Ernährung

Halal-Produkte in der deutschen Wirtschaft

Muslime sind ein lukrativer Kundenkreis für Halal-Produkte. Warum das die Wirtschaft in Deutschland noch nicht wahrgenommen hat, schreibt Kemal Çalık.

19
10
2019
Halal-Lebensmittel
Halal-Lebensmittel © shutterstock, bearbeitet by iQ.

Eine Frau mit einem pinken Kopftuch blickt cool in die Kamera und isst dabei Fruchtgummis. Vor einem Jahr hat der Süßwarenhersteller Katjes mit dieser Werbekampagne für Aufsehen gesorgt. Die nicht überraschende Aufregung war gewaltig, vor allem im Internet. Eigentlich haben drei Frauen in unterschiedlichen Videos und Plakaten dafür geworben, dass alle Katjes-Fruchtgummis nun vegetarisch sind. Dennoch schlug nur die Kampagne mit der „Kopftuch-Frau“ hohe Wellen.

Produkte ohne Schwein nicht immer Halal

Der Gesellschafter Tobias Bachmüller sagte im Interview mit dem Marketing-Fachmagazin W&V: „Wir wollten zeigen, dass wir gelatinefrei produzieren und auf Schweinefleisch verzichten. Nicht mehr und nicht weniger.“ Die Marketing-Maßnahme soll für Katjes ein voller Erfolg gewesen sein. Laut Medienberichten soll der Süßwaren-Produzent danach 28 Prozent mehr Verkäufe und jede Menge Besucher auf seinen sozialen Kanälen verzeichnet haben. Wo könnte der Haken für den muslimischen Verbraucher sein? Mit dem Kopftuch-Model suggeriert das Unternehmen, dass seine Produkte ab sofort schweinefrei und daher auch für die Muslime geeignet sind. Stimmt aber nicht immer. Vegetarische und vegane Produkte könnten etwa Alkohole enthalten(1).

Bemerkenswert ist die Strategie von Haribo, der seine Halal-Fruchtgummis mit Rindergelatine in Istanbul für den globalen Markt herstellt. Die importierten Gummibärchen mit Halal-Siegel werden in Deutschland in türkischen und arabischen Ethnoläden verkauft, selten aber in den Filialen deutscher Handelsketten. Während das Bonner Unternehmen in muslimischen Ländern offensiv für seine Halal-Süßwaren wirbt, hält es sich hier eher bedeckt. Auf der Haribo-Webseite gibt es nur einen Hinweis über den Vertriebspartner.

Muslime in England sind eine wichtige Zielgruppe 

Für die großen Handelsketten in Großbritannien und Frankreich sind Muslime längst eine wichtige Zielgruppe. So bieten seit etlichen Jahren Lebensmittelhändler wie Morrisons, Tesco, Asda, Sainsbury’s, Auchan, Carrefour und Intermarché Halal-Produkte mit Halal-Siegel an. Einige Lebensmittelhändler haben gar ihre Halal-Eigenmarken (2).

Deutsche Supermärkte und Discounter hingegen haben nur wenige halal-zertifizierte Produkte in ihren Regalen. So verkaufen etwa Rewe und Edeka in einigen Filialen Wiesenhof-Geflügel, Wurst und Sucuk von Yayla und Fleischspezialitäten von Mekkafood. Metro verkauft frisches Lammfleisch aus Neuseeland. Immer noch „beobachten“ die Händler den Markt. In Deutschland wird das Marktvolumen für Halal-Lebensmittel auf mehr als fünf Milliarden Euro geschätzt. Aber auch diese Zahl ist einige Jahre alt. Das Volumen dürfte heute um einiges höher sein.

Dennoch gibt es auf dem deutschen Lebensmittelmarkt einige wenige Vorreiter. Der Real-Markt in Berlin-Neukölln hat zum Beispiel mehr als 600 Halal-Produkte im Sortiment und bietet insgesamt rund 80.000 Food- und Nonfoodprodukte an. Real bietet bei den Halal-Produkten die Top-Artikel an, die sich am besten verkaufen (3).

Händler befürchten negative Reaktionen nichtmuslimischer Kunden

Was sind die Gründe dafür, dass die deutschen Handelsketten nach wie vor so wenig Halal-Produkte anbieten? In den Medien wird immer wieder berichtet, dass die Händler negative Reaktionen nichtmuslimischer Kunden befürchten. Außerdem würden viele bei Halal-Schlachtungen an Tierquälerei denken (4). Wenn das stimmen würde, dann würde etwa der deutsche Fleisch-Produzent Meemken seine Halal-Produkte wie Salami, Sucuk, Geflügel-Bratwurst in einigen Filialen des Discounters Netto nicht verkaufen können. Die Produkte sind in den Regalen in einer Reihe platziert und das Halal-Logo ist sehr gut zu sehen.

