Antimuslimischer Rassismus

#LiebeMarwa – Ein Brief an Marwa El-Sherbini

Heute vor zehn Jahren wurde Marwa El-Sherbini im Dresdner Landgericht mit 16 Messerstichen ermordet. Unsere Gastautorin Amina Kaddour richtet sich in einem Brief an Marwa.

01
07
2019
Marwa

Liebe Marwa,

wir erinnern uns an dich und werden nicht aufhören über dich zu sprechen. Vor 10 Jahren ist dir das Unsagbare passiert, vor den Augen deines Sohnes, deines Mannes, mitten in einem Gerichtssaal wird dir gewaltsam mit 18 Stichen das Leben genommen. Deines und das deines ungeborenen Kindes. Diejenigen, die dich hätten beschützen sollen greifen statt deines Mörders deinen Ehemann an und verletzen ihn schwer.

Über deinen Mord wird geschwiegen, wochenlang. Von Schaukelstreit wird berichtet. Wie kann als „Islamistin“ und „Terrorsitin“ beschimpft zu werden ein Schaukelstreit sein? Erst als die internationale Presse Druck auf die deutschen Medien ausübte wurde eingeräumt, dass die Justiz versagt und dir ein großes Unrecht angetan wurde. Jedes Jahr am ersten Juli gedenken wir dir Marwa, heute zum zehnten Mal. Dir, der Handballspielerin, der Pharmazeutin, der Mutter, dem Menschen. Dein Leben wurde dir genommen, aus tiefem, unergründbarem Hass. Und dieser Hass wird heute, zehn Jahre später von der Politik noch weiter befeuert und salonfähig gemacht.

An deiner Geschichte sehen wir, wie antimuslimischer Rassismus wirkt und was für Folgen er hat. Wenn ein Mann dich einfach beim Spielen mit deinem Sohn beleidigt und die Polizei es nicht ernst nimmt. Wenn dein Gerichtsverfahren erst dann neu aufgerollt wird, als der Täter sagt, du seist kein richtiger Mensch und könntest daher beleidigt werden, wenn er bei der neuen Verhandlung nicht auf Waffen kontrolliert wird, weil er weiß ist und rechte Gewalt in diesem Land immer heruntergespielt wird. Wenn die Polizeibeamten die Gewalt im Gerichtssaal bemerkt, braune Haut sieht und nur von brauner Haut Gewalt erwartet und auf braune Haut schießt. Und nicht auf den weißen Täter. Das ist Rassismus.

„Vielleicht fragst du dich, wie es jetzt aussieht Marwa“

Und heute, am Jahrestag dieses Verbrechens, stehen unter den Artikeln dazu Kommentare wie „Erinnern wir uns auch an deutsche Opfer?“, „Wer Wind säht, wird Sturm ernten“ und „das Sommerloch beginnt“. 910 Straftaten gab es im vergangenen Jahr gegen Muslim*innen in Deutschland, und sie alle fußen auf derselben Ideologie wie die deines Mörders. Hass gegen eine Religion, Hass gegen eine Kultur und Hass gegen Menschen, deren unschuldiges Leben von diesem Hass gewaltsam gestört – und wie in deinem Fall beendet – werden.

Vielleicht fragst du dich, wie es jetzt – 10 Jahre nach deinem Mord – in unserer Gesellschaft aussieht. Ob nach deinem Tod die Gesellschaft aufmerksamer auf antimuslimischen Rassismus wurde und wir uns als Muslim*innen heute sicherer fühlen. Die Antwort ist Ja und Nein. Ja, weil deine Geschichte die muslimische Community und all jene, die sich gegen Rassismus solidarisieren aufmerksamer auf antimuslimischen Rassismus gemacht hat und wir seitdem – vor allem an deinem Todestag – Aktionen gegen diesen Rassismus organisieren, darauf aufmerksam machen und darüber sprechen.

Wir haben ein Problem mit rechter Gesinnung

Und nein, weil zwei Jahre nach deinem Tod die NSU-Morde aufgedeckt und danach von der Justiz nur vertuscht wurden, sie in der Gesellschaft zwar auf organisierten Rechtsextremismus aufmerksam machten, nicht jedoch auf das Problem dahinter. Weil seitdem die AfD von der Gesellschaft mit fast 13% in den Bundestag gewählt wurde und ungeniert antimuslimischen Rassismus propagiert.

Wir haben heute, zehn Jahre nach deinem Tod ein großes Problem mit rechter Gesinnung in unserem Land. Und wir hoffen mit der Erinnerung an dich die Menschen erreichen und ihnen die Augen öffnen zu können. Damit keine junge Frau wie du, die ihr Leben noch vor sich hatte, ihr Leben für den Hass lassen muss. Damit keine Kinder mehr ihre Mutter wegen diesem Hass verlieren müssen.

Ich hoffe, dass dir die Tore des Paradieses geöffnet wurden. Wir denken an dich, wir vergessen dich nicht.

