Muslimische Akademiker

Diskursanalytische Zugänge in der frühen Koranexegese

Akademiker widmen sich den wichtigen Fragen unserer Zeit. IslamiQ möchte zeigen, womit sich muslimische Akademiker aktuell beschäftigen. Heute mit Kamil Öktem über die Koranexegese von Fahr ad-Dîn ar-Râzî.

03
08
2019
Kamil Öktem über Koranexegese
Kamil Öktem über die frühe Koranexegese © Privat, bearbeitet by IslamiQ.

IslamiQ: Können Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und ihrem akademischen Werdegang sagen?

Kamil Öktem: Mein Name ist Kamil Öktem. Als gebürtiger Hamburger bin ich mit meinen vier Geschwistern in Hamburg in einer kleinen Familie aufgewachsen. Meine Großeltern kamen aus Zentralanatolien als Gastarbeiter nach Deutschland. Die Hochschulreife habe ich in Hamburg absolviert. Meine Kindheit und Jugend verbrachte ich größtenteils in Moscheen und lernte in einem frühen Alter den Koran auswendig. Bereits damals beschäftigte ich mich leidenschaftlich mit der Kunst des Koranrezitierens. Damals, nach dem Abitur und Zivildienst habe ich mich zuerst für Jura an der Uni Hamburg beworben, mich letzten Endes aber doch für die islamische Theologie entschieden, da ein geisteswissenschaftlicher Studiengang schon immer in meinem Interesse lag. So begann ich in Istanbul im Einfach-Bachelor mit dem Theologiestudium an der Marmara Universität. 2012 absolvierte ich meinen Bachelor und 2015 meinen Master. Im Dezember 2015 begann meine akademische Laufbahn mit einer Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Islamische Theologie der WWU Münster.

IslamiQ: Können Sie uns Ihre Dissertation kurz vorstellen?

Öktem:Es dauerte ein wenig, bis ich mich konkret für ein Thema entschied. Da der Schwerpunkt meiner Masterarbeit jedoch im Bereich der Koranexegese lag, wollte ich in diesem Bereich weiterforschen. Derzeit arbeite ich über den Korankommentar Fahr ad-Dîn ar-Râzîs. In meiner Dissertation versuche ich einer gegen ihn geführten Diskursform zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert nachzukommen, die unterschiedliche Kritikpunkte aufweist. Ursprünglich wird sie durch den hanbalitischen Traditionalisten Ibn Taymiyya angestoßen und chronologisch durch den andalusischen Koranexegeten Abu Hayyan al-Andalûsî und ägyptischen Gelehrten Dschalâl ad-Dîn as-Suyûtî weitergeführt und erweitert.

Eine zentrale Kritik in dieser Diskursform ist das Dekontextualisieren von Koranversen in der Auslegungspraxis ar-Râzîs, die bei Abû Hayyân und Suyûtî Erwähnung findet. Die ersten beiden Hauptteile meiner Arbeit beschäftigen sich mit der Stellung ar-Râzîs in der islamischen Ideengeschichte und der ausführlichen Diskursanalyse. Im dritten Teil werde ich ausgehend dieser Diskursanalyse die Einführung seiner Koranexegese mit manchen sprachwissenschaftlichen Werken aus der islamischen Tradition vergleichen, was bisher noch ein Desideratum in der europäischen Forschungslandschaft darstellt.

IslamiQ: Warum haben Sie dieses Thema ausgewählt? Gibt es ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?

Öktem:Wie bereits erwähnt, kreiste das Thema meiner Masterarbeit um die Thematik der Koranexegese. Dies war lediglich die Analyse der Polemik as-Suyûtîs aus der Diskursform. Schließlich war das Ergebnis meiner Masterarbeit ein Ausgangspunkt für meine Dissertation. Auch der Betreuer meiner Masterarbeit, Prof. Mehmet Paçacı, motivierte mich für ein weiteres Vorhaben über ar-Râzî.

IslamiQ: Haben Sie positive/negative Erfahrungen während Ihrer Doktorarbeit gemacht? Was treibt Sie voran?

