Interview mit Hansjörg Schmid

„Theologie ist bekenntnisgebunden“

Gibt es Parallelen zwischen der historischen Etablierung christlicher Theologie an Deutschen Universitäten und der jetzigen Etablierung von islamischer Theologie? Dieser Frage gehen wir im Gespräch über die christliche Theologie mit Dr. Hansjörg Schmid nach.

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2014
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An mehreren Standorten in Deutschland werden seit geraumer Zeit Zentren für islamische Theologie etabliert. Die islamische Theologie in Deutschland steckt trotz der finanziellen Möglichkeiten, im Gegensatz zur christlichen Theologie, noch immer in den Kinderschuhen. Wir sprachen mit Dr. Hansjörg Schmid von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart über die historische Entwicklung der christlichen Theologie in Deutschland und ihrer Funktion an den Universitäten. Dabei wollten wir auch wissen, ob es Parallelen zur islamischen Theologie gibt und einen Blick auf eine etablierte Disziplin an den Universitäten werfen.

IslamiQ: Im Zuge der Gründung von Zentren für Islamische Studien hat sich recht schnell die Bezeichnung „islamische Theologie“ eingebürgert. Hat eine solche an den bestehenden christlichen Fakultäten ausgerichtete Namensgebung nicht Auswirkungen auf Inhalt und Struktur der Lehrstühle bzw. für die Theologie an sich?

Hansjörg Schmid: „Islamische Theologie“ ist die beste Bezeichnung für das, worum es geht: eine wissenschaftliche Reflexion über den Islam nicht aus einer Außensicht, sondern aus einer gläubigen Binnenperspektive. „Islamische Studien“ ist missverständlich, da das nach einem distanzierten religionswissenschaftlichen Zugang klingt. Es gibt an deutschen Universitäten Fakultäten und Institute für katholische, evangelische und orthodoxe Theologie. Schon hier fällt die Ausrichtung und Untergliederung in verschiedene Fächer unterschiedlich.

Es ist Aufgabe der islamischen Theologen, das spezifische islamische Profil von „Theologie“ auszuarbeiten, in die Universitäten und in die Öffentlichkeit zu tragen. So ist etwa das islamische Recht eine Größe, zu der es keine direkte Parallele im Christentum gibt. Es muss gewährleistet sein, dass die islamische Theologie sich selbstbestimmt entwickelt. Dafür braucht sie Zeit und Freiraum. Wenn der Islam als „Theologie“ an der Universität präsent ist, bringt dies zum Ausdruck, dass er ein integraler Teil Europas ist.

 

Dr. Hansjörg Schmid ist Leiter des Referats Interreligiöser Dialog an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Privatdozent für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Verfasser des Buches „Islam im europäischen Haus. Wege zu einer interreligiösen Sozialethik“, Freiburg 2. Aufl. 2013.

Islamiq: Vor welchem historischen Hintergrund haben sich die traditionsreichen Fakultäten für christliche Theologie an deutschen Universitäten etabliert? Welche Diskussionen gab es hinsichtlich des Verhältnisses mit staatlichen Stellen?

Hansjörg Schmid: Theologie gehört seit dem 13. Jahrhundert zur europäischen Universität. Ihr Verhältnis zum Staat wurde seit dem 18. Jahrhundert zu einer Schlüsselfrage. Immer wieder hat der Staat in der Geschichte nicht nur Rahmenbedingungen gesetzt, sondern auch in die Autonomie der Religionsgemeinschaften eingegriffen. Dass Pfarrer einen universitären Studienabschluss haben müssen, ist ein Resultat  des sogenannten „Kulturkampfes“ im 19. Jahrhundert. Sie sehen also, dass auch die Kirchen oftmals in einem Konflikt mit dem Staat standen. Das geschah auf der Grundlage, dass Theologie für Staat und Gesellschaft eine wichtige Bedeutung hat.