Leserkommentare

Ute Fabel sagt:
Im säkularen Deutschland kommt man ins Gefängnis, wenn man gegen jemanden aufgrund seiner anderen Herkunft, Religion oder Weltanschauung Gewalt ausübt. Der Täter wurde vom Landgericht Dresden im Jahr 2009 wegen besonderer Schwere der Schuld für diese niederträchtige Schandtat zu lebenslanger Haft verurteilt. In Saudi Arabien, das sich auf die islamische Scharia beruft, ist es genau umgekehrt. Wer dort seine andere Religion oder Weltanschauung ausübt - wie Raif Badawi - kommt ins Gefängnis und der Staat übt dann Gewalt gegen ihn aus. Das unterscheidet europäische Rechtsstaaten von islamisch geprägten Religionsdiktaturen.
02.07.19
13:23
Emanuel Schaub sagt:
Wenn ich einen Wunsch frei (bei wem auch immer...): BITTE KEINE DER BEKANNTEN BEMERKUNGEN ZUM ISLAM von meinen Mit .. Kommentatoren! Vielleicht mal ein paar Minuten mit-TRAUERN !! gruß emanuel
02.07.19
16:07
Brad Lewis sagt:
In islamisch indoktrinierten Religionsdiktaturen gibt es noch einen ganz besonderen Rassismus, nämlich einen Antihomosexuellen Rassismus. Und der führt dort zu schrecklichen Menschenrechtsverletzungen, staatlich verordneten Scharia-Hinrichtungen barbarischster Art. All das im Namen des Islam. Bitte keinesfalls vergessen, denn das Blut der Opfer schreit zum Himmel. Wer schreibt hier mal Briefe an die Opfer?
02.07.19
22:59
Tarik sagt:
Homophobie ist kein exklusives Merkmal einer sich als "islamisch" bezeichnenden Diktatur. Totalitäre Staatsmodelle neigen grundsätzlich dazu, Feindbilder zu kreieren, die dann systematisch "beseitigt" werden. Das war im Nationalsozialismus nicht anders, wo ebenfalls Homosexuelle verfolgt wurden. Das hat mit "islamisch" nichts zu tun, denn tatsächlich hat sich in der islamischen Welt niemand wirklich für Menschen, die gleichgeschlechtliche Sexualpraktiken ausüben, interessiert. Natürich gab es stets Gelehrte, die sich über homosexuelle Praktiken schockiert zeigten oder Dinge wie "Musik" als lasterhaft ansahen - genauso wie andere ihrer Gelehrtenkollegen Dinge wie Wein, die Liebe zu Knaben und Gesang lobpreisten - und gerade in Dingen wie Poesie und Musik war Vordere Orient nicht trotz, sondern WEGEN des Islams ("Gott ist schön, und liebt die Schönheit", dieses Gebot war stets ein Leitmotiv in den unterschiedlichsten Bereichen) äußerst produktiv. Aber Rechtsgutachten waren eben genau dies: Rechtsgutachten. Meinungen von Experten (Muftis), die nicht in Diensten des Staates standen, im Gegensatz zu den Richtern (Kadis), die jedoch auch anderen beruflichen Tätigkeiten nachgingen. Tatsächlich bestand in der traditionellen islamischen Scharia eine WIRKLICHE Gewalttenteilung zwischen Herrscher und Judikative in einem gegenseitigen Spannungsverhältnis. Heutige Richter arbeiten FÜR den Staat und urteilen nach Gesetzen, die der Staat verabschiedet. Und dieser Staat kann die Rechtslage immer wieder ändern. Oder neue Begriffe wie "Gefährder" einführen oder durch andere Rechtskniffe die Genfer Konventionen außer Kraft setzen (Guantanamo) Oder Bankgeheimnisse aufheben. Was die Richter tun können ist, den Staat höchstens zu korrigieren, wenn er die eigenen Gesetze überschreitet. In diesem Fall kann er sie ändern. Um dies effizienter tun zu können, ist es wichtig, Drohszenarien und Ausnahmesituationen zu schaffen (man lese Carl Schmitts Definitionen (!!!), mit dem das Parlament möglichst umgangen werden kann. zurück zur Homophobie: Gerade in Europa des 19. Jahrhunderts galt der Orient als moralisch verdorben, WEIL dort auf allen Ebenen offenbar niemand etwas gegen dieses "Unsitte" unternahm. Es war in Europa und nicht im Vorderen Orient, wo zuerst Menschen, die man als Homosexuell erfasste und definierte, versuchte, durch bestimmte Zwangstherapien umzopolen. Die Homophobie, die wir in den letzten Jahrzehnten in der islamischen Welt erleben, ist importiert aus Europa - heute hingegen sieht es umgekehrt aus: Die Anwälte des Gendermainstreamings verweisen auf einen moralisch degenerierten Orient, der Homosexuelle verfolgt.... Was Saudi Arabien angeht: Jegliche westeuropäische Kritik an Saudi Arabien ist als heuchlerisch