Rassismus

Wie weiß ist das Ehrenamt?

Hand in Hand für eine bessere Welt. So lautet die Absicht aller Ehrenamtlichen. Im IslamiQ-Interview spricht Constantin Wagner über Chancen und Herausforderungen des Ehrenamts für Muslime.

16
02
2020
Ehrenamt
Ehrenamt © Shutterstock, bearbeitet by iQ.

IslamiQ: Ist Ehrenamt für Muslime in Deutschland eine Herausforderung?

Jun.-Prof. Dr. Constantin Wagner: Zunächst gilt es zu betonen, dass auch in Deutschland viele Muslime ehrenamtlich tätig sind. Dies zeigen zunehmend auch wissenschaftliche Untersuchungen, wie etwa die Studie von Prof. Halm und Dr. Sauer „Soziale Dienstleistungen der in der Deutschen Islam Konferenz vertretenen religiösen Dachverbände und ihrer Gemeinden“. Sie macht sichtbar, dass in und um die muslimischen Gemeinden viele Formen von sozialem Engagement – in der Kinder- und Jugendhilfe, der Altenpflege etc. – praktiziert werden. Die Kollegen und Kolleginnen von den Universitäten Münster und Hildesheim haben in ihrem Forschungsprojekt „Kinder- und Jugendhilfe in muslimischer Trägerschaft“ herausgearbeitet, dass es auf kommunaler Ebene häufig Angebote von muslimischen Akteuren gibt, die aber oft von den anderen „Playern“ im Feld gar nicht wahrgenommen werden.

IslamiQ: Welche Gründe hat das?

Wagner: Ehrenamtliches Engagement von Muslimen ist wesentlich weniger öffentlich repräsentiert, auch weil es häufig abseits von den Strukturen der etablierten Wohlfahrtsverbände stattfindet. Mit dieser Tatsache verbunden ist auch eine zentrale Herausforderung: Unter dem Dach der etablierten Wohlfahrtsverbände stattfindendes ehrenamtliches Engagement kann in der Regel auf im Hintergrund bestehende professionelle Strukturen zurückgreifen. Dies ist enorm wichtig für die Vernetzung, um an Informationen und auch an finanzielle Mittel zu kommen, damit man erreichbar ist, etc. – und das fehlt vielen muslimischen Gruppen aufgrund einer mangelnden Dachorganisation.

Aus der Praxis, etwa durch die Initiativen, die durch das Islamische Kompetenzzentrum für Wohlfahrtswesen (IKW) oder das Projekt „Empowerment zur Wohlfahrtspflege mit den Verbänden der Deutschen Islamkonferenz“ unterstützt werden, wissen wir auch, dass muslimische Ehrenamtliche oft mit Misstrauen und Vorurteilen konfrontiert werden, wenn sie sich engagieren bzw. engagieren wollen. Das ist natürlich fatal, weil demotivierend – und ehrenamtliches Engagement lebt von Motivation.

IslamiQ: In der Debatte um Fridays for future gab es die Diskussion, dass Ehrenamt „weiß“ sei. Wie „weiß“ ist Ehrenamt?

Wagner: Wie gesagt: Viele Muslime engagieren sich durchaus. Aber tatsächlich gibt es auch in meiner Wahrnehmung eine Unterrepräsentation etwa in der „Fridays for future“-Bewegung. Das verwundert mich insofern nicht, als dass viele alternative Subkulturen sich zwar für sehr offen halten, es aber faktisch nicht sind.

Die Soziologin Anja Weiß hat dies beispielsweise in ihrem Buch „Rassismus wider Willen“ gezeigt. Es gibt unzählige Erfahrungsberichte aus Studierendenvertretungen, Anti-Abschiebe-Initiativen etc., in denen Muslime oder (andere) People of Color negative Erfahrungen gemacht haben, etwa weil von ihnen gefordert wurde, sich zunächst zu Geschlechtergleichheit, gegen Antisemitismus oder ähnliches zu positionieren. Dies zeigte ihnen, dass sie nicht als engagierte Bürger/-innen, sondern zuerst als Vertreter/-innen einer Gruppe, die als rückständig gilt, wahrgenommen werden.

Außerdem gibt es möglicherweise strukturelle Gründe für eine Unterrepräsentation: Ehrenamt muss man „sich leisten können“, d. h. dafür Zeit haben, neben Arbeit und der eigenen Familie. Die eigene Existenz muss halbwegs sorgenfrei gesichert sein – und wir wissen ja, dass die Aufstiegsmöglichkeiten und der Reichtum in unserer Gesellschaft ungleich verteilt sind.

IslamiQ: Ermöglichen es die Strukturen, dass Muslime sich ohne Probleme und überall engagieren können?