Heute gibt es zunehmend Positionen, die dies bestreiten. Die Einrichtung von Instituten für islamische Theologie hat die Theologie insgesamt gestärkt. So sollten sich christliche und islamische Theologen verstärkt gemeinsam mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen wie der Wirtschaftskrise, der Biomedizin oder der Diskriminierung von Minderheiten beschäftigen.

 

IslamiQ: Sehen Sie Parallele zu den Diskussionen um die Etablierung islamischer Theologie in Deutschland?

Hansjörg Schmid: Der Vergleich ist schwer, da die christliche Theologie die Wurzel der Universitäten ist. Aus der Sicht der Theologien bringt der Rahmen der Universitäten zahlreiche Vorteile mit sich: Es gibt dort einen interdisziplinären Austausch. Gerade die kritischen Anfragen von außen können den Theologien wichtige Anstöße geben. Die Universität ist auch ein Spiegel der komplexen gesellschaftlichen Wirklichkeit. Außerhalb der Universität würde die Gefahr bestehen, dass die Theologien wirklichkeitsfremd und ghettoisiert werden. Verglichen mit Ländern, in denen Theologie nicht an Universitäten verortet ist, hat die Theologie in Deutschland ein sehr hohes Niveau erreicht.

 

IslamiQ: Welche Form und welchen Grad der Mitbestimmung haben christliche Gemeinschaften hinsichtlich Struktur, Inhalt und Besetzung der universitären Fächer? 

Hansjörg Schmid: Studien- und Prüfungsordnungen bedürfen der Zustimmung der Kirchen. Bei der Besetzung von Lehrstühlen haben die Kirchen ein Mitspracherecht. Die Kompetenz im Blick auf wissenschaftliche Fragen liegt aber alleine bei den Universitäten: Kommissionen, die mit Vertretern der Universität besetzt sind, entscheiden sich für einen bestimmten Kandidaten für eine Professur. Die Kirche kann dann erklären, ob im Blick auf Lehre und Lebensführung etwas gegen die Berufung dieser Person spricht. Das ist natürlich auch ein Konfliktfeld, vor allem in der katholischen Kirche. Neben der Rückbindung an die Glaubensgemeinschaft ist die Wissenschafts- und Forschungsfreiheit aber eine unverzichtbare Voraussetzung für Theologie, die die Kirchen achten müssen.

Grundsätzlich trägt das deutsche System sowohl den wissenschaftlichen Interessen als auch den kirchlichen Interessen Rechnung. Es bleibt hier natürlich ein Spannungsfeld, in dem sich Konflikte nicht vermeiden lassen. Die Beiräte der Zentren für islamische Theologie sind eine Übergangslösung, die es ermöglicht hat, schon jetzt aufgrund des hohen Bedarfs mit islamischer Theologie an den Universitäten zu beginnen. Das Verhältnis von Glaubensgemeinschaft und Wissenschaft muss in beiden Religionen immer wieder neu ausgehandelt werden. Vielleicht kann der Blick auf die christlichen Theologien den Muslimen hierbei Gelassenheit geben.

 

IslamiQ: Wie gehen die Universitäten mit der Tatsache um, dass es in Deutschland verschiedene christliche Kirchen und Gemeinschaften gibt?

Hansjörg Schmid: Theologie ist bekenntnisgebunden. Daher gibt es katholische, evangelische und orthodoxe Theologie. Das wird von den Universitäten so respektiert. Wenn etwa katholische Studierende auch Lehrveranstaltungen bei evangelischen Dozenten besuchen, kann das nur der Horizonterweiterung dienen. In Zukunft wird sich verstärkt die Frage stellen, wie die breiten Schnittmengen zwischen den Kirchen auch in der Zusammenarbeit theologischer Institute und Fakultäten sichtbar werden. Die neuen islamischen Institute werden in der Öffentlichkeit leichter Akzeptanz finden, wenn sie ein breites Spektrum islamischer Strömungen abdecken. Ob sie das allerdings tun wollen, ist wiederum eine Frage der Autonomie der Muslime.

Das Interview führte Ali Mete.
Erstveröffentlichung in der Ausgabe 222 der Zeitschrift Perspektif.