zu bezeichnen, solange auf allen möglichen Ebenen mit diesem Staat paktiert wird. Saudi Arabien ist ein Verbündeter des Westens und das nicht erst seit gestern. Wären die Menschenrechtsdeklarationen und gebetsmühlenartig formulierten "wir zeigen uns besorgt"-Bekenntnisse das Papier Wert, auf dem sie stehen, dann wäre dieser Staat auf die oberste Liste von jeglichen Sanktionen zu setzen, statt ihn militärtechnisch(offenbar auch atomar) auf den neuesten Stand des Know-Hows zu setzen. Sowohl Saudi Arabien als auch der Iran sind äußerst nütztliche Staaten. Einerseits unterstützt man sie (deren regimes), andererseits dienen sie als nützliche Verbalziele für jegliche Islamkritik und sollen dem westeuropäischen "Bild(ung)sbürger" deutlich machen, wie ein Islam konsequent zuendegedacht aussieht. Als diametral dem "liberalen Humanismus" entgegenstehendes Konzept. Als ideales Feindbild, weshalb man hier jegliche Gesetze, die Liberalismus einschränken, abzunicken hat. Nun mag der abendländische Bildungsbürger sagen, "ja aber, was ist mit den Muslimen, warum kritisieren sie nicht Saudi Arabien?" Das tun sie, doch in diesem falle leben sie gefährlich. Das Attentat auf den Imam Rachid al Bay (dessen Attentäter man praktischerweise kurz darauf mit einem Kopfschuss im Wald gefunden hat), der sich seit einigen Jahren öffentlcih vom Salafismus losgelöst hat, ist nur eines von ZIG Beispielen. Auf höherer, intellektueller Ebene werden Kritiker wie Tariq Ramadan dann mit Reiseverboten (also auch Verbot an der Tielnahme der Pilgerfahrt) belegt. Mutig und unterstützenswert ist der Vorstoß des Autors Ahmad Milad Karimi: Er plädiert für einen muslimischen Boykott der Hadsch - solange, bis die heiligen Stätten in neutraler Hand ist, und nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden können, vor allem nicht durch eine saudische Herrscherklicke, die sich durch Korruption, Ausbeutung und vielem schlimmeren mehr hervorgetan hat....
04.07.19
15:41
Kritika sagt:
Emanuel Schaub sagt: Vielleicht mal ein paar Minuten mit-TRAUERN !! Ja, Emanuel, ich trauere ebenfalls; das war ein feiger Meuchelmord. Ich bedaure zutiefst, dass die ermordete KopftuchFrau nicht wie eine normale Bürgerin vor Gericht erschienen ist. Dann wäre ihr und ihre Familie wahrscheinlich vieles, wohlmöglich alles erspart geblieben. Und keiner hätte getrauert. Der Mörder ist verurteilt und das ist gut so.Deutschland ist ein Rechtsstaat. Sie trauern doch sicher auch jeweils ein paar Minuten, verehrter Emanuell, um für jeder der 4.500 Ungläubigen, die Allahs tapfere-Elite-Krieger im WTC ermordeten? Diese Opfer hätten sich nicht einmal normal kleiden können, um das Risiko zu mindern, sie waren es schon. Das wären dann rund 40 TrauerStunden. Und dabei hätten Sie noch nicht einmal um die 500 Menschen getrauert, welche in Sri lanka Allah-getreue Verbrecher ermordeten. Ich meine: Terror ist schrecklich, wen auch immer es betrifft. Dennoch: Nicht auszudenken, wenn alle Sekten so streitsüchtig wären wie der Islam. Gruss, Kritika
04.07.19
22:52
Ethiker sagt:
Kritika ich rate sie zur Ruhe zu kommen. "Ich bedaure zutiefst, dass die ermordete KopftuchFrau nicht wie eine normale Bürgerin vor Gericht erschienen ist. Dann wäre ihr und ihre Familie wahrscheinlich vieles, wohlmöglich alles erspart geblieben. " Sie unterteilen zwischen normale Bürgerin und nicht normale Bürgerin, ohne Argument. Sprechen also auf einen angeblichen Konsens an. Dabei sprechen sie nur von ihrer Welt. Das weitere Argument lautet wie folgt. Wenn X (X=Frau) kein Y (Y= Kopftuch) trägt. Dann T (T für Tod) von X weniger wahrscheinlich. Oder Wenn X, Y trägt. Dann T von X mehr wahrscheinlich. Durch dieses Argument, einer Frau ein Kopftuch als Auslöser einer Mordtat vorzuwerfen, ist damit schon alles gesagt. Der Rest ist wie zu erwarten, krude Wahrheitsverzerrung und kann sogar als Rechtfertigung der Mordtat oder dessen zu erwartenden Folgen aufgefasst werden. Weiter auf diese Weltvorstellung einzugehen ist verlorene Lebenszeit. Übrigens: Sie haben sich durch ihre haltlosen Unterstellungen schon längst selbst verraten.
20.09.19
19:07