(K)ein Bildungsauftrag

Warum trägst du’s wirklich? Die leidige Kopftuchfrage

Muslimische Frauen haben keinen allgemeinen Bildungsauftrag der Gesellschaft gegenüber. Dudu Kücükgöl schreibt über ihre Erfahrungen mit der Kopftuchfrage.

09
05
2015

Vor wenigen Tagen fragte mich ein netter Herr, ob es denn in Ordnung wäre, muslimische Frauen nach ihrem Kopftuch zu fragen. Ich entgegnete, er bräuchte sie nicht einzeln zu fragen, es gäbe Studien und Bücher dazu. Die besagen im Grunde, dass sie es aus religiösen Gründen tragen. „Ja“, sagte er: „Das sagen die Frauen auch immer, aber das genügt mir nicht.“ Tief Luft holen, nicht die Fassung verlieren, ruhig und freundlich bleiben, denke ich mir. Er meint es ja nicht bös‘. Aber macht das für die Frauen, die der Mann fragt, einen Unterschied? Von denen er eine Rechtfertigung verlangt und sich dann das Recht nimmt, mit ihren Aussagen nicht zufrieden zu sein?

Prüfungsfrage: Kopftuch

Fast meine gesamte Schullaufbahn lang war ich an meiner Schule die einzige Muslimin und Kopftuchträgerin. Geduldig antwortete ich auf die immer wieder gestellte Frage mit der einzigen mir bekannten Antwort und mit der einzigen Motivation für mich, es zu tragen: weil es ein Gebot meiner Religion ist.

Doch im Laufe der Zeit änderte sich die Frage. Sie wurde ergänzt um vertiefende Fragen und um Verständnisfragen. Wie wenn ich eine Prüfung zu absolvieren hatte, musste ich also beweisen, dass ich wirklich wusste, warum ich es trug und woher sich das Gebot genau ableiten lasse. Also informierte ich mich, fragte meinen Religionslehrer und suchte nach der Antwort, die die Menschen suchten, nach dem „eigentlichen Grund“.

20 Jahre lang übte ich mich in Geduld

Ich las die angeblich „islamischen“ Argumente von männlichen Theologen, die mir wie sexistische Annahmen vorkamen und die mir nicht gefielen. Ich las die Argumente der Kopftuchgegnerinnen, die ich bevormundend und ignorant fand. Am Ende überzeugte mich das, was ich schon immer darüber wusste: die Ableitung des Gebots aus dem Koran.

20 Jahre lang hatte ich viel Geduld mit meinen Mitmenschen und beantwortete bereitwillig die immer gleiche Frage. Doch in den letzten Jahren nervt sie mich. Seit mehr als zwei Jahrzehnten „rechtfertige“ ich vor wildfremden Menschen meine höchstpersönliche Wahl für ein Kleidungsstück. Egal ob ich zum Thema Islam in Österreich oder Extremismus vortrage, ob ich über Jugendbeteiligung oder Bildung und Arbeitsmarkt spreche, immer wieder kommt sie, die „Kopftuchfrage“.

Fremdbestimmter Diskurs

Dabei kann es die muslimische Frau sowieso nie richtig machen: Trägt sie ein Kopftuch, wird sie ständig gefragt, und wenn sie keines trägt auch. „Warum trägst eigentlich du kein Kopftuch? Du bist doch auch Muslimin“, muss sie sich dann von Nicht-Musliminnen und -Muslimen vorwerfen lassen. Im ersten Fall wird eine Frau nur über ein Stück Stoff definiert und im zweiten Fall spricht man ihr ihre Religiosität ab.

Die Kopftuchfrage scheint banal oder naiv zu sein – aber das ist sie nicht. Sie ist Ausdruck eines rassistisch geführten, fremdbestimmten Diskurses. Sie ist ein Mittel, um muslimische Frauen als „die andere“ zu konstruieren und immer wieder als „die andere“ festzuschreiben. Diese scheinbar harmlose Frage erinnert Musliminnen daran, dass sie anders sind und anders sein müssen, weil sie so wahrgenommen werden – das darf sie nicht vergessen!

Kein Bildungsauftrag in Sachen Kopftuch

Doch wer sich wirklich für muslimische Frauen interessiert, fragt danach, was ihre Anliegen sind und was ihr wichtig ist. Wie es ihr in der Schule, am Arbeitsmarkt oder mit der steigenden Islamfeindlichkeit geht.

Muslimische Frauen haben keinen allgemeinen Bildungsauftrag gegenüber der Gesellschaft. Sie müssen ihre Lebenszeit nicht damit vergeuden, sich ständig vor Ahnungslosen oder bildungsresistenten Mitmenschen zu erklären. Sie haben Besseres zu tun, als über ein Stück Stoff zu sprechen.