Öktem:Ich forsche sehr leidenschaftlich und gebe mir Mühe, eine Forschungslücke aus der Arabistik und der islamischen Theologie qualitativ gut zu schließen. Meine wichtigste Erfahrung in dieser Zeit war es, die Möglichkeit zu erhalten, aktiv an der Gestaltung in Lehre und Forschung der islamischen Theologie mitzuwirken. Mit meinem Doktorvater Prof. Thomas Bauer habe ich eine gute Chance, meine Doktorarbeit auch aus Sicht der Islamwissenschaften und Arabistik zu bereichern.

IslamiQ: Inwieweit wird Ihre Doktorarbeit der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland nützlich sein?

Öktem:Ein Merkmal der muslimischen Gelehrsamkeit ist Bescheidenheit. Mit meiner Arbeit möchte ich vermitteln, dass diese Bescheidenheit in allen Teilen der Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Dazu soll in der deutschsprachigen Forschungslandschaft das Leben und Wirken eines besonderen Gelehrten und die gegen ihn geführte Diskursform zugänglich gemacht werden, woraus wir lernen können, dass auch konstruktive Kritik zur Entwicklung von religiösen und gesellschaftlichen Strukturen gehört.

Das Interview führte Muhammed Suiçmez.

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
Eine muslimische Gemeinde in München hat gerade mit einer Exegese für das Alltagsleben zur Sure 4:34 aufhorchen lassen. Im Umgang von Mann und Frau wird folgende Vorgangsweise empfohlen: Der Ehemann müsse im Streit drei Schritte einhalten: „Ermahnung, Trennung im Ehebett und Schlagen“. Im Internetauftritt des Islamischen Zentrums München (IZM) heißt es im Kapitel „Frau und Familie im Islam“ unter Berufung auf einen Koranvers, dass als letztes Mittel im Fall von Eheschwierigkeiten auch das Schlagen der Frau infrage komme. Im Grunde kann man es dieser religiösen Gruppe gar nicht verübeln. Sie redet nicht schön, eiert nicht lang herum, sondern predigt eben genau das, was im Koran völlig unmissverständlich steht: Sure 4:34: Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen hingeben. Darum sind tugendhafte Frauen die Gehorsamen und diejenigen, die (ihrer Gatten) Geheimnisse mit Allahs Hilfe wahren. Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede. Wahrlich, Allah ist Erhaben und Groß
04.08.19
19:36
Kamil Öktem sagt:
Liebe Frau Fabel, in der muslimischen Community sind derzeit leider zwei Extreme vorhanden; jene, die versuchen, Thematiken rein anhand des Wortlautes und rein aus dem Koran zu reflektieren und Kreise, die den Versuch wagen, zu sagen, der Koran impliziere derartige diskutable Thematiken nicht. Wir müssen vor Augen halten, dass sich Kontexte ändern und wandeln. Solche Koranverse können lediglich anhand des Wortlautes nicht hinreichend verstanden werden, da sie nämlich mehrdeutig sein können und nur aus dem Übersetzung auch hinfällig. Vor allem ist sie nicht gültig, da sich die Koranexegse nicht unbedingt normativen Beschlüssen widmete, welche sich die islamischen Fachdisziplinen als Aufgabeneinteilung heranzogen. Der Koran begreift und definiert sich mit den anderen Quellen des islamischen Glaubens. Im Ganzen betrachtet, besonders berücksichtigt in der prophetischen Tradition, findet dieser Koranvers in der Praxis keine Anwendung, sodass eine etwaige gewagte Aussage getroffen werden kann, die den Gedanken beinhaltet, dieser Weg sei nicht unbedingt eine Lösung in einer zerstrittenen Ehe, da der Prophet in der Offenbarungsphase und im damaligen Milieu seinen Weggefährten davon abriet; von einer normativen Gültigkeit aus dem Wortlaut des Koranverses kann also nicht unbedingt die Rede sein. Deshalb ruft der Koran dazu auf, einen Schiedsrichter aus dem Kreis der beiden Eheleute aufzusuchen, um zu schlichten. Solange Koranverse weiterhin lediglich zitiert und dies als Methode im Verstehen erachtet wird, können wir leider keine Missverständnisse aus der Welt räumen, doch das haben wir nötig! Grüße Kamil Öktem
07.08.19
21:19