Der Wirtschaftswissenschaftler Tanju Aygün hat in der Studie „Deutschtürkisches Konsumverhalten“ herausgefunden, dass die Deutschtürken den größten Teil ihrer Grundnahrungsmittel bei den Discountern kaufen, den kleineren Teil wie Halal-Produkte in den ethnischen Supermärkten. Nach wie vor ist die Halal-Fleischtheke in den Händen der türkischen Lebensmittelhändler (5). Auch Real Neukölln bietet an der Fleischtheke verschiedene Fleischsorten, unter anderem auch Schweinefleisch, an. „Diese kommen alle aus der gleichen Tür“, sagt Marktleiter Wolfgang Paulini. Das frische Halal-Fleisch müsse in einer separaten Theke angeboten werden, dass sei jedoch zu kostenintensiv. Daher biete Real tiefgefrorenes Halal-Fleisch an. „Das funktioniert und wird von unseren Kunden sehr gut angenommen“, berichtet der Marktleiter.

Keine verlässlichen Daten über die Nachfrage nach Halal-Produkten

Die Gründe für das enttäuschende Angebot an Halal-Waren im deutschen Lebensmittelhandel dürfte andere Gründe haben. Daten zum Beispiel. So gibt es über den Halal-Markt in Deutschland keine verlässlichen Zahlen, Daten und Fakten. Wir wissen nicht, wie viele der fünf Millionen Muslime sich bewusst an die Halal-Vorschriften hielten. Wer kennt die Kriterien der Halal-Zertifizierer? Sprich: Wie groß ist die Nachfrage nach Halal-Produkten?

Zudem gibt es in Deutschland keine Zahl darüber wie viele Tonnen betäubtes und betäubungsloses Halal-Fleisch in Deutschland produziert werden. Nur eine Zahl kann das Bundesagrarministerium liefern: Eine Anfrage der Europäischen Kommission habe ergeben, dass in den Jahren 2014 und 2015 in Deutschland 4.322 Schafe und Ziegen und 4.470 Geflügel betäubungslos geschlachtet wurden. Betäubunglos geschlachtete Rinder gab es keine (6). Somit kann man davon ausgehen, dass in Deutschland wenige betäubungslose Schlachtungen stattfinden. Ein genaueres Bild würde sich ergeben, wenn man die Import-Zahlen kennen würde. Die können aber weder das Ministerium, noch die Fleischverbände liefern.

Nestlé als wichtiger Akteur seit den Achtzigern

Es kann auch nicht an dem fehlenden Angebot an Halal-Waren liegen. Deutsche Lebensmittelhersteller könnten ohne Probleme halal-zertifizierte Produkte auf dem deutschen Markt anbieten. So haben Produzenten wie Dr. Oetker (7), Nestlé, Storck Halal-Waren im Programm. Diese werden allerdings hauptsächlich exportiert. So gelten in Ländern wie Indonesien und Malaysia besonders strenge Halal-Vorschriften. Die Unternehmen müssen nachweisen, dass ihre Produkte die Halal-Standards erfüllen. Ansonsten erhalten sie keinen Marktzugang. Einer der wichtigsten Akteure im globalen Halal-Business ist seit den achtziger Jahren Nestlé. Das Unternehmen aus der Schweiz produziert weltweit in 150 Fabriken halal und exportiert die Produkte in mehr als 50 Länder. Bekannt ist der Konzern für Marken wie Kitkat, Maggi und Nescafé.

Aktuell ist der deutsche Lebensmittelhandel für Muslime sicher nicht die Einkaufsstätte für Halal-Produkte. Die Händler haben bis auf wenige Ausnahmen zu wenig halal-zertifizierte Artikel in den Regalen. Somit bleiben die Umsätze der Handelsketten mit Halal-Waren klein. Wie die meisten Deutschen kaufen auch die Muslime hauptsächlich beim Discounter ein. Sie haben aber nicht immer die Fläche für Halal-Produkte, die aus wirtschaftlicher Sicht nur die Waren anbieten, die den höchsten Umsatz bringen. Folgerichtig sagt Kirsten Geß, Leiterin Kommunikation von Aldi Süd: „Wir führen derzeit keine halal-zertifizierten Produkte in unserem Angebot (8).“ Dennoch haben einige Discounter, wie das Netto-Beispiel zeigt, einen Weg gefunden um mit Halal-Produkten Kasse zu machen.

Die richtige Strategie ist entscheidend

Am ehesten lässt sich eine umfassende Halal-Strategie in Supermärkten umsetzen. Sie haben die Fläche. Müssten allerdings mit einem entsprechenden Marketing dafür sorgen, dass die Muslime den Weg zu ihnen finden.