 Wagner: „Die Strukturen“ sind ja jeweils unterschiedlich. Häufig gilt: Formal sind sie für alle offen, faktisch werden sie häufig nicht als sehr offen erlebt – aber da mag es vor Ort auch große Unterschiede geben, denn schließlich gibt es immer wieder auch sehr positive Beispiele. Gleiches gilt übrigens auch für die Nutzung der sozialen Dienstleistungen. Die muslimische Bevölkerung ist – verglichen mit der nichtmuslimischen – im Hinblick auf Angebote der Sozialen Arbeit unterversorgt.

 IslamiQ: Wie können Ehrenamtler gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit besser sensibilisiert werden?

Wagner: In Deutschland gibt es keine nennenswerte Tradition der Auseinandersetzung mit dem prä- und postnationalsozialistischen Rassismus und damit verbunden keine entsprechenden gesellschaftlichen und politischen Bemühungen, Räume entsprechend zu öffnen. Das hat unterschiedliche Gründe, auf die ich jetzt hier nicht näher eingehen kann. Aber: Weil es keine breitere gesellschaftliche Debatte über Rassismus gibt und das Verständnis und Wissen in Bezug auf das Phänomen nur sehr marginal vorhanden ist, erscheint es nicht als Thema, mit dem man sich beschäftigen müsste, wenn man sich ehrenamtlich engagiert.

Das Netzwerk Rassismuskritische Migrationspädagogik BW hat 2016 mit einem Reflexionsvideo („Unterstützungsarbeit – auf Augenhöhe mit Geflüchteten?!“) versucht, das Thema zumindest im Hinblick auf die Adressat/-innen der sozialen Unterstützung zu setzen – doch selbst Räume, in denen sich eine große Offenheit für die Thematik vermuten lässt, tun sich häufig schwer damit.

IslamiQ: Muslimen werden oft Themen „vorgegeben“, mit denen sie sich befassen und Aufklärungsarbeit leisten sollen. Wie können sie ihre eigenen Themen setzen und gleichzeitig ihren Beitrag für eine Aufklärung in der Mehrheitsgesellschaft leisten?

Wagner: Zunächst einmal glaube ich, dass der antimuslimische Diskurs sich nur sehr beschränkt durch gute Taten der Muslime ändern lässt. Doch wenn man die Kraft hat, sich trotz der Zumutungen, die damit verbunden sind, in den „Mainstream“-Strukturen einzubringen und damit zu zeigen, dass Muslime sich engagieren, ist das sehr gut. Vielleicht ist es ja viel besser als befürchtet, und alle profitieren auf unterschiedliche Weise davon. Wenn man nicht die Kraft oder Lust dazu hat, auch gut. Ob, wie und wo man sich engagiert, muss jede(r) selbst entscheiden – und das kann sich im Laufe des Lebens ja auch mehrmals verändern.

Das eigene Engagement sichtbar zu machen, auch damit das bisher eher ungesehene Ehrenamt bekannter wird, ist allerdings sicherlich sinnvoll. Denn damit wird sowohl eine Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, der gegenseitige Wissenstransfer als auch die Möglichkeit, an der sozialstaatlichen Förderung zu partizipieren, ermöglicht.

IslamiQ: Welche positiven und negativen Effekte hat das Ehrenamt auf die deutsche Gesellschaft?

Wagner: Sich für die eigenen und die Interessen anderer zu organisieren und zu engagieren ist etwas Menschliches und ein Fundament unseres Zusammenlebens. Ehrenamt besteht aus sozialen Interaktionen und Kontakten – und davon profitieren (potenziell) alle. Zugleich können – wie in allen sozialen Interaktionen – auch Verletzungen geschehen. Deswegen ist es wichtig, dass (institutionalisiertes) ehrenamtliches Handeln professionell begleitet wird.

Das Interview führte Hatice Çevik.

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
"Zunächst einmal glaube ich, dass der antimuslimische Diskurs sich nur sehr beschränkt durch gute Taten der Muslime ändern lässt" Zu Recht! Ich kenne einen sehr fleißigen und hilfsbereiten Filialleiter eines Wiener Supermarkts, der aufgrund seiner zuvorkommenden Art bei den Beschäftigten und Kunden gleichermaßen überaus beliebt ist. Seit über zwanzig Jahren engagiert er sich privat für die rechtspopulistische FPÖ. Wenn man nette FPÖler und AfDler aufspürt, sollte man daraus keinesfalls ableiten, dass die Weltanschauung dieser Parteien gut und richtig ist. Genauso wenig kann man aus dem Umstand, dass es sehr sympathische Muslime gibt (wie zum Bespiel Herrn Muhanad Khorchide), dass der Islam wahr und eine Religion voller menschenfreundlicher Botschaften ist.
18.02.20
9:37