Bitte, lasst uns muslimische Frauen mit der Kopftuchfrage in Ruh‘. Die afroamerikanische Feministin Mikki Kendall sagt: „Your education is limited. No one can fix that but you.“ In diesem Sinne abschließend eine Empfehlung von Büchern, die sich mit dem Kopftuch beschäftigen: „Verschleierte Lebenswelten“ von Monika Höglinger, „Kopftuchfrauen“ von Petra Stuiber und „Verschleierte Wirklichkeit“ von Christina von Braun und Bettina Mathes. (Dudu Kücükgöl, derStandard.at, 6.5.2015)

Erstveröffentlichung: derStandard

Leserkommentare

Angelika May sagt:
Das wird alles endlich aufhören, wenn das Kopftuch Teil westlicher-nicht-religiöser Mode wird - und irgendwann ist es soweit. Dann erübrigen sich solche Fragen, weil es nichts mehr besonderes ist. Auf dem Fahhrad trage ich bereits Hijab, weil das am besten gegen den Wind ist...
12.05.15
13:47
Kai Fischer sagt:
Danke für den differenzierten Beitrag! Zwei Aspekte möchte ich dennoch anmerken sowie eine Frage stellen. Objektiv liegt kein Rassismus vor weil es sich bei Musliminnen oder Muslimen nicht um eine Ethnie handelt. Ich glaube der Hintergedanke der immer wieder Fragenden ist eher Sorge und Mitleid über eine mutmaßlich “unterdrückte Frau”. Denn es “könne ja nur ein Zwang dahinter stehen” das Kopftuch zu tragen. Mich interessiert übrigens genauso warum Frauen das tun. Die Frage darf auch berechtigt sein nach über 100 Jahren westlicher Frauenbewegung und 30 Jahren sexueller Revolution. Warum dieser soziale Atavismus? Kann es sein, dass es sich auch um eine Abgrenzung von Schönheitsdiktaten und einer subjektiv empfundenen allgemeinen sexuellen Verfügbarkeit handelt? Und als dessen Ursache nicht die Infragestellung der Gleichberechtigung sondern eine Abgrenzung gegenüber einer leider völlig übersexualisierten Welt steht?
04.12.17
13:38
Maxi sagt:
Du könntest das nächste Mal zurückfragen, ob diese Person auch einen Anzugträger fragt, warum er Anzug trägt, oder einen Punk, warum er eine Lederjacke mit Nieten trägt. Hierbei gibt es immernur zwei Gründe: Anpassung oder Abgrenzung. Der Großteil der Musliminnen in Deutschland brauchen sich nicht anpassen oder wollen sich nicht abgrenzen. Sie tragen kein Kopftuch. Insofern denke ich, würden die Leute gern wissen: grenzt du dich aus oder passt du dich an?
30.07.18
15:19
Steffen sagt:
Für mich hat die Kopftuchfrage nichts mit Religion zu tun, weil man ja auch ohne Hijab seinen Glauben ohne Einschränkungen ausleben kann. Und besorgt über die angeblich unterdrückte Frau bin ich auch überhaupt nicht. Für mich ist das Kopftuch mittlerweile ein Zeichen der Nichtakzeptanz unserer westlich/christlichen Werte und drückt für mich nur Integrationsunwilligkeit aus. Moslems glauben, dass Sie Christen überlegen sind, weshalb sollten Sie also hiesige kulturelle Gebräuche annehmen? In Saudi Arabien müssen Frauen Kopftuch tragen und all diese Frauen wollen nichts sehnlicher, als einfach diesen Lappen loszuwerden. Kaum ist man in der westlichen Welt, fängt man an sich mit dem Kopftuch zu identifizieren.
18.09.18
10:22
Nayima sagt:
Ich empfinde vieles sehr ähnlich, wie die Verfasserin des Beitrages. Ich habe auch mit 15 angefangen Kopftuch zu tragen. Auch ich komme aus einer religiösen Familie, allerdings ist meine Mutter Christin, mein Vater Muslim. Ich bin dankbar, dass ich dadurch einen ehrlichen Blick hinter beide Kulissen werfen durfte. Es gab einige Jahre, in denen ich das Tuch abgelegt habe. Im Nachhinein erkenne ich, dass dies aus sozialem Druck geschehen ist. So gut wie alle "Freunde" haben sich abgewandt, Bis jetzt, habe ich noch keinen einzigen Mann kennengelernt, der damit einverstanden ist, dass ich Hijab trage. Muslimische Männer! Ich bin ein zur Höflichkeit erzogener Mensch..es fällt mir generell sehr schwer, einfach knallhart "Nein" zu sagen..so:"Nein, kein Interesse, geh weg." Ich empfinde diese Art der Direktheit als unhöflich, da kann ich nicht aus meiner Haut..leider hat der Herr, der sagte, in "freizügiger Kleidung" wird eine Frau als potenziell "willig"
16.10.22
10:26