Auf das globale Geschäft mit Halal-Lebensmitteln setzen auch die Messeunternehmen. Auf der Lebensmittelmesse Anuga gibt es in Köln in diesem Jahr wieder die Sonderschau „Anuga Halal Market“, in Sarajevo die „Sarajevo Halal Fair“ und in Barcelona im kommenden Jahr auf der Lebensmittelmesse Alimentaria erneut eine Halal-Sonderschau mit einem internationalen Kongress (9).

Im kommenden Jahr findet die „Halal Hannover“ Premiere statt. „Mit mehr als 30 Millionen muslimischen Einwohnern ist Europa einer der wichtigsten Märkte für Halal-Produkte weltweit“, sagt Christoph Schöllhammer, Projektleiter bei der Deutschen Messe AG. Mit dem neuen Format aus Ausstellung, Konferenzprogramm und gastronomischer Sonderfläche wolle die Messegesellschaft der Halal-Industrie eine Plattform für den geschäftlichen und fachlichen Austausch in Deutschland anbieten. Die Messe richte sich an Groß- und Einzelhandel, Supermärkte, Gastronomie (Restaurants, Imbisse, Catering), Hotellerie, Lebensmittellabore, Hersteller von Kosmetikprodukten und Vertriebsfirmen, Reiseveranstalter und -büros sowie Verbraucher.

Fazit: Unternehmen interessiert der Umsatz. Wenn sie neue Wachstumsmärkte erreichen können, sind sie dabei. Ganz gleich, ob es sich um bio, regional, vegan, halal oder koscher handelt. Am Ende müssen die deutschen Lebensmittelhändler auch mit Nischen Geld verdienen. Wenn Muslime Halal-Produkte stärker nachfragen, wird das Angebot steigen. Die Bevölkerungsstruktur und das Kaufverhalten haben sich in Deutschland in den vergangenen Jahren rasant verändert. Nur Händler, die sich ganz auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Kunden konzentrieren, werden überleben.

 

 

(1)  „Wir werden einer der größten Tierschutzvereine sein“, https://halal-welt.com/wir-werden-einer-der-groessten-tierschutzvereine-sein/

(2) Frankreich: Supermärkte haben Halal-Eigenmarken, https://halal-welt.com/frankreich-supermaerkte-haben-halal-eigenmarken/

(3) Real Neukölln: Halal für den Kiez, https://halal-welt.com/real-neukoelln-halal-fuer-den-kiez/

(4) „Islam fordert den schonenden Umgang mit Tieren ein“, https://halal-welt.com/islam-fordert-den-schonenden-umgang-mit-tieren-ein/

(5) Türkische Supermärkte: weniger Läden, aber mehr Umsatz, https://halal-welt.com/tuerkische-supermaerkte-weniger-laeden-aber-mehr-umsatz/

(6) Halal-Produktion: Ein Markt mit vielen Unbekannten, https://halal-welt.com/wp-content/uploads/2018/10/Fleischwirtschaft_Oktober-2018.pdf

(7) Dr. Oetker: Halal-Pizzen nur für den Export, https://halal-welt.com/dr-oetker-halal-pizzen-fuer-den-export/

(8) Deutsche Supermärkte scheuen Ramadan-Aktionen, https://halal-welt.com/deutsche-supermaerkte-scheuen-ramadan-aktionen/

(9) Expo Halal: Alimentaria shows Halal Food Trends, https://halal-welt.com/en/expo-halal-alimentaria-shows-halal-food-trends/

 

