finden, wenn wir dieser Verantwortung auch bewusst sind, wenn es um offenkundig antisemitische bzw. antimuslimische Tätigkeiten in unserem eigenen Land geht. Die Entwicklungen in Österreich sind längst nicht mehr latent und einfach so von der Hand zu weisen.
Dass rechtes Gedankengut nicht seit der Bundespräsidentschaftswahl in der bürgerlichen Mitte angekommen ist, streitet zwar niemand ab, jedoch sollte das Wahlergebnis für uns alle ein Weckruf sein und uns anspornen uns noch mehr für ein besseres Miteinander einzusetzen, um den Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Betrachtet man das Wahlergebnis genauer, so sieht man auch hier, dass in jenen Bundesländern, wo der Migrantenanteil niedrig ist, der Anteil der Freiheitlichen-Wähler vergleichsweise hoch ist. Das gegenseitige Kennenlernen und besonnen aufeinander zugehen müssen wieder Hochkonjunktur haben. Auch kommen der Sozialdemokratie mit dem neuen Bundeskanzler und ehemaligem ÖBB-Chef Christian Kern große Aufgaben zu. Die Erwartungen sind hochgeschraubt, es gilt die inhaltliche Leere der Partei wieder zu füllen.
Dass jetzt ausgerechnet Norbert Hofer und Heinz-Christian Strache sich vermeintlich für mehr Zusammenhalt und Demokratie stark machen und meinen, es gäbe keine Spaltung im Land, zeigt, dass sie einen moderateren Kurs einzuschlagen versuchen. Xenophobie hübsch verpacken und das niedliche Grinsen dabei nicht vergessen. Schließlich wollen ihre Wähler auch nicht als Rassisten abgestempelt werden und tatsächlich dürfen wir nicht aus den Augen lassen, dass sehr viele zum ersten Mal für die FPÖ gestimmt haben und soziale Abstiegsängste am Häufigsten als Wahlgrund angegeben haben. Rechtfertigen diese Ängste jedoch das Flirten mit einer Partei, deren Parteipolitik uns an die dunkelsten Zeiten der europäischen Geschichte erinnern? Ich meine nicht.
Für viele Muslime war das Ergebnis wenig überraschend und noch pessimistischer wirken sie im Hinblick auf die kommenden Nationalratswahlen. Viele islamischen Religionsgemeinschaften und Einzelpersonen haben ihre Mitglieder und/oder FreundInnen mobilisiert ihre Stimme Alexander Van der Bellen zu geben, um vor allem Hofer zu verhindern. Denn Muslime sind auch wie die Mehrheit der nicht-muslimischen ÖsterreicherInnen keine traditionellen Grün-Wähler. Viel Überzeugungsarbeit musste also geleistet werden, um „das geringere Übel“ zu wählen. Muslime in Österreich fühlen sich schon lange nicht mehr von den etablierten Großparteien vertreten und haben die traditionellen Moschee-Besuche kurz vor den Wahlen satt. Der Wahlkampf auf dem Rücken der Minderheiten und die FPÖ-Anbiederung der ÖVP sowie der SPÖ bleiben den wenigsten unbekannt. Diese Ohnmacht der Opposition machen es immer schwieriger Muslime für den Urnengang zu motivieren.