Leserkommentare

Brad Lewis sagt:
Nach weit verbreiteter islamischer Auffassung und Praxis dürfen Schlachttiere nur unbetäubt, das heißt bei vollem Bewusstsein, geschlachtet werden. Dabei werden die Tiere betäubungslos geschächtet, was bedeutet, dass ihnen bei lebendigem Leibe unter vollem Schmerzempfinden der Hals bzw. die Kehle durchgeschnitten wird und sie bis zum Todeseintritt qualvoll verbluten. Halal-Fleischprodukte kommen also durch barbarische islamkonforme bzw. schariakonforme, vorsätzliche, vermeidbare Tierquälerei zustande. So dauert beispielsweise der qualvolle Todeskampf eines Rindtieres bis zu 15 Minuten. Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung spricht sich gegen das betäubungslose Schlachten von Tieren aus. Daher ist das generelle, ausnahmslose Verbot des betäubungslosen Schlachtens von Nutztieren zu fordern. Zudem sind "Nutz"-Tiere Mitgeschöpfe des Menschen. Auch die Einfuhr von Fleischwaren muß verboten werden, die von betäubungslos geschächteten Tieren stammen. Dasselbe gilt für die Ausfuhr von lebendigen Tieren in Länder, in denen die Tiere anschließend nach islamischer Ritual-Praxis betäubungslos geschächtet werden. Staatlich legitimierte Tierquälerei ist schlimm und viel mehr als nur ein Ärgernis.
21.10.19
21:01
AfghanIBruder sagt:
Brad Lewis auch der Schweineflüsterer genannt hat wohl nicht mitbekommen, dass über 96% aller Mastschweine ein sehr unwürdiges Leben führen müssen, damit Leute wie BLewis das Fleisch für 30 € Cent das Kilo futtern können. Hierzu müssen Schweine lebenslang auf das Tageslicht verzichten. Der einzige Lichtblick bleibt jedoch absurderweise dasjenige während der Transportfahrt zum Schlachthof, wo die armen Säue halb betäubt durch die Schredder kopfüber hängend geschleudert werden, wobei einige von ihnen meist nach minutenlangem Rumgequieke mit gezielten Schlägen auf den Kopf das Leben wortwörtlich ausgeprügelt wird. Also dein scheinheiliges Mitleidempfinden für die Tiere und die damit einhergehende Erkrankung des logischen Zentrums (linke Gehirnhälfte) aufgrund der politischen Orientierung (rechts) etwa, zieht nicht. Im Rahmen von Interviews mit den Landwirtschaftlichen Betrieben und bei den Schülerpraktika hatte ich die Möglichkeit mit den Schweinezüchtern hierüber zu sprechen. Erschreckenderweise verdient ein Landwirt beim Verkauf eines Schweins, abzüglich aller Ausgaben, zwischen 10 bis 15 Euro, damit die Schweineflüsterer ihr Schwenksteak für 80 Cent bei Aldi kaufen können. Bevor über das Contra des Halal-Fleischs diskutiert wird, sollte man erst die Lebensbedingungen der Schweine und ihren Leidensweg thematisieren. Wenn wir daheim auf Fleisch verzichten, dann nur aus Gründen des Umweltbewusstseins und weil wir zuhause als Flexetarier unser Fleisch direkt beim Fleischer des Vertrauens und aus biodynamischer Fleischproduktion beziehen. Der Preis für dieses Fleisch ist zwar 3 bis 5 mal höher als bei der konventionellen Produktion, aber der Geschmack ist einmalig und höchstens einmal im Monat keine große Belastung für die Umwelt. Statistisch gesehen produziert ein Rind um die 3 Tonnen Methan CH4 und ein Auto ca. 2 Tonnen CO2 bei ca. 15.000 km gefahrene Kilometer im Jahr. Methan wiederum ist jedoch 20 bis 30 mal umweltschädlicher. Allein aus diesem Grund schon bietet sich eine Reduktion des Fleischkonsums an. TIPP: Die Beyond Burger, rein vegetarisch, lassen nun auch schon geschmacklich an Fleisch erinnern. In den Niederlanden gibt es in jedem Supermarkt neben der gängigen Fleischsorten auch ein Kühlregal für Helal-Produkte und diese Tatsache als eine Selbstverständlichkeit zeugt von Fortschrittlichkeit der Niederländer. Da können wir Deutsche (+ X) uns ein paar Scheiben von abschneiden. Wieso gibt es eigentlich keine Koscherprodukte in den deutschen Supermärkten? Das ist doch ein klares Indiz für Antisemitismus. Wieso werden Juden eigentlich von der Gesellschaft so krass abgeschirmt, dass man nicht einmal die Chance der Annäherung haben kann, nicht einmal beim Lebensmitteleinkauf. BLewis macht sich jetzt mal lieber schlau über die Herkunft seiner Bratwurst bevor er mit dem Zeigefinger auf andere zeigt. Sonst gibt es Nachsitzen oder Lehrerklos putzen.
23.10.19
19:24
Brad Lewis sagt:
Hallo Afghan-Flüsterer, hier geht es um die Lobpreisung & Idealisierung der Halal-Waren-Industrie. Die Fleischwaren-Herstellung ohne Halal-Ideologie ist ein eigenes großes Thema. Soll wohl der Zeigefinger auf andere von der eigenen schlimmen "göttlichen" Schlachtungs-Euphorie mit religiösen Missionierungsbestrebungen ablenken? Die schlimmen Zustände in europäischen Nicht-Halal-Schlachtbetrieben habe ich doch überhaupt nicht in Schutz genommen oder verteidigt. Grundsätzlich bin ich für ein Verbot aller Tierschlachtungen überall auf der Welt. Weiter gehe ich nicht auf primitive Unterstellungen, unschlaue Verdrehungen oder selbstgerechte Belehrungspredigten mit Lehrerklo-Putzen ein.
26.10.19
18:11
grege sagt:
naja, bei Lämmern, Schaffen und Rindern sind die Lebensverhältnisse auch nicht besser, insbesondere, wenn sie von Australien / Neuseeland in den Nahen Osten verschifft werden.
06.12.